Kapitel 7 - Der Mann bei den Stallungen

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Liebe Mama, lieber Papa!

Es tut mir leid, dass ich jetzt erst die Zeit finde, einen längeren Brief an euch zu schreiben. Aber meine ersten beiden Wochen hier in Winterfels sind einfach wie im Flug vergangen. Ich habe so viel Spannendes erlebt, am liebsten würde ich euch das alles hier einmal zeigen.

Sogar der Unterricht hier ist viel aufregender als das Schreiben von Vater-und-Sohn-Geschichten an meiner alten Schule. Ihr wisst schon, die beiden, die sowieso immer das gleiche erlebt haben. Natürlich ist es teilweise auch ganz schön schwer, aber am Ende ist mein einfach total stolz, dass man es geschafft hat. Stellt euch vor, mittlerweile kann ich an meinem Zauberstab ein Licht an- und auszaubern. Und ich hatte am Montag meine erste Flugstunde. Eine Flugstunde! Als ich das Fach auf meinem Stundenplan gelesen habe, dachte ich zuerst, es wäre ein schlechter Scherz. Aber dann ist unser Lehrer in dem Fach wirklich auf einem Besen zum Unterricht geflogen. Du würdest seinen Kleidungsstil mögen, Mama, er trägt immer hellblaue Umhänge, genau in der Farbe wie dein neuer Schal. Aber auch sein Unterricht ist echt klasse. Ich hätte nie gedacht, dass man wirklich auf einem Besen fliegen kann. Aber er hat uns so gut bei unseren Versuchen geholfen, dass sogar ich am Ende der Doppelstunde mit meinem Besen ein Stück über dem Boden geschwebt bin. Aber keine Sorge, die Besen sind mit einem speziellen Schutzzauber versehen, damit man nicht herunterfallen kann. Mir passiert hier schon nichts.

Und Herr Goldenberg ist nicht der einzige gute Lehrer hier. Unser Hauslehrer Herr Lurcus macht auch richtig guten Unterricht. Er hat uns gestern einfach einen echten Drachen gezeigt. Und er meint, es würde noch viel größere geben. Und dann gibt es noch das Fach magische Pflanzen. Das unterrichtet Frau Braun. Sie hat uns gestern durch die Gewächshäuser geführt – die sind fast so groß wie der Botanische Garten, in dem wir letztes Jahr waren. Wenn das nur Oma Sieglind sehen könnte. Sie wäre fasziniert von den Blumen, die ihre Farbe wechseln können und den teilweise echt ulkig aussehenden Pflanzen. Ich muss ihr unbedingt das Schulbuch dazu zeigen.

Aber nicht alle Lehrer sind so toll wie die drei. Unsere Mathelehrerin zum Beispiel. Ihr würdet sagen, die hat ihr Staatsexamen im Lotto gewonnen. Und dann gibt es noch Herr Egger. Der ist unser Englischlehrer. Und er ist Österreicher. Er hat so einen starken Dialekt, dass man ihn manchmal besser versteht, wenn er Englisch redet. Und das muss was heißen, ihr wisst ja wie mein Englisch ist.

Aber nicht nur der Unterricht hier ist total interessant. Hier in Winterfels begegnet man nämlich einfach überall Magie. Zwei Schüler haben zum Beispiel einen kleinen Laden und hängen jeden Morgen die Zeitung an den Wänden davor auf. Und stellt euch vor: Die Bilder darin bewegen sich einfach! Und nicht nur die. In einigen Fluren hängen Portraits von wichtigen Zauberern – und die unterhalten sich! Man geht morgens zum Frühstück und wird einfach von einem Bild an der Wand begrüßt. Und wir haben einen Baum, den wir nicht einmal gießen müssen. Er wächst mit jeder guten Tat von uns ein Stück nach oben. Ich weiß gar nicht, ob ich jemals aufhören werde, über diese Schule zu staunen.

Als der Schulleiter bei meiner Einschulung gesagt hat, Winterfels würde mein Zuhause werden, habe ich ihm das nicht wirklich geglaubt. Ich dachte, das sagt der einfach nur, weil es sich schön anhört. Und natürlich ist es bei euch am schönsten. Aber tatsächlich hat Winterfels es in nur zwei Wochen wirklich geschafft, ein Ort zu werden, an dem ich mich wohl fühle, nicht bloß eine Schule. Ich habe hier richtig gute Freunde gefunden. Ich glaube, dadurch dass wir uns im Unterricht gegenseitig helfen, macht es noch einmal viel mehr Spaß hier. Und wenn wir abends nicht noch irgendwelche Aufgaben machen müssen, dann spielen wir in der Regel lustige Brett- und Kartenspiele. Die Zauberer haben da wirklich tolle Ideen. Aber manchmal glaube ich, dass sie einfach nur Muggelspiele nehmen und die verzaubern. Aber so kenne ich die Grundideen von den Spielen schonmal. Gestern Abend habe ich sogar beim verhexten Labyrinth gewonnen. Das würde euch auch Spaß machen. Ich muss mal schauen, ob es das im Kiosk auch gibt, dann kaufe ich das auf jeden Fall, damit wir das in den Winterferien spielen können. Ihr werdet es auch lieben.

Aber genug zu mir. Jetzt möchte ich wissen, wie es euch geht. Hast du deinen Fall mit den übermäßig hohen Steuern für den Schreiner aus dem Nachbardorf gewonnen, Papa? Und ist dein Auto mittlerweile wieder aus der Werkstatt zurück, Mama?

Erzählt mir unbedingt, was es sonst noch so Neues bei euch gibt. Ich versuche, auch zeitnaher zu antworten als beim letzten Mal.

Ich wünsche euch alles Gute und habe euch ganz lieb

Euer Jan

Diese Worte waren der Grund, warum Jan sich mit regennassen Haaren und durchweichtem Pullover zwischen den Pfützen hindurch einen Weg vom Eulenturm zum Burgtor suchte. Wie sollte er den anderen das nur erklären? Er wusste nicht, wie sie es aufnehmen würden, wenn sie wüssten, dass er einen Brief an seine Eltern schrieb und hatte daher behauptet er wolle sich noch einmal duschen, um einen Vorwand zu haben, etwas später zum Frühstück zu gehen. Jetzt sah er aus, als hätte er mitsamt seiner Kleidung geduscht und danach nicht einmal ein Handtuch gefunden. Regentropfen perlten über sein Gesicht, als er mit zittrigen Händen das gewaltige Burgtor öffnete.

Ich habe aus Versehen die falsche Tür genommen und bin nicht im Innenhof, sondern draußen gelandet, legte er sich schon einmal eine Ausrede zurecht.

Doch in dem Moment, als er durch die mächtigen Türflügel trat, erfasste ihn plötzlich ein warmer Windstoß. Es erinnerte Jan an die Lüftungen an den Eingangstüren von Kaufhäusern. Nur, dass dieser hier nicht so stark war und trotzdem eine größere Wirkung hatte. Als Jan die Tür hinter sich wieder schloss, war sein Umhang wieder vollkommen trocken. Und seine Haare fühlten sich zwar so an, als wären sie so zerzaust wie die von Filio, aber nass waren aus die nicht mehr. Begeistert machte er sich auf den Weg zum Innenhof, wobei er sich fragte, ob man bei dem Wetter wirklich dort frühstücken konnte. Es regnete bestimmt doch auch dort hinein. Und auch wenn Jan sich nicht als Schönwetterkind bezeichnen würde, so konnte er auf ein Frühstück im strömenden Regen doch gut verzichten. 

Doch als er den Innenhof betrat, war es dort so trocken, als hätte der Raum seit Monaten kein anderes Wetter als strahlenden Sonnenschein erlebt. Fasziniert sah der junge Zauberer nach oben, wo der Regen etwa in zehn Meter wie auf einer unsichtbaren Wand liegenblieb und in Richtung der Hofecken abperlte und schließlich die Gründerbäume bewässerte, von denen jeder in einer der vier Ecken des Innenhofs wuchs. Vermutlich war es eine Art Glaskuppel, die durch einen Zauber so sauber gehalten wurde, dass man sie nicht sehen konnte. Doch als er sich kurz darauf zu seinen Freunden an den Tisch setzte, kamen die ersten Eulen mit durchnässtem Gefieder in den Innenhof geflogen und erinnerten Jan daran, dass seine Theorie mit der Glaskuppel nicht sein konnte. Wie sollten die Vögel denn dann zu ihnen gelangen können? Ratlos schüttelte Jan den Kopf.  »Krass«, war das Einzige was er dazu sagen konnte.

»Ja, finde ich auch«, erwiderte Filio, der ihm gegenüber am Tisch saß, mit vollem Mund. »Ich hätte auch nicht gedacht, dass wir hier so früh schon gequält werden.«
Verwundert sah Jan zu dem Jungen hinüber. Er hielt ein Blatt Papier in den Händen und die Eulen schien er erst zu bemerken, als ein Vogel mit triefendem Gefieder direkt vor ihm landete und einen Briefumschlag auf seinem Teller ablegte.
»Was meinst du?«
Filio blickte von seinem Papier auf.
»Die Arbeitsphase beginnt bald«, antwortete er und reichte Jan den Zettel. »Das hat Herr Lurcus uns gerade gegeben.«

Während Filio sich daran machte, seinen Briefumschlag zu öffnen, betrachtete Jan den Kalender, den Filio ihm gegeben hatte.
»Übernächste Woche schon Deutsch«, stellte er erschrocken fest. »Aber wir haben doch noch lange nicht genug gemacht, um eine Arbeit zu schreiben.«
»Sehe ich ganz genauso«, grummelte Filio und nahm sich sein Messer zur Hilfe, um den offenbar sehr fest verschlossenen Umschlag zu öffnen.
»Und in acht Wochen sind Herbstferien?«, erkannte Jan. »Fahren wir dann etwa nach Hause?«
Filio schüttelte den Kopf, wobei er einen tiefen Riss in seinem Briefumschlag verursachte.
»Drachenmist!«, fluchte er leise, während er den Brief durch eine kleine Öffnung aus dem Umschlag zerrte. »Tuplantis meint, dass es sich nicht lohnt für zwei Wochen nach Hause zu fahren, schließlich dauert allein der Flug mit den Carls schon relativ lange. Dazu dann noch der Stress mit dem Kofferpacken und so weiter. Wir bleiben hier und machen uns eine schöne Zeit.« Er verzog das Gesicht, da er erneut seinem Brief einen Riss zufügte und ihn schließlich in zwei Teilen aus dem Umschlag holte.
»Schöne Zeit?«, mischte sich Levi ungläubig ein. »Also mein Bruder hat gesagt, dass die Lehrer jede Menge Aufgaben über die Ferien geben. Besonders Frau Relting soll wohl umfangreiche Recherchearbeiten verlangen.«

Die Erwähnung einer Lehrerin ließ Jan auf seinen Stundenplan schauen.  »Wir sollten langsam aufbrechen«, schlug er vor, als er sah, dass das Feld für einfache Zauberei bereits gelb leuchtete. »Frau Schmidt ist zwar ganz nett, aber ihr habt ja gesehen, wie sie reagiert hat, als die Ehuras gestern zu spät gekommen sind.«
Levi nickte zustimmend und die beiden Jungen standen schonmal auf, während Filio sich noch ein Körnerbrot für den Weg belegte, wobei ihm ein Stück Butter auf seinen ohnehin schon verunstalteten Brief fiel und diesen verklebte. Verärgert griff der Junge mit der Igelfrisur nach dem Brief und nahm mit seiner anderen Hand das Körnerbrot mit.

Zu dritt verließen sie den Innenhof uns machten sich auf dem schnellsten Weg auf in Richtung Klassenzimmer. Auf dem Weg kamen sie am Kiosk vorbei, über dem heute ein Banner mit der Aufschrift Schreibsachen zum halben Preis prangte. Interessiert blieb Levi stehen und warf einen Blick auf seinen Stundenplan, wo sich das gelbe Feld langsam orange färbte.
»Ich weiß, wir müssen los, aber ihr habt ja mitbekommen, dass jemand gestern in einfache Zauberei meine Fineliner weggezaubert hat.«, meinte er und warf Filio einen gespielt bösen Blick zu. »Kommt ihr schnell noch mit?«
Jan nickte sofort, aber Filio warf einen besorgten Blick auf sein Körnerbrot.  »Essen da drin ist nicht so gern gesehen«, antwortete er. »Geht ihr ruhig, ich warte hier und ... lese Zeitung.« Mit gespieltem Interesse widmete er sich der Ausgabe der täglichen Eule, die an den Wänden ausgehangen war.

Jan und Levi warfen sich amüsierte Blicke zu und eilten dann schnell in den Kiosk. Eigentlich ähnelte der Raum mehr einem kleinen Laden, in dem es Süßigkeiten, Schreibwaren, Bücher und einige merkwürdige magische Artefakte zu kaufen gab, von den Schülern wurde er aber trotzdem Kiosk genannt. Levi eilte zur Wand mit den Stiften und suchte sich ein paar heraus, die er für gut geeignet hielt. Zu seinem großen Interesse fand er auch einen mit der Aufschrift zauberresistent. Gemeinsam gingen sie zur Kasse, wo ein Drittklässler mit auffallend orangefarbenem Pullover die Stifte kassierte und sich freundlich von ihnen verabschiedete.

Als Levi und Jan wieder auf den Korridor traten, fanden sie Filio tatsächlich vor einem Zeitungsblatt.
»Schaut mal, was hier steht!«, forderte er sie aufgeregt auf und deutete auf einen Artikel mit der Überschrift Einbruch im Nord-Kaufhaus - MuggelMag-Laden ausgebeutet.
»Bei MuggelMag wurde eingebrochen?«, las Levi ungläubig, während Jan nicht wirklich verstand, wovon überhaupt die Rede war.
»Wo wurde eingebrochen?«, hakte er verwundert nach.
»Hast du noch nie von MuggelMag gehört?«, fragte Levi verwundert, woraufhin Jan den Kopf schüttelte. Ungläubig weitete Filio die Augen.  »Die machen die coolsten Sachen, die es gibt«, erzählte er begeistert. »Die nehmen Muggelsachen und verzaubern die so, dass sie ganz faszinierende Sachen können. Das sagt ja auch schon der Name, MuggelMag ist eine Zusammensetzung aus Muggel und Magic. Zum Beispiel haben sie die sich selbst einräumende Spülmaschine gemacht. Jede Menge Teile von den Muggeln gekauft und mit Accio-Zaubern belegt.«

Doch Jan hörte ihm gar nicht mehr richtig zu. Seine Aufmerksamkeit war nun ganz dem Artikel gewidmet, besonders den Fotos, mit denen er verziert war. Das eine zeigte eine zersplitterte Schaufensterscheibe, einen am Boden liegenden Mann und eine Frau, die aus dem Geschäft herausgestürmt kam und panisch in Richtung des linken Bilderrands zeigte. Was Jan allerdings viel mehr interessierte, war das andere Foto. Es zeigte einen hämisch grinsenden Mann, der sich mit erhobenem Zauberstab und hinter sich herschwebendem Diebesgut aus dem Staub machte.

Die von MuggelMag entwickelte Überwachungskamera konnte folgende Aufnahme des Täters machen. Der Mann ist der Abteilung für magische Strafverfolgung unbekannt.
Der auf dem Bild Gezeigte hatte mittellange, unordentliche Haare, einen schmalen Mund und einen auffälligen Oberlippenbart. Jan war sich sicher, dass er diesen Mann irgendwo schonmal gesehen hatte.
»Der hat sich hoffentlich eine verzauberte Friseurausrüstung geklaut«, spottete Filio, der Jans Blick scheinbar gefolgt war. Und dann fiel es dem Jungen wieder ein.
»Kennt ihr den Kerl nicht mehr?«, fragte er aufgeregt, »das ist der Mann, der angeblich einen Stall noch einmal überprüft hat. Wie hieß er nochmal gleich? Karl Kurz?«
»Karsten Klein«, verbesserte Levi. »Aber du hast vollkommen recht. Das ist auf jeden Fall der gleiche Mann. Das bedeutet, wir hatten einen Einbrecher bei uns auf dem Schulgelände.«

»In der Nähe von den ganzen gefährlichen Tierwesen, die es an unserer Schule gibt«, ergänzte Jan. »Vielleicht wollte er auch die stehlen. Stellt euch das mal vor! Jemand hätte so einen Drachen zu Hause.«
»Vielleicht ist das auch gar nicht Karsten Klein. Vielleicht ... sehen sich die beiden auch einfach nur total ähnlich«, widersprach Filio, auch wenn er nicht wirklich überzeugt von seiner These klang.
»Lasst uns bei Herr Lurcus einfach nachfragen, wenn wir ihn das nächste Mal sehen«, schlug Levi vor. »Vielleicht ist ihm noch etwas aufgefallen, als er dem Mann hinterhergelaufen ist.«

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