Eiskristalle und Regenbogengold

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Es gibt Milliarden Schneeflocken auf der Welt und jede ist einmalig und einzigartig. Mein Schatz, weißt du, was auch einmalig und einzigartig ist? Wir Menschen. Keiner ist wie der andere, jeder ist besonders und sollte auch so behandelt werden. Das ist unsere ganz eigene Magie. Die Magie der Menschlichkeit.


Es waren die Worte meiner Mutter, die mir wieder in den Sinn kamen, als das Knirschen meiner Schritte auf dem schneebedeckten Boden des Siykir-Waldes das einzige Geräusch war, das meine Gedanken hätte ablenken können.

Seltsam, ich erinnerte mich doch kaum noch an sie.

So ist das bei allen Neulingen im Wald. Sie vergessen nach und nach alles aus ihrem alten Leben. Dem Menschsein.
Irgendwann Ismena, weißt du nicht einmal mehr, wie sie dich in der Menschenwelt genannt haben.
Du wirst nicht mal mehr wissen, dass du einmal ein Mensch warst!

Das hatte Oriane zu mir gesagt, die Elementbändigerin, die seit meiner Ankunft im Wald vor zwei Monaten versucht hatte, mich an mein neues Leben zu gewöhnen.
Auch wenn ich sie erst seit zwei Monaten kannte und meine Mutter schon mein ganzes Leben, hatte ich Orianes Worte noch glasklar im Gedächtnis und meine Mutter ... Ich wusste nicht einmal mehr ihren Namen.

Zu sehr hatte sich schon der graue Schleier des Vergessens über mein altes Leben gelegt und mir die Erinnerungen, die mir mal wichtig gewesen waren, genommen.

Aber ich hatte es so gewollt. Ich hatte mich bewusst dafür entschieden, aus der bekannten Welt zu fliehen und durch das Portal in den Siykir-Wald zu steigen. Ich hatte mich bewusst dafür entschieden, die Welt der Menschen, der Magielosigkeit und der Kriege zu verlassen und in die Welt des Zauberwalds, der Feen und der Zeitlosigkeit zu steigen (Oriane zum Beispiel, war vor ewigen Zeiten in den Siykir-Wald gekommen und sah immer noch aus wie Anfang 20).

Auch wenn ich nicht mehr wusste, wieso ich das getan hatte oder wie, spürte ich, dass es für mich die richtige Entscheidung gewesen war.

Und doch war Siykir nicht so, wie ich es mir gewünscht hatte, nicht einmal so, wie es sein sollte.
Die Feen, zehn Zentimeter große Wesen, mit blassgrüner Haut und schillernden Libellenflügeln, seien schuld daran gewesen, hatte man mir erklärt. Die Feen, die eigentlich die Hüterinnen des Waldes waren, die sich um seinen Zustand und seine Magie gekümmert hatten, und genau die Feen, die alle zehn Jahre einen Menschen bei sich aufnahmen, wie Oriane und mich, und ihn zu einem Elementbändiger ausbildeten.

Doch Oriane hatte mir erzählt, dass ihnen das irgendwann nicht mehr genügt hatte. Sie hatten nicht mehr nur die Mentoren sein wollen, die Menschen, magielose Wesen, in die uralten Zauber einweihten, wenn sie selbst nur begrenzt von dieser mächtigen Magie Gebrauch machen konnten.

Die kleinen grünen Wesen waren vor Neid auf ihre eigene Schöpfung noch grüner geworden und hatten begonnen, mit Zaubern zu experimentieren, die ihnen selbst eine größere magische Kraft verliehen.

Doch im uralten Gleichgewicht des Zauberwalds war es nie vorgesehen, dass eine Art so viel Macht besaß, wie die Feen es sich wünschten, und je mächtiger sie wurden, desto schwächer wurde der Wald.

Doch niemand las die Zeichen, niemand hörte auf die immer deutlicher werdenden Hilferufe der Natur und so blieben die sterbenden Bäume und verrückten Jahreszeiten unbeachtet, bis eines Frühlingsmorgens der Winter nicht verschwand und der Siykir-Wald für immer in eisiger Kälte erstarrte.

Erst da merkten die Feen, was sie getan hatten, doch es war zu spät. Sie waren machtlos gegen den finalen Schlag der Natur.

Zumindest hatte Oriane mir das offenbart. Und auch wenn sie mir bisher immer als eine wortkarge und verschlossene junge Frau vorgekommen war, hatte sie mir dies so schillernd und detailreich erzählt, dass sich mir immer noch die Haare aufstellten, wenn ich daran dachte.

Und jetzt, 30 Jahre nach Einbruch des Winters, hatten die Feen endlich eine Möglichkeit gefunden, den Bann des ewigen Winters zu brechen und ihre Macht für die Wiederherstellung des Gleichgewichts zu opfern.

Gelehrte der Feen hatten ein altes, verschollen geglaubtes Buch über den Siykir-Wald gefunden, in dem etwas über die sogenannte Jahreszeitenuhr stand. Man hatte mir den entsprechenden Text vorgelegt und jedes Wort hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt, als wollte mein Gehirn sich für das Versagen in Bezug auf die Erinnerungen an mein altes Leben entschuldigen, indem es jetzt so gut funktionierte wie noch nie.

„Die Jahreszeitenuhr ist eine goldene Uhr mit vier Zeigern, die am Fuße des Fevand-Wasserfalls liegt. Sie ist ein mächtiges und das einzige magische Artefakt in Siykir, doch keiner weiß, wie oder wann sie entstanden ist. Die geläufigste und wahrscheinlichste Theorie stammt von Professor Dr. Alttor, die besagt, dass der Wald selber die Jahreszeitenuhr hervorgebracht hat, um den Lauf der Jahreszeiten zu regeln und somit für Gleichgewicht zu sorgen. Auch wenn der Fevand-See im Zentrum des Waldes frei zugänglich ist, hat noch nie jemand die Uhr berühren oder gar aus dem See nehmen können. Die wenigen, die sie je gesehen haben, berichten, dass von den vier goldenen Zeigern immer nur der, der gerade aktuellen Jahreszeit sich drehe ...“

Ich konnte immer noch nicht ganz verstehen, wie so ein mächtiges und scheinbar offensichtliches Artefakt so lange niemandem in den Sinn gekommen war.

Doch jetzt drehte sich alles um die Jahreszeitenuhr. Egal mit welcher Fee man sprach, nach zwei oder drei Sätzen kamen sie alle darauf zu sprechen.
Dass es eine große Erleichterung sei, der Wiederherstellung des magischen Gleichgewichts so nah zu sein, und dass sie dem Elementbändiger, der ihnen die Uhr bringen würde, auf ewig dankbar wären.

Denn, das war der Haken an der ganzen Sache, auch wenn die Feen den Wald ins Unglück gestürzt hatten, konnten sie ihn alleine nicht retten.

Zumindest wenn man Professor Dr. Alttor glaubte, der im weiteren Verlauf seines mit jedem Satz komplizierter und wissenschaftlicher werdenden Artikels über das magische Artefakt erwähnt hatte, dass einzig ehemalige Menschen – also zukünftige Elementbändiger wie ich – das Artefakt bergen könnten, wenn es denn überhaupt einer vermochte.

Das war auch der Grund, warum ich mich mit jedem knirschenden Schritt vom Elfendorf im Westen entfernte und Richtung Waldmitte stapfte, statt einer von Orianes verrückten Lehrstunden über Feuerballwerfen oder Schneesturmbeschwörung zu lauschen.

Denn auch wenn mir weder das eine noch das andere (oder überhaupt eine von den Grundübungen der Elementmagie) gelang, war gestern Aelfric zu mir gekommen, das Oberhaupt der Elfen, und hatte mich mit der ruhmreichen Aufgabe betraut, die Jahreszeitenuhr zu holen.

Nicht, dass ich in entferntester Weise dafür bereit oder gar qualifiziert gewesen wäre. Doch einem Elfenkönig, dessen schwarze Augen schärfer waren als jeder Obsidian, widersprach man nicht.

Und so lief ich hier schon seit Stunden gen Osten, die zitternden Hände in den Taschen meines Mantels vergraben, wenn sie nicht gerade tiefhängende Äste beiseiteschoben. Einen weiteren Hügel rauf und wieder runter – der Wald kam mir schier endlos vor.

Und das Schlimmste daran war, dass mir auf dem ganzen Weg noch kein einziges Tier, noch keine einzige Fee oder sonst ein Wesen entgegengekommen war.

Ich hätte sie dir gerne gezeigt, die Tiere des Waldes. Sie sind nicht so, wie du sie dir vielleicht vorstellst. Sie sind farbenfroher und mitteilsamer.

Das hatte Oriane mir in einer meiner ersten Lehrstunden zugeflüstert, als wir gemeinsam um die Randgebiete des Feendorfs geschlichen waren. Ein weiterer der wenigen Momente, in denen ich das Gefühl hatte, sie würde sich mir offenbaren und nicht nur die verschlossene Lehrerin Oriane sein, die sie mir sonst immer präsentierte.

Doch die Tiere haben sich zurückgezogen, seit der Winter gekommen ist. In den ganzen Jahren der Kälte habe ich nur zweimal ein Tier gesehen und das nur kurz.

Ein Seufzer entfloh meinen Lippen und verklang in der eisigen Luft. Wie sehr wünschte ich mir den Frühling herbei. Ich wollte den Wald endlich richtig kennenlernen, die Wunder erfahren, die es wirklich lohnenswert machten, das Menschsein hinter sich zu lassen.

Vielleicht wirst du das bald. Wenn du die Jahreszeitenuhr findest, kannst du vielleicht dafür sorgen, dass in Siykir der erste Frühling nach 30 Jahren anbricht.

Doch die Stimme in mir war die einer romantischen Optimistin und wurde schnell vom realistischen Teil zum Schweigen gebracht.

Ich war eine unausgebildete Elementbändigerin, die in keiner der ihr bekannten Welten richtig Fuß gefasst hatte – die alte erst halb vergessen, die neue noch kaum begriffen. Was konnte ich schon tun?
Warum sollte ich schaffen, was seit 30 Jahren keiner geschafft hatte?

Und gerade als meine Zweifel so laut wurden, dass ich jeden Moment stehenzubleiben drohte, um aufzugeben, was ich noch nicht richtig begonnen hatte, hatte ich auf einmal keine Bäume mehr vor mir und starrte verblüfft auf das Schönste, was ich je gesehen hatte – den gefrorenen Fevand-See.

Gänzlich still und unbewegt lag er vor mir, die Eisfläche so klar und rein, dass ich selbst von hier erkannte, dass ich, würde ich erst einmal neben ihm stehen, bis auf den Grund sehen könnte. Doch es dauerte noch einige Minuten, bis ich mich ihm wirklich näherte, zu gefesselt war ich von dem Schauspiel, das sich mir bot.

Das herabstürzende Wasser des Wasserfalls, das mitten in seiner turbulenten Bewegung erstarrt war, brach das Licht der Mittagssonne und ließ goldene Funken über das Eis tanzen, wie kleine goldene Ballerinas.

Das ist wahre Magie, schoss es mir durch den Kopf, als ich mich ehrfürchtig dem Ufer näherte.

Einzig der Sommer könnte diesen Anblick noch übertreffen, wenn sich die Fluten verspielt und in wild strömenden Bewegungen in den See stürzen, dass Wassertropfen empor stieben und kleine Regenbögen in die Luft malen.

Doch der Sommer kam nicht, das Wasser bewegte sich nicht und eine kalte Eisschicht trennte mich vom Objekt meiner Begierde. Ich kniete mich ans Ufer und presste meine Hand auf die glatte Oberfläche des Sees.

Das Eis war dünn, das konnte ich sehen und dennoch brach es unter meinem Druck nicht. Als wollte der See nicht, dass ich ihn befreite.

Ich lief die letzten Meter zum Wasserfall.
An der Stelle, an der der Katarakt auf den ruhigen See traf, war es anders.
Ich hatte das Gefühl, das Wasser wäre hier wilder und würde sich eher gegen die Starre wehren. Kleine Luftblasen im Eis zeugten von der einstigen Freiheit der Wellen.

Aber vielleicht bildete ich mir das nur ein. Vielleicht hatte Orianes ewiges Gepredige vom Einswerden mit den Elementen dazu geführt, dass ich mir Gefühlszustände der Natur einbildete, die natürlich nichts weiter sein konnten, als bloße Fantasie.

Doch die zunehmend mutigere Stimme in mir erinnerte mich daran, dass ich nicht mehr in einer Welt war, in der die Fantasie die Grenzen des Geistes nicht überschreiten konnte.

In Siykir war alles möglich.

Ich atmete tief ein und sog einen Schwall eisig kalte Winterluft in meine Lunge. Ich musste mich konzentrieren, wenn ich das Unmögliche schaffen wollte und die Jahreszeitenuhr, die ich bisher nicht einmal sah, bergen wollte.
Ich schloss meine Augen, davon überzeugt, dass der einzige Weg zum Ziel über das Vertrauen auf meine Instinkte führte.

Irgendetwas sagte mir, dass ich das Eis brechen musste, um die Uhr zu finden. Doch ich war noch nicht in die Feuermagie eingeweiht worden, ich konnte also den Wasserfall nicht einfach schmelzen.

Ich öffnete die Augen wieder und blickte mich einmal um, in der Hoffnung, einen Stein oder Stock herumliegen zu sehen, mit dem ich das Eis zerschmettern konnte. Ich wurde zwanzig Schritt hinter mir fündig und beeilte mich, den etwa kopfgroßen Stein zu holen.

Ich fegte den Schnee beiseite und hob ihn an, zufrieden mit dem Gewicht. Etwas ächzend schleppte ich ihn ans Ufer, erstaunt über das freudige Prickeln, das sich in mir ausbreitete.

Ich, Ismena, eine unerfahrene Elementmagierin, würde die Jahreszeitenuhr finden und sie den Feen überreichen.

Angespornt von diesem Gedanken holte ich Schwung und katapultierte den Stein Richtung Wasserfall, dessen erkalteten Strahl er genau mittig traf.
Ich verfolgte, wie er auf das Eis traf, es laut knackte und knirschte und der Stein dann unverrichteter Dinge auf der gefrorenen Oberfläche des Sees landete.

Nichts.

Kein Kratzer, kein Riss, nur ein Knirschen, als beschwere sich Fevand, dass ich wirklich geglaubt hatte, ein Stein könnte das 30-jährige Eis brechen.

Wie dumm von dir, Ismena! Gewalt haben sicherlich schon Dutzende vor dir versucht und es hat noch nie einen ans Ziel gebracht.

Ich atmete tief durch und schloss erneut die Augen.

Was nun?

Ich konnte das Wasser ja kaum überreden zu schmelzen. Ich streckte meine Hand aus, bis meine Finger das kalte Eis des herabstürzenden Strahls berührten.

„Du willst doch frei sein“, murmelte ich. „Warum fließt du nicht?“

Ein Windhauch strich mir über das Gesicht, wie der Hauch eines Satzes, den ich nicht verstand.
Ich riss die Augen auf, doch ich war allein, die Finger immer noch aufs Eis gepresst, auch wenn sie langsam aber sicher blau vor Kälte wurden.

„Vielleicht ist das das Problem!“
Ich wusste nicht genau, warum ich laut sprach, wo ich doch allein war, doch ich hatte das Gefühl, es half mir beim Denken.

„Vielleicht willst du es nicht genug.“
Ich kniff die Augen wieder zusammen und drückte meine ganze Handfläche aufs Eis.

Angestrengt versuchte ich mir vor meinem inneren Auge auszumalen, wie toll es war, wenn das Wasser frei fließen konnte und wie schön sich Freiheit anfühlte.

Ich hörte es wieder knacken, doch ich wagte es nicht, meine Augen zu öffnen und in meiner Konzentration auch nur für eine Sekunde nachzulassen.

Sei frei!

Ich spürte, wie das Eis unter meinen Fingern aufbrach und mit einem überraschten Aufschrei sprang ich zurück.

Der Wasserfall erwachte mit einer aufgestauten Wucht zum Leben, dass ich nicht anders konnte als laut aufzulachen.

Ich hatte es geschafft!

Das erste Mal hatte ich es geschafft, ein Element zu bändigen – oder in diesem Falle wohl eher zu entfesseln.

Das Wasser prasselte auf die Eisdecke, riss weitere Stücke mit sich und zerbrach letztendlich auch die Eisschicht des Sees.
Unaufhaltsam breiteten sich die Risse auf der Oberfläche des Sees aus – nicht, dass ich es je hätte stoppen wollen.
Ich stand nur am Ufer und beobachtete, wie das Wunder seinen Lauf nahm.

Ein, zwei Minuten – mehr hatte es nicht gebraucht und schon plätscherte das Wasser im ganzen See, als hätte es nie etwas anderes getan.
Doch mein erster Freudentaumel hatte sich gelegt. Zwar floss das Wasser nun und ich hatte auch das Gefühl, dass es richtig war, es freigelassen zu haben, doch die Jahreszeitenuhr sah ich dadurch immer noch nicht.

Angestrengt starrte ich auf den Grund, folgte jeder Wellenbewegung mit den Augen, doch nicht der kleinste goldene Schimmer erregte meine Aufmerksamkeit.

Langsam schritt ich am Ufer entlang, den Blick angestrengt aufs Wasser gerichtet.
Auch den Wasserfall musterte ich von oben bis unten aus allen möglichen Winkeln, doch als ich neben ihm auf der anderen Seite des Ufers zum Stehen kam, tat ich dies unverrichteter Dinge. Die Jahreszeitenuhr offenbarte sich mir nicht.

Aber meine Instinkte haben mir geraten, das Wasser zum Fließen zu bringen, was übersehe ich?

Ich zermarterte mir das Hirn, versuchte alle nützlichen Erinnerungen abzurufen – die aus der neuen und der alten Welt, insofern ich sie noch oder schon besaß – doch nichts wollte mir in den Sinn kommen.

Enttäuscht legte ich den Kopf in den Nacken und atmete entnervt eine große Atemwolke aus, die langsam wie Nebel wieder herabsank.

Das erinnerte mich an die Regenbögen, die ich mir vorgestellt hatte.

Ich schaute hoch zur Sonne und drehte mich so, dass sie hinter meinem Rücken stand. Als ich wieder hinab auf den Wasserfall blickte, sah ich ihn, einen Regenbogen, der meine Vorstellungen bei weitem übertraf.

Jede Farbe war so kräftig und schillernd, dass mir augenblicklich klar war, dass nur ein magischer Regenbogen solche Schönheit entfalten konnte.

Ein Regenbogen.

Auch wenn mir der Anblick einer gewissen Uhr mehr Freude entlockt hätte, munterte mich dieser Anblick auf. Während ich ihn also voll wiedergewonnener Ehrfurcht bestaunte, kam nun doch eine Erinnerung hoch – eine von dem Menschen, der ich früher einmal gewesen war.

Ein Regenbogen.

Ich glaubte, eine Legende zu kennen, über Fabelwesen, an deren Existenz ich zu dem Zeitpunkt noch gezweifelt hatte. Leprechauns, die ihren Goldschatz am Ende eines Regenbogens vor den Menschen versteckten.

Meine Augen folgten den Farben hinab ins glasklare Blau.

Nichts.

Als sie wieder hinaufwanderten zu den schäumenden Fluten, die sich die Felswand hinabstürzten, regte sich ein Bedürfnis in mir.

Ich folgte dem Impuls und griff in den Strahl.

Ich erwartete, jeden Moment auf nassen Stein zu treffen, doch mein Arm verschwand bis zum Ellenbogen im Strahl, ohne gebremst zu werden.

Wie ist das möglich...?

Da!

Meine Finger schlossen sich um einen kleinen Stein und mit einem Ruck zog ich meinen Arm aus dem Wasserfall.

Doch es war gar kein Stein, den ich da gegriffen hatte.

Als ich meine Faust öffnete, lag eine kleine Uhr darin, auf deren Rückseite die Worte cambium est statera eingraviert waren.

Wandel ist Gleichgewicht?

Ich konnte mir nicht erklären, woher ich wusste, was diese mir fremde Sprache bedeutete, doch ich wusste, dass meine Übersetzung richtig war.

Wandel ist Gleichgewicht...

Hatte ich es geschafft?
Hatte ich die Jahreszeitenuhr gefunden und somit den Wandel und das Gleichgewicht wiederhergestellt?

Ich schaute hoch, doch der Wald war so verschneit wie zuvor.

„Ismena!“

Ich wirbelte herum, als ich eine bellende Stimme vernahm, die direkt hinter mir zu sein schien.
Und da saß er.

„Du bist ein Tier des Waldes!“ rief ich verzückt, als ich den purpurnen Fuchs erblickte, der keine zehn Schritte hinter mir saß und mich aus klugen Augen prüfend musterte.

„Woher kennst du meinen Namen?“

Er senkte leicht den Kopf, fast als würde er eine Verbeugung andeuten wollen.

„Wir alle kennen deinen Namen, Ismena. Wir haben auf dich gewartet.“

Auf mich gewartet?
Ich blickte von der Uhr in meiner Hand zu dem Fuchs mir gegenüber.
Hatte er gewusst, dass ich die Jahreszeitenuhr finden würde? War ich dazu bestimmt?

Er folgte meinem Blick und nickte.

„Das ist dein Schicksal, Ismena.
Du wirst die neue Hüterin des Waldes.“

„Was?“ Ich starrte ihn entsetzt an.

Was faselte er da? Ich hatte vor nicht einmal fünf Minuten das erste Mal meine Magie erfolgreich einsetzen können und jetzt sollte ich schon den Wald beschützen?

Das war absurd!

„Das geht nicht, ich – äh, ich muss die Jahreszeitenuhr zu den Feen bringen, sie wollen das Gleichgewicht wiederherstellen und ich – also ich bin doch nur ein Mittel zum Zweck!“, stotterte ich.

Ein Knurren entfuhr dem Fuchs, der wütend seine Lefzen hochzog.

„Der Machthunger der Feen ist dafür verantwortlich, dass dem Wald das zugestoßen ist! Glaubst du wirklich, sie würden die Jahreszeitenuhr, das mächtigste magische Artefakt überhaupt, dazu einsetzen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen und sich somit selbst zu entmachten?“

Ich schluckte hörbar.
Er hatte nicht ganz unrecht, aber gleichzeitig warnte mich meine Vernunft, dass ich den Fuchs nicht kannte, die Feen und Oriane dagegen waren mir in den letzten zwei Monaten zumindest etwas vertraut geworden.

„Warum sollte ich dir glauben?“, fragte ich den Fuchs skeptisch. „Ich kenne dich nicht, also weiß ich auch nicht, ob du nicht vielleicht lügst, was die Feen angeht.“

Er blinzelte, als wäre ihm das so noch nicht in den Sinn gekommen. Vielleicht war es aber auch nur der Ausdruck seiner Missbilligung.

„Ismena, ich will gar nicht, dass du mir traust, ich will, dass du dir selbst traust. Was glaubst du, warum du bisher kein einziges Element beherrscht, auch wenn du schon zwei Monate lang trainierst? Ich weiß nicht, ob die Feen es dir gesagt haben, aber normalerweise braucht ein Elementbändiger eine Woche, um ein Element immerhin grundlegend zu kontrollieren.“

Ich schluckte. Nein, das hatte mir nicht einmal Oriane erzählt.

„Außerdem sollte es dir doch komisch vorkommen, dass die Feen dann gerade dich geschickt haben, wenn für das Finden der Jahreszeitenuhr doch so dringend ein Elementmagier erforderlich ist?“

Erneut konnte ich nicht anders, als ihm zuzustimmen.
Ich hatte mich in der Tat gewundert, warum ich und nicht etwa Oriane geschickt worden war, es aber letztendlich damit begründet, dass in mir noch etwas mehr Mensch steckte.

Doch die wackelige Argumentation, die ich mir aufgebaut hatte, brach mit jedem Wort des Fuchses mehr in sich zusammen.

„Ismena, verstehst du denn nicht, dass sie dich geschickt haben, weil ihnen klar war, dass du kein normaler Elementbändiger bist? Dass sie dich geschickt haben, weil du auserwählt bist, den Wald wieder ins Gleichgewicht zu bringen und dich nur haben gehen lassen, weil sie die Hoffnung hatten, dass du es nicht verstehst?“

Ich schlug die Augen nieder, unfähig, dem bohrenden Blick des Tieres noch länger standhalten zu können. Die Uhr in meiner Hand fühlte sich warm an und ich fuhr sachte mit der Kuppe meines Zeigefingers über die Gravur.

Cambium est statera.

Ich hatte die Worte verstanden, ohne die Sprache zu verstehen und ich hatte die Uhr gefunden, ohne auch nur im Ansatz zu wissen, wie. Vielleicht hatte der Fuchs recht, vielleicht war es ja meine Bestimmung.

Ich drehte die Uhr um und blickte auf ihr Ziffernblatt.
Vier Zeiger, wie Professor Dr. Alttor es beschrieben hatte.

Einer hatte ein Blatt an seiner Spitze, der nächste die Sonne und der dritte, stillstehende, eine Blume.
Nur der goldene Zeiger mit der Schneeflocke am Ende bewegte sich tickend weiter.
Eine Umdrehung, zwei, drei.

Ich atmete tief durch.

Ich wusste nicht, ob der Fuchs recht hatte, und ich wirklich die Hüterin des Waldes war.
Ich wusste auch nicht, ob die Feen mich wirklich betrogen hatten, wie er es sagte.

Aber was ich wusste, war, dass ich endlich wollte, dass der Winter aufhörte.
Also öffnete ich die kleine Glaskuppel, die sich über das Ziffernblatt spannte und stoppte die Schneeflocke.

Es war Zeit, dass der Frühling in Siykir einzog.

《•▪︎•♡•▪︎•》

Wenn es euch gefallen hat lasst gerne eine Sternchen und/oder einen Kommentar da, damit ich ein bisschen Rückmeldung habe, wie mein Geschreibsel so ankommt.

Konstruktive Kritik ist natürlich auch erwünscht und jeden Rechtschreibfehler, den ihr findet, dürft ihr gerne anmerken -
nur so kann ich sie verbessern!

Fröhliche Weihnachten!❤🎅
~Elli

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