Vom Glühen und Verglühen

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Yona stand in der Menschenmenge auf dem Platz vor Tavagars Festung. Schweißtropfen standen auf ihrer Stirn und rannen ihren Rücken hinunter. Zwar hatte die Sonne noch nicht viel Kraft, doch in der Menschenmasse staute sich die Wärme trotzdem.

Sie stand eingekeilt zwischen einem Mann mit grauem Bart und einer Frau mit Witwenärmel. Das Podest, von dem Raverion zu seinem Volk sprechen würde, war bis auf einige Stühle, auf denen die hochrangigen Mitglieder der tavagarischen Gesellschaft Platz genommen hatten, leer.

Yonas Laune war gesunken, seit sie außergewöhnlich früh bei Me'lion angekommen war und sich einen Platz mit guter Aussicht hatte sichern können, nur um dann von einer unfreundlichen Stadtwache von oben bis unten gemustert und mit den Worten „Hier vorne nur für Angehörige des vierten Rings oder höher" nach hinten geschickt zu werden. Missmutig betrachtete sie die zwei Holzringe, die man ihr bei ihrer Anreise als Ersatz für die tavagarischen Tätowierungen überreicht hatte. Bescheuertes System.

Hoffentlich hatte Raverion zumindest etwas Spannendes zu sagen.

Der Schatten des mittleren Turms berührte beinahe die Häuserfronten am gegenüberliegenden Platzende und angeblich war der tavagarische König außergewöhnlich pünktlich.

Doch heute ließ er auf sich warten.

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Noch immer gereizt folgte Acarion Raverion aus dem Thronsaal. Breson wartete davor und nahm seinen König sofort in Beschlag.

„Ich schlage vor, wir fahren fort wie geplant. Ihr lasst mich zuerst rausgehen und –"

„Nein", erwiderte Raverion kühl. „Die Krone hat den Vortritt und dabei würde ich es gerne belassen." Unterdrückter Ärger lag in seiner Stimme.

Acarion hätte zu gerne gefragt, worum es ging, aber diese Blöße wollte er sich nicht geben. Sein Bein schmerzte bereits von dem Versuch, mit den beiden Männern mitzuhalten.

„Ich werde den Gefangenen mit den Wachen hinaufbringen lassen", erklärte Breson.

Acarion verbiss sich die Nachfrage. Gefangene fielen eindeutig nicht in Bresons Zuständigkeit. Was hatte der hagere Magier vor?

„Acarion, als Mitglied des Kreis der Vielen steht es dir zu, dich ebenfalls auf dem Podium einzufinden", informierte Raverion ihn unbeteiligt. „Aber ich bitte dich darum, ihn wie alle anderen von der Seite zu betreten."

„Das werde ich", erwiderte Acarion im gleichen Tonfall. Wenn sich schon die Planung abseits seiner Aufmerksamkeit vollzogen hatte, würde er das nicht auch für die Umsetzung zulassen.

Ihre kleine Gruppe stieg nun die breite Eingangstreppe hinunter und Acarion blieb zurück. Seine Beinverletzung erlaubte es nicht, die Stufen in der gleichen Geschwindigkeit wie ein gesunder Mann hinunterzusteigen.

Noch waren die großen Torflügel geschlossen. Raverion blieb davor stehen und straffte die Schultern. Zwei Kammerdiener eilten herbei und legten ihm pflichtergeben den schweren Umhang aus blauem Tapukfell um die Schultern, den er bei offiziellen Anlässen zu tragen pflegte.

Hinter Acarion klirrten Ketten. Langsam wandte er sich um.

Eine abgemagerte Frau wurde in die Eingangshalle gezerrt. Sie trug kaum mehr als Lumpen, eiserne Ketten umschlossen ihre Füße und Handgelenke. Ungewöhnlich war die Art ihrer Handfesseln. Die Frau wurde von zwei Wachen geführt, die jeweils eine an den Handgelenken der Frau befestigte Kette hielten. So war die Gefangene gezwungen, beide Arme weit ausgestreckt zu halten, weg von ihrem Körper. Ihre Hände wurden umschlossen von dicken Handschuhen.

Es war die Art und Weise, wie Verox gefangen gehalten wurden.

„Was soll das werden?", zischte Acarion und wandte sich wieder Breson und Raverion zu. „Soll sie als Sündenbock herhalten?"

„Sie ist ein Verox", erwiderte Breson und man hätte glauben können, seine Stimme könnte Eisenketten zerschneiden. „Sie wurde des Mordes überführt."

Acarions Augen blitzten zu Raverion, doch der blickte nicht zu ihm und Breson hinüber. Eine Wache war damit beschäftigt, die Knöpfe an dem Königsmantel zu schließen.

„Und dafür habt ihr selbstverständlich Beweise", murmelte er so leise, dass seine Worte nur noch bis Breson dringen konnten.

Der Schnurrbart des Mannes zuckte. „Es geht nicht um die Beweise, Acarion. Es geht um die Geschichte, die wir zu erzählen haben."

Der Frust, der die gesamte Zeit in Acarion geschwelt hatte, brach sich Bahn. „Dann ist also die Botschaft, dass wir die Verox in ihren Löchern belassen und hier in der Stadt Unschuldige verurteilen?"

„Sie ist nicht unschuldig. Und nein, Acarion, die Botschaft lautet, dass wir noch immer mit Erfolg gegen die Verox vorgehen."

„Die Frau hat nicht einmal Schuppen!"

„Wir wissen alle, dass diese nicht benötigt werden."

Acarion hätte gerne die Hände in die Luft geworfen. Hätte gerne seinen Ärger laut kundgetan, aber er ahnte, dass er damit nichts erreicht hätte.

Durch seine Erkenntnisse bot sich ihnen die einmalige Gelegenheit, tatsächlich etwas zu tun, tatsächlich eine Änderung herbeizuführen, aber der König hielt an so etwas fest.

Für weitere Einsprüche blieb keine Zeit. Raverion wandte sich zu Acarion und Breson um. In dem dunkelblauen Mantel waren seine Schultern nicht ganz so gebeugt. Tavagariens Bevölkerung würde wenig davon mitbekommen, welche Krise hinter Me'lions Mauern herrschte.

Mit einem Nicken bedeutete Raverion Acarion, dass er vorerst entlassen war.

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Auf dem Podium bewegte sich etwas. Hoffnungsvoll streckte Yona den Hals und wünschte sich wieder einmal, sie wäre ein wenig größer gewachsen. Es war jedoch nicht der König, der endlich aufgetaucht war.

Stattdessen war es ein weiterer Nachzügler, ganz in Schwarz gekleidet und mit einem deutlichen Humpeln. Er nahm neben einer Frau in einem eleganten violetten Kleid Platz und musterte die Menge vor dem Podium mit verschränkten Armen. Trotz seines Humpelns erweckte er den Eindruck eines Raubtiers auf der Lauer. Er hatte etwas an sich, das Yona dazu veranlasste, sich vorzunehmen, ihn während der Ankündigung nicht aus den Augen zu lassen. Acarion, Mitglied des Kreis der Vielen und angeblich enger Freund des Königs, war niemand, den man leicht übersah.

Dann, endlich, erhob sich ein Dröhnen, die Torflügel von Me'lions Haupteingang wurden aufgezogen und König Raverion betrat den Platz. Sein Auftreten sandte eine Welle der Stille über die Anwesenden. Der junge König strahlte eine Mischung aus Charisma und Kraft aus, die keinen Zweifel daran ließ, dass er tatsächlich im Großen Krieg gekämpft hatte. Seine breiten Schultern kamen in dem dunkelblauen Mantel bestens zur Geltung und der Goldreif auf seiner Stirn fing das Licht der untergehenden Sonne ein. So sah kein Mann aus, dem das Wasser bis zum Hals stand, entschied Yona und unterdrückte das unbequeme Magengrummeln, das der Gedanke ihr verursachte.

„Bevölkerung von Tavagar." Raverion hob die Arme und begrüßte in einer Geste den gesamten Platz. Die wenigen Gespräche, die bei seinem Auftritt noch durch die Menge gezischt waren, verstummten. „Wir haben heute einen Erfolg zu feiern. Einen Erfolg gegen die Feinde, die wir vor zwei Jahren besiegt haben und die heute so gut wie verschwunden sind."

Yona fröstelte. Das war keine gewöhnliche Ankündigung.

Raverion indes ließ die Arme langsam wieder sinken, aber niemandes Aufmerksamkeit schweifte ab. Jeder Einzelne auf dem Platz verfolgte die Ansprache des jungen Königs.

„Noch immer haben sie manche Wurzel bei uns in der Stadt geschlagen, aber diese verkümmern immer mehr und werden nach und nach ausgetrieben. Seht euch ein Beispiel dafür an."

Durch die geöffneten Flügel der Festung traten drei Personen. Zwei Wachen in tavagarischem Blau und eine erbärmliche Gestalt in ihrer Mitte, deren Arme von dem unbarmherzigen Zug ihrer Fesseln zur Seite gezogen wurden.

Mitleid wallte in Yona auf, als die Frau in die Mitte des Podiums gezerrt wurde. Mehrfach wollten die Knie der Gefangenen unter ihr nachgeben, aber die Ketten an ihren Handgelenken hielten sie aufrecht. Stille hatte sich über den Platz gelegt, doch nun wirkte sie wie ein Leichentuch.

Raverion trat zurück und ließ sich auf einem erhöhten Stuhl bei den anderen hochrangigen Mitgliedern nieder. Kurz fragte Yona sich, ob der gesamte Neunte Ring auf dem Podium Platz genommen hatte oder ob es noch unbekanntere Menschen mit neun Ringtattoos gab, die irgendwo in der Menge standen.

Raverions Platz auf dem Podium wurde von einem hageren Mann mit weiter Robe und einem imposanten Schnurrbart eingenommen.

„Was ihr hier seht, ist eine Mörderin."

Ein Murmeln pflanzte sich durch die Menge fort.

„Doch damit nicht genug. Das größte Verbrechen, einen anderen Menschen seines Lebens zu berauben, hat dieser Kreatur nicht ausgereicht. Sie hat sich auch noch an dessen Lebensenergie bereichert."

„Verox!" Der Ruf war aus einem unbestimmten Punkt der Menge gekommen und Yona wusste bereits jetzt, dass der hagere Mann auf dem Podium sein Ziel erreichen würde. Jetzt blieb ihr keine Wahl mehr, außer sich das Spektakel anzusehen.

Wenn man es denn so nennen wollte.

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Acarion spürte seine Gesichtszüge versteinern, während er Bresons Vorführung folgte.

„Eine Kreatur wie diese hat keinen Platz in unseren Mauern!" Der Handrücken des Magiers fuhr über das Gesicht der Gefangenen und riss ihren Kopf beiseite. Sie ließ es widerstandslos über sich ergehen.

Acarion presste die Lippen zusammen. Es war so eine billige Vorführung. Breson hätte es als letzter Mensch gewagt, jemanden zu berühren, der beschuldigt wurde, ein Verox zu sein.

Lass dich niemals von einem Verox berühren.

Die erste Regel, die jedem im Umgang mit den Verox beigebracht wurde. Viele legten sie mittlerweile so streng aus, dass sie sich von keinem Fremden berühren ließen.

„Sie wird zur Rechenschaft gezogen werden!", verkündete Breson nun. Jubel brandete über den Platz. Er hatte nichts Fröhliches an sich, nur Wut lag darin.

„Das kann doch nicht richtig sein", flüsterte Acarion Raverion zu. Der König saß neben ihm und hatte den Blick starr auf die Gefangene gerichtet.

„Nicht der richtige Zeitpunkt", erwiderte er, aber Acarion ließ sich nicht davon abbringen, weiterzureden.

„Wir haben alle Möglichkeiten, etwas anderes zu tun als das hier und Ihr verlasst Euch auf eine Zurschaustellung von Unwahrheiten?"

„Es gibt den Menschen ein Sicherheitsgefühl."

„Werdet Zeuge der Gerechtigkeit." Bresons Stimme hallte über den Platz und Acarion hatte keine Zweifel daran, dass der Leiter von Akkron sie magisch verstärkte.

Die angebliche Verox wurde am Rande des Podiums auf die Knie gezwungen, den Nacken nach vorne gestreckt. Einzelne Rufe erhoben sich in der Menge, die ihren Tod forderten.

„Das ist keine Sicherheit", spuckte Acarion aus und ignorierte, dass Salena, die neben ihm saß, sich räusperte. „Das ist nur ihr Anschein. Ihr lügt den Menschen etwas vor und tut so, als würde es tatsächlich etwas ändern."

Ihr habt Angst, hätte er gerne noch angehängt, doch er konnte es im letzten Moment zurückhalten.

„Es ist jetzt wirklich nicht der richtige Moment."

Breson hatte in der Zwischenzeit die Hand in den Himmel gestreckt, als wollte er die Kraft eines Gewitters heraufbeschwören. Es war schlichtweg lächerlich.

„Wird es irgendwann der richtige Moment sein?"

Raverions Kiefer war so angespannt, dass ihm kaum noch anzusehen war, dass er überhaupt sprach. „Ich werde nicht blindlings in den Süden marschieren in der vagen Hoffnung, die Verox zu finden."

„Stattdessen lässt du blindlings Unschuldige ermorden in der vagen Hoffnung, ein Verox könnte darunter sein."

Tatsächlich blitzte es nun am vorderen Hand des Podiums. Glühende Energie hatte sich um Bresons geballte Faust gesammelt. Gleißend hell brannte sie in den Augen von jedem, der es wagte, zu genau hinzuschauen.

Mehrere Herzschläge lang hielt Breson die Spannung.

Dann raste die Energie in einem Bündel auf den Nacken der Gefangenen hinunter. Es zischte.

Rauch stieg auf.

Und der Kopf der Mörderin schlug mit einem dumpfen Schlag auf dem hölzernen Podest auf. Es gab kein Blut. Die Hitze von Bresons Energie war so groß gewesen, dass sie die Wunde sofort verödet hatte.

„Ich werde mir das nicht länger ansehen", sagte Acarion und erhob sich.

Während der Jubel der Menschenmenge ihm das Trommelfell zu verletzen drohte, ließ er den Ort hinter sich zurück.

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