Von Weglaufen und Bleiben

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Unter seinem plötzlichen Schritt löste sich unter Acarions Füßen ein ganzer Teil der Wiese und rutschte den Abhang hinunter.

Wieder versuchte er, sein Gleichgewicht durch den Halt an Faréns Zügeln wiederherzustellen, dieses Mal allerdings ohne Erfolg. Mit einem Aufspritzen von Matsch und Gras stürzte er nach hinten auf den aufgeweichten Boden und verlor seinen Griff an den Zügeln. Als wäre der Boden aus Eis, rutschte Acarion einige Schritt weit, überschlug sich einmal und kam dann mit einem Mund voller Dreck zum Liegen.

Benommen stützte er sich auf die Ellenbogen und spuckte Schlamm und Gras aus. Der Schock pulsierte noch immer durch seine Adern. Eines der Pferde wieherte, ein schrilles Geräusch, das ihm in den Ohren schmerzte.

Der weiche Boden hatte jedoch etwas Gutes: Auch wenn sein Sturz sicherlich spektakulär ausgesehen hatte, spürte er außer dem Pochen in seinem Bein keine Schmerzen.

„Acarion? Ist alles in Ordnung?" Yonas Stimme klang beinahe so schrill wie das Wiehern.

Als Acarion sich aufrappelte, erkannte er, dass auch Farén gestürzt war, das Tier lag schwer atmend auf der Seite, einen Großteil der Vorräte unter sich begraben. Ofri stand dahinter, während Yona, der das Gehen auf dem rutschigen Gras offenbar keine Mühe bereitete, zu Acarion hinuntergeeilt kam.

„Mir geht es gut", würgte dieser hervor, während er sich auf den mühsamen Rückweg zurück nach oben machte. Yonas ausgestreckte Hand ignorierte er. „Was ist mit Farén?"

Sein Pferd stieß immer noch schrille Laute aus.

„Ich glaube, er hat sich ein Bein gebrochen. Als du an seinen Zügeln gezogen hast, hat er einen Schritt zur Seite gemacht und ist auf dem Weg abgerutscht."

Augenblicklich wurde Acarion klar, was nun von ihm erwartet wurde. Und dass er nicht wusste, ob er es tun konnte. Er hatte sich nie mit dem Körperbau von Tieren auseinandergesetzt. Ein wenig menschliche Anatomie hatte in Akkron auf dem Lehrplan gestanden, um kleine Verletzungen im Alltag heilen zu können. Aber von Pferden hatte Acarion keine Ahnung.

Er ballte eine Hand zur Faust. Er konnte dieses Risiko eingehen, er konnte sie aus dieser Bredouille befreien. Faréns Schmerzenslaute dröhnten ihm in den Ohren.

Acarion spürte Yonas prüfenden Blick auf sich lasten und schon stellte sie die Frage, die hatte kommen müssen: „Du kannst ihn doch heilen, oder?"

Sehr gern hätte Acarion ihr einfach ein ‚Selbstverständlich' zur Antwort gegeben, doch das Wort wollte ihm nicht über die Lippen kommen. „Ich werde es versuchen", sagte er stattdessen.

Keiner von ihnen musste aussprechen, was es bedeuten würde, sollte er keinen Erfolg damit haben. Sie hatten unter keinen Umständen die Möglichkeit, ein verletztes Pferd zu transportieren.

Dankenswerterweise antwortete Yona nicht. Das Gras bot bei Weitem genug Veralenergie, um einen Knochen zu heilen, doch als er die Energie aufgenommen hatte, zögerte Acarion. Nur für einen Moment.

Vorsichtig, als würde er ein Messer führen, lenkte er die Magie in das verletzte Bein seines Pferdes. Beinahe sofort, als sich das bekannte gedankliche Bild der Verletzungen in seinem Kopf ergab, wurde Acarion klar, dass das hier seine Fähigkeiten überstieg. Im Bein des Pferdes waren mehrere Sehnen und Nervenbahnen zerteilt, von dem Knochen hatten sich Splitter abgelöst.

Ihm brach der Schweiß aus. Es war unmöglich für ihn, das zu heilen. Er ließ den Energiestrom versiegen. Seine Hände bebten. Versagen. „Ich kann nicht."

„Ist es wegen Ron?", fragte Yona leise. Ihre vorsichtigen Worte ließen seinen Frust sich entladen.

„Das hat rein gar nichts mit dieser Entscheidung zu tun", fuhr er Yona an. „Wie ich dir bereits erklärt habe, hatte ich keine andere Wahl und ich will dieses Thema wirklich nicht noch einmal aufwärmen. Es war meine Entscheidung und nichts gibt dir das Recht, mich zu verurteilen."

Acarion atmete tief ein und zwang die Wut zurück, bis sie nur noch ein starkes Pochen in seinem Hinterkopf war.

Dann nahm er wieder Energie aus den ihn umgebenden Pflanzen auf.

Er konzentrierte sich erneut auf die verletzte Stelle in Faréns Bein und zwang die Veralenergie hinein, forderte von ihr, alles Zerstörte wieder zusammenzubinden. Es war, als würde er die Scherben einer teuren Vase auf einen Haufen werfen und sie mit Kleber überschütten, um dann zu behaupten, sie wäre repariert.

Als die Energie in seinem Inneren beinahe verbraucht war, richtete Acarion sich wieder auf.

„Wir können weiter", sagte er kalt und blickte Yona direkt ins Gesicht, deren Augen wütend funkelten. Erst jetzt ging ihm auf, dass sie, während er Farén geholfen hatte, eine heftige Erwiderung gegeben hatte.

„Was meinst du damit, wir können weiter? Wie willst du weiter? Oder hast du schon für dich entschieden, wer deinem Pferd die Kehle durchschneidet, damit es nicht weiter leiden muss?"

„Ich habe den Schaden behoben."

„Das hat sich eben aber verdammt nochmal nicht danach angehört!"

Bevor Acarion antworten konnte, schnaubte Farén leise und begann, sich zurück auf die Beine zu kämpfen. Yona fiel buchstäblich die Kinnlade herunter.

„Da hast du dich aber unterschätzt", sagte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

Acarion verzichtete auf eine Antwort, wandte sich ab und wollte sich wieder an den nervenaufreibenden Abstieg machen.

Die Wahrheit war, dass er das Pferd nicht geheilt hatte, er hatte einen konzentrierten Knoten aus Veralenergie erzeugt, der Faréns Bein zusammenhielt.

Doch das war ein Provisorium, Acarion brauchte einen ständigen Energiezufluss, um es aufrechtzuerhalten. Jederzeit musste er einen Teil seiner Konzentration auf sein Werk gerichtet haben. Es war kräftezehrende Arbeit und Acarion war klar, dass er sie nicht ewig würde beibehalten können. Aber für den Moment genügte es.

„Acarion, warte."

Yona hatte es nicht vergessen, er hörte es sofort an ihrem Tonfall. Er würde sich ihr stellen müssen. Langsam drehte er sich wieder herum. Und wartete er ab, was sie zu sagen hatte.

„Es tut mir leid, dass ich in gewisser Weise daran schuld bin, dass du gestürzt bist. Aber ich muss wissen, was ... das war, was du mit dem Verox bei Yara angestellt hast. Ich ... komme nicht damit klar, nicht sicher zu sein, was ich gesehen habe."

„Was hast du denn gesehen?" Acarion hasste, wie zusammengeschnürt seine Stimme klang, als hätte die Luft Schwierigkeiten, seine Kehle zu verlassen.

Yona fuhr sich mit der Hand durch die klatschnassen Haare. „Es war dunkel. Aber ich war nicht weit genug weg, als dass ich dich nicht mehr hätte sehen können."

Leere tat sich in Acarions Magen auf. Vielleicht hatte er es unterbewusst die ganze Zeit geahnt. Es hatte an diesem Tag nicht nur eine Zeugin gegeben.

„Du hast den Verox berührt und er ist einfach gestorben", sagte Yona leise. Sie blickte ihn nicht an. „Solche Tode gibt es nur auf eine Art und Weise. Und dann hat deine Kette ... es war, als würde sie glühen, aber dunkel."

Jetzt fühlte Acarion sich wirklich, als würde ihm die Luft abgeschnürt, während er seine Gedanken zu sammeln versuchte. Er konnte diese Konfrontation auch ein zweites Mal durchstehen. Dieses Mal war er nicht durch Verletzungen geschwächt. Dieses Mal würde es ein glücklicheres Ende haben. Oder?

Du bist ein Monster.

„Offensichtlich bin ich kein Verox." Acarion hätte nicht einmal zu sagen vermocht, wem er antwortete.

„Was macht einen Menschen denn zum Verox?", war Yonas Antwort. Sie schien vollkommen ruhig. Kleine Bäche aus Regenwasser liefen über ihr schmales Gesicht.

Acarion hatte lange über dieser Frage gebrütet und irgendwann eine Antwort gefunden, mit der er leben konnte. „Wenn er sich bewusst dazu entscheidet, dieses Leben zu leben. Wenn er akzeptiert, den Menschen mutwillig Leid zuzufügen, um selbst eine größere Kraft daraus zu ziehen. Und wenn er das über das Aufnehmen von menschlicher Veralenergie erreicht ... und dabei immer mehr seiner eigenen Menschlichkeit verliert."

Yona nickte langsam und musterte ihn aus ihren verschiedenfarbigen Augen. „Was ist es dann, das du tust?"

Acarion erlaubte sich, durchzuatmen. Sie schrie nicht. Sie lief nicht weg.

„Die Kette erlaubt es mir, die Lebensenergie eines Menschen aufzunehmen, ohne sie in meinen eigenen Körper eindringen zu lassen. Ich behalte die Kontrolle, ich gebe mich nicht der Abhängigkeit preis. Gleichzeitig erhalte ich Zugang zu den fünf Fähigkeiten der Verox. In dem Stein an der Kette kann ich die Energie für eine gewisse Zeit halten. Man könnte sagen, ich nehme mir das Beste aus beiden Welten."

„Ich verstehe", sagte Yona leise. „Aber du ermordest immer noch Menschen."

Du bist ein Monster. Aber der Vorwurf, der seit dem Vorfall mit Alena durch Acarions Kopf geisterte, schien ein wenig leiser zu werden. „Nur, wenn ich keine andere Wahl habe."

Er hätte fortfahren können, hätte die Argumente wiederholen können, die er gegenüber Alena vorgebracht hatte. Doch plötzlich schien es ihm am besten, einfach nichts hinzuzufügen.

Und Yona hatte noch immer nicht die Hand auf ihre Ruhka gelegt. Sie biss sich nur auf die Unterlippe und sah auf ihre Füße.

Dann sagte sie: „Aber natürlich kannst du es niemandem anvertrauen. Die Auffassung, dass die Energie der Verox das reine Böse ist, hält sich bei allen schon viel zu lange."

„Ja."

Acarion wusste nicht, was er sonst erwidern sollte. Er hatte sich so sehr darauf konzentriert, wie er sich verteidigen konnte, dass er eine Möglichkeit völlig außer Acht gelassen hatte. Dass er das vielleicht gar nicht musste. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er die ganze Zeit den Griff seines Degens umklammert gehalten hatte. Langsam löste er die Hand davon.

„Und warum rennst du dann noch nicht schreiend weg?", fragte er dann.

Yona hob den Kopf und blickte ihm unverblümt ins Gesicht. Ihre Züge waren ungewöhnlich hart.

„Ich glaube, du vergisst, mit welchen Leuten du deine Zeit verbringst. Könige und Berater und ... allgemein Leute, die sehr viele Ringe an den Fingern tragen, echte wie tätowierte. Die Verlockung der Verox kann groß sein, weißt du, wenn du nicht weißt, woher du am nächsten Tag etwas zu essen bekommen sollst. Und ich denke, in gewissem Maße respektiere ich dich dafür, dass du einen Weg gefunden hast, es anders zu machen. Dafür kann ich dich schwer verurteilen."

Sie verstand ihn. Keine Heuchelei, kein Zucken in ihren Augen, das auf einen Fluchtversuch hindeutete. Keine Anschuldigungen. Kein Monster.

„Und das passt zu deiner Auffassung, dass man den Menschen helfen sollte?"

Nun wich sie doch seinem Blick aus. „Das Leben ist nicht frei von Widersprüchen."

Er erwiderte nichts mehr. Das Geheimnis, das er jahrelang gehütet hatte, das er nie gewagt hatte, auch nur vor Raverion auszusprechen, das ihm Alenas bleiches Gesicht in seinen Kopf gebrannt hatte ... und sie akzeptierte es einfach. Die Leere in ihm füllte sich langsam wieder, mit einem Gefühl, das er lange nicht mehr empfunden hatte. Dankbarkeit.

Acarion fand keine Antwort.


Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro