1 - Projekte und Schöpfer

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Colbyns POV

Vor einigen Jahrhunderten waren es noch Tiere, die in Käfige gesperrt wurden und dort auf engstem Raum miteinander leben mussten. Heute sind es die sogenannten Projekte. Das sind Menschen, die in Laboren gezüchtet wurden und nur deshalb existieren, weil sie für die Reichen und Schönen arbeiten; die Schöpfer.

Ich selbst bin auch ein Projekt. P813-C.

Seit ich denken kann, lebe ich in einem Käfig aus Glas. Gemeinsam mit Lilah und Benedict. Oder wie die Schöpfer sagen würden: Mit P814-L und P815-B.

Es gibt Tage, an denen ich meine Existenz verfluche und mir wünsche, nie in diesem dämlichen Labor gezüchtet worden zu sein. Denn ganz ehrlich: Was bringt mir ein Leben in Gefangenschaft, in dem ich keine eigenen Entscheidungen treffen darf und ausschließlich den Schöpfern dienen muss?

Im Grunde genommen bin ich wie ein Sklave. Entweder ich tue das, was von mir verlangt wird, oder ich sterbe.

Auch wenn ich schon häufiger mit dem Tod geliebäugelt habe, hat mir bisher das letzte Fünkchen Mut gefehlt, um meinem Leben ein Ende zu bereiten. Wahrscheinlich müsste ich mir ein Vorbild an den Schöpfern nehmen und egoistisch sein, aber ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, Lilah und Benedict in dieser grausamen Welt zurückzulassen.

Die beiden sind alles, was ich habe. Sie sind mein Antrieb, warum ich mich jeden Morgen aus dem Bett quäle und von den Schöpfern herumschubsen lasse. Meine Familie!

Und jedes Mal, wenn ich mir das bewusstmache, sind die Tage doch nicht so kräftezehrend und schrecklich, wie zuvor angenommen.

„Na, Coby?" Lilahs Stimme reißt mich aus meinen Gedanken in die Realität zurück. „Bereit, um ein paar Schnös-, äh, ich meine natürlich Schöpfer, durch ihre Traumwelten zu begleiten?" Sie wackelt herausfordernd mit den Augenbrauen und zwinkert mir zu. „Du kannst echt von Glück reden, dass du so heiß aussiehst!"

Ich seufze. Nicht, weil mich Lilah mal wieder auf mein Äußeres reduziert, sondern weil sie mich an meinen bevorstehenden Arbeitstag erinnert hat.

Ich weiß, dass ich im Gegensatz zu vielen anderen Projekten einen Glückstreffer mit meinem Job gelandet habe, aber trotzdem fällt es mir schwer, dankbar dafür zu sein.

Die Schöpfer sind egoistisch, oberflächlich und hinterlistig. Geld spielt für sie keine Rolle. Menschlichkeit leider auch nicht.

Wäre ich nicht auf diesen Job angewiesen, um mein Überleben zu sichern, hätte ich den Posten als Traumreiseleiter schon längst aufgegeben.

„Ach komm schon, Coby! Jetzt schau nicht so, als hätten wir drei Tage nichts gegessen ..." Lilah rammt mir ihren Ellenbogen in die Rippen. Eine ziemlich blöde Angewohnheit, mit der sie versucht, mich aufzumuntern. Ohne Erfolg. „Es waren nämlich nur zwei."

An diesem Morgen hat sie wirklich ein Talent dafür, meine Laune unter den Gefrierpunkt zu treiben.

Benedict, der gegenüber von mir am Küchentisch lehnt, scheint meine Meinung zu teilen. Das entnehme ich seinem unzufriedenen Gesichtsausdruck. „Wow", schnaubt er spöttisch. „Wenn du so gut drauf bist, kannst du dich ja nützlich machen und versuchen, die Schöpfer mit deinen Comedy-Künsten zu beeindrucken."

Lilah verdreht ihre dunkelbraunen Augen. Nichtsdestotrotz steht sie von ihrem Hocker auf und tapst zu unserer Arbeitskonsole; einem riesigen Bildschirm, der in der Wand verankert ist. Kaum hat sie das Display mit ihrem Zeigefinger berührt, erscheint eine Menü-Auswahl.

Lilah wählt die Kategorie Tagesangebote aus und erhält nur einen Wimpernschlag später eine Auflistung von 24 Jobmöglichkeiten. Mit zusammengepressten Lippen scrollt sie durch die verschiedenen Arbeitsstellen, bis sie genervt verkündet: „Unseren lieben Schöpfern ist wohl heute nicht nach Comedy zumute."

„Schade", seufzt Benedict sofort, „dann musst du dir einen anderen Job suchen, Lia, wenn niemand einen Clown oder Komiker buchen möchte." Benedicts Blick wandert nun zu mir. Ich erkenne Bewunderung und Respekt in seinen Pupillen, aber auch Eifersucht und Frustration. „Kann ja nicht jeder so viel Glück mit seiner Arbeit haben, wie unser Coby, nicht wahr?"

Es ist mir unangenehm, dass er das sagt.

„Nur keinen Neid, Benne!", ermahnt Lilah ihn. „Coby ist halt der Heißeste von uns. Wahrscheinlich sogar von allen Projekten zusammen."

Während Lilah kichert, sacke ich ein Stückchen mehr in mir zusammen. Sie und Benedict sind zwar meine Familie, aber ich mag es trotzdem nicht, im Mittelpunkt zu stehen. Da gehöre ich einfach nicht hin.

„Hey!" Als hätte Lilah meine Gedanken gelesen, boxt sie mir gegen den Oberarm. „Das ist nichts, wofür du dich schämen müsstest."

„Ich weiß", behaupte ich zähneknirschend.

Mein makelloses Aussehen, mit dem ich fast schon den Schöpfern Konkurrenz leiste, kommt mir in dieser verkorksten Welt immer nur zugute. Ich hatte nie Probleme damit, Jobs zu finden und Geld zu verdienen.

Ganz im Gegensatz zu Lilah und Benedict. Wegen ihrer entstellten Gesichter und der vielen Hautverfärbungen werden sie oft von den Schöpfern abgelehnt und haben keine Chance, ihr Überleben zu sichern.

Es klingt hart, aber ohne mich und das Geld, das meine Jobs bringen, würden Lilah und Benedict sterben. Ein weiterer Grund, warum ich mir noch nicht die Pulsader aufgeschlitzt habe. Die beiden brauchen mich und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um sie zu retten.

Kaum ist dieser Gedankengang verebbt, fällt mein Blick auf das alte Holzregal, das unter der Arbeitskonsole steht. Dass wir momentan weder Essens- noch Trinkvorräte haben, macht mir Sorgen. Hoffentlich finden Lilah und Benedict bald einen Job, andernfalls wird es schwierig, die letzten zehn Tage bis zu meinem neuen Monatsgehalt zu überbrücken.

Begleitet von einem Seufzen wandern meine Augen weiter zu der Uhr, die neben dem Regal angebracht ist.

6:58 Uhr.

In zwei Minuten werde ich abgeholt, damit ich meinen Arbeitstag antreten kann.

„Also dann ..." Um mir meine Sorgen nicht anmerken zu lassen, zwinge ich mich zu einem schiefen Lächeln. „Wir sehen uns heute Abend."

Wie jedes Mal, wenn ich mich von Lilah und Benedict verabschiede, legen wir unsere Hände übereinander und halten für ein paar Sekunden inne. Mit diesem Ritual wollen wir uns gegenseitig Kraft und Energie für den Tag schenken. Und auch wenn das viele Schöpfer albern finden, funktioniert es.

„Bis später, Coby!"

„Mach's gut!"

Ich winke den beiden noch einmal zu, ehe ich mich vor die beiden schwarzen Gitterstäbe stelle, die sozusagen als eine Art Haustür fungieren.

Tiefe Atemzüge verlassen meine Lippen, während ich darauf warte, abgeholt zu werden. Im Hintergrund höre ich die Stimmen von Lilah und Benedict. Wie sie überlegen, welcher Tagesjob am besten zu ihnen und ihren Fertigkeiten passen könnte.

Noch bevor sich die beiden einigen, tritt ein junges Mädchen mit rabenschwarzen Locken und saphirblauen Augen in mein Sichtfeld. Sie steht auf der anderen Seite der Gitterstäbe und lächelt mich schüchtern an.

Ihr Name ist Juniper. Oder wie sie von den Schöpfern genannt wird: P901-J.

„Guten Morgen, Colbyn." Wie immer spricht sie so leise, dass ich sie kaum verstehen kann.

„Guten Morgen, Juniper", erwidere ich ihre Begrüßung höflich.

Seit ich vor zwei Monaten als Traumreiseleiter eingestellt wurde, begleitet mich Juniper morgens zu meiner Arbeitsstelle. Es ist ihr Job, dafür zu sorgen, dass ich pünktlich ankomme und auf dem Weg dorthin keine Dummheiten anstelle. Bisher sind wir problemlos miteinander ausgekommen und ich wage zu behaupten, dass sich das auch nicht ändern wird.

„Bitte zeige mir einmal dein rechtes Handgelenk!"

Juniper öffnet eine Luke zwischen den Gitterstäben, damit ich meinen Arm durch den Spalt schieben kann. Mit einem Scanner, der mich an eine Laserpistole erinnert, fährt sie über den Barcode, der auf meinem rechten Handgelenk eingebrannt ist.

BC-P813-C-256934.

Ich habe keine Ahnung, welche Informationen ihr der Barcode liefert, doch sie muss ihn jeden Morgen einscannen.

„Alles klar. Das wars auch schon." Juniper bemüht sich, möglichst sorglos und fröhlich zu klingen. Wie unzufrieden sie wirklich ist, verrät mir das ausdruckslose Funkeln in ihren Augen. „Dann mal los!" In der nächsten Sekunde sperrt sie mir mit einem Schlüssel die Gitterstäbe auf, sodass ich endlich aus meinem Käfig ausbrechen kann.

Kurz werde ich von der grenzenlosen Freiheit erfüllt und genieße dieses Gefühl. Allerdings nur so lange, bis mir Juniper Handschellen umlegt. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, wie sie mir bei unserem ersten Aufeinandertreffen erklärt hat.

Seite an Seite durchqueren Juniper und ich die Projektzone. Überall stehen Käfige aus Glas, in denen jeweils drei Projekte eingesperrt sind, die täglich um ihr Überleben kämpfen müssen.

Einige Projekte sehen wie normale Menschen aus. Wie Juniper und ich.

Andere Projekte haben entstellte Gesichter und ungleichmäßige Körperproportionen. Wie Lilah und Benedict.

Aktuell befinden sich etwa 1500 Projekte in der Projektzone. Wir alle wurden gezüchtet, um den Schöpfern zu dienen. Sobald wir unseren Zweck nicht mehr erfüllen, werden wir wie nutzlose Gegenstände weggeschmissen. Oder besser gesagt: Getötet!

Mit jedem Schritt, den ich mache, wird der Kloß in meinem Hals größer.

Ich hasse die Projektzone.

Ich hasse die Schöpfer.

Und ich hasse es, so verdammt machtlos zu sein!

Obwohl in meinem Inneren ein Wirbelsturm wütet, versuche ich nach außen hin ruhig und gelassen zu wirken. Meinem Frust Ausdruck zu verleihen, würde mir ohnehin nichts bringen, immerhin werden Juniper und ich von mehreren Drohnen überwacht, die im Ernstfall einschreiten und Schlafgas oder Betäubungspfeile freisetzen würden.

Es ist unmöglich, gegen die Schöpfer und die Regierung zu rebellieren. Als Projekt hast du nur eine einzige Wahl zu treffen: Entweder du akzeptierst dein Schicksal oder du flüchtest davor, indem du einen Schlussstrich für die Ewigkeit ziehst.

Nach etwa zehn Minuten haben Juniper und ich endlich das Ende der Projektzone erreicht. Wie jeden Tag halten wir unsere Barcodes vor den Scanner und betreten danach den sogenannten Arbeitsaufzug.

Da es noch früh am Morgen ist und die meisten Projekte erst um neun Uhr mit ihren Jobs beginnen, sind Juniper und ich die Einzigen in dem Lift. Während ich mich im hinteren Teil aufhalte, programmiert Juniper den Fahrstuhl so ein, dass er mich zu meiner Arbeitsstelle bringt.

Es dauert ein paar Sekunden, dann setzt sich der Aufzug ruckelnd in Bewegung und gleitet unter die Erde.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie mir bei meinen ersten Fahrten total übel und schwindelig wurde. Zum Glück hat sich das aber mit der Zeit gelegt.

Die Fahrt dauert nicht lange. Höchstens zwei Minuten.

Begleitet von einem leisen Zischen kommt der Aufzug zum Stehen und öffnet dann seine Türen. Ganz der Gentleman überlasse ich Juniper den Vortritt, ehe auch ich aus dem Lift trete.

„So ..." Juniper atmet erleichtert auf. Wahrscheinlich, weil sie ihren Job fehlerfrei ausgeführt hat. „Da wären wir."

Etwa zehn Meter von uns entfernt ragt ein riesiges Gebäude bis in die Wolkenspitzen hinauf. Die Fassade ist so weiß wie Schnee und in den vielen Fenstern spiegelt sich das goldene Licht der aufgehenden Sonne wider.

Obwohl ich seit zwei Monaten täglich herkomme, ist der Anblick jedes Mal aufs Neue überwältigend.

In der Projektzone suhlen wir uns in Armut und Elend. Davon ist hier nichts zu spüren. Hier regieren Macht, Geld und Luxus.

„Ich wünsche dir einen schönen Arbeitstag, Colbyn."

„Danke, Juniper", erwidere ich, „das wünsche ich dir auch!"

Sie befreit mich von den Handschellen und kehrt mir danach den Rücken zu, um mit dem Aufzug zurück in die Projektzone zu fahren. Schade, dass ich ihr nicht folgen kann, aber wenn ich Geld verdienen möchte - und darauf sind Lilah, Benedict und ich mehr als nur angewiesen - dann muss ich mich jetzt an meinen Arbeitsplatz begeben und den charmanten Traumreiseleiter spielen.

Ein letztes, verbittertes Seufzen entflieht meinen Lippen, ehe ich mich in Bewegung setze. Mit jedem Schritt komme ich dem riesigen Gebäude näher und spüre, wie sich mein Herzschlag verschnellert.

Für Schöpfer ist dieser Ort das Paradies.

Für Projekte hingegen ist dieser Ort die Hölle.

Meine Knie sind weich wie Wackelpudding und meine Hände zittern, als ich die Eingangstür erreicht habe und meinen Barcode vor den Scanner halte.

„Herzlich Willkommen bei Traumania!", erfüllt eine monotone Computerstimme die Luft.

Oder wie ich immer sage: Herzlich Willkommen in meinem persönlichen Albtraum!

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