Kapitel Fünf

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Welche Art von Ort die Zwillinge genau gemeint hatten, fand ich jedoch erst heraus, als wir schließlich nach einem weiteren, langen Fußmarsch vor einem großen Gebäude zum Stehen kamen. Obwohl man deutlich sehen konnte, dass es schon einige Jahre in dem wechselhaften Wetter von Sokovia überstehen musste, wirkte es im Gegensatz zu vielen Häusern, an denen wir auf dem Weg vorbeigekommen waren, unversehrt und durchaus bewohnbar. Direkt über dem Eingang hing ein leicht vergilbtes Schild mit einer Aufschrift, die ich durch die offensichtliche Sprachbarriere nicht entschlüsseln konnte, weshalb ich fragend zu Wanda sah, die mich jedoch nur anlächelte und vortrat, um den altmodischen Türklopfer zu nutzen.

Wir warteten einige Minuten, in denen niemand von uns etwas sagte, dann öffnete sich die Tür und eine junge Frau erschien im Eingang. Ihre langen, braunen Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden und auf ihren Lippen lag ein freundliches Lächeln, das für einen kurzen Moment verschwand, als sie uns sah. 

Normalerweise hätte ich das als ein Zeichen für einen sofortigen Rückzug interpretiert, doch schon im nächsten Moment stürzte sie praktisch einige Schritte vor, bis sie direkt vor uns stand.

"Pietro?", murmelte sie fast ungläubig, wobei sie ihn halb verwirrt, halb freudig ansah und uns andere gar nicht zu bemerken schien.

"Hi." Pietros üblicher Charme und seine lockere Art schien auf einmal verschwunden zu sein, während er sich leicht nervös am Hinterkopf kratzte und dabei ihre Reaktion abzuwarten schien.

Die junge Frau stand noch einen Moment sprachlos da, dann begann sie einen regelrechten Schwall von Wörtern in Sokovisch abzusondern, von dem ich natürlich nichts verstand.

Bevor ich noch einmal hätte versuchen können, Wanda als Übersetzerin anzuheuern, unterbrach sie ihren Monolog, indem sie ihre Arme und Pietro legte und ihn umarmte.

Da ich mich etwas unwohl damit fühlte ihre scheinbar recht emotionale Wiedervereinigung zu beobachten, machte ich es mir zur Aufgabe, stattdessen mit riesigem Interesse die Hauswand anzustarren, bis sich die Beiden voneinander lösten, was zum Glück nicht allzu lange dauerte.

Pietros Blick wanderte für einen kurzen Moment zu mir, weshalb ich fragend eine Augenbraue hob, worauf er nicht weiter einging.

Stattdessen räusperte er sich leicht verlegen und deutete dann fahrig mit einer Hand in die Richtung, in der ich und Wanda standen.

"Maria, du erinnerst dich vielleicht noch an meine Schwester Wanda." Erst jetzt wanderte Marias Blick zu uns und blieb an mir hängen, wobei sich ihre Verwirrung deutlich auf ihrem Gesicht zeigte. "Und das daneben ist Alicia. Alicia, das hier ist meine alte Freundin Maria."

Die Braunhaarige lächelte mich leicht an und bot mir ihre Hand zur Begrüßung an. Nachdem wir uns begrüßt hatten und Pietro Maria noch erklärt hatte, dass ich kein Sokovisch sprechen konnte und wir daher in Englisch kommunizieren sollten, schien die unausgesprochene Frage förmlich für alle spürbar in der Luft zu schweben: Was machten wir hier überhaupt?

"Pietro und ich hatten gedacht, dass wir drei vielleicht für eine Weile hier Unterschlupf finden könnten", meldete sich Wanda schließlich zu Wort, als niemand anderes etwas dazu sagte.

"Hier?" Maria sah erstaunt zwischen uns hin und her, bevor sie langsam nickte. "Ich meine, natürlich jederzeit, dafür sind wir immerhin da, aber das scheint nicht so ganz zu euch zu passen."

Die Art, wie sie "euch" sagte, ließ vermuten, dass sie eigentlich eher nur Pietro damit meinte.

"Wir wollten mal einen anderen Weg ausprobieren", wandte er ein, als hätte er denselben Gedanken wie ich gehabt, "Außerdem hat Alicia uns davon überzeugt, dass das gerade am sichersten für uns wäre."

"Oh." Wieder spürte ich ihren neugierigen Blick auf mir, bevor sie leicht zur Seite trat und zur immer noch geöffneten Tür deutete. "Wie auch immer, dann kommt mal hinein."


Wie sich herausstellte, handelte es sich bei diesem Gebäude um eine Unterkunft für Menschen, deren zu Hause durch den Krieg zerstört wurde. 

Das war zumindest das, was Wanda mir erklärte, nachdem Maria uns in dem Haus herumgeführt hatte und uns dann einen kleinen Raum mit drei Betten zugewiesen hatte, wobei sie mir noch erklärt hatte, dass sie leider gerade nicht mehr Platz hatten und sich erkundigt hatte, ob es mich stören würde, mir mit den beiden ein Zimmer zu teilen, was ich natürlich verneint hatte.

Wanda hatte mir auch erzählt, dass Maria schon seit einigen Jahren hier arbeitete, allerdings nichts darüber, woher die Zwillinge sie kannten. Da ich nicht zu neugierig sein wollte, beließ ich es auch dabei, ohne weiterzufragen.


Nachdem wir die Betten mit den Laken, die Maria uns gegeben hatte, neu bezogen hatte, nutzte ich erstmal das Privileg einer funktionierten Dusche, wonach ich mich schon viel lebendiger fühlte, und schlüpfte dann in die simplen Kleidungsstücke, die mir Maria freundlicherweise geliehen hatte. 

Als ich jedoch aus dem Gemeinschaftsbad zurückkehrte, war Pietro nicht mehr im Zimmer auffindbar und Wanda hatte sich auf dem Bett zu einer Kugel zusammen gerollt und schien zu schlafen. 

Da ich sie nicht stören wollte, beschloss ich stattdessen einen Spaziergang zu unternehmen und mir die Umgebung mal genauer anzusehen, da ich mich im Gegensatz zu den Maximoffs immerhin nicht sonderlich gut hier auskannte.

Obwohl wir die letzten Tage so viel gelaufen waren, fühlte es sich gut an sich zu bewegen und dieses Mal nicht mit jemand mithalten oder sich Sorgen um irgendwelche Verfolger machen zu müssen.

Da Pietro herausgefunden hatte, dass sie uns hier nicht vermuteten, fühlte ich mich recht sicher.

Zum ersten Mal seit meinem Erwachen in dem Hydraquartier schienen sich meine Gedanken zu beruhigen und ich hatte endlich nicht mehr das Gefühl, mein Kopf würde vor lauter Sorgen platzen.

Aus diesem Grund nahm ich mir genügend Zeit, während ich durch die schmalen Gassen von Novi Grad schlenderte. 

Da Pietro und Wanda mir auf dem Weg zu unserer Unterkunft schon einiges über die Hauptstadt erzählt hatten, in der sie aufgewachsen hatten, wusste ich, dass der Krieg dort mittlerweile aufgehört hatte, aber dennoch konnte man die Nachwirkungen noch in der ganzen Stadt sehen und mir fiel auch immer wieder auf, wie wenig Menschen auf der Straße unterwegs waren, obwohl ich abends ein regeres Treiben erwartet hatte.

Schließlich kam ich auf einer wunderschönen, großen Brücke an, die wie durch wundersame Weise von den Bomben verschont oder eventuell nach dem Krieg wieder nachgebaut worden war. 

Während ich mich an das Geländer lehnte und hinab in die seichten Wellen starrte, erfasste mich auf einmal ein seltsames Gefühl, das ich nicht ganz einordnen konnte, doch allein der Anblick des Flusses unter mir jagte mir eine kalte Gänsehaut über den ganzen Körper und für einen Moment schnürte sich mein Hals zu und ich hatte das Gefühl, kaum atmen zu können. Am liebsten wäre ich einfach gegangen, aber ich fühlte mich wie versteinert und konnte nicht mal meinen Blick abwenden, während sich in meinem Mund ein bitterer Geschmack breitmachte, als müsste ich mich gleich übergeben.

Eine Berührung an meiner Schulter riss mich schließlich aus meiner Trance und brachte mich dazu mich umzudrehen, sodass ich einem fremden Mann gegenüber stand, weshalb ich instinktiv leicht zurückzuckte.

"Kann ich Ihnen helfen?", erkundigte ich mich, bemüht zu lächeln, doch die Art, wie er mich musterte, vermittelte mir bereits den Eindruck, dass hier etwas nicht stimmte, weshalb ich versuchte mich unauffällig langsam rückwärts zu bewegen, ohne dabei meinen höflichen, unbesorgten Gesichtsausdruck zu verlieren.

Der Mann schien das zu bemerken, doch statt mir zu antworten, drückte er auf einen kleinen Knopf in seinem Ohr und grummelte in Sokovisch etwas hinein.

Das war alles, was ich als Zeichen, das meine Ahnung richtig war, brauchte und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wirbelte ich herum und sprintete in die entgegengesetzte Richtung die Brücke herunter.

Vor lauter Angst, was ich sehen würde, wagte ich nicht mal mich umzublicken, um zu checken, wie weit der Mann entfernt sein würde, während ich betete, dass es sich um ein Missverständnis handeln würde und er nur wegen der Sprachbarriere sein eigentliches, vollkommen normales Anliegen nicht äußern konnte.

Das Geräusch meines stockenden, viel zu lautem Atem vermischte sich mit dem donnernden Aufprallen meiner Füße auf den Boden und ließ die Panik in mir nur ansteigen, wodurch ich förmlich spüren konnte, wie Adrenalin durch meine Adern pumpte und mich zu Höchstleistungen anspornte. 

Nachdem ich fast am Ende der Brücke angekommen war, riskierte ich schließlich doch einen Blick über die Schulter und sah, dass der Mann noch an derselben Stelle stand. Diese Tatsache brachte mich vor Überraschung und auch Erleichterung kurz so ins Stoppen, dass ich fast gestolpert wäre, aber als sich die Lippen des Mannes langsam zu einem spöttischen, gruseligen Lächeln verzogen, wusste ich, dass ich keinen Grund zur Erleichterung hatte.

Noch bevor ich meinen Kopf wieder abwenden konnte, prallte ich gegen jemand und wäre fast nach hinten gefallen, hätte mich die Person nicht sofort am Arm gepackt.

Für den Bruchteil einer Sekunde hoffte ich trotz des viel zu groben Griffes, dass es Pietro, Wanda oder auch Maria oder einfach ein unbeteiligter, freundlicher Passant war, der mich vor der Sturz gerettet hatte, doch als ich nach oben blickte, sah ich einen weiteren Mann, der wie der andere ebenfalls ganz in Schwarz gekleidet war.

"Verzeihung, habe ich dich erschreckt?", bemerkte er mit spöttisch  und einem starken Akzent, während er mich zurück auf meine Füße zerrte, ohne mich dabei loszulassen.

Spätestens jetzt war mir klar, dass es sich hier um Hydra Agenten handelte und dass ich vermutlich gegen keinen von den beiden eine Chance haben würde, wenn ich mich jetzt einfach widersetzen würde.

Mein Blick wanderte zurück zu dem ersten Agenten, der mittlerweile mit aller Ruhe der Welt zurück zu uns schlenderte, während mein Gehirn auf Hochtouren arbeitete und nach einer Lösung suchte, bis sich mir endlich ein Lichtblick bot.

"Wanda!", rief ich erleichtert aus, während ich hinter den Agenten blickte, der sich sofort umdrehte.

Zwar war meine magische Freundin in Wirklichkeit nirgendwo zu sehen, doch wie ich erwartet hatte, war er für einen Moment abgelenkt und lockerte unterbewusst seinen Blick sogar ein wenig, weshalb ich mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, mein Bein hochriss und ihn damit zwischen die Beine traf, weshalb er mit einem schmerzvollen Grunzen zu Boden sank und mir eine Vielzahl von sokovischen Flüchen entgegenschleuderte.

Statt jedoch darauf zu achten, versuchte ich loszusprinten und mich aus der Reichweite der beiden Agenten zu retten, wurde jedoch mit einer heftigen Wucht zurückgerissen und knallte dieses Mal ungebremst seitlich auf den Boden, wobei ein stechender Schmerz durch meinen gesamten Schädel zuckte.

Als ich mich hektisch umdrehte, sah ich, dass sich die Hand des zu Boden gesackten Agenten um meinen Knöchel geschlossen hatte und er bereits dabei war, sich aufzurappeln, um mich erneuert festzuhalten.

Erneuert versuchte ich mit meinem freien Bein nach ihm zu treten und zielte dieses Mal auf seinen Kopf, um ihn hoffentlich auszuknocken wie ich es in all den Filmen gesehen hatte, aber dieses Mal drehte er sich zur Seite, sodass ich ihn nur streifte und er scheinbar nicht mal einen Kratzer davon tragen würde.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der zweite Agent nun hastiger auf uns zukam, um seinem Kollegen zur Hilfe zu kommen, und versuchte darum so schnell wie möglich rückwärts zu robben, wurde jedoch sofort zurückgezogen, wobei ich hilflos wie eine Stoffpuppe über den Boden geschleift wurde.

Noch im selben Moment fiel mein Blick allerdings auf die Waffe, die im Holster des Mannes steckte, und sich jetzt gerade, wo er dabei war aufzustehen, quasi direkt in Griffweite befand. So schnell ich irgendwie konnte, warf ich mich vorwärts, wobei ich mit der Schulter seinen Hüftknochen rammte, was mir in Wirklichkeit vermutlich mehr Schmerzen zufügte als ihm und mit der anderen Hand irgendwie tatsächlich die Pistole zu fassen bekam. 

Mein Bein, das er zuvor festgehalten hatte, hatte ich dabei (eher unterbewusst als geplant) nach hinten gerissen, wobei er es zwar kurz für einen furchtbar schmerzhaften Moment leicht verdreht hatte, es jedoch freikam.

Als ich nach meinem unbeholfenen, aber erfolgreichen Manöver unsanft halb sitzend und halb liegend auf dem Boden aufprallte, riss ich sofort die Pistole nach oben, weshalb der Mann in seiner Bewegung erstarrte und betont langsam die Hände hob.

Meine Hände, die so fest um den Auslöser geklammert waren, dass meine Fingerknöchel weiß hervortraten, zitterten leicht, während ich mich aufrappelte, ohne die Pistole auch nur einen Millimeter zu senken.

Mit einem schnellen Schulterblick versicherte ich mich über die Lage des zweiten Agenten, der mittlerweile ebenfalls seine Pistole gezückt hatte und sie auf mich gerichtet hielt, jedoch aus irgendeinem Grund noch nicht abgedrückt hatte.

"Hör mal." Ich musste mich räuspern und den Satzbeginn noch einmal wiederholen, da meine Stimme viel zu schrill und piepsig hervorkam. "Ich habe hier deinen Partner im Visier und du mich, also sind wir hier in einer ziemlichen Zwickmühle gefangen, aber wenn du jetzt einfach die Waffe fallen lässt, dann tue ich das Selbe."

Im Grunde wusste ich, dass mir das auch nicht sonderlich viel bringen würde, da die beiden so oder so deutlich stärker als ich waren und sich zudem auch in der Überzahl befanden, doch es war das Einzige, was mir gerade einfiel, besonders da ich an der Art, wie die Schusswaffe in meiner Hand lag, sofort spürte, dass ich so etwas noch nie in der Hand gehalten hatte und daher vemutlich keinen filmreifen Schussabtausch abfeuern können würde. Also versuchte ich einfach, meine Stimme ruhig und bedrohlich klingen zu lassen und mir einzureden, dass ich fliehen können würde, sobald der andere die Waffe fallen lassen würde.

Statt mein Angebot jedoch dankend anzunehmen, wie ich es mir am liebsten erhofft hätte, sah mich der Agent nur vollkommen verwirrt an und warf seinem Partner einen Blick zu. Es dauerte einen kurzen Moment, aber dann verstand ich, was hier los war.

"Los, übersetz das!", blaffte ich den zweiten Agenten an, den ich immer noch im Visier meiner Waffe hatte.

Ohne den Blick von mir abzuwenden, nickte er und begann in sokovisch mit dem anderen zu sprechen, wobei ich innerlich betete, dass er nicht gerade einen Schlachtplan weitergab, sondern tatsächlich meine Worte weitergab.

Sobald er fertig war, warf der erste Agent mir einen eisigen Blick zu, ohne weiter auf mein Angebot einzugehen. Dennoch, dass er nicht sofort abgelehnt oder gar auf mich geschossen hatte, zeigte mir, dass ihm das Leben seines Partners am Herzen zu liegen schien.

"Na schön." Meine Finger schmerzten bereits, doch ich verstärkte meinen Griff um die Waffe, die gerade wohl meine einzige Überlebenschance darstellte, noch weiter. "Mein Angebot steht nicht mehr lange."

Der Agent vor mir schien die Worte wieder hastig zu übersetzen, bevor ich die Pistole noch ein Stück höher hielt und anfing zu zählen.

"3."

Das Zittern meines Armes wurde noch stärker und ich hoffte von ganzem Herzen, dass es niemandem auffallen würde, oder sie es nicht als Zeichen der Schwäche werten würden.

"2."

Mir fiel auf, dass ich nicht mal wusste, was ich tun würde, wenn er mich bis null zählen lassen würde. Ich war absolut nicht überzeugt davon, dass ich diesen Abzug drücken können würde. Erstens, weil ich nicht mal sicher wusste, wie das alles ging, und zweitens, weil ich nicht aufhören konnte, daran zu denken, dass das vor mir auch ein Mensch war und wie ängstlich er mich ansah und dass er sicherlich Angehörige hatten, die ihn liebten. 

Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken ihm einfach in den Fuß oder das Bein zu schießen, aber vermutlich würde ich nicht treffen und sobald der andere Mann bemerken würde, dass ich seinen Kollegen gar nicht töten würde, würde er das Feuer auf mich sicher eröffnen.

"1", stieß ich viel zu leise hervor, wobei ich immer noch versuchte, stark zu wirken.

Doch in diesem Augenblick passierten zwei erstaunliche Dinge gleichzeitig:

Der Agent mit der Waffe senkte diese leicht und brüllte mir ein undeutliches, jedoch durch seine hörbare Verzweiflung unterstrichenes "Warte" entgegen

und in dem Bruchteil der Sekunde, die darauf folgte, in der ich das erste Ereignis noch nicht mal richtig verarbeitet hatte, nahm ich am äußersten Rande meines Bewusstseins wahr, wie eine mir bekannte Stimme in der Ferne meinen Namen rief.

Sofort setzte mein Überlebensinstinkt wieder ein und in einem Moment des blinden Vertrauens riss ich die Pistole hoch, sodass sie in den Himmel zeigte, und drückte mit aller mir verbleibenden Kraft auf den Abzug.

Der Rückstoß brachte mich ins Wanken, während ich innerlich einfach dankbar war, dass die Waffe tatsächlich nicht mehr gesichert gewesen war, denn sonst hätte ich wohl ein Problem gehabt.

Dann, noch in der selben Millisekunde wurde mir schlagartig bewusst, dass mein Plan nicht geklappt hatte und dass ich damit gerade mein Schicksal besiegelt hatte.

Bevor ich deshalb noch mehr in Panik geraten konnte, wurde ich plötzlich zu Boden gerissen, wobei sich ein erdrückendes Gewicht auf mich warf und mich nach unten drückte. Ich versuchte danach zu treten und mich zu befreien, realisierte aber zu meinem Erstaunen, dass die Last sich fast sofort wieder von mir hob, ohne dass sich mein Angriff überhaupt als erfolgreich erwiesen hätte und im nächsten Moment ertönte ein vertrautes, zischendes Geräusch, das im Moment das Schönste war, das ich hätte hören können.

Noch etwas benommen drehte ich meinen Kopf und sah gerade noch, wie der zweite Agent von einem nicht erkenntlichen, blauen Lichtblitz zu Boden geworfen wurde, während jener bewaffnete Mann bereits bewegungslos zusammengesackt war.

Schon im nächsten Moment stand Pietro vor mir und beugte sich zu mir herunter, wobei er mich besorgt ansah.

"Ist alles in Ordnung?"

Am liebsten wäre ich einfach liegen geblieben und hätte mich weder gerührt noch einen Ton von mir gegeben, denn mir tat gefühlt alles weh und ich hatte das Gefühl, das die zusätzliche Energie, die mir das Adrenalin geliefert hatte, schon vollkommen aufgebracht wurden wurden war. 

Gleichzeitig war ich so erleichtert und dankbar, ihn zu sehen, dass ich ihn am liebsten umarmt und so schnell nicht mehr losgelassen hätte.

Statt mich einer dieser verlockenden Vorstellungen hinzugeben, gab ich ein unverständliches Grummeln von mir und zwang mich dazu leicht zu nicken.

Als Reaktion seufzte Pietro erleichtert auf und bot mir seine Hand an, um mir aufzuhelfen, was ich dankend annahm, obwohl jeder Muskel in meinem Körper beim Aufrichten protestierte.

"Das war ziemlich cool", gab ich von mir, sobald ich meine Stimme wiedergefunden hatte, "Viel besser als mein gescheiterter Kampfversuch."

Obwohl ich versuchte meine Worte unbesorgt und amüsiert klingen zu lassen, klangen sie wohl eher krächzend und erbärmlich, währen dich vor ihm stand und am ganzen Leib zitterte, während die Ergebnisse der letzten Minuten langsam richtig in mein Gehirn sickerten und ich realisierte, in was für einer Gefahr ich wirklich gesteckt hatte.

Dennoch schien Pietro froh darüber zu sein, dass ich wenigstens versuchte okay zu wirken, denn er lächelte sanft. "Weißt du, eigentlich..."

Bevor er diesen Satz beenden konnte, nahm ich hinter Pietro eine Bewegung wahr, weshalb ich einen Schrei von mir gab und mich auf ihn zu warf. 

Während dem Fallen sah ich, wie er den Kopf drehte und den am Boden liegenden Agenten ansah, der scheinbar doch nicht ohnmächtig war, sondern die Pistole mit einem wilden, verzweifelten Blick direkt auf mich gerichtet hatte. 

Für einen kurzen Moment bewegte sich Pietro in seine Richtung, doch dann sah er mich an und schon spürte ich, wie ich hochgehoben wurde und wieder dieses überwältigende Gefühl der Schnelle meinen Körper einnahm, als er ein Stück weiterrannte und mich absetzte. 

Sobald wir wieder standen, fokussierte ich meinen Blick wieder auf den Agenten, doch zu meinem Überraschen versuchte er nicht noch einmal auf mich zu schießen.

Stattdessen sah ich nur noch, wie er sich mit einem Satz über das Brückengeländer warf. 

Ich wollte Pietro darauf hinweisen, dessen Blick noch auf mich gerichtet war, aber er hatte es auch schon bemerkt, setzte mich ab und verschwamm wieder in einen rasend schnelle Silhouette, doch dieses Mal kam selbst er zu spät, denn als er am Geländer ankam, war der Mann schon lange darüber verschwunden.

Einen Moment lang starrte Pietro in die Fluten und ich hatte schon Angst, er würde hinterher springen, aber dann wandte er sich ab und kniete sich stattdessen neben den zweiten Agenten. 

Ich rappelte mich in der Zwischenzeit ein weiteres Mal mühsam auf und betete, dass es heute das letzte Mal sein würde, dass ich das tat, bevor ich mich wackeligen Schritten auf ihn zu humpelte.

Sobald ich bei ihm ankam, erkannte ich an Pietros düsterem Blick, dass er etwas gefunden hatte, dass ihm gar nicht gefiel. 

Trotzdem war ich schockiert, als mein Blick auf den weit geöffneten Mund des Agenten fiel und ich sah, dass seine Zunge vollkommen schwarz gefärbt war.

"Was ist das?", flüsterte ich erschrocken und so leise, dass es wahrscheinlich sowieso hörte.

Obwohl er meine Frage wahrscheinlich nicht verstanden hatte, hob Pietro einen kleinen, schwarzen Beutel hoch, weshalb ich näher trat, sodass ich einen roten, sechsarmigen Tintenfisch mit einem Totenkopf als Schädel erkennen konnte.

"Hydras Zeichen", erklärte Pietro mir, wobei ich an seiner Stimme hören konnte, dass er verärgert war, "Sie gaben ihren Agenten Giftpillen, die sie schlucken sollten, wenn sie gefasst wurden."

"Dann tötete er sich also zuerst", bemerkte ich mehr zu mir selbst als zu ihm, "Und da der Zweite ziemlich an seinem Partner zu hängen schien, folgte er seinem Beispiel und ist von der Brücke gesprungen."

"Weil er so auch noch die Chance hatte, dich zu verletzen, bevor er sich in den Tod stürzte", vollendete Pietro meine Beobachtung, ohne mich anzusehen.

"Es tut mir leid", bemerkte ich vorsichtig, während ich spürte, wie die Gewissensbisse mich förmlich zerrissen, "Du hättest ihn locker aufhalten können, wenn du mich nicht erst retten und dann sicher absetzen hättest müssen."

"Wir hätten sie darüber befragen können, wie sie uns hier gefunden haben und was Hydra vorhat", bemerkte Pietro nur, ohne auf meine Entschuldigung einzugehen, weshalb ich mich noch schrecklicher fühlte.

"Ich weiß, es tut mir wirklich leid", wiederholte ich ehrlich, wobei ich den Impuls unterdrückte, ihn zu berühren, um ihn zu besänftigen. 

Wahrscheinlich war das gerade das Letzte, das er wollte.

"Wieso bist du überhaupt alleine hierum spaziert?", forderte er zu wissen, während er sich erhob und mich wütend ansah.

"Ich..." Für einen kurzen Moment war ich zu erschrocken, um Worte zu formulieren, und ehrlich gesagt fühlte ich mich, als würde ich jeden Moment in Tränen ausbrechen, unterdrückte dieses Empfinden jedoch mit aller Kraft. "Ich dachte, es wäre sicher. Es tut mir leid."

Einen Moment lang flackerte die Wut noch in seinen Armen auf, dann überwand er auf einmal blitzschnell den Abstand zwischen uns und umarmte mich so fest, dass ich mich kaum noch bewegen konnte. Obwohl meine vom Sturz wunde Wange schmerzte, weil er mich so an sich presste, ließ ich mich ohne Widerstand in seine Arme fallen und spürte, wie die ganze Anspannung langsam von mir anfiel und mich gleichzeitig eine Vielzahl an Emotionen überrollten.

Mir entkam ein lautes Schluchzen, aber scheinbar war ich dann doch selbst zum Weinen zu erschöpft, also klammerte ich mich an seinen Pullover, sog seinen beruhigenden Geruch ein und stand einfach nur da, bis ich schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich aufhörte zu zittern und er sich von mir löste, jedoch seine Hände auf meinen Schultern liegen ließ.

"Ich hätte nicht wütend werden sollen", stellte er in einem ruhigen, entschuldigenden Ton fest, "Wir haben uns nur solche Sorgen um dich gemacht."

"Wir?"

Als wäre ihm seine Schwester erst jetzt wieder bewusst geworden, richtete sich Pietro kerzengerade auf und sah mich verblüfft an.

"Wanda hat die andere Hälfte der Stadt nach dir abgesucht. Wir sollten ihr Bescheid sagen, dass es dir gut geht, bevor sie noch die ganze Nacht weitersucht."

Ich nickte und machte einen schwankenden Schritt nach vorne, weshalb er sich ein Schmunzeln unterdrücken musste. 

"Also, wenn wir in diesem Tempo zu ihr laufen, sind wir nächste Woche bestimmt da."

Ich lächelte entschuldigend, wobei ich eigentlich nur froh darüber war, dass er wieder scherzen konnte, und versuchte mich an einem weiteren, schnelleren Schritt, doch er kam mir zuvor, indem er sanft seine Arme um mich legte und mich hochhob, wobei er so behutsam war, dass ich es kaum spürte.

"Vielleicht wird es ja unsere neue Tradition, dass ich dich so herumtrage, Princessa*", bemerkte er leise, was ein seltsames, aber schönes Gefühl in mir auslöst, "Und wenn du dich erholt hast, bringe ich dir erstmal das Kämpfen bei."


//*Geschrieben:  Принцесса -> Als Lautsprache Princessa -> russisch für "Prinzessin" (ich wollte einen Kosenamen in Pietros Muttersprache für sie wählen, da ich fand, dass das nach etwas klingt, das er sagen würde und ich es irgendwie persönlicher fand. Sokovisch (es gibt im deutschen keinen offiziellen Begriff für die Sprache, aber ich habe sie für diese ff so benannt) ist zwar nicht russisch, benutzt jedoch in den Filmen ebenfalls das kyrillische Alphabet und hat gesprochen (wie man es z.B. in Wandavision hört) Ähnlichkeiten mit russisch, bulgarisch, der serbischen Sprache und einigen weiteren Sprachen, benutzt sogar teilweise gleiche oder sehr ähnliche Wörter. Da ich kein ganz neues Wort erfinden wollte, habe ich einfach eine russische Übersetzung genommen, die in dem Universum dieser Fanfiction in sokovisch eben genauso lautet.

Frage 1: Was haltet ihr von Maria?

Frage 2: Wie fanden ihr die Action Szene(n)? Ich bin bei Action immer etwas unsicherer als bei anderen Arten von Szenen, da ich es weniger häufig schreibe und ich finde, dass das wohl die eine Art von Szene ist, die man in Filmen besser umsetzen kann als in Büchern (obwohl viele Autoren es natürlich auch in Büchern wundervoll umsetzen).

Darüber hinaus könnt ihr wie immer gerne Rückmeldungen, Theorien, Fragen, Ideen oder alles mögliche in die Kommentare schreiben, ich freue mich immer über jede einzelne Nachricht.

Dieses Kapitel ist für @lyx_arnereth und alle anderen, die sich etwas Action gewünscht habe. Ich hoffe, ich habe dich/euch hiermit nicht enttäuscht! :)

Übrigens: dieses Kapitel ist bis jetzt das längste (hätte ich, als ich damit angefangen habe, überhaupt nicht erwartet).//

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