34. Kapitel: "Komm, wir hauen einfach ab."

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Im schwindenden Tageslicht sahen Iaras verhärtete Züge etwas weicher aus. Wir saßen zu zweit auf der Dreisitzer-Hollywoodschaukel. Mika räumte in der Küche noch das Besteck vom Abendessen in den Geschirrspüler. Die Musik von Fynn Kliemann, die er dabei hörte, segelte leise über unsere Köpfe hinweg, hinunter in die anbrechende Nacht, und vermischte sich mit dem Jammern und Wehklagen der Nachbarskatzen, die im Hinterhof miauten, als wollten sie den Menschen ihre traurige, lang einstudierte Ballade vortragen.

„Versuch bloß nicht, das zu beschönigen", stoppte Iara mich, bevor ich überhaupt die Chance hatte, mich in irgendwelchen herbeigestotterten Rechtfertigungen zu verlieren. Sie lehnte sich mit dem Oberkörper vor und sah mir intensiv in die Augen. „Ihr habt eine Grenze überschritten. Was denkt ihr euch dabei, deinen Eltern vorzuspielen, ihr wärt ein Pärchen? Deine armen Eltern!", schob sie aufgebracht hinterher und ich wandte mich ab.„Du hättest nein sagen sollen, aber um fair zu bleiben ...", unterbrach sie sich. „Er hätte dir das gar nicht erst vorschlagen dürfen. Wenn ihr casual miteinander sein wollt, dann seit auch casual und macht nicht einen auf Liebespaar. Ihr verwirrt euch doch mit Absicht." Entnervt pustete Iara sich eine Locke aus dem Gesicht und band ihre Löwenmähne geübt zu einem lockeren Zopf zusammen. „Gib's endlich zu, inzwischen willst du dich in ihn verlieben. Deswegen lässt du ihm diese ganze Scheiße durchgehen."

„Als ich dir gerade davon erzählt habe, war's eigentlich als witzige Anekdote gedacht", resignierte ich.
„Das ist aber nicht witzig, ihr seid euch viel zu nah für ‚nur Sex'", pfefferte sie mir ihre Meinung um die Ohren. „Was seid ihr?! Ist das Freundschaft Plus? Seid ihr Kuschelkumpel, die emotionale Matratze des jeweils anderen, eine Fick-Zweckgemeinschaft –"
„Woah!", grätschte ich in ihre Aufzählung rein. „Sei doch nicht so harsch, dafür gibt es keinen Grund."
„Wirklich nicht?", konterte sie interessiert. „Du ..." Sie tippte sie mir auf die Brust. „... weißt Dinge über Dag, die höchstens seine Freundin über ihn wissen würde, wenn er denn eine hätte. Er hat aber keine! Und – Newsflash! Du bist das, was am nächsten für ihn an eine feste Freundin rankommt."

„Iara, es wäre nett von dir, wenn du das einfach uns überlassen könntest", bat ich sie so leise wie bestimmt. Sie schnaubte und faltete verzweifelt die Hände vor der Brust.
„Jesus, Lord, hilf mir", murmelte sie.
„Zickt ihr euch an?", fragte Mika unschuldig. „Weil, dann kann ich in mein Zimmer gehen und –" Meine beste Freundin winkte ab.
„Nein, komm her. Ich brauche jemanden zum Knuddeln, weil Pari nämlich doof ist." Sie streckte mir die Zunge raus.

Ich funkelte sie böse an und breitete die Arme in Richtung Mika aus.
„Iara ist gemein zu mir, hab mich lieb", forderte ich ihn schmollend auf. Unser Mitbewohner seufzte tief. „Macht mal Platz." Er fiel in die Mitte zwischen uns. Die Hollywoodschaukel ächzte. Mika legte uns beiden einen Arm um die Schultern.
„Wo brennt's denn?"

„Pari und Dag spielen mit ihren Gefühlen, das macht mich rasend", antwortete Iara schneller als ich auch nur einen meiner Gedanken hätte in Worte fassen können.
„Om", summt Mika das bekannteste Meditationsmantra. „Das ist deren Sache", schlug er sich auf meine Seite und ich wollte gerade in ein triumphierendes Grinsen ausbrechen, als er sich zu mir umdrehte. „Aber hört auf damit."

„Ihr könnt nicht Dritte mitreinziehen in euren komischen Pakt, verstehst du?", bemühte Iara sich um die Einfühlsamkeit, die ihr in ihrer Wut abhandengekommen war. „Deine Eltern denken jetzt, du hättest seit sechs Monaten einen Freund, von dem du ihnen nichts erzählt hast und eure Vertrauensbasis war davor schon total geschwächt."
„Ich geb's ja zu, war nicht unser bester Schachzug", murrte ich.
Iara und Mika schüttelten beide den Kopf.

Mein vibrierendes Handy erlöste mich aus der Situation. Die Nachricht stammte von Dag. Neugierig tippte ich auf das Foto, um es mir genauer anzusehen. Die Buchungsmaske einer Fluggesellschaft. Paris, Frankreich. Zwei Tickets. Lass uns abhauen, wir brauchen beide Urlaub, hatte er drunter geschrieben.

„Nein, Pari", mahnte mich Mika streng . Ich presste erschrocken mein Smartphone an die Brust. „Entschuldige mal, ich lunz dir doch auch nicht in deine privaten Nachrichten rein, oder?", bellte ich heiser.
„Was steht denn da?" Iara verrenkte sich beinah, um einen Blick auf das Display zu werfen.
„Dag will mit ihr nach Paris fliegen", klärte Mika sie unverblümt auf.
„Oh mein Gott; nein, Pari, einfach nein", gab Iara ihr Statement dazu ab.

Mit einem kalten Lächeln auf den Lippen, öffnete ich den Chat und legte den Daumen auf das Mikrofonsymbol rechts. „Okay, bin dabei", sagte ich zu und schickte die Sprachnachricht ab.

„Du hast nicht gerade –", fauchte meine beste Freundin.
„Doch." Ich wusste, dass es eine pure Trotz-Reaktion war, aber das war mir egal, ich würde mich nicht von Iara bevormunden lassen, so lieb ich sie auch hatte.
„Schande über dich, Schande über deine Familie, Schande über deine Kuh!" Iara schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. „Mika", lamentierte sie langgezogen. „Ich will die unschuldige, süße Pari zurück!"
„Die ist ausgezogen."
„Warum seid ihr so?", überging sie ihn und fragte mich stattdessen, fast trübselig.
„Dass du dir solche Sorgen machst, ist lieb von dir." Ich sah ihr ernst in die Augen. „Aber wir kriegen das hin."

„Ich fliege mit ihm nach Paris, um herauszufinden, was ich wirklich will!", verteidigte ich mich ein paar Tage später erneut. „Lass mich meine eigenen Entscheidungen treffen, Iara", blaffte ich sie an und feuerte das blaugemusterte Sommerkleid in den Koffer, das ich zum Tourabschlusskonzert getragen hatte.
„Hauptsache, du findest es dort dann auch endlich raus", knurrte meine beste Freundin unzufrieden und setzte sich auf mein Bett. „Ich mache mir Sorgen; um dich, und um ihn."
„Dann hör auf damit, wir kriegen das beide auf die Kette, du wirst schon sehen."

„Ich weiß doch nur einfach, wie das ist, wenn man sich in denjenigen verliebt, mit dem man eigentlich nur schlafen wollte", murmelte sie.
„Bei allem Respekt für deine Beziehung mit Tua, aber ich bin nicht du und Dag ist nicht er. Du kannst das nicht miteinander vergleichen", stellte ich klar und schmiss ein paar Make-Up-Utensilien in meine Kosmetiktasche. Iara schnalzte mit der Zunge.
„Komm schon, so unähnlich sind wir uns nicht."
„Doch", widersprach ich. „Wir erwarten völlig verschiedene Dinge von unseren Partnern. Ich brauche einen, der hin und wieder einen Finger krumm macht, um mich auf eine romantische Art und Weise zu überraschen. Ich mag Blumen und Pralinen und ich will sie nicht nur zu Beziehungsjubiläen, sondern immer. Für mich gibt es kaum etwas Schöneres als ein ernstgemeintes Kompliment dafür, dass ich mich hübsch gemacht habe. Dag ist nicht der Typ für sowas", schloss ich.

Iara lachte.
„Habt ihr euch mal kennengelernt zwischendurch? Oder seid ihr einander nur an die Wäsche gegangen? Pari ..." Sie nahm meine Hände. „Er ist genau der Typ für sowas." Mir wurde warm ums Herz und ein Kribbeln setzte ein, als sie noch hinzufügte: „Ich bin mir sicher, dass dir das unterbewusst aufgefallen sein wird, zu irgendeinem Zeitpunkt. Glaub mir, er ist Boyfriend Material."

„Ich weiß", seufzte ich nachgiebig. Es nochmal aus ihrem Mund zu hören, verunsicherte mich zusätzlich. Natürlich spürte ich, dass Dags natürliche Neigung nicht in Richtung locker-flockig ging. Er hatte es mir sogar selbst gesagt.
„Und wenn er sich eine Beziehung mit dir vorstellen kann?", fragte Iara. „Ändert das denn wirklich gar nichts für dich?"
„Was soll das ändern? Ich kann mir keine Beziehung mit ihm vorstellen." Iara ließ den Kopf hängen, sie wirkte geknickt.
„Ich dachte, du kannst dir vielleicht nur keine vorstellen, weil du glaubst, er könnte sich keine vorstellen." Liebevoll strich ich ihr eine Locke hinters Ohr.
„Hör mal, Süße. In neun von zehn Fällen schätzt du mich richtig ein." Sie lächelte. „Aber hier geht es um mehr", erläuterte ich. „Dag ist öfter mal über längere Zeit weg. Das ertrage ich nicht. Ich würde mich zu sehr nach ihm Sehnen, es würde mich auffressen. Eine Musikkarriere in dem Ausmaß fordert ihre Opfer."

„Du dramatisierst das", versuchte sie mich zu besänftigen, obwohl ich mich noch gar nicht in Rage geredet hatte.„So schlimm ist es nicht."
„Bitte", flehte ich. „Versetz dich doch einmal in meine Lage. Ich will auf keinen Fall monatelang von dem Menschen getrennt sein, den ich liebe. Und das dann noch mit dem Hintergedanken, dass er auf der Bühne vor Reihen Frauen steht, die ohne zu zögern mit ihm schlafen würden. Ich kann das nicht. Du bist damit aufgewachsen, du bist es gewohnt –"
„Eben. Ich weiß, wie Musiker ticken, okay? Und ich gebe zu: Groupies sind ein schwieriges Thema. Tua sagt, sie sind seltsam und manchmal ein bisschen gruselig. Aber sie sind eher so die B-Ware. Sich wegen denen zu sorgen, bringt nichts."
„Ich will das gar nicht hören."
„Ich meine ja bloß", erwiderte Iara. „Du machst dir Gedanken über eine Beziehung, die keine ist. Das sagt doch eigentlich schon alles."

Kopfschüttelnd griff ich nach zwei Faltenröcken.
„Ich habe ein paar Mal darüber fantasiert, aber das ist normal, oder? Wissenschaftler haben erwiesen, dass Frauen eher dazu neigen, emotionale Bindungen zu den Männern aufzubauen, mit denen sie Sex haben. Irgendwas mit Hormonen, die der Körper dabei ausschüttet."
„Du fantasierst über eine Beziehung mit ihm?"
„Meine Güte, ich fantasiere mir auch Hochzeiten mit süßen Kerlen aus der S-Bahn zusammen, das hat nichts zu bedeuten." Zum Ende hin nuschelte ich immer stärker.
„Abgesehen davon, dass du mit Dag schläfst und die Männer in deiner Bahn nur Fremde sind, hast du Recht – Macht nicht den geringsten Unterschied", merkte Iara sarkastisch an.
„Schon gut, du hältst mich für bescheuert, ich hab's kapiert", kapitulierte ich.
„Nein", ruderte sie zurück. „Aber du rennst in dein Unglück und er im Übrigen genauso."

Ich dachte noch an ihre Worte, als Dag und ich uns am Freitag auf dem Flughafen trafen. Was für ein grandios beknackter Einfall. Kein Wunder, dass ich zugesagt hatte. Es sah mir ähnlich, mich kopfüber in verrückte Dummheiten zu stürzen.

„Gate 22 ..." Dag schaute sich in der Halle um, auf der Suche nach Hinweisschildern, die uns den Weg in unser Verderben weisen würden.
„Diese Richtung", grummelte ich in meinen Kaffeebecher und zeigte links mit dem Finger über seine Schulter.
„Korrekt", bestätigte er, kehrte zurück zu unserem Gepäck-Trolley und schob ihn an. Er kam kaum drei Schritte weit, weil er merkte, dass ich ihm nicht folgte.

Wie angewurzelt stand ich dort auf dem Fleck und fragte mich, was ich hier eigentlich machte. Wieso saß ich nicht zu Hause mit einem Manga auf dem Schoß in meinem Lesesessel am Fenster, oder holte frischgebackene Zimtschnecken aus dem Ofen?

„Bist du mit offenen Augen und im Stehen eingeschlafen?", fragte er amüsiert. „Falls ja, lehr mich deine Superkraft." Er ließ den Wagen los und ging auf mich zu, die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben. „Was ist?" Ich schluckte, dann sah ich zu ihm auf.
„Hältst du das für eine gute Idee?"

Dag erwiderte nachdenklich meinen Blick.
„Nein, überhaupt nicht, um ganz ehrlich zu sein."
„Was tun wir dann hier?", krächzte ich. Er zog mich wortlos zu sich. Zu müde, um mich dagegen zu wehren, ließ ich es geschehen.
„Das mit uns kann nicht so weitergehen. Du weißt das."
Ich nickte und ignorierte, dass es wehtat, die Wahrheit zu hören. Wir standen da, Stirn an Stirn gelehnt. Er hob mein Kinn an, sah mir in die Augen und küsste mich. Es fühlte sich an, wie eine Entschuldigung.

„Komm schon, lass uns gehen", forderte er mich auf, nachdem wir uns voneinander gelöst hatten, doch ich schlang beide Arme um seinen Nacken und setzte fort, was er angefangen hatte. Wenn es nicht so kompliziert gewesen wäre, hätte es so einfach zwischen uns sein können.

Wir waren elftausend Kilometer über dem Boden und ich hatte mein Skizzenbuch aufgeschlagen, während Dag an mich gelehnt schlief. Es waren die Umrisse zweier Jungen in Paris auf dem Blatt zu erkennen, die sich vor dem Eiffelturm leidenschaftlich küssten. Das Bild gefiel mir bisher, aber meine Konzentration riss immer wieder ab, also hatte ich den mechanischen Bleistift für den Moment beiseitegelegt.

Irgendetwas würde schiefgehen auf diesem Wochenend-Trip, ich spürte das.

Unruhig rieb ich über meinen steifen Nacken und hauchte Dag einen Kuss auf die Stirn, ohne wirklich zu wissen, was ich da tat. Als ich realisierte, wie unpassend die Geste für unseren Status war, schämte ich mich im Stillen. Es war genau, wie Iara gesagt hatte: Wir verwirrten uns. Und zum ersten Mal, ließ ich den Gedanken zu, dass wir genau das taten, um unsere Gefühle für den jeweils anderen zu verschleiern.

Kurz für immer bleiben

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