Kapitel 33 - Eingeschüchtert und eingeschlossen

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Nachdem Aaron kraftlos zu Boden gesunken war, gab es in der Halle kein Halten mehr. Alle schrien und riefen so laut durcheinander, dass Jan nicht einmal hören konnte, was der kreidebleiche Levi neben ihm versuchte zu sagen. Eine Schülerin aus Kesten lief mit tränenverzerrtem Gesicht auf die beiden am Boden liegenden Personen zu und begann herzzerreißend neben Quentins Leiche zu weinen. Jan wusste, dass es Franziska Weiß war, die Schwester des Toten. Er konnte sich das Bild nicht mehr ansehen und wandte seinen Blick mit zusammengekniffenen Augen ab. Warum passierte so etwas? Warum hatte dieser nette, lebensfrohe Junge sterben müssen?

Er bemerkte, wie die aufgebrachten Schreie der Schüler sich langsam in ein leises Murmeln und dann in bestürzte Stille verwandelten.
»Mein Bruder«
Nun konnte Jan Levis Flüstern klar und deutlich verstehen. »Mein Bruder war mit Sicherheit bei ihnen. Was ist nur mit ihm passiert?«
Jan wusste nicht, was er antworten sollte. Es war, als lähmte die Panik seine Stimmbänder und seinen Verstand noch mit dazu. Immer wieder sah er vor seinem inneren Auge, wie Aaron mit Quentins totem Körper in den Händen zusammenbrach.

Er wagte erneut einen Blick zu dem Schreckensbild und sah, wie die Krankenschwester Tilde Elverhøj neben Aaron angekommen war und ihm ein Glas mit einer silbrig schimmernden Flüssigkeit gab. Laut hustend richtete sich der Junge auf. Sein Körper zitterte, seine Augen blickten relativ ziellos umher. Quentin allerdings blieb neben ihm am Boden liegen.
»Ich bringe dich in ein Krankenzimmer, Junge, komm mit«, meinte sie sanft und strich Aaron über den Kopf. Sie wollte sich gerade zum Lehrertisch umdrehen, als der Schüler Widerspruch einlegte.

»Warte kurz«, bat er und hustete einmal schwach. »Die Schüler haben ein Recht zu erfahren, was passiert ist. Und Quentin hat ein Recht darauf, dass die Geschichte seines Todes erzählt wird. Er hätte es so gewollt.«

In der Halle herrschte nun Stille. Außer dem Schluchzen einiger Schüler war nichts mehr zu hören. Zwar hätte Jan jetzt gerne Levi ein paar aufmunternde Worte zugesprochen, aber die unangenehme Lage und der Respekt vor einem Toten schnürten ihm die Kehle zu.
Das Rücken von Tuplantis' Stuhl und seine zielstrebigen Schritte durchbrachen schließlich die Ruhe. Schnellen Fußes ging er auf Aaron und Tilde zu.

»Wenn du etwas erzählen willst, dann erzähle es«, meinte er mit freundlicher Stimme zu Aaron. »Tilde, komm du bitte mit mir und lass uns schauen, ob wir nicht doch noch einen Funken Leben in diesem tapferen Schüler entdecken können, aus dem wir wieder ein Feuer entfachen können.«
Und mit den liebevollen Händen eines Vaters nahm er den leblosen Körper in seine Arme und trug ihn ohne ein weiteres Wort aus dem Innenhof. Die Krankenschwester folgte ihm stumm. Man konnte beiden deutlich ihre Betroffenheit ansehen.

Nun ruhten die meisten Blicke auf Aaron, der nun schwach vor dem Eingangstor saß. Jan bewunderte ihn für seinen Kampfgeist, jetzt doch noch die Geschichte erzählen zu wollen.
»Du musst die Geschichte nicht erzählen, wenn du nicht willst oder kannst, Aaron«, bot ihm Frau Schmidt noch einmal an. Doch der Schüler blieb entschlossen.

»Ihr sollt wissen, dass Quentin nicht als ein egoistischer Dummkopf gestorben ist, der fliehen wollte«, presste er mühevoll zwischen seinen Lippen hervor. »Er wollte nicht einfach für seine eigene Sicherheit fliehen. Er wollte immer nur das Beste für alle Menschen um ihn herum.
Er machte eine Pause, in der er vergebens versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken.

»Heute Morgen... Heute Morgen hat er eine weinende Schülerin gesehen«, fuhr er dann fort. »Vollkommen niedergeschlagen hat sie einer Freundin erzählt, wie sie die aktuelle Lage zum Verzweifeln bringt. Als sie dann noch gesagt hat, dass ihr Großvater eine schwere Krankheit hat und sie weder weiß, ob er noch lebt, noch ob sie ihn vor seinem Tod einmal besuchen könnte. Das...«
Erneut machte Aaron eine Pause. Jan fand, dass er den Umständen entsprechend erstaunlich gut redete und war sich ziemlich sicher, dass er selbst das in so einer Situation nicht schaffen würde.

»Das hat Quentin das Herz gebrochen«, erzählte Aaron schließlich weiter. »Und daher hat er beschlossen, ... er hat beschlossen, sich aus weiter Entfernung mal die einzige Stelle anzuschauen... die einzige Stelle, an der der Bann noch offen ist.«
»Noah, Derik und ich sind natürlich mitgekommen«, sagte er noch, woraufhin Levi ein besorgtes Keuchen entwich. »Wir hätten nie geahnt, dass das Ganze so endet... Wir hätten nie... Wir... Bitte entschuldigt..., Ich... Ich kann nicht mehr. Alles weitere erfahrt ihr morgen.«

»Beantworte mir bitte noch eine Frage, Aaron«, bat ihn Frau Schmidt. »Du hast gesagt, Noah Niegel und Derk Holling sind mit euch gekommen. Was ist mit den beiden passiert?«
Jan konnte sehen, wie Levi angespannt zu Aaron sah. Die Sorge um seinen Bruder stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Derik ist bei Herrn Goldenberg auf der Wachmauer«, brachte Aaron mühevoll aus sich heraus. »Und Noah... Noah... Noah ist noch immer im Wald.«
Dann ließ er sich erschöpft zu Boden sinken. Der Lärmpegel im Raum stieg allerdings wieder an. Einige Schüler konnten nicht länger schweigen.

»Mein Bruder ist draußen im Wald?«, wiederholte Levi. Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Was bei Woods Besen hat er sich nur dabei gedacht? Er könnte umkommen da draußen in der Dunkelheit.«
Am Lehrertisch war wieder das Schieben von Stühlen zu hören. Jan sah, dass Herr Hausmann aufstand und den Mittelgang zu Aaron hinablief.
Er flüsterte dem Jungen etwas zu, hievte ihn dann in seine Arme und trug ihn leicht schnaufend aus dem Innenhof hinaus.

»Ich muss zu meinem Bruder«, sagte Levi mit matter Stimme. »Ich muss meinem Bruder helfen.«
Jan hatte Levi noch nie so aufgelöst gesehen. Die Augen des sonst so optimistischen Jungen sahen ziellos ins Leere, seine Worte hörten sich an, wie eine CD mit Sprung.
Jan sah im Augenwinkel, wie einige Schüler aufstanden und Richtung Ausgang des Innenhofs liefen. Aber das große Tor schloss sich direkt vor ihnen. Ein Blick zum Lehrertisch verriet Jan, dass Frau Relting dafür verantwortlich war. Die Lehrerin hatte ihren Zauberstab direkt auf das Tor gerichtet.

»Ich bitte alle Schüler, hierzubleiben bis der Schulleiter wiederkommt«, sprach sie mit ruhiger Stimme, die allerdings keinen Widerspruch duldete. »Wir müssen entscheiden, was jetzt zu eurem Schutz getan werden kann. Bis dahin solltet ihr im Innenhof bleiben, wo ihr in Sicherheit seid.«

Dann wandte sie sich nach rechts und sah Herrn Jorski an. Der Auror hatte sich von seinem Kampf bereits gut erholt und äußerlich konnte man ihm nicht mehr ansehen, dass er sich vor gut einer Woche noch mit ein paar Schwarzmagiern duelliert hatte. Aber Jan glaubte, an seinem Verhalten erkennen zu können, dass er sich immer noch Sorgen um seinen Freund Jozef Wozniak machte. Und dafür tat der Lehrer ihm einfach nur unfassbar leid.
»Witold, würdest du bitte durch die Burg gehen und schauen, ob manche Schüler nicht beim Essen sind«, bat sie den Mann. »Nutze alle Zauber, die dir nützlich sein könnten, stell dir vor, es gäbe kein Lehrerregelwerk. Jetzt hat die Sicherheit unserer Schüler vorderste Priorität.«

Die Zeit im Innenhof schien ewig zu dauern. Die Sorge wuchs, die Theorien wurden immer obskurer und Unsicherheit und Unzufriedenheit nahmen fast schon exponentiell zu. Herr Jorski brachte zweimal kleine Schülergruppen in den Innenhof, die kein Interesse am Abendessen gehabt hatten. Aber Levis großer Bruder kam nicht.
Nach einer gefühlt endlosen Zeit betrat Herr Tuplantis endlich den Raum. Herr Hausmann lief mit besorgtem Gesichtsausdruck neben ihm her. Die beiden Lehrer gingen zielstrebig durch den Mittelgang und setzten sich am Lehrertisch neben Frau Relting. Sie steckten die Köpfe zusammen, riefen auch noch Herrn Jorski zu sich, dann erhob sich der Schulleiter schließlich.

Jan fiel auf, dass der grüne Anzug, den er eben noch getragen hatte, nun einem mattschwarzen gewichen war. Seine Miene war ernst, so wie nie zuvor. Diesmal bedarf es noch nicht einmal einiger Handbewegungen, um Ruhe zu erzeugen. Sobald er aufgestanden war, erstarb das Gemurmel. Alle sahen gespannt auf den Schulleiter.

»Welch schrecklicher Tag«, begann er seine Rede. »Wir haben einen mutigen, gutherzigen und talentierten Schüler verloren. Und wir Lehrer haben in unserer Aufgabe versagt, euch zu schützen, allen voran ich.«
Jeder seine Sätze triefte vor Emotionen. Niemand im Innenhof konnte daran zweifeln, dass Tuplantis ernsthaft betroffen war.

»Wir können Quentin Weiß nicht zu den Lebenden zurückholen, auch wenn wir uns im Moment nichts mehr wünschen als das«, fuhr er schließlich fort. »Was jetzt gilt, ist weiteres Sterben zu vermeiden. Unsere Strategie, abzuwarten und zu hoffen, hat sich als falsch erwiesen. Wir als Lehrer müssen jetzt handeln und euch schützen. Heute Abend werden wir eine Planung abhalten und morgen die Zauberstäbe gegen Quentins Mörder richten. Bis dahin hat kein Schüler die Burg zu verlassen, ausnahmslos. Um das sicherzustellen, werden alle Türen und Fenster, die nach außen führen mit einem Zauberspruch verschlossen werden. Eure Hauslehrer werden euch jetzt in die Gemeinschaftsräume führen. Ich wünsche euch allen eine angenehme Nachtruhe.«
Mit diesen Worten drehte er sich wieder zum Lehrertisch um. Dort standen nun die Hauslehrer und Herr Jorski auf. Während der Lehrer für Zaubertränke durch eine Seitentür verschwand, stellten sich die anderen vier jeweils zu den Tischen ihrer Häuser.

»Kommt einmal bitte mit«, forderte Herr Lurcus die Haistras freundlich auf. Auch ihm schien die gute Laune sichtlich vergangen zu sein, auch wenn er sich weiterhin um Ruhe und Höflichkeit bemühte. Zögerlich erhob Jan sich von seinem Stuhl. Er wusste nicht wirklich was er tun sollte, nicht, welches Verhalten, welche Stimmung jetzt angebracht war. Er hatte den Tod noch nie so nah an sich gesehen. Das Wissen, dass Quentin einfach so gestorben war, zeigte Jan noch einmal, wie verletzlich Menschen waren und wie schnell ihr Leben vorbei sein konnte, auch seins.

Die Haistras mussten eine lange Zeit im Gemeinschaftsraum verbringen. Herr Jorski schien es mit dem Verriegeln wirklich sehr genau zu nehmen oder er arbeitete einfach nur langsam. Aber Jan vermutete eher das erste, schließlich war Herr Jorski überaus talentiert und von Quentins Tod zutiefst betroffen gewesen.
Herr Lurcus nutzte die Wartezeit, um mit den Schülern ein paar Verteidigungs- und Abblockzauber zu üben. Jan freute sich zwar darüber, seine Zauberkunst aufbessern oder wenigstens aufwärmen zu können, aber er fand dieses Verhalten recht unüblich für seinen Hauslehrer. Herr Lurcus hatte sich eigentlich immer darauf konzentriert, den Schülern alles über magische Tierwesen und den Umgang mit ihnen beizubringen und die Zauberei stets seinen Kollegen überlassen. Rechnete er damit, dass es zu einer Situation käme, in der die Schüler sich verteidigen müssten?

Diese besorgten Gedanken nahm Jan auch mit in den Schlafsaal, als Herr Jorski endlich zu ihnen kam und verkündete, dass er mit allem fertig war.
»Ich wünsche euch allen eine gute Nacht«, verabschiedete Herr Lurcus sich von ihnen. Er holte noch einmal Luft, als wollte er noch etwas hinzufügen, er entschied sich dann aber anders und lächelte den Schülern einfach nur aufmunternd zu, so gut es eben ging.

Doch Jan konnte sich nicht vorstellen, dass es eine gute Nacht werden würde. Zwar hatte er sich sehr danach gesehnt, endlich in seinen Schlafsaal gehen zu können und dort Ruhe zu haben, aber er verspürte keinerlei Müdigkeit. Es war, als hielten Sorge und Angst sowohl seine Augen, als auch seinen Verstand konsequent davon ab, ans Schlafen zu denken. Immer wieder sah er Aaron vor seinem inneren Auge in den Innenhof stürmen, mit dem blutigen, leblosen Körper in den Händen. Der Anblick schockierte ihn jedes Mal aufs Neue. Ein Schüler war gestorben. Ein Schüler wie er. Nur drei Jahre älter. Und sogar mit deutlich mehr Zauberkunst als er.

Levi, Hannes und Filio schien es nicht besser zu gehen als ihm. Filio drehte gedankenverloren an einem merkwürdigen Gebilde aus Zahnrädern, Hannes hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt und die Stirn auf seiner Hand abgestützt. Levi hingegen lief unruhig hin und her und Jan glaubte ihn immer wieder »Mein Bruder« murmeln zu hören.

Jan vermutete, dass das ganze noch ewig so weitergegangen wäre, wenn Filio nicht sein Gerät beiseitegelegt hätte und nicht zu seinem Rollcontainer gegangen wäre. Dort kramte er eine Weile herum und fand schließlich ein Fernglas, das für Jan irgendwie antik und futuristisch zugleich aussah. Der Junge reichte es Levi.

»Vielleicht kannst du deinen Bruder hiermit entdecken«, schlug er vor.
Levi drehte es nachdenklich in seiner Hand.
»Danke«, antwortete er schließlich schwach und ging mit dem Fernrohr zum Fenster. Jan sah, wie er konzentriert versuchte, etwas in der Dunkelheit zu erkennen.
Nach kurzer Zeit drehte Levi sich wieder um und wollte ihnen etwas erzählen, aber seine Stimme ging in einem plötzlich aufkommenden Geräusch unter.
Filios Maschine auf dem Tisch begann Alarm zu schlagen.

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