WIE SIE BRACH

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Seit ich denken kann, surfe ich. Ich bin in einer kleinen Stadt, Byron Bay, an der Australischen Ostküste aufgewachsen und sobald ich stehen konnte, hat mein großer Bruder Nate mich auf ein Brett gehoben und buchstäblich ins kalte Wasser geworfen. Das klingt vielleicht gefährlich, aber heute bin ich ihm sehr dankbar dafür, weil wir die Liebe zum surfen mittlerweile teilen.

Manchmal waren wir so lange draußen, dass Mom runter an den Strand kommen musste, um uns zu holen, weil das Abendessen langsam kalt wurde oder sie Angst hatte, dass wir in der Dunkelheit von irgendwelchen Fremden weg geschnappt würden. Bei knapp fünftausend Einwohnern kennt hier fast jeder jeden, aber Mom hat nur noch uns, weswegen sie hin und wieder etwas überängstlich ist. Und, na ja, bei zwei Jungs, die nur Wellen, Sonne und Sand im Kopf haben, ist das auch gar nicht so unberechtigt.

Einmal, da war ich vielleicht sieben und Nate zwölf, sind wir ohne Bescheid zu sagen nach einem Tag am Strand noch zum alten Leuchtturm geradelt, um Buckelwale zu beobachten, deren große, dunkle Körper dort regelmäßig durch die Fluten gleiten. Das haben wir aber auch nur einmal gemacht, zumindest bis wir alt genug waren. Erstens, weil wir drei Kilometer hin und wieder zurück fahren mussten, was nach einem langen Tag wirklich anstrengend ist, und zweitens, weil Mom die Polizei verständigt hat, der wir, als wir dann irgendwann spät abends zurück nach Hause kamen, geradewegs in die Arme gelaufen sind. Wir bekamen beide Hausarrest und Nate musste Mom versprechen, dass er mich nie wieder zu solch dummen Ideen überreden würde.

Dabei war es meine gewesen.

Aber Nate versprach es, er schwor es ihr sogar und er hielt sich daran, obwohl er Mom versicherte, dass er mich beschützt hätte, falls wir von einem Wal angegriffen worden wären oder so.

„Ich werde ihn immer beschützen. Er ist doch mein kleiner Bruder", hat er gesagt.

Seitdem sind dreizehn Jahre vergangen und nichts hat sich verändert. Wenn man mal von der Tatsache absieht, dass Nate und ich mittlerweile so gut im Surfen sind, dass wir regelmäßig an Contests teilnehmen. Durch die Preisgelder könnten wir uns theoretisch über Wasser halten und am liebsten würden wir beide unsere größte Leidenschaft zum Hauptberuf machen, aber Mom will, dass wir vorher was Ordentliches lernen. Nate ist ziemlich schlau und studiert in Melbourne Sportwissenschaften. Mein Abschluss an der High School war zwar nicht übel, aber ich hoffe immer noch, dass ich durch das Surfen ein Stipendium bekomme und neben der Uni professionell dem Sport nachgehen kann. Mit der Frage, was ich genau machen will, hängen er und Mom mir seit Monaten in den Ohren. Aber ehrlich gesagt, will ich davon im Moment nichts wissen. Ich arbeite seit ich sechzehn bin nachmittags ein paar Mal die Woche in der Surfschule, wo ich manchmal Kinder unterrichte, manchmal aber auch nur die Bretter pflege. Damit kann ich mich recht gut über Wasser halten, da ich, seit ich mit der Schule fertig bin, auch vormittags Schichten übernehmen kann. Lange kann ich mich aber nicht mehr darauf ausruhen, weil ich Mom versprochen habe, mir langsam ein College auszusuchen.

Bevor ich damit anfange, will ich aber noch an ein paar Wettkämpfen teilnehmen.

Vielleicht hätte ich nicht warten sollen.

Vielleicht hätte ich auf Mom hören und direkt nach der High School verschwinden sollen.

Vielleicht hätte ich mir kein Beispiel an Nate nehmen sollen, der auch ein paar Jahre in Byron Bay geblieben ist, um das Studium etwas herauszuzögern.

Vielleicht würde ich dann jetzt nicht im Wasser treiben und langsam das Bewusstsein verlieren.

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