Kapitel 2 - Abflug im C-W-L 16

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Jan spürte wie sich alles um ihn herum zu drehen begann. Allerdings konnte er immer noch nichts sehen, außer vollkommener Dunkelheit. Er hatte Angst. Er wusste nicht, was mit ihm passierte. Würde er jemals wieder aus dieser Finsternis herauskommen? In diesem Moment wurde es vor seinen Augen plötzlich heller. Das Drehen wurde langsamer. Die Dunkelheit verwandelte sich in grüne und blaue Farbsequenzen. Und diese Farbsequenzen wurden immer klarer bis Jan schließlich eine sommerliche Wiesenlandschaft erkennen konnte. Auch seine Füße spürten auf einmal wieder festen Boden unter sich. Er stand vor einer kleinen, moosbewachsenen Hütte und blickte auf eine große, weitläufige Fläche. Um ihn herum waren viele andere Menschen versammelt. Sie redeten aufgeregt durcheinander und liefen fröhlich umher.
Nur wenige Sekunden später erschien Frau Schmidt neben Jan. Im Gegensatz zu ihm, wirkte sie, als hätte sie bloß einen kleinen Spaziergang hinter sich. Der Junge hingegen fühlte sich, als wäre er drei Runden Berg-und-Tal-Bahn zu viel gefahren. Noch immer war ihm ziemlich schwindelig und etwas flau im Magen.

Frau Schmidt reichte ihm sein Gepäck. »Ich muss jetzt zu den anderen Lehrern«, verabschiedete sie sich mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. »Normalerweise hätte ich schon längst da sein sollen. Wir sehen uns dann in der Schule.«
Und bevor Jan noch irgendetwas antworten konnte, war sie auch schon in der Menge der Menschen verschwunden. Dabei hatte er noch so viele Fragen in seinem Kopf. Er wusste noch nicht einmal, wo er hier war. Es sah nicht so aus, als könnten alle hier versammelten Schüler in der kleinen Hütte hinter ihm zur Schule gehen. Aber ein anderes Haus war weit und breit nicht in Sicht.

Er ließ seinen Blick durch die laute Schülermasse wandern. Auch einige Eltern waren mit dabei und auf einmal fand Jan es ungerecht, dass er sich schon von seinen an der Villa Hohenthal verabschieden musste.
Sie hätten dir niemals erlaubt, durch die gruselige Tür zu gehen, rief er sich in Erinnerung. Vermutlich war es also ganz gut, nur mit Frau Schmidt durch das einsturzgefährdete Gebäude gelaufen zu sein. Aber jetzt vermisste er jemanden, der ihm in dieser neuen Umgebung zur Seite stand und ihm Ratschläge gab, was er tun sollte. Er kam sich schrecklich dumm vor, hier zu stehen und nicht zu wissen, wo er hier überhaupt war.

Sein Blick fiel auf eine Gruppe jüngerer Schüler, die sich bei einer braunhaarigen Frau versammelt hatten. Sie trug einen langen, schwarzen Mantel und hielt ein Klemmbrett unter ihrem Arm. Da sie die Schüler um mindestens einen Kopf überragte, konnte sie sich problemlos in der Menge umsehen. Gerade rief sie ein blondes Mädchen, das ungefähr in seinem Alter sein könnte, zu sich. War sie vielleicht die richtige Ansprechpartnerin für neue Schüler?
Etwas zögerlich gesellte er sich zu den anderen Kindern, die um sie herum standen. Als die Frau ihn bemerkte, sah sie suchend auf ihre Namensliste.
»Jan Maisner«, stellte er sich unsicher vor.
Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete die Lehrerin  das Papier bis sich ihr Gesicht schließlich aufhellte.
»Ja, da haben wir dich«, stellte sie schließlich fest und kritzelte mit ihrem Kugelschreiber etwas auf die Liste. »Ich bin Frau Relting. Es freut mich, dass du gut hier angekommen bist. Wir müssen nocheinen Moment warten, aber gleich sollte es losgehen.«

So hakte sie jeden der ankommenden Schüler ab bis scheinbar alle Namen auf ihrer Liste anwesend waren.
»Ihr seid wahrscheinlich alle sehr aufgeregt«, begann sie und auch wenn Jan sich bei diesen Worten ein wenig an seinen ersten Kindergartentag erinnert fühlte, wusste er, dass sie recht hatte. Er war wirklich sehr aufgeregt.
»Deswegen möchte ich euch auch gar nicht lange hier aufhalten«, fuhr sie fort. »Ich teile euch in Fluggruppen ein und alle Informationen zu eurer Schule und eurem Leben dort erfahrt ihr in Winterfels. Die Flugmaschinen sollten eigentlich gleich da sein.«

Die Begriffe, die Frau Relting benutzte, verunsicherten Jan, ähnlich wie bereits der ›Abflug‹, von dem Frau Schmidt geredet hatte. Sie passten nicht ganz zu Herrn Hausmanns Versprechen, dass Jan in Winterfels nichts passieren würde. Seine Überlegungen wurden unterbrochen, als die Schülermenge plötzlich unruhig wurde.
»Die Carls kommen!«, rief ein Junge neben ihm begeistert. Kurz darauf sahen die meisten der versammelten Schüler aufgeregt zum Himmel. Als Jan deren Blick folgte, erkannte er den Grund für die Unruhe. Von einem hohen Hügel aus näherte sich eine große Anzahl fliegender, brauner Objekte, die Jan aus der Ferne noch nicht wirklich identifizieren konnte.

Normalerweise hätte Jan sich jetzt gefürchtet, schließlich war es für ihn ein ziemlich ungewöhnlicher Anblick. Aber die Euphorie der anderen beruhigte ihn und daher entschloss er sich, möglichst entspannt zu warten, wer oder was diese Carls waren, die da auf ihn zukamen.
Schon bald konnte er ihre Form besser erkennen. Es waren hölzerne Flugmaschinen, ähnlich wie man sie aus Geschichtsfilmen über alte Erfinder kannte. Diese Flieger jedoch waren anders als alles, worüber er bis jetzt gelesen und gehört hatte. Als sie noch näherkamen erkannte Jan, dass nicht einmal ein Pilot in ihnen saß und sie problemlos nacheinander auf dem Boden landeten, wo sie sich geordnet aufstellten. Ihr strukturiertes Verhalten erinnerte den Jungen an Soldaten.

Frau Relting lächelte die Schüler aufmunternd an.  »Kommt am besten einmal mit zu den Flugmaschinen«, forderte sie die Schüler auf.  »Einer der Schulgründer, Carl Wilhelm Lilienthal, hat sie erfunden. Zu seiner Ehre haben wir die Geräte C-W-L-Apparate getauft. Aber die Schüler nennen sie meistens einfach nur Carls.«
Frau Relting führte die Schüler zu der Abflugfläche. Gerade stiegen einige ältere Schülerinnen in eines der hölzernen Geräte.  »In ein Fluggerät passen fünf Personen«, fuhr sie fort. »Ab nächstem Jahr dürft ihr euch selbst aussuchen, mit wem ihr fliegt, dieses Jahr wird das ganze noch nach dem Alphabet geordnet. Zudem muss immer ein Lehrer im Wagen sitzen, da Erstklässler in der Regel ein bisschen Angst vor ihrem ersten Flug haben.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf ein paar Erwachsene, die sich unter die neuen Schüler gemischt hatten.  »Sie werden euch dann im C-W-L-Apparat erklären, was es bei den Geräten zu beachten gibt«, fuhr Frau Relting fort und ließ ihren Blick über die Schüler schweifen. »Gibt es noch Fragen?«

Jan sah sich unter den Versammelten um. Er rechnete damit, dass niemand eine Frage stellen würde. Ihm zumindest wäre es unangenehm, vor allen Neuen etwas zu fragen. Ein rothaariges, kleineres Mädchen schien das nicht so zu sehen. Selbstbewusst streckte sie ihre Hand in die Höhe.
»Ja, was gibt es denn?«, fragte Frau Relting freundlich. Als das Mädchen daraufhin fragte, ob es auch einen Knopf zur Notlandung gäbe, verdrehte Jan leicht genervt die Augen. Sie erinnerte ihn an ein Mädchen aus seiner alten Schule, die die Lehrer auch immer mit eher weniger sinnvollen Fragen bombardiert hatte. Er hoffte, dass er nicht mit ihr in einem Carl fliegen musste. Er wollte gar nicht wissen, wie viele Fragen ihr noch einfielen.
»Einen Knopf zur Notlandung gibt es nicht«, antwortete Relting stirnrunzelnd, »aber unsere Carl-Wilhelm-Lilienthal-Apparate bieten höchste Flugsicherheit und wenn es doch zu einem Notfall kommen sollte, wissen die Lehrer, was zu tun ist.« Sie lächelte dem Mädchen aufmunternd zu.

Als danach keine weiteren Fragen mehr waren, begann Frau Relting, die Schüler ihren Fahrzeugen zuzuteilen. Interessiert beobachtete Jan wie die Schüler aus der Menge herausgingen und dem ihnen zugewiesenen Lehrer folgten. Je näher sie seinem Nachnamen kam, desto mehr begann sein Herz zu pochen. »Marina Johansen, Julius Klein, Jan Maisner und Ronja Marell«, hörte er plötzlich Frau Reltings Stimme,  »geht bitte mit Herrn Jürgens in den C-W-L-Apparat da vorne.«
Unsicher und aufgeregt zugleich sah Jan sich um. Wer waren wohl die anderen Schüler mit denen er sich einen Carl teilen sollte? Und viel wichtiger, wer war Herr Jürgens, dem er folgen sollte?
Bei den vorherigen Schülergruppen war immer ein Lehrer aus der Menge nach vorne gegangen und hatte die Schüler zu einem der Fluggeräte geführt.
Doch jetzt rührte sich niemand. Jan sah sich verwundert in der Menge um. Er sah Schüler, die ähnlich ratlos nach dem Lehrer Ausschau hielten. Doch auch die Lehrer wirkten verwirrt. Es herrschte eine unangenehme Stille. Jan fragte sich, warum ausgerechnet bei ihm etwas schiefgehen musste. Bei den Schülern vor ihm hatte es so einfach ausgesehen. Und er stand jetzt hier und wusste nicht wirklich, was er tun sollte.

Doch in diesem Moment durchbrach eine tiefe Männerstimme das Schweigen.
»Ich habe Herrn Jürgens heute noch nicht gesehen«, rief ein bärtiger Mann mit schulterlangen, dunkelbraunen Haaren. Er trug ein weißes Hemd und darüber eine grau karierte Weste. »Ich glaube, er ist noch nicht da. Soll ich mit den Schülern fliegen?«

Frau Reltings Blick hatte nachdenkliche Züge angenommen und wanderte von dem Lehrer zu ihrem Klemmbrett und zurück. Dann nickte sie. »Ja, Merino, das wäre gut.«

Sie wandte sich wieder den Schülern zu. »Marina, Julius, Jan und Ronja. Bitte geht mit Herrn König!«

Jan atmete erleichtert auf und folgte dem bärtigen Mann, der eine einladende Geste machte und dann in Richtung der Carls losging. Seine Sorgen, dass er sich blamieren könnte, waren also völlig unbegründet gewesen. Blamiert hatte sich wohl eher Herr Jürgens, der vermutlich nicht nur bei Jan einen ersten Eindruck als unpünktlich und unzuverlässig hinterlassen hatte.

Als Jan kurz darauf zum ersten Mal einen Carl von Nahem sah, staunte er nicht schlecht. Das Fluggerät hatte einen hölzernen kugelähnlichen Mittelteil, in dem die Passagiere Platz nehmen konnten. Daran waren zwei seitliche Flügel, sowie einige Propeller und andere Auswüchse angebaut. Am Heck hatte er eine hölzerne Flosse, in die C-W-L-16 eingraviert worden war. An jedem Carl war an beiden Seiten eine Treppe befestigt.

Zuerst half Herr König den Schülern dabei, das Gepäck zu verstauen. Jan hatte zwar ein ungutes Gefühl, den Käfig seiner Eule Blitz ohne einen Gurt auf die offene Ladefläche zu legen, aber der Lehrer versicherte ihm, dass es Zauber gäbe, die um einiges besser wirken würden, als ein Sicherheitsgurt. Und weil Jan im Laufe des Tages schon mehrfach festgestellt hatte, wie wenig er von der Welt der Zauberer wusste, glaubte er ihm das einfach.

Als Jan die Sprossen der linken Treppe erklommen hatte, konnte er zum ersten Mal einen Blick in das Innere eines solchen Flugzeugs werfen. Es war größtenteils aus Holz gebaut, so auch die drei Sitzreihen. In den hinteren beiden waren je zwei Plätze nebeneinander, vorne war noch ein Einzelsitz. Da die zwei Mädchen bereits auf den mittleren Sitzen Platz genommen hatten setzte Jan sich nach hinten links. Neben ihm ließ sich ein dünner Junge mit blonden Haaren und einer schwarzen Rahmenbrille nieder - vermutlich war das Julius.
Herr König setzte sich auf den Einzelsitz nach vorne und drehte sich zu den Schülern um, wobei sein schulterlanges, dunkelbraunes Haar im Wind wehte.
»Eins, zwei, drei vier«, zählte er die Schüler bevor er zu reden begann.
»Schön, dass ihr alle da seid«, begrüßte er sie dann, »mein Name ist Merino König, ich bin Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste.« Jan sah den Mann verwundert an. Verteidigung gegen was? Aber ehe er eine Frage stellen konnte, fuhr Herr König auch schon fort.
»Aber darauf kommen wir später nochmal zu sprechen«, erklärte er, »zuerst einmal erkläre ich euch, wie diese Kiste hier funktioniert. Wenn ihr das nächste Mal hiermit fliegt, müsst ihr schließlich alleine klarkommen.«

Scheinbar hatte Jans Gesicht bei diesen Worten sehr besorgt ausgesehen, denn Herr König schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und seine Stimme nahm einen beruhigenden Ton an. »Keine Sorge, das ist nicht schwer«, fuhr er fort. »Sie fliegen eigentlich von alleine. Ihr müsst nur den Hebel hier nach vorne drücken.«
Er klopfte mit der Hand auf einen hölzernen Griff.
»Bevor wir allerdings loslegen, müsst ihr eure Zauberstäbe in die Halterung links neben euren Sitzen stecken«, erzählte Herr König weiter. »Wir haben diese Maßnahmen während der Sommerferien entschieden, weil letztes Jahr doch tatsächlich ein paar Schüler meinten, die Kiste hier in Brand stecken zu müssen.«
Er schüttelte den Kopf, noch immer ungläubig über diese Dummheit. Danach erzählte der Lehrer noch etwas über die verschiedenen Sicherheitsmaßnahmen eines Carls und Jan spürte, dass er vor lauter Aufregung sich nie Gedanken darüber gemacht hatte, was alles passieren konnte. Er sah zu den Flugmaschinen die bereits in der Luft schwebten. Sie waren teilweise schon 50 Meter über dem Boden und Jan war sich ziemlich sicher, dass man so einen Sturz nicht überleben konnte. Aber jetzt wollte er auch nicht mehr umkehren. Und so legte er seinen Zauberstab in die dafür vorgesehene Halterung und bemühte sich, nicht daran zu denken, was alles schiefgehen konnte.

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