Kapitel 12

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Der Zug wurde langsamer, als die Bremsen griffen. Ich spürte, wie unsichtbare Kräfte mich nach vorne drückten und musste eine Hand von Rosena lösen, um mich am Sitz abzustützen. Der Zug ruckelte nach rechts und noch einmal nach rechts und ich begriff, dass er die Schienen wechselte. Ich erhob mich leicht schwankend, Rosena weiterhin die Hand haltend, und starrte nach draußen.

Neben uns gab es bestimmt zwanzig weitere Schienenstränge, die Häuser schienen vor ihnen zurückzuweichen und sich hinter einer großen, mit Efeu bewachsenen Ziegelmauer zu verstecken.

Weitere Züge standen vereinzelt auf den Schienen, wie Soldaten stumm auf ihren Einsatz wartend.

Wir kamen zum Stehen und ich konnte ungeduldige Menschen hinter den Scheiben erkennen. Niemand beachtete uns groß, galt doch alle Aufmerksamkeit den Türen, die sich bald öffnen würden.

Die anderen erhoben sich ebenfalls und Rosena löste vorsichtig ihren Griff. „Danke", flüsterte sie.

Ich nickte und stellte mich neben Lars, der mir bereits mit einer energischen Geste befohlen hatte, zu ihm zu kommen.

„Ich bin mir nicht sicher, was sie mit euch anstellen werden", erklärte er mir leise. „Entweder sie werden euch in ein Gefängnis stecken oder euch laufen lassen."

„Ihr meint, sie würden uns einfach gehen lassen?"

Lars zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Niemand weiß, wie das genaue Prozedere in einem solchen Fall vonstattengeht. Aber duze mich doch bitte."

„Was, wenn wir fliehen? Einfach aus Erza verschwinden?"

„Würdet ihr das?"

„Es geht nicht darum, ob wir es tun würden, sondern darum, ob ihr glaubt, dass wir es tun könnten."

„Ich traue dir einiges zu. Allerdings bin ich gut darin Menschen zu lesen. Du und deine Freunde - ihr lügt nicht. Ihr sucht wirklich jemanden. Also werdet ihr wohl kaum verschwinden."

Ich nickte. „Das ist ein stichhaltiges Argument. Nur wird es auch die Gardisten überzeugen?"

„Ich weiß es nicht." Er zögerte.

„Wir werden ziemlich viel Staub aufwirbeln, nicht wahr?"
Lars seufzte und rieb sich das glattrasierte Kinn. „Ihr tut es längst."

Wir verließen den Zug, während uns die Gardisten scharf beobachteten. Alyn blickte sich sofort nach den Pferden um.

„Was werdet ihr jetzt machen?", fragte ich unterdessen.

„Wir werden euch ins rote Haus bringen."

„Ein rotes Haus?"
„Es ist ein altes Backsteingemäuer und aufgrund seiner Farbe wird es so genannt. Darin befinden sich die Büros unserer hochrangigen Militärs. Es ist an ihnen, zu entscheiden, wie mit euch verfahren wird."

„Wir werden also weitergereicht", fasste ich seine Aussage zusammen.

„Ja. Aber glaubt mir, am Ende steht ihr vor der Königin. Niemand will bei einer solch heiklen Angelegenheit eine Entscheidung fällen."

„Warum heikel? Ihr könntet uns töten und niemand würde die Wahrheit je erfahren."

„Wir töten nicht einfach Menschen, nur weil es die Sache einfacher macht!", rief Lars entrüstet aus. „Außerdem... außerdem ist es vielleicht an der Zeit, dass wir unser Verhältnis zu Seyl ändern. Früher oder später werden wir miteinander in Kontakt treten müssen. Unser Land wächst und wächst. Unsere Technik wird immer fortschrittlicher. Irgendwann wird jemand seinem Forscherdrang nachgeben und die verlorenen Lande bereisen und andere werden ihm nachfolgen. Wir können sie kaum davon abhalten. Wir müssten die Grenze befestigen, aber sie zieht sich durch weite Ebenen.

Acerum wird durch eine Gebirgskette mit nur wenigen Pässen von Erza getrennt, nicht schwer zu kontrollieren. Sollten sie aber Seyl unterjochen, stünden wir ihnen schutzlos gegenüber.

Somit haben wir also zwei potenzielle Probleme. Unsere eigenen Landsleute sowie eine mögliche acerianische Invasion. Beides lässt sich verhindern, wenn Seyl wieder zu stabilen Verhältnissen zurückkehrt."

Ich hatte Lars schweigend zugehört. Seine Worte waren immer eindringlicher geworden, aber er behielt die Stimme gesenkt, sodass ihn niemand sonst verstehen konnte.

„Ich nehme an, du und deine ominösen Freunde seht in uns also einen Anlass, einzugreifen?"

Lars schüttelte den Kopf. „Wir können nicht. Jegliche Handlung vonseiten Erzas in diese Richtung könnte einigen anderen Mächten sauer aufstoßen. Unsere Bündnisse sind von fragiler Stabilität. Sollte Seyl uns nicht von selbst um Hilfe bitten, sind uns die Hände gebunden."

Ich verstand. „Seyl wird euch jedoch nicht um Hilfe bitten. Denn die Oberen wollen auf keinen Fall von jemandem abhängig sein. Sie werden keine Hilfe annehmen."

Wir traten zu den Pferden, die von einem Mann und einer Frau gehalten wurden. Alyn stand verärgert vor ihnen. „Ihr werdet auch gut für sie sorgen. Wehe auch nur einem von ihnen wird ein Schaden zugefügt. Glaubt mir, Ihr werdet es tausendfach bereuen."

Ich legte eine Hand auf ihre Schulter und sie entspannte sich etwas. Sowohl der Mann als auch die Frau warfen mir einen erleichterten und dankbaren Blick zu. Alyn konnte sehr einschüchternd sein.

„Komm mit", sagte ich zu Alyn. „Den Pferden wird es gut gehen. Aber die anderen warten schon."

Zögernd wandte Alyn sich ab und wir gingen zu unseren Gefährten, die etwas verloren vor dem gewaltigen Gebäude standen. Dabei wurden wir von Lars und zwei weiteren Gardisten begleitet, bei denen es sich um jene mit der anderen Uniform handelte.

Wir durchquerten eine große Halle, in der weitere Menschen geschäftig umherirrten. Die hohe Decke wurde von starken Säulen getragen. An der Stirnseite befand sich eine riesige Uhr, deren Zeiger gen Spätnachmittag rückten. Das Ziffernblatt war von einem dunklen Blau, vor dessen Hintergrund sich die goldenen Tiere, die hinter jeder Zahl aufgemalt waren, umso mehr abhoben.

Die Luft roch trotz der vielen Menschen sauber. Überdeutlich fiel mir auf einmal auf, wie heruntergekommen wir alle wirkten. Wie ungepflegt und verwildert.

Viele hielten inne, um uns offen anzustarren. Wir mussten schon ein merkwürdiges Bild abgeben. Ich fühlte mich bei so viel Aufmerksamkeit unwohl. Trotzdem reckte ich das Kinn und marschierte aufrecht. Lasse niemanden deine wahren Gefühle erkennen.

Ein schriller Pfiff ertönte von draußen und ich hörte, wie sich einer der Züge in Bewegung setzte. Ein Hund an einer Leine trippelte an mir vorbei und ich musterte seine geringe Größe und sein gepflegtes Fell. Die Menschen in Erza schienen sogar ihre Tiere zu baden.

Rosena rückte etwas näher, sodass sich unsere Körper fast berührten. „Dieses Land ist unheimlich", flüsterte sie.

Mich ängstigte mehr der offensichtliche Fortschritt gegenüber Seyl als die Leute an sich. Trotzdem nickte ich.

Die große weit offenstehende Flügeltür führte zu einem großen Platz, umrahmt von Blumenbeeten, die mit Frühjahrsblühern bepflanzt waren. In der Mitte gab es einen Springbrunnen und ein paar Bäume hier und da komplettierten das Bild. Kutschen ratterten vorbei. Manche waren kleine Zweisitzer, andere boten Platz für ein gutes Dutzend Menschen. Dazwischen flanierende Fußgänger und sie dabei umkurvende Fahrräder. Die Häuser im Hintergrund waren im Schnitt vier Stockwerke hoch, mit Stuck an den Mauern und bunt an Farbe und Form.

Lars ließ uns in eine der großen, von sechs kräftigen Pferden gezogenen Kutschen einsteigen. Er folgte uns mit den beiden Gardisten, die von Anfang an seine Begleiter gewesen waren.

„Ist das zulässig?", fragte ich.

„Was?", wollte er wissen.

„Wir sind zu sechst und ihr seid nur drei. Wir könnten euch leicht überwältigen."

„Ihr seid keine Verbrecher und wir sind bewaffnet, also werdet ihr es nicht tun", entgegnete Lars ungerührt. „Wenn du aber darauf bestehst, können wir euch gerne mit Handschellen fesseln."

Ich zuckte mit den Schultern und starrte aus dem Fenster. Die Straßen waren geräumig, sodass sich zwei Kutschen ohne Probleme begegnen konnten und es gab einen abgegrenzten Bereich, offenbar nur für Fußgänger reserviert. An jeder Straße hing ein Schild mit einem Namen. Ich sprach Lars darauf an und der antwortete mir bereitwillig.

„Unsere Straßen tragen alle ohne Ausnahme einen Namen, was unser Postsystem zugleich vereinfacht hat. Nun müssen die Austräger nicht mehr wissen, wo jede einzelne Person wohnt, sondern können die Briefe einfach nach der Adresse sortieren."

Alyn, die sich die Bank hinter mir mit Lapislazuli und Sphen teilte, grummelte leise. „Unsere Straßen haben teilweise ebenfalls einen Namen."

„Wie lange dauert es, bis ein Brief ankommt?", wollte ich wissen.

„Das ist unterschiedlich. In Londburg und der näheren Umgebung in etwa einen Tag. In den entlegeneren Regionen bis zu drei Tage. Die Briefe werden abends eingesammelt und kommen mit den Nachtzügen nach Londburg. Dort werden sie nach Regionen aufgeteilt und mit den entsprechenden Zügen zu ihrem Ankunftsort geschickt. Dort werden sie dann per Kutsche oder Fahrrad weitertransportiert."

Fasziniert lauschte ich, während ich zugleich anfing zu kalkulieren, ob so etwas auch in Seyl möglich wäre.

Rosena zupfte mich unter den wachsamen Augen der Gardisten am Ärmel und ich lehnte mich zu ihr hinüber. „Warum tragen manche Frauen Hosen und die anderen Kleider?" Sie sprach leise, aber Lars hatte sie trotzdem gehört.

„Weil wir der Meinung sind, jeder könne tragen, was er wolle." Rosena wurde feuerrot, als der Spion sie direkt ansprach.

„Und warum tragen die Männer dann keine Kleider?", kam von Alyn herausfordernd.

Lars grinste. „Weil wir festgestellt haben, dass die Beine von Frauen in Röcken viel schöner sind als die der Männer. Aber es gibt sicher einige, die da anderer Ansicht sind."

„Verbietet ihnen ihr Glaube das nicht?", fragte Rosena wieder mich.

Ich wiederholte ihre Frage, warf ihr aber zugleich einen vielsagenden Blick zu. Es war nicht meine Aufgabe, für sie zu sprechen.

„Wir sind an keine bestimmte Religion gebunden. Jeder kann glauben, was er will. Die meisten jedoch haben ihren Gott oder ihre Götter in der Wissenschaft gefunden. Trotzdem gibt es einen Tag pro Woche, in denen nur die wenigsten arbeiten, um sich dafür ihrem Glauben zu widmen. Wir wollen unsere Wurzeln schließlich nicht verleugnen. Die meisten jedoch verbringen diesen Tag einfach mit ihren Familien."

Wir schwiegen alle eine Weile, dann setzte sich Lars, dessen Platz sich genau gegenüber dem meinen befand, in einer eleganten Bewegung auf. „Wir sind da", erklärte er im selben Moment, in dem die Kutsche hielt.

Einer nach dem anderen stieg aus und betrachtete das rote Backsteingemäuer, vor dem die große Karosse stehen geblieben war. Vor dem breiten Tor, das offizielle Gebäude wie dieses auszeichnete, befanden sich zwei Wachposten in der blauen Uniform, mit der auch die beiden Gardisten bekleidet waren, die Lars begleiteten.

Die fünf Männer unterhielten sich leise, aber angeregt. Sie sahen kein einziges Mal zu uns hinüber, trotzdem wusste ich, dass sie über uns sprachen.

Sphen murmelte ärgerlich etwas, das ziemlich viele Schimpfworte enthielt und sein aufrichtiges Bedauern betonte, nicht in Skaramesch geblieben zu sein.

Ich hob eine Augenbraue und er grinste. „Du hast recht. Eigentlich möchte ich dieses Abenteuer nicht missen." Ganz der vorlaute Draufgänger, den er immer wieder hervorkehrte. Dass er dabei stets wohlüberlegt vorging, konnte ihn allerdings sehr gefährlich machen. Sein mangelnder Respekt gegenüber anderen Kulturen trug sein Übriges zu einer explosiven Mischung bei. Dass er zudem gelegentlich Aussetzer hatte, in denen er nicht mehr er selbst war, machte ihn zu einem gewissen Risiko. Da ich seine Eltern getötet hatte, fühlte ich mich jedoch im gewissen Sinne für ihn verantwortlich. Denn manchmal gelang es ihm nicht zu verbergen, dass er tief in seinem Inneren ein einsamer und verletzter Junge war, der Angst vor Verlust hatte. In ihm erkannte ich mich selbst wieder.

Schließlich drehte sich Lars wieder zu uns um und bedeutete uns mit einem Winken, ihm zu folgen. Die beiden Gardisten, die Wache gestanden hatten, öffneten die beiden Torflügel, sodass wir eintreten konnten. Die Vorhalle war ein schattiges Gemäuer, durch dessen Oberlichter milder Sonnenschein fiel. Die marmorfarbenen Fliesen, die jemand so blankgeputzt hatte, dass man sich regelrecht darin spiegelte und die hellen Wände ließen den Raum groß und kühl erscheinen. Säulen, die bis zur Decke reichten, stützten ein Kuppeldach. Von den Wänden zweigten allerlei Gänge und Türen ab, dazwischen hingen ein paar Gemälde von Männern in Militäruniform. Abgesehen von zwei kleinen Tischchen, um die jeweils zwei Stühle gruppiert waren, fanden sich in der Halle keine weiteren Möbelstücke. Eine Treppe im selben Ton wie der Rest des Gemäuers wand sich mit einer leichten Kurve nach oben.

Lars durchquerte die Halle mit jener Zielstrebigkeit, die erahnen ließ, dass dies nicht sein erster Besuch war und er sich häufig hier aufhielt. Wir folgten umso zögerlicher. Neben uns ging schwungvoll eine Tür auf und eine Frau mit einem großen Aktenstapel kam uns entgegen. Sie warf uns einen kurzen Blick zu, neigte den Kopf vor Lars und eilte schließlich weiter, bis sie in einem der Gänge hinter einer Biegung verschwand. Die Tür fiel leise wieder ins Schloss.

Vor einer weiteren Ausführung blieben wir schließlich stehen. Lars hielt inne und klopfte. Nachdem ein „Herein" ertönt war, öffnete er die Tür und wir betraten das Zimmer.

Der Mann hinter dem Schreibtisch war bereits älter und sein graues Haar wurde langsam spärlicher. Nichtsdestotrotz saß er aufrecht und musterte uns mit hartem Blick. Eine Aura der Kompetenz umgab ihn wie eine zweite Hautschicht.

„Das sind sie also", stellte er fest.

Lars nickte leicht mit dem Kopf.

Der Mann stand auf, dabei stemmte er die Arme gegen die Tischoberfläche, die Fingern leicht gespreizt. „Sie bringen mich in eine unangenehme Situation", kam er unverzüglich zum Thema. „Sie sind illegal in diesem Land. Normalerweise würden wir sie einfach an die Grenze zurückbringen. Allerdings stammen sie aus Seyl, was einem Gesetzesbruch gleichkommt."

„Um genau zu sein", warf Alyn ein. „Sind wir nicht alle aus Seyl."

„Das Gesetz gilt sowohl für Seyl als auch für dessen engste Verbündete. Acerum, Skaramesch und die vereinten Königreiche."

„Was?", fragte Rosena leise.

„Die vereinten Königreiche waren ein Zusammenschluss vieler kleinerer Fürstentümer, die hofften, so eine lautere Stimme in der Weltpolitik zu bekommen. Schließlich wurden ihre Zwistigkeiten zu groß, sodass dieser Bund sich auflöste. Auf dem Gebiet der ehemaligen vereinten Königreiche liegen heute Beerland und Solitar, die bereits damals die größte Macht innehatten und in den ausbrechenden Kleinkriegen die Oberhand behalten konnten", erklärte ich.

„Was ist mit Jamar?"

„Das galt einst als Teil von Skaramesch. Allerdings unterschied es sich besonders im Hinblick auf die Kultur und die vorherrschenden Gepflogenheiten als auch auf die Sprache, sodass sie schließlich vor knapp zweihundert Jahren die Unabhängigkeit erklärten. Um ehrlich zu sein, scheint mir das auch nicht überraschend, denn wenn man sich den dortigen Menschenschlag nur einmal ansieht, erkennt man doch sofort, dass es sich um zwei verschiedene Ethnien handelt."

„Manchmal bist du mir unheimlich", sagte Alyn kopfschüttelnd und mir war, als hätte sie das nicht zum ersten Mal gesagt.

Rosena murmelte gleichzeitig etwas von „Für mich sehen die alle gleich aus."

Lapislazuli warf ihr einen enttäuschten Blick zu. „Man erkennt doch sofort, dass Sphen und ich keinerlei Ähnlichkeit haben."

Rosena wurde rot und starrte verlegen gen Boden. „Ich meinte auch die Piraten."

Lapislazuli schnaubte verächtlich. „Die Piraten sind doch kein eigenes Volk. Das sind nur lauter Ausgestoßene der verschiedensten Völker. Das Blut ihrer multikulturellen Vorväter fließt durch ihre Adern. Sie..."

Ich hob die Hand, um sie zu unterbrechen. „Rosena hat es gewiss nicht böse gemeint. Es stimmt, dass sich offenbar bestimmte Züge gegenüber anderen durchsetzen und dafür sorgen, dass sich die bleiche Haut der Menschen des Nordens gegenüber dem dunklen Teint der Südländer nicht durchsetzen kann. Aber ich denke, dass wir momentan andere Probleme haben, als uns wegen solcher Belanglosigkeiten zu streiten."

Der Mann hinter dem Schreibtisch nickte mir anerkennend zu, als alle verstummten.

Ich wandte mich an ihn. „So ist es an Euch zu entscheiden, wie mit uns verfahren wird?"

„Für gewöhnlich ja. Nur fürchte ich, dass es in diesem Fall nicht so einfach wird."

„Warum?", wollte Alyn direkt wie immer wissen.

Der Mann zögerte und rang sichtbar mit sich. Dann presste er die Lippen zusammen. Seine Kiefermuskeln mahlten.

„Es geht um die derzeitige politische Situation, nicht wahr?", fragte ich schließlich.

Der Mann neigte den Kopf. „Wann geht es denn schon nicht um Politik?" Er seufzte. „Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs. Unsere Bevölkerung will das gestörte Verhältnis zu den Ländern des Westens nicht mehr einfach hinnehmen."

„Habt Ihr deshalb Eure Spione entsendet?"

„Sie wissen davon? Sie scheinen nicht so unschuldig zu sein, wie Sie uns gegenüber behaupten", meinte der Mann. „Aber ja, das ist der Grund. Es ist mühsam ein Bild der Geschichte des Westens zu bekommen. Ihre Landsleute nehmen es wohl nicht sehr genau mit der Geschichtsschreibung."

Ich nahm seinen leicht verurteilenden Tonfall mit einem Achselzucken zur Kenntnis. „Vieles wurde in den letzten Jahren zerstört. Die Oberen haben es sich um Ziel gesetzt, alle Spuren der vorhergegangen Königsherrschaft zu tilgen. Es finden sich aber doch noch einige Quellen, wenn man weiß, wo man suchen muss."

Während alle schwiegen, betrachtete ich die Auszeichnungen an der maßgeschneiderten Uniform meines Gegenübers. Ich fragte mich, womit er sich all diese Abzeichen verdient hatte. Hatte Erza woanders Kriege geführt? Vielleicht im Osten, in Ländern, die für uns unerreichbar waren? Oder endete die Welt tatsächlich mit Erza? Es schien mir unvorstellbar.

„Sie scheinen mir sehr viel über die Entwicklung Seyls zu wissen", stellte der Mann an mich gewandt fest. „Ich bin sicher, die Königin und andere Würdenträger würden gerne mehr darüber hören."

Unruhe überkam mich. Ich bekam das Gefühl, dass all dies länger dauern könnte, als uns Zeit zur Verfügung stand. „Wir haben nicht sehr viel Zeit", warf ich deshalb ein.

Der Mann runzelte die Stirn. „Ich fürchte, Ihnen wird nichts anderes übrig bleiben." Er griff mit einer Hand zu einer seltsamen Apparatur. Nachdem er ein paar Tasten gedrückt hatte, hielt er sich ein Teil davon ans Ohr. Er war Lars einen vielsagenden Blick zu. Der ergriff sofort die Initiative.

„Kommt mit. Der General will ein Gespräch führen."

Er scheuchte uns aus dem Zimmer. Hinter mir konnte ich noch hören, wie der Mann leise etwas sagte. „Verbinden Sie mich mit Nepomuk."

Dann fiel die Tür hinter uns ins Schloss. Etwas verloren standen alle in der Vorhalle. Keiner schien zu wissen, was er sagen sollte. Auch Lars und die beiden Gardisten schwiegen eisern. Rosena wechselte unruhig von einem Bein aufs andere und Alyn begann wie ein eingesperrtes Tier auf und ab zu marschieren. Wladi starrte reglos gen Wand. Es schien als hätte sich sein Geist in andere Welten begeben, während Lapislazuli sich einfach auf einen der Stühle setzte. Sie räkelte sich wie eine Raubkatze und gähnte demonstrativ. Sphen hatte genau wie ich betont entspannt die Arme verschränkt, aber ich konnte erkennen, dass er bei der kleinsten Regung kampfbereit wäre. Als er meinen Blick spürte, nickte er mir kaum merklich zu, während seine Finger leicht gegen den Oberarm klopften.

Aber niemand attackierte uns. Die drei Erzaner beobachteten uns zwar, aber keiner von ihnen wirkte auch nur im Geringsten angespannt. Schließlich öffnete sich die Tür und der General winkte Lars zu sich. Sie verschwanden für eine geraume Weile, dann kehrten sie zurück.

„Die Königin möchte Sie alle sehen", verkündete der ältere Mann.

Alyn hielt inne. „Jetzt?", fragte sie.

Die beiden nickten.

„Das ist gut", meinte Alyn. „Vielleicht können wir die Königin überzeugen, uns zu helfen."

„Mir genügt es, wenn sie uns nicht behindert", konstatierte ich.


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