1. Kapitel: "Die coolen Kids von damals, das waren wir."

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Es ist ein Segen, Iara zur Freundin zu haben. Mika und ich sind uns darin von Anfang an einig gewesen. Sie hat uns damals miteinander bekannt gemacht. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, als ich den Blondschopf kennenlernte.
Iara deutete mit dem Kinn minimal in seine Richtung.
„Das ist Mika."

Die spitz zulaufende Form seiner Ohren verlieh ihm etwas Elfenhaftes, besonders in Kombination mit seinen überdurchschnittlich geschwungenen Augenbrauen.
„Hi", begrüßte er mich, nachdem er sich auf Iaras Einladung hin zu uns gesellt hatte. Mika war bei seinem Zehntklässler-Abschluss schmächtiger als heute, doch er hatte schon kräftige Finger, das spürte ich als er mir die Hand reichte. „Ich glaube, wir kennen uns noch nicht." Er stellte sich mir vor. Bis dato hatte ich nur Geschichten über ihn gehört. Umgekehrt musste es genauso gewesen sein, Iara hatte ihm sicher auch von mir erzählt.

Ich ließ meine Flasche Somersby sinken und wischte mir über den Mund.
„Pari", verriet ich ihm meinen eigenen Namen.
„Freut mich." Er grinste und in seine grünen Augen schlich sich ein freudig lebendiges Funkeln. Ich erwiderte sein Lächeln. Kurz kontrollierte ich, ob verschmierter Lippenstift an meinen Fingerknöcheln klebte und zog verärgert eine Grimasse. Der Long Lasting Lipstick war wohl gar nicht mal so long lasting.

Mikas Blick wanderte derweil zu Iara. „Du hast deine beste Freundin aus Hamburg also doch nicht erfunden", zog er sie auf.
Iara verdrehte die Augen. Eine schlagfertige Antwort ihrerseits blieb ausnahmsweise mal aus.

„Nein, hat sie nicht", sprang ich für sie in die Bresche. Beste Freundinnen tun das füreinander – Iara und ich haben das immer füreinander getan.

Ich schlang einen Arm um ihre Taille. Nach den drei milden Alkopops, die ich getrunken hatte, wurde ich anlehnungsbedürftig. Iara, die es nicht anders von mir kannte, hauchte mir einen Kuss auf die Stirn.
Mika betrachtete mich, seine Augen glitten an meinem Körper hinab.
„Traumhaft", befand er leise.

Ich habe mir nicht ausgesucht, dass sich stets ein Funke Sinnlichkeit in meiner kurvigen Figur widerspiegelt. Keine Ahnung, ob ich mein Kreuz freiwillig bei großen Brüsten gesetzt hätte, gäbe es sowas wie einen Katalog, mit dem man sich sein Aussehen nach Wunsch zusammenbasteln könnte. Eher nicht, schoss es mir durch den Kopf. Wenn Mika mich mit solchen Blicken bedachte, war das ja in Ordnung; er war höchstens zwei Jahre älter, und er schien ganz nett zu sein. Sobald mich aber mein Geschichtslehrer wie ein Stück Fleisch begutachtete, wurde es mir unangenehm ...

„Er sieht gut aus", wandte ich mich an Iara, als Mika kurze Zeit später im Gedränge verschwunden war, um uns allen etwas härtere Drinks zu organisieren. „Obwohl sein Gesicht glatt ist wie ein Babypopo."
„Er ist vor allem ein bisschen beschränkt, aber liebenswert." Sie lächelte sanft. Mir fiel auf, wie hübsch die einzelnen zimtfarbenen Naturlocken, die sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst hatten, ihr Gesicht einrahmten.
„Er gefällt dir", äußerte ich meinen Verdacht.

Doch meine beste Freundin lachte auf.
„Ich hatte zwar noch nie eine, aber ich brauche keine Expertise, um zu wissen ..." Sie erhob ihren Zeigefinger. „Es wäre unklug, eine Beziehung nur deshalb einzugehen, weil man den anderen irgendwie heiß findet." Iara musterte mich nun so eingehend wie zuvor Mika schon. „Außerdem, sobald meine beste Freundin auf den Plan tritt, flaut das Interesse der Jungs an mir sowieso jedes Mal ab. Er gehört dir, aber er ist kein unbeschriebenes Blatt, nur dass du's weißt."

Sie nickte in Richtung einer Blondine mit blauen Augen, die krampfhaft versuchte, es so aussehen zu lassen, als wären wir die ersten gewesen, die spontan Spionage betrieben hätten. Obwohl sie uns schon skeptisch beäugte, seit Mika sich für einen Moment zu uns gestellt hatte. „Siehst du das Mädchen da? Das ist Vanessa, seine Ex-Freundin, die er eifersüchtig machen will", klärte Iara mich auf.

Ohne darauf einzugehen, dass ihr Kumpel, den sie – Zitat – irgendwie heiß fand, anscheinend ein Trauerkloß im Partylöwenkostüm war, hielt ich meine Freundin am Arm fest.
„Was soll das heißen, das Interesse an dir flaut ab, wenn ich auftauche?"
Verblüfft darüber, dass ich ganz offensichtlich nicht den blassesten Schimmer hatte, wovon sie sprach, malte sie eine Sanduhr für mich in die Luft.
„Na, es heißt genau das. Du hast zwei vielsagende Argumente, Holz vor der Hütte oder wie auch immer man das sonst noch ausdrücken kann." Iara exte ihr Bier.

Mir wurde mulmig. Das geblümte Kleid mit dem tiefen Ausschnitt war also doch eine blöde Idee gewesen. Ich schloss sofort den Reißverschluss meiner braunen Lederjacke.
Iara seufzte, als sie mitbekam, wie ich mich von der einen auf die andere Sekunde plötzlich in duckmäuserischer Manier an ihrer Seite durch die Massen bewegte. „Du bist wunderschön, Pari, das ist alles", wollte sie es beiseite wischen.

Ich aber blieb stehen, denn ich hatte etwas Wichtiges zu sagen: Ja, ich hatte einen Standpunkt zu vertreten. Iara betitelt diese Angewohnheit noch immer gern als eine meiner lästigsten.
Suchend sah meine beste Freundin sich nach mir um. Sie verkniff sich mit Müh und Not ein Augenrollen. „Was machst du? Ich dachte, du wolltest aufs Klo. In fünf Minuten müssen wir wieder zurück sein, sonst dreht Mika unsere Shots zwei anderen Weibern an."

Ernst sah ich ihr in die lindgrünen Augen.
„Die Leute hier sollten dich bewundern, Iara."
Sie lächelte, doch ich vermisste den Glanz echter Freude in ihren Augen.
„Lieb, dass du das sagst", bedankte sie sich höflich. „Aber sie werden wohl bis ans Ende aller Tage lieber deine Titten bewundern", meinte sie trocken. „Die sind aber auch beeindruckend." Iara zwinkerte mir zu.
Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Vielleicht täuschte der Eindruck und sie fühlte sich nicht halb so elend, wie sie eben noch geklungen hatte. Vielleicht ...

Ich schloss mit mehreren Tip-Toe-Schritten zu ihr auf.
„Ganz ehrlich, Iara."
Meine Freundin umarmte mich und ich drückte sie fest.
„Ich hab dich lieb, Pari", nuschelte sie und ich lächelte.
„Ich dich auch, Süße."

Auf der Toilette warf ich einen Blick in den Spiegel. Die romantischen Locken, die ich mir am Nachmittag ins Haar gedreht hatte, verloren langsam an Form. Ich wuschelte hindurch, sodass meine Wellen wieder besser zur Geltung kamen. Der rosafarbene Lippenstift hatte sich tatsächlich passabel gehalten. Nur dafür hatte sich mein Eyeliner ärgerlicherweise abgestempelt. „Manno, du treulose Tomate", schmollte ich Iara an, neben der ich mir wie das hässliche Entlein vorkam. Für ihre langen Beine würde ich wirklich töten. Und für ihre Wangenknochen. Die Aknenarben konnten für mich an ihrer Schönheit absolut nichts ändern. „Wieso sagst du mir nicht, dass mein Augenmakeup verschmiert ist?", jammerte ich und kramte ein Abschminktuch aus meinem Notfallkit.
„Ist es das?", fragte Iara geistesabwesend. Sie tippte auf ihrem Handy herum.

„Wem schreibst du?" Ihr geheimnisvolles Schmunzeln machte mich gleich doppelt neugierig.
„Ach, mit niemandem. Dem kleinen Bruder eines Kumpels."
„Wie viel kleiner?"
Iara zuckte nach wie vor grinsend die Schultern.
„Unser Alter? Mikas Alter? Ist doch egal, wie sieht's bei dir in Sachen Liebe aus? Schenkt Samuel dir inzwischen ein bisschen mehr Beachtung?"

Wenn sie wirklich dachte, so leicht käme sie mir davon, täuschte sie sich gewaltig.
„Wie heißt er? Hat das was mit dieser Rapcrew zu tun, die dir deine Schwester vorgestellt hat?"
„Du zuerst", wollte sie sich rauswinden, doch ich schüttelte den Kopf.
„Also gut, ja. Es ist der Bruder von einem aus der Band, er heißt Harvey", gab sie nach.
„Ist er süß?" Iara lächelte nur verschwiegen. „Okay, er ist süß", stellte ich fest.
„Erzähl von Samuel und dir", überging sie mich.
„Erst gehe ich für kleine Mädchen."
Iara schob die Unterlippe vor.
„Du bist fies."
„Und du bist ungeduldig." Ich warf ihr eine Kusshand zu und verschwand in der Kabine, wo ich mir meine nächsten Worte genaustens zurechtlegte.

Die Schmierereien an den Wänden, die Penisbildchen, Telefonnummern und selbstausgedachten Gedichte, blendete ich aus.
Zwischen Samuel und mir lief so ziemlich exakt gar nichts. Leider hatte ich mich auf der Abschlussfahrt unsterblich in ihn verknallt und war noch lange nicht bereit, meine Fantasien von einer möglichen Märchenromanze zu begraben.

„Samu und ich sind füreinander bestimmt", posaunte ich also drauflos, als ich die Tür wieder öffnete. Leider stand mir nicht Iara gegenüber. „Oh", hauchte ich peinlich berührt. „Ich dachte, du wärst –"
„Die Nervensäge, mit der du auf unserer Klassenabschiedsparty abhängst? Nein."

„'Tschuldige", murmelte ich.
Mikas Ex-Freundin funkelte mich wütend an, als ich mich im schmalen Gang an ihr vorbeischob. Ich war fast draußen, da schnalzte Vanessa mit der Zunge.
„Toll, jetzt hast du mich angerempelt."
Empört fuhr ich zu ihr herum.
„Das kann überhaupt nicht sein, ich war das nicht. Ich bin nicht mal in deiner Nähe."
„Klar warst du das. Du bist doch in jedermanns Nähe mit diesen dicken Hupen", giftete sie mich an.
„Habe ich dir irgendwas getan?", fragte ich sie mit bebender Stimme.

„Mika hat dich angeguckt, deswegen ist sie eingeschnappt", durchschnitt Iaras Stimme scharf die Luft. „Lass meine Freundin in Ruhe, Vanessa", warnte sie ihre ehemalige Klassenkameradin.
„Keine Sorge. Ihr passt exzellent zusammen: Zwei nervtötende Schlampen." Sie stolzierte an uns vorbei.

Fassungslos blickte ich ihr hinterher.
„Mit der war Mika mal zusammen?", hakte ich ungläubig nach und deutete in die Richtung, in die Vanessa abgezischt war.
„Ich weiß", nickte meine beste Freundin. „Früher war sie okay, aber seit sie mit ihm Schluss gemacht hat, ist sie gemein zu mir und zu jedem, mit dem Mika was zu tun hat. Weil sie ihn noch liebt, schätze ich. Na ja, man steckt nie drin, nicht wahr? Sorry, dass du ihre Attacke einstecken musstest, Lena brauchte draußen Hilfe. Von ihrer Bluse ist ein Knopf abgefallen, zum Glück hatte Betty eine Sicherheitsnadel für sie."
„Schon okay, du kannst ja nichts dafür." Ich wickelte mich fest in meine Jacke, während wir in den Innenhof zurückkehrten.

Das gleißende, künstliche Licht draußen verbrannte mir beinah die Netzhaut. Sie hatten einen Flutlichtscheinwerfer angeschaltet. Ich blinzelte. Auf den Toiletten waren die Lampen gedimmt gewesen und den Club selbst erhellten höchstens bunte, fadendünne Laser.

Iara nahm Mika die Tequila-Shots aus der Hand, mit denen er bereits auf uns wartete, und reichte mir einen davon, bevor sie ihren direkt runterkippte.
„Mach langsam", riet er ihr, doch sie nahm ihm seinen eigenen ebenfalls ab und schüttete ihn hinterher.
„Vanessa ist eine blöde Kuh, sie ist deine Liebe überhaupt nicht wert", erklärte sie und ich nickte automatisch.

Mika überging unser Urteil. Er wandte sich mir zu.
„Was ist mit dir? Hast du Interesse?"
Fast verschluckte ich mich an dem Shot, der in meiner Kehle höllisch brannte.
„An einer Fernbeziehung?", lachte ich nervös und spürte Hitze in mir aufsteigen. Mika starrte mich verdutzt an. „Ich wohne in Hamburg, schon vergessen?", schob ich nach. Er nickte langsam und prostete mir zu.
„Nett von dir, dass du wenigstens nicht im Prinzip nein gesagt hast."
„Aus Prinzip", korrigierte Iara ihn.
„Grammatik-Nazi", murrte er.

„Ich weiß nicht, wie gut deine Chancen stehen, Dude. Pari hat ihren Traumprinzen längst gefunden", setzte Iara ihn ins Bild. „Er weiß nur noch nichts von seinem Glück."
Mika zog spöttisch eine Elfenaugenbraue hoch. Ich wäre vor lauter Scham am liebsten im Erdboden versunken.
„Du solltest dir Mut antrinken und ihn anrufen", befand Iaras Kumpel, wofür sie ihm eine klatschende Nackenschelle verpasste. „Au!"
„Das wirst du schön bleiben lassen!" Iara tippte mir bedeutsam mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze.
„Botschaft ist angekommen", versicherte ich ihr rasch.

Iara musterte ihren Kumpel traurig.
„Ehrlich, Mika-Pika. Vanessa hat uns beide gerade als Schlampen beleidigt und sie kennt Pari nicht mal."
„Sie hat was?", fragte er gereizt.
„Ich mein's nur gut mit dir." Iara sah ihn eindringlich an.
„Glaub ich dir", erwiderte er und blickte grüblerisch hinüber zu Vanessa.

„Sie hat dich abserviert, um ihr Image aufzupolieren", konfrontierte sie ihn mit der grausamen Wahrheit. Manchmal ging sie zu weit, dachte ich. „Seit du häufiger mit Betty, Lena und mir rumhängst, bist du nicht mehr der Beliebteste."
Als sie das sagte, zog mein Magen sich schmerzhaft zusammen.

Von Iara wusste ich, dass Mika sie nie gemieden hatte, obwohl der Rest ihrer Klasse sie konsequent ignorierte. Sie glaubte anfangs noch, er wüsste überhaupt nicht, dass er dadurch seinen guten Ruf bei den anderen verspielte. Doch wie sich bald herausstellen sollte, war ihm klar, was er da tat. Er fand es albern, dass die Klasse Iara ausschloss und schaffte die Gerüchte aus der Welt, die man über meine beste Freundin in Umlauf gebracht hatte. Mika fand Mobbing bescheuert. Er mochte einfach gestrickt sein, aber er war loyal, großherzig und am Ende des Tages ein guter Mensch mit begründeten Moralvorstellungen.

„Okay okay, schon kapiert." Er suchte am Boden des Schnapsglases nach einer guten Erinnerung an seine Ex-Freundin. Als er nichts Derartiges in der winzigen Pfütze Tequila auftreiben konnte, sah er aus leeren Augen uns an. „Schmeißt ihr 'ne E mit mir und wir tanzen?"
„Bitte nicht", meinte Iara leise.
„Wieso nicht? Macht doch eh alles keinen Sinn." Mika fummelte ein Tütchen mit bunten Pillen aus seiner Hosentasche. Nachdem Iara abgelehnt hatte, bot er mir das Ecstasy an. Ich schüttelte langsam den Kopf.

„Hör mal, wir können uns doch einfach weiter betrinken, oder?", schlug ich vor.
Mikas Pupillen huschten von mir zu Iara, dann wieder zurück zu mir. Er steckte die Es wieder ein.
„Tanzt ihr trotzdem mit mir?"
Iara lachte.
„Okay, du Spinner. Lass uns tanzen." Sie ergriff meine Hand und zog mich auf die Tanzfläche des angemieteten Clubs.
„Ich wünsch mir 'nen Song beim DJ!", brüllte Mika, um den Radio-Technosound zu übertönen. Iara nickte heftig und reichte mir einen babyblauen Cocktail.
„Swimming Pool!", erklärte sie knapp. Ich nahm ihr das Glas ab und lächelte, als auf Mikas Geheiß hin ein Song aus den Boxen dröhnte, den ich sogar aus Iaras Spotify-Playlist kannte. Was von dieser Band, die fast wie die sozialdemokratische Partei hieß.

Hätte mir jemand damals gesagt, dass ich mit Mika und Iara später in eine WG ziehen würde, hätte ich ihn vermutlich stumpf angegafft. Die beiden waren so ... Berlin. Sie gehörten in die Stadt, die ich mit dreizehn notgedrungen verlassen hatte. Ich wusste nicht, dass ich nur einen Monat nach meinem Kurztrip zu dieser Party auf unbestimmte Zeit in meine Heimat zurückkehren würde.

So schön kaputt

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