2. Verhängnisvolle Einbildung oder grauenvolle Realität?

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Entsetzt schnappte Mona nach Luft. Das war doch unmöglich! Starr vor Schreck entgegnete sie den hungrigen Blick des Monsters, welches ihr Leben zuvor noch in ihrem Traum bedroht hatte. Ungläubig blinzelte das Mädchen. Träumte sie das alles etwa bloß? Übernahmen ihre Fantasien gerade die Überhand über ihr Bewusstsein und sie bildete sich das Ganze nur ein? Oder war sie einfach verrückt geworden? Ohne die unheimlichen Augen aus dem Blick zu lassen, hob sie zitterig die Hand und kniff sich, so fest sie konnte, in den anderen Arm. Der Schmerz wanderte durch ihren vor Angst völlig verspannten Körper, sodass sie für einen kurzen Moment elendig das Gesicht verzog. Doch anstatt dem blauen Fleck Achtung zu schenken, der sich nun auf ihrer Haut gebildet haben musste, schloss sie für wenige Sekunden die Augen und betete innerlich darum, dadurch gleich wieder in ihrem Bett zu erwachen. Das ist alles nur ein Albtraum, wie sonst auch!, sprach Mona in Gedanken zu sich selbst, um sich zu beruhigen. Alles ist in Ordnung! Das kann einfach nicht die Realität sein! Gleich werde ich wieder aufwachen und feststellen, dass meine Angst mal wieder völlig unbegründet war! Nur keine Panik!

Bevor sie ihre Sicht jedoch wieder auf die Umgebung lenken konnte, dröhnte das gefräßige Knurren erneut durch ihren Gehörgang, wodurch sie erschrocken die Augen aufriss und einige Schritte rückwärts taumelte. Fast wäre sie von den Stufen ins Gras gepurzelt, doch es gelang ihr, sich gerade eben noch fangen und stemmte die rechte, verschwitzte Hand in die faserige Fassade des Hauses. Das Herz schlug ihr mittlerweile bis zum Hals, während sie den Blick zitterig zum Busch hob, aus dem der grauenvolle Klang hervorgegangen war. Jegliche Hoffnung darauf, dass all dies bloß einer irren Halluzination entspräche, sackte dem Mädchen derweil in die Hose. Es war, als würde ihr die Realität einen harten Schlag ins Gesicht verpassen. Sie hatte keineswegs geträumt. Das unheimliche Wesen kauerte immer noch im Gestrüpp und seine feurigen Augen fixierten sie weiterhin so bedrohlich, als wollte es sie jeden Moment in Stücke zerreißen.

Mona schüttelte fassungslos den Kopf. Das war pure Einbildung! Das konnte einfach nicht real sein! Albträume erwachten doch nicht zum Leben, selbst dann nicht, wenn es sich haargenau so anfühlte! Und doch kam es ihr so... echt vor. Ängstlich trat sie einen Schritt zurück, ohne die Augen von dem Biest zu wenden. Das Ungeheuer stieß auf ihre Reaktion hin ein weiteres Knurren aus und ehe Mona sich versah, streckte es seine gewaltige Pranke aus dem Gebüsch hervor. Dem Mädchen wurde beinahe übel vor Schreck, als sie die vom pechschwarzem Fell überzogene Tatze erblickte, die der Größe eines menschlichen Gesichts glich. Verheißungsvoll blitzten die dazugehörigen Krallen, welche den räudigsten Tiger innerhalb weniger Sekunde zerteilen zu können schienen, in der morgendlichen Sonne auf, ehe sie begleitet von einem kratzenden Laut tiefe Kuhlen in die Erde gruben und das Mädchen geschockt die Augen weiter aufreißen ließen. Offensichtlich wartete es nur darauf, dass seine Beute endlich das Weite suchte und es sich ein brutales Spiel daraus machen konnte, dieser hinterherzujagen. Was es wohl erst einmal mit ihr anstellen würde, sollten diese schrecklichen Pranken sie unter seiner Masse begraben...

Panisch schlug Mona sich hastig die blutigen Vorstellungen aus dem Kopf, welche ihren Verstand umnebelten. Das war zu viel! Bis gerade eben hatte sie es vor Angst kaum gewagt, sich zu rühren oder gar einen winzigen Laut von sich zu geben, doch jetzt, wo sie von dem Biest bedroht wurde, konnte sie ihre Furcht nicht mehr zurückhalten. Das Mädchen kreischte entgeistert auf, wollte weiter zurückweichen und stolperte mit dem Rücken voran von der Stufe mitten ins Gras. Der plötzliche Aufprall auf der Erde, welcher nur minder von ihrem geschulterten blauen Rucksack abgedämpft wurde, ließ sie für eine Millisekunde vergessen, dass ein Monster auf sie lauerte und verzog vor Schmerz einen Moment das Gesicht, ehe sie sich der schrecklichen Gefahr erneut bewusst wurde, in der sie bis zum Hals steckte. Wie von der Tarantel gestochen rappelte sie sich auf und dachte erst gar nicht daran, den Dreck von ihrer Schuluniform zu klopfen, sondern sprintete, so schnell sie konnte, zum Gartentor. Von Panik getrieben umklammerten Monas eiskalte Finger das morsche Holz und rissen es lieblos aus, wobei sie sie sich dieses aus lauter Hektik versehentlich gegen das rechte Knie schlug. Eine pochende Welle des Schmerzes durchwucherte ihren Körper in Millisekunden und ließ ihr Gesicht fluchend vor Qual verzerren. Am liebsten hätte das Mädchen frustriert bezüglich ihrer eigenen Tollpatschigkeit gegen das kleine Tor geschlagen, doch dazu blieb ihr nicht die geringste Zeit. Als würde der Geruch von Gefahr, welcher immer noch in der Luft lag, ihr Leiden zurückdrängen und dafür ihre innere Angst vervielfachen, schluckte sie hastig den Ärger hinunter und stürmte trotz des schmerzenden Beines hinaus, ohne das Gartentor sorgfältig zu verschließen. Stattdessen ignorierte sie gekonnt ihren wehklagenden Puls, welcher nicht an das hohe Tempo gewöhnt war, während sie wie ein gehetztes Reh die Straße zu ihrer Linken entlang flüchtete.

Zur eigenen Überraschung schien ihr diese brodelnde Angst Flügel zu verleihen, denn obwohl sie für eine eher mangelnde Ausdauer im Sportunterricht bekannt war, gelang es dem Mädchen beinahe, einen Laufschritt nach dem anderen völlig problemlos zu absolvieren. Der Gedanke, das Ungeheuer würde ihr hinterher jagen, verpasste ihr einen enormen Adrenalinkick, sodass sie trotz des ständigen Keuchens, das ihr den Brustkorb schmerzen ließ, nicht eine Sekunde verschwendete, sich nach dem Wesen umzusehen.

Schnaufend erreichte sie schließlich die Bushaltestelle ihrer Siedlung und kam endlich zum Stehen. Völlig ausgelaugt lehnte das Mädchen sich an die Stange des Haltestellenschildes und wischte sich nach Atem ringend über die verschwitzte Stirn. Ihre Beine konnten sie kaum noch halten und ihr Herz trommelte so hart gegen ihre Brust, sodass sie schon fast glaubte, jeder könnte ihn mithören. Erschöpft schloss sie die Augen. Sie musste die Bestie abgehängt haben, denn weder ein bedrohliches Knurren war zu hören, noch schalteten sich ihre empfindlichen Instinkte wieder ein. Das einzige, was an ihre Ohren drang, war bloß das fröhliche Vogelgezwitscher und die ganzen angeregten Gespräche der Wartenden um sie herum, welche sie zudem erst jetzt sonderlich wahrnahm. Ein kleines, erleichtertes Lächeln umspielte ihre Lippen. Ob es eine Einbildung gewesen war oder nicht, sie war noch am Leben, um das sie gerade noch gefürchtet hatte und nur das zählte. Alles war wieder in Ordnung, und mit Sicherheit hatte ihr ihre verrückte Fantasie sowieso nur einen Streich gespielt.

Bei diesem Einfall, dass sie sich das alles nur eingebildet hatte, grinste Mona spöttisch in sich hinein. Was war sie bloß für ein entsetzlicher Angsthase? Wie konnte sie denn auch tatsächlich geglaubt haben, dass das Monster aus ihrem Albtraum zum Leben erweckt worden war? Sie war doch kein Kleinkind mehr, das an solchen Blödsinn noch glaubte! Vielleicht hat Connor ja recht und ich sollte wirklich weniger vor mir hin träumen., überlegte Mona, schob den Gedanken jedoch direkt wieder beiseite. Bestimmt war das einfach ihrem momentan unerholsamen Schlaf zu verschulden, der sie nun vollkommen durchdrehen ließ. Ja, daran würde es sicher liegen!

»Hey, Schlafmütze!« Erschrocken fuhr das Mädchen zusammen und riss die Augen auf. Ein Junge ähnlichen Alters wie sie und einer athletischen Körperfigur hatte sich mit verschränkten Armen vor ihr aufgebaut und musterte verschmitzt sie aus seinen braunen Augen durch die viereckige Brille hindurch, welche auf seiner Nase thronte. Roland, ihr bester Freund, schien wieder einmal nichts besseres im Sinn gehabt zu haben, als seiner alten Kindergartenfreundin einen Streich zu spielen. »Oh, so schreckhaft, die kleine Moni?«, feixte er, woraufhin diese stöhnend mit den Augen rollte.

»Haha.«, erwiderte sie trocken, konnte sich jedoch kein Grinsen verkneifen. Egal wie nervig und anstrengend dieser Typ doch sein mochte, so konnte sie ihm einfach niemals lange böse sein. Immerhin war er der Einzige, dem sie zu hundert Prozent vertrauen und der sie mit jeder möglichen Kleinigkeit wieder zum Lachen bringen konnte. Der fast Achtzehnjährige vertiefte sein breites Lächeln und rückte seine Brille auf der Nase zurecht.

»Wie ein kleines Hässchen.«, schmunzelte er. »Moni, das kleine Hässchen. Irgendwie passt der Name sogar zu dir, finde ich.«

»Ach, halt einfach dein Maul!«, erwiderte Mona grinsend und boxte ihrem Freund spielerisch in die Seite. »Kommt doch eh nichts intellektuelles heraus!« Roland lachte leise, während er die Hände in die Seiten stemmte und ihren Blick frech entgegnete.

»Du müsstest dir echt mal selber zuhören!«, kicherte er. »Wer von uns beiden hat letztens noch großmäulig behauptet, gar nicht mal soooo tollpatschig zu sein und ist daraufhin just in diesem Moment gegen einen Laternenpfahl gerannt? Hach, wie ich mich doch immer köstlich amüsiere, wenn ich daran denke, wie bekloppt du danach ausgeschaut hast!«
»Du bist manchmal echt scheiße, weißt du das eigentlich?«, rief Mona lachend und knuffte ihm die Schulter, musste sich innerlich jedoch heimlich eingestehen, dass der Junge mal wieder geschickt gekontert hatte. Wenn dieser Typ etwas besonders gut beherrschte, neben seinem hervorragenden Talent des ewigen Nervens, dann waren es all die kreativen Sprüche, die er auf jede erdenkliche Beschuldigung gegen ihn anzuwenden hatte.

Roland schien dies offensichtlich zu bemerken, wobei er ihren Fausthieb lachend abwehrte.
»Och,«, neckte er sie, »jetzt fällt ihr auch nichts besseres mehr zu sagen ein! Hach, es macht so unendlich viel Spaß, dich zu ärgern!«

»Merkt man, selten tust du es schließlich nicht!«, entgegnete Mona schmunzelnd und verdrehte erneut die Augen. »Anders kenne ich dich auch nicht!«

»Ich weiß.« Freundschaftlich lächelnd trat Roland näher an ihre Seite, worauf er ihr kameradschaftlich seinen Arm um ihre Schulter legte. »Aber du musst zugeben, dass du das trotzdem selbst witzig findest! Komm schon, gib's zu!« Das Mädchen spürte, wie ihr die heiße Röte ins Gesicht schoss. Sie leugnete diese Aussage normalerweise immer, doch insgeheim hatte ihr bester Freund tatsächlich recht. Auch wenn sie es oft als ziemlich nervig empfand und ihm dafür hin und wieder gerne mal eine geklatscht hätte, empfand sie seine Späße auf der anderen Seite meist recht lustig. Immerhin hatte sie dann etwas zu lachen, so oft er sich auch über sie amüsieren und sie piesacken mochte.

Sie wollte gerade den Mund öffnen, um eine passende Ausrede zu entgegnen, als sie plötzlich von dröhnenden Motorgeräuschen aus dem Konzept gerissen wurde, welches zunehmend lauter wurde, je mehr es sich zu nähern schien. Mona konnte sich gerade noch rechtzeitig umdrehen, als der Bus, auf den sie wartete, mit quietschenden Reifen an der Haltestelle zum Stehen kam. Etwas erleichtert darüber, das peinliche Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, lächelte das Mädchen den Jungen an und nickte mit dem Kopf in Richtung des Verkehrszeuges, dessen Schiebetüren schnaufend zu Seiten glitten und den Eintritt ermöglichten.

»Wie dem auch sei, kommst du?«, fragte sie ihn auffordernd, während sie sich bereits aus seiner Umarmung löste und auf den vorderen Teil des Busses zusteuerte, dessen Eingang bereits einige Schüler, sowie mittelaltrige Männer in stattlichen Anzügen und junge Frauen mit ihren verspielten Kindern passierten.

»Wurde aber auch Zeit, dass der mal kommt, ich stehe hier bereits seitgefühlt fünfzehn Minuten!«, erwiderte der Junge ein wenig genervt, bevor er Mona zügig folgte.

Nachdem die beiden im hinteren Teil des Fahrzeuges zwei nebeneinander liegende Sitzplätze gefunden hatten, verbrachten sie den Rest der Zeit hauptsächlich schweigend miteinander. Während Roland auf seinem Handy irgendein Spiel spielte, blickte Mona nachdenklich aus dem Fenster. Ihre Augen schweiften von einem vorbeifahrenden Haus zum nächsten und beobachteten hin und wieder mal den einen oder anderen Fußgänger, doch sonderlich interessiert war das Mädchen an alldem ihrer hübschen, mittelalterlichen Stadt Edinburgh nicht. Ihre Gedanken schweiften bereits wieder zum morgendlichen Ereignis im Garten und zu der ständigen Frage, ob sie nun tatsächlich verrückt geworden war oder nicht. Eine logischere Lösung war ihr bisher nicht in den Sinngekommen, weshalb sie zerknirscht überlegte, ob eventuell ein Besuch beim Arzt mit diesen Problemen sinnvoll wäre. Und wenn dieser nichts herausfindet?, geisterte ihr die nächste Frustration im Kopfumher. Oder wenn ich unheilbar gestört im Hirn bin? Wie soll ich das überhaupt meinen Eltern erklären, dass ich scheinbar unter Geistesstörungen leide? Die schicken mich doch bestimmt direkt in die Klapse!

Hunderte von Rätseln durchlöcherten gierig den Kopf des Mädchens, sodass sie erst dann auf Roland aufmerksam wurde, als dieser ihr mit dem Finger plötzlichin die Seite pikste. Erschrocken fuhr sie zusammen und strafte ihren Freund mit einer empörten Miene.
»Hey!«, protestierte sie. »Musste das gerade wirklich sein?«
»Teilweise.«, gab er grinsend zurück und strich sich dabei sein kurzes, braunes Haar zurecht. »Auf der einen Seite macht es mir nach wie vor einfach Spaß, wenn du wie ein kleines Kaninchen aus den Gedanken schreckst, auf der anderen habe ich dich soeben mehrfach angesprochen und du hast erst jetzt dadurch reagiert.«
»Oh.« Das Mädchen errötete erneut ein wenig. Sie bemühte sich allerdings, dies zu unterbinden und tat, als hätte sie ihn gar nicht angefahren.
»Okay,«, begann sie verlegen, »sorry, ich... ich war gerade etwas nachdenklich.«
»Hat man gemerkt.« Roland sah sie mit einem prüfenden Blick schief von der Seite an. Aus irgendeinem Grund schien in seinen Augen ein Glanz von Sorge zu ruhen, der ihre Haut energisch zum Kribbeln brachte. Räuspernd fuhr er schließlich fort. »Du bist heute irgendwie ziemlich still! Sonst belaberst du mich wie ein Wasserfall mit einem Haufen an Informationen, die du mir für gewöhnlich eh schon die Woche davor erzählt hattest und nun sitzt du da... und schweigst! Ich meine, diesmal wirkst du irgendwie so... keine Ahnung, so bedrückt!«

Er machte eine kurze Pause und beäugte sie aus seinen braunen Augen so sorgenvoll, dass Monas Haut stetig stärker zu prickeln begann. Sie wusste, dass er auf eine Erklärung ihrer Gefühlszustände wartete und dass sie ehrlich zu ihm sein sollte, doch als sie kurz darauf nach einer passenden Antwort suchen wollte, steckten ihr die Worte mit einem Mal im Hals fest. Zum ersten Mal war ihr unwohl dabei, Roland die Wahrheit zu gestehen, aus Angst, er würde sich zu große Sorgen um sie und ihre Psyche machen. Wenn das Mädchen etwas unter allen Umständen vermeiden wollte, dann, dass Menschen, die ihr unheimlich viel bedeuteten wie Roland, mit ihren eigenen Schwierigkeiten belastet wurden. Das Mädchen kannte den Jungen mittlerweile viel zu gut, um schon im Voraus zu erahnen, dass er keine einzige Nacht durchschlafen könne, ohne stundenlang an die Decke zu starren und sich Gedanken über ihr Wohlbefinden zu machen, sollte sie ihn tatsächlich in das grundliegende Problem einweihen.
Mona nagte heimlich auf der Unterlippe herum, ehe sie wortlos zu Boden sah und ihre vor Nervosität zitternden Hände knetete. Dabei spürte sie, wie die erwartungsvollen Blicke ihres Freundes sie wie stechende Pfeile durchbohrten, was ihre Aufregung keineswegs minderte.

»Mona?«, hinterfragte er erneut, diesmal mit einem wesentlich ernsteren Tonfall. »Jetzt mal im Ernst, ist wirklich alles okay bei dir?« Mona gab keine Antwort, nicht mal ein Zeichen, ob er recht hatte oder nicht. Unsicher produzierten ihre Zähne umso tiefere Furchen auf ihrer Lippe, in der Hoffnung, Roland würde dies nicht bemerken. Sie wusste einfach nicht, ob sie ihn tatsächlich in ihre Vermutungen, dass sie verrückt sei, einweisen und ihn dadurch mit ihren Problemen belasten sollte. Doch das Mädchen hätte nicht darum beten dürfen, dass er ihr glaubte, denn egal, wie sehr sie etwas verheimlichte, dieser Typ war ein Meister darin, die Mimik anderer Leute zu analysieren. Empathie gehörte schlichtweg zu seinen Spezialfähigkeiten, sodass er jeden Versuch, ein anderes Empfinden vorzutäuschen, schleunigst erkannte und auch jetzt hatte Mona den Eindruck, als versuchte er verzweifelt hinter den wahren Grund ihres Bedrückens zu gelangen.

Nachdem einige Minuten des Schweigens verstrichen waren, erhaschte das Mädchen aus den Seitenwinkeln, wie Roland an genervt das Gesicht verzog. Seine Geduld war nun endgültig am Ende. »Ich gebe dir jetztnoch eine Chance!«, sagte er ernst. »Entweder sagst du mir jetzt, was los ist oder du hast für den Rest des Tages Pech gehabt! Dann interessiert es mich auch nicht mehr, ob du darüber reden willst oder nicht!« Schwermütig seufzte Mona. Innerlich war sie froh darüber, dass er ihre schlechte Stimmung erkannt hatte und für sie da war. Normalerweise hätte sie es ihm auch schon längst erzählt, denn schließlich verheimlichten beste Freunde wie sie und er sich nichts. Sie zweifelte auch nicht daran, dass er ihr trotz der seltsamen Geschichte Glauben schenkte, jedoch fiel es ihr komischerweise trotzdem nicht leicht, darüber offen zu sprechen. Es ihm vorzuenthalten wäre allerdings umso weniger richtig gewesen, denn wenn es jemand verdiente, immer Ehrlichkeit zu erhalten, dann war es Roland. Tapfer fasste sie sich ihr Herz und holte tief Luft.

»Okay,«, murmelte sie letztendlich niedergeschlagen, »du hast ja recht! Mir geht es gerade auch nicht wirklich gut. Es... es ist nur, dass... dass ich nicht weiß, wie ich es dir erklären soll.« »Herr Gott, erzähl's mir doch einfach!«, seufzte Roland etwas genervt, sah sie dabei allerdings mitfühlend an und sein Ton wurde im nächsten Moment wieder sanfter. »Erzähl's mir einfach, Mona! Auslachen werde ich dich schon mal nicht und für den Fall, dass du was ausgefressen hast, was mich betrifft, dann erwarte ich erst recht, dass du es mir möglichst früh gestehst.«

»Nein, es ist nicht wegen dir!«, stritt Mona ab. »Ich, ähm... naja, ich glaube, irgendwas stimmt nicht so ganz mit mir.« Nervös starrte sie wieder auf ihre Hände, die bereits ziemlich feucht geworden waren und überlegte fieberhaft, wie sie diese Erklärung fortführen sollte. Aus den Seitenwinkel nahm sie wahr, wie ihr Freund sie zugleich verwirrt und erschrocken ansah. »Hä?«, fragte er verwundert. »Was soll das heißen, mit dir stimmt irgendwas nicht? Bist du krank oder so?«

»Das weiß ich ja auch nicht!«, erwiderte das Mädchen mit einem Ausdruck von Verzweiflung und rang ratlos die Hände. »Kann zumindest sein, deswegen zerbreche ich mir ja die ganze Zeit den Kopf.« Sie machte eine weitere Pause und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich hatte heute Nacht mal wieder einen Albtraum.«, fuhr sie nach einer Weile schließlich fort, wobei sie trübsinnig aus dem Fenster blickte. »Da war so n' unheimliches Wesen und... naja, sagen wir mal so, ich hab keine Ahnung ob ich mir das heute Morgen bloß eingebildet habe oder nicht, aber wenn das tatsächlich nicht echt war, dann bin ich hundertprozentig Reif für die Klinik, schätze ich.«

Unsicher krallte sie sich mit den Fingern am Sitz fest. Sie spürte, wie der Schweiß an dem harten Stuhl kleben blieb, doch die achtete weniger darauf, als auf Rolands verblüffte Miene. »Was?«, stieß er besorgt hervor und legte dem Mädchen seine Hand auf die Schulter. »Wieso? Warum glaubst du das? Bist du dir wirklich sicher?« Betrübt wandte Mona ihre Augen wieder zu ihrem besten Freund, dessen Gesicht von tiefster Bestürzung bedeckt war. Der Anblick verlieh ihr einen schmerzenden Stich im Herzen. Genau deswegen hatte sie es ihm nicht berichten wollen. Das Ereignis vom Morgen lastete zwar ziemlich schwer auf ihren Schultern, doch den Jungen so traurig zu sehen, tat ihr noch viel mehr weh. Am liebsten hätte sie alles abgestritten oder ihm versprochen, dass es nichts schlimmes wäre, allerdings konnte sie das nicht.

»Ich... ich weiß auch nicht, ob ich mir da sicher sein soll.«, meinte sie zerstreut. »Es... es kam mirgleichzeitig echt und anormal vor. Ich kann einfach nicht beschreiben, wie ich darüber denke, okay?« Mona stieß ein weiteres Seufzen aus und starrte ins Leere. Sie fühlte sich furchtbar. Erst der Albtraum, dann die Diskussion mit ihrer Familie, anschließend ihre vermutlichen Einbildungen und nun hatte sie Roland, ihren besten Freund, auch noch mit in ihre Probleme hineingezogen. Wie konnte ein Mensch nur so viele miese Situationen auf einmal verursachen? Als würde sie diese magnetisch anziehen.

»Was hast du denn gesehen, weswegen du glaubst, du wärest verrückt?«, fragte Roland sie so ruhig wie möglich. Das leichte Zittern in seiner Stimme entging dem Mädchen nicht, doch sie bemühte sich, darüber hinwegzuhören und atmete die Luft hörbar tief ein und aus.

»Naja...«,begann sie zögerlich und wollte ihm gerade von dem Monster aus ihren Albträumen Bericht erstatten, welches plötzlich mitten im Garten gelauert hatte, als sich die Türen des Busses von Neuem zischend öffneten. Einige Fahrgäste verließen das Fahrzeug aus den hinteren Durchgängen, während andere durch den vorderen Eingang eintraten. Normalerweise hätte Mona sich nicht davon ablenken lassen, da solche Situationen nichts besonderes für sie waren, doch dann weiteten sich ihre Augen vor Schreck. »Na super!«, murmelte sie wenig begeistert ohne die Augen auch nur eine Sekunde von dem Mädchen zu lassen, welches gerade durch den Gang spazierte. Einem Mädchen, dessen glänzend schöne, lange schwarze Haare stolz im Sonnenlicht glänzten, das durch die Fenster einen warnenden Schein auf sie warf. Der Schein, der Mona für gewöhnlich jedes Mal das Weite suchen ließ.

Das Klackern der pinken Stöckelschuhe der ungebetenen Besucherin hallten mit jedem ihrer anmutigen Schritte wie eine Alarmglocke durch den Bus, die die bedrohliche Gefahr zu verkünden schien. Monas Herzschlag beschleunigte sich. In der Hoffnung, das Mädchen würde sie übersehen, zog sie unsicher den Kopf ein und machte sich so klein wie möglich, obwohl sie wusste, dass sie gleich sowieso dem nächsten Konflikt hilflos ausgesetzt war. Als hätte das Supermodel ihre Gedanken gelesen, wandte sich ihr mit dicker Schminke überdecktes Gesicht entgegen und ihre perfekten Lippen zogen sich zu einem verachtenden Grinsen in die Länge. »Sieh an, sieh an!«, frohlockte sie mit glockenhoher Stimme schadenfroh, worauf sie mit ihrer pinken Handtasche überm Arm geradewegs auf Roland und Mona zugeschritten kam. »Wen haben wir denn da?« Unwohl drückte Mona sich fest an den Sitz, während sie sich dermaßen zusammenreißen musste, um möglichst wenig Angst auszustrahlen. Sie kannte diese Person nur zu gut, sodass sie genau wusste, dass sie nun eigentlich so schnell es ging die Flucht ergreifen sollte, wenn sie nicht schon wieder zu ihrem hilflosen Opfer fallen wollte. Doch noch ehe sie aufspringen und rechtzeitig aus dem Bus sprinten konnte, baute sich die Schwarzhaarige bereits direkt vor den beiden auf und blickte abschätzend auf sie herab. »Unsere liebe McGalen, meine kleine Lieblingsschlampe!«

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