Aurora

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"Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt" – Aurora durchfuhr dieses Zitat von Hermann Hesse wie ein Blitzschlag. Zum ersten Mal konnte sie irgendetwas, was ihr in dem grässlichen Eliteinternat gelehrt wurde, auf das sie ihre Mutter geschickt hatte, wirklich fühlen. Zum ersten Mal erschien ihr etwas sinnvoll, was die kalten, gefühllosen Lehrer auf Greyburn Castle ihr einzubläuen versuchten, zum ersten Mal fühlte sie sich verstanden – und sei es von einem deutschen Schriftsteller, der bereits vor 56 Jahren verstorben war. "Aurora. Aurora!" Erst, als Miss Spine mit ihrer grellen, durchbohrenden Stimme fast ihr Ohr zerschmetterte, bemerkte sie, dass die Stunde vorüber war. Zu sehr war sie in einen ihrer Tagträume vertieft, die sie in letzter Zeit immer öfter heimsuchten. Doch jetzt war es Zeit, den Klassenraum zu verlassen, denn es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass man sich mit Miss Fedora Spine besser nicht anlegen sollte. Aurora tat sich schwer, den Gerüchten über ihre Lehrerin für Sprachkünste Glauben zu schenken, doch ganz ausschließen konnte sie nicht, dass sie Verbindungen zu den ominösen dunklen Mächten pflegte, die London und seine Umgebung,  zu der auch Greyburn Castle gehört, schon vor einigen Jahrzehnten angegriffen hatten. Unzählige Menschenleben waren damals vernichtet worden, als das Böse hier regiert hatte. Auch Auroras Großmutter zählte zu den Opfern eines grausamen Regimes, das nichts Anderes als das Licht der Freiheit selbst auszulöschen versucht hatte. Doch durch den seltsamsten Zufall, durch außerordentliches Glück war das Dunkle mit seinem teuflischen Plan gescheitert. Die Bewohner, die acht Jahre unter der erstickenden Macht des Bösen dahin zitterten, hatten ihre Freiheit zurück erlangt und bauten das wieder auf, was Opfer von brutaler Zerstörung geworden war. Auch, wenn all die prächtigen Gebäude, die in der Zeit nach der Ersten Dunkelheit errichtet worden waren, nicht über das Leid und die Traurigkeit hinwegzutäuschen vermochten, die über die Seelen der Menschen in diesen düsteren Jahren hinweggebrochen waren. Doch Miss Spine? Aurora verspürte nichts als Hass für diese abscheuliche Person, doch traute sie ihr nicht zu, schwerwiegendere Taten als das Anschreien von Schülern oder die Verwandlung ihrer eigenen Zweifel in ausufernde Ungerechtigkeit gegenüber Anderen zu begehen. Doch wer konnte schon ahnen, wie beeinflussbar jemand wirklich war? Die Herzen der Menschen sind schwach. Aurora packte ihre Sachen zusammen, verließ den Raum, der am äußeren östlichen Ende des Schulgeländes lag und ging über den schwach beleuchteten Steinweg, der die Sprachakademie mit dem übrigen Schloss verband. Im trüben Licht der am Wegesrand stehenden Laternen verschwand sie nahezu in ihren schwarzen Klamotten, die jedoch keineswegs einer verzaubernden Eleganz entbehrten. Aurora gefiel es, sich von ihren Mitmenschen abzuheben, sie mit der Wahl ihrer Kleidung vielleicht gar ein wenig zu erschrecken, doch vor allem anderen liebte sie es, gehüllt in ihre edle Jacke, ihren hexenartigen Tüllrock, ihre engen Strumpfhosen und ihre anmutigen, mit Schnallen besetzten Schuhe im regenverhangenen Londoner Nebel umher zu wandern.

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