37. Kapitel: "Mit dir sieht Berlin aus wie Paris."

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Auf dem SXF tummeln sich die Menschen. Berlin ist geschäftig; ich habe mit nichts anderem gerechnet. Trotzdem erwische ich mich dabei, wie ich über einen verpeilten Familienvater schnaube, der einer jungen Frau, die am Fließband auf ihr Gepäck wartet, mit seinem Kofferwagen volles Rohr in die Hacken fährt. Ich höre, wie Vincent sich neben mir über die Rücksichtslosigkeit des glatzköpfigen Manns amüsiert und umfasse den Griff meiner Trainingstasche fester, als ich an einer Dame mittleren Alters vorbeirausche, die mein bester Freund, in seinem kläglichen Versuch, mir hinterher zu sprinten, prompt über den Haufen rennt. Grinsend drehe ich mich zu ihm um, setze währenddessen unbeirrt einen Fuß vor den andern.
„Eindeutig Karma", kommentiere ich.
„Dich hat keiner gefra-" Vincent kneift die Augen zusammen. Irgendwas – oder irgendwer – scheint ihn zu irritieren. Gerade will ich auskundschaften, worüber er so erstaunt ist, da laufe ich in eine Person rein, die wesentlich kleiner ist als ich. Verdammt, ich kann doch sonst auch rückwärtslaufen, ohne gleich in irgendwelche Leute zu krachen. Was ist denn heute bloß los mit mir? Schon vorhin wäre ich im Bus beinah auf die Schnauze geflogen, als der eine scharfe Kurve auf dem Weg zum Terminal genommen hat.
„Entschuldigung, alles in Ordnung?", spucke ich die Höflichkeitsfloskel automatisch aus und erstarre im nächsten Moment zur Salzsäule.

„Nichts passiert", antwortet Pari. Sie lächelt mich an. In den ersten Sekunden kann ich den Blick nicht von ihr abwenden, dann schleicht sich die vage Vermutung ein, dass ich träume. Doch sie ist es.
„Zwerg Nase." Vincent kratzt sich verblüfft am Hinterkopf und schaut unschlüssig zu mir. „Nun mach schon", fordert er mich schließlich nuschelnd auf, stößt mir dabei seinen Ellbogen in die Seite.
„Was denn?", frage ich verwirrt.
„Ähm ...", räuspert Pari sich schüchtern. „Ich glaube, er meint diesen Hollywood-Happy-End-Kuss. Du weißt schon." Sie zuckt unschuldig die Schultern. „Ich werfe mich in deine Arme, du hebst mich hoch, wirbelst mich durch die Luft, wir küssen uns, die Musik erreicht ihren absoluten Höhepunkt, Kamera-Fade-Out ..." Sie schaut zu mir auf und ehe ich mich versehe, habe ich meine Tasche fallen gelassen. Mein Schweigen verunsichert Pari sichtlich, sie beginnt nervös auf ihrer Unterlippe herumzukauen.
„Willst du nicht lieber Anlauf nehmen?", necke ich sie und ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Pari grinst mich breit an, bevor sie ihre Arme fest um meinen Oberkörper schlingt, mich umarmt, bis ich sie auf den Scheitel küsse, damit sie mir in die Augen sieht. „Kriege ich diesen Hollywood-Happy-End-Kuss noch, von dem du eben gesprochen hast?"
Sie strahlt, als sie mit einem leisen, dafür aber überglücklichen „Ja" antwortet, auf Zehenspitzen geht und unsere Münder sich treffen. Wenn es nicht sie für immer ist, hat sich die ganze Scheiße, die wir jetzt miteinander durchgemacht haben, nicht gelohnt. Ich werde alles dafür tun, dass es hält.

„Boah, seid ihr eklig", regt Vincent sich angewidert auf und ich grinse in den Kuss hinein, als Pari ihm den Mittelfinger zeigt, ohne sich von mir zu lösen. Ich tue es ihr gleich und ihr Kichern über die Aktion beendet diesen längst überfälligen Austausch von Zärtlichkeiten auf gebührende Art und Weise.
„Du bist nur neidisch, weil deine Freundin nicht aufgetaucht ist, um dich abzuholen", konstatiere ich.
„Sei kein Grinch, Vinnie", bittet sie ihn. Aber Paris Appell ist gar nicht vonnöten, denn das ist der Augenblick, in dem er Charlotte in der Ferne entdeckt und beobachtet, wie sie sich eine Schneise durch die Menge bahnt, um zu ihm zu gelangen. Der Neid schwindet aus seinem Gesicht und überlässt der Überraschung das Feld.
„Ich dachte, du kutschierst deine Eltern heute nach Hannover."
„Habe ich schon, sie fahren mit dem Zug zurück. Freust du dich gar nicht mich zu sehen?", ärgert sie ihn.
„Natürlich freu ich mich", verdreht er die Augen und schließt sie, als Charlotte ihre Lippen entschieden auf seine presst. Mich interessiert ihre Begrüßung herzlich wenig, ich küsse Pari ein zweites Mal, die ihre Hand in meinen Nacken legt und ihren Körper gegen meinen schiebt. Sehnsucht spricht aus ihren Berührungen und es ist mir diesmal ein Leichtes, genau das zu spiegeln. Nichtsdestotrotz will ich jegliches Missverständnis von vornherein ausschließen, deshalb ziehe ich mich zurück, nur ein paar Zentimeter.
„Du möchtest das wirklich?", frage ich sie, nur um vollkommen sicher sein zu können. Pari verdreht die Augen und schmunzelt.
„Ich hab's dir schon mal gesagt: Ich will unbedingt mit dir zusammen sein", wiederholt sie, was sie mir bereits gestanden hat, bevor Alexa meine Schandtaten der letzten Monate vor ihr ans Licht geholt hat. „Es sei denn ...", lenkt Pari ein und ich spanne sämtliche Muskeln an. „Es sei denn, du verschweigst mir nach wie vor etwas." Prüfend mustert sie mein Gesicht, sucht darin wahrscheinlich nach Regungen, die Angst oder Besorgnis ausdrücken.
„Eine Sache habe ich dir tatsächlich verschwiegen", sage ich und sie legt den Kopf leicht schief, atmet langsam aus. „Ich liebe dich", gestehe ich letztlich. Es fühlt sich unfassbar gut an, die drei Worte wieder auszusprechen und das Funkeln, das sich in ihre Kaminfeueraugen legt, beraubt mich meiner Sinne. Zumindest solange, bis sie mich erneut küsst und ich mich darin wiederfinde. Sich in jemandem verlieren, sagt man normalerweise ... Seltsame Formulierung, wo es doch umgekehrt ist.

Vincent hat uns bei mir vor der Tür abgesetzt und ist inzwischen mit Charlotte auf dem Beifahrersitz um die nächste Häuserecke gedüst. In einem Affenzahn, der Junge hat's eilig. Ich halte einfach nur Paris Hand. Die Leidenschaft ist uns nicht abhandengekommen, das ist es nicht – aber für den Moment reicht es mir, neben ihr zu stehen, weil ich weiß, sie liebt mich. Ich muss ihr nicht beweisen, dass es stimmt. Sie spürt es. Ich lese es in ihrer Miene, als wir meine Wohnung betreten und ich ihr die Jacke abnehme. Ihre Blicke verfolgen mich, als ich meine Tasche auf dem Bett abstelle. Ich spüre, wie sie ihre Arme um mich legt, eine Hand schiebt sie vorn unter mein T-Shirt und ich muss lachen, hebe sie hoch und wir küssen uns ein weiteres Mal.
„Okay, okay", stoppe ich sie grinsend. „Wir reden schnell."
„Ganz schnell?", schmollt sie.
„Du und ich, wir sind jetzt fest zusammen, hab ich das richtig verstanden?"
„Genau", bestätigt sie lächelnd und küsst mich wieder, aber ich ziehe mich erneut zurück.
„Und wir sagen's all unseren Freunden?"
„Vincent weiß es längst, mehr Freunde hast du doch gar nicht", grinst sie frech.
„Pari, im Ernst", vergewissere ich mich und sie stöhnt.
„Du nervst", murrt sie und schmiegt sich enger an mich.
„Wann lerne ich deine Mutter kennen?", fragt sie plötzlich.
Ich starre ihr perplex in die Augen.
„Was ist? Machst du jetzt 'nen Rückzieher, weil ich dich das gefragt habe?"
„Nee, garantiert nicht", erwidere ich.

Mit einer Hand hebe ich meine Tasche vom Bett und lege Pari darauf ab, stütze mich über sie und küsse sie, der Abstand zwischen unseren Körpern wird immer geringer. Ihre Wärme ist mir vertraut, ihre Fingerspitzen, die über meine Haut wandern, ihr tiefer Blick, der Augenaufschlag, während sie sich an meiner Hose zu schaffen macht. Hunger und Verlangen sprechen aus jeder Bewegung. Es ist, als könnte ich in einer längeren Sequenz die Zukunft sehen und jede ihrer Berührungen vorausahnen. Aber das macht es irgendwie nur noch besser. Sie schiebt mir das Becken entgegen, überkreuzt die Beine, will mir so nah wie möglich sein und ich gebe ihrem Wunsch nach; sehe nur ihr Gesicht, sonst nichts. Ihre geröteten Wangen, ihre Kaminfeueraugen, die Sommersprossen rund um ihre Nase, ihre getuschten Wimpern. Ich fühle noch mehr als ich sehe, ihren Busen unter meiner Brust, ihren Bauch, der bei jedem schweren Atemzug meinen eigenen berührt, ihre Hände an meinen Seiten, mit denen sie sich festhält. Sie streicht über meinen Rücken, fasst in mein Haar küsst mich auf den Mund, dann am Hals, saugt daran, beißt mich vorsichtig. Hitze breitet sich in mir aus, steigt mir zu Kopf, dringt in Form von Seufzern über meine Lippen. Sie windet sich aus ihrer unterlegenen Position, setzt sich auf mich und lässt ihre Hüften kreisen. Ihre langen Haare fallen ihr offen über die Schultern. Lust spiegelt sich in ihren Augen. Sie ist so schön, ich könnte mich nie an ihr satt sehen. Pari wird laut, wie eh und je. Wir drehen uns, sie krallt sich in den Stoff der Decke und der Orgasmus ist dermaßen intensiv, dass ich all meine Sinne für einen Moment verliere.

„Das war so gut", schnurrt sie in mein Ohr, knabbert daran und ich muss lachen, denn es kitzelt.
„Wir machen ja jetzt auch keine halben Sachen mehr." Pari kichert. Ich streiche ihr eine Strähne aus der Stirn, küsse sie auf den Haaransatz. „Du kannst es also kaum erwarten, meine Mutter kennenzulernen", schmunzle ich.
„Sie hat aber keinen schlechten Eindruck von mir, oder?", fragt sie mich und beißt sich auf die Unterlippe. Ich küsse sie, bevor ich antworte: „Keine Sorge, sie ist sehr offen und zugänglich. Sie wird dich mögen."
„Hast du ihr von der Affäre erzählt?", fragt sie schüchtern, malt kleine Kreise auf meinen Oberkörper und küsst sie alle der Reihenfolge nach.
„Als ich Liebeskummer hatte, hab ich ihr erzählt, weshalb. Davor wusste sie nichts, ich wollte abwarten, wie sich das alles mit uns entwickelt." Ich höre, wie sie leise lacht. „Hättest du im August gedacht, dass wir hier enden würden?"
„In meinem Bett? – Vielleicht. Als Paar? – Eher weniger."
„Im Iran habe ich mir genau das gewünscht, andauernd", sagt sie. „Dass du bei mir bist und wir einfach zusammen sein können." Ich setze ein Lächeln auf und drücke sie an mich. Sie haucht mir einen unschuldigen Kuss auf die Wange.
„Wann werden wir bei deinen Eltern nochmal vorstellig?", frage ich sie.
„Am besten nächsten Freitag. Mein Vater schließt die Praxis früh und Mama hat zum Ende der Woche hin immer am wenigsten zu tun."
„Du willst echt keine Zeit mehr verschwenden, hm?"
„Du etwa? Wir haben lange genug unsere Zeit verschwendet."
„Wie wahr", singe ich und stupse mit meiner Nasenspitze gegen ihre. „Du 'nen Kaffee, ich 'ne Kippe?", deute ich raus auf den Balkon.
„Ih, wann hast du mich denn jemals Kaffee trinken sehen? Wie schlecht kennst du mich eigentlich?"
„So schlecht, dass ich Kardamom und einen Schuss Milch hinzufügen werde."
„Du kennst mich wirklich kein Stück", grinst sie.
„Nö, gar nicht. Wie heißt du nochmal? Peri oder so?" Sie haut mich, allerdings nicht doll und stemmt sich mit aller Kraft gegen mich.
„Du musst mir mal berichten, ob in Paris alles noch genauso wunderschön ist", meint sie, setzt sich auf und beginnt ihre Haare geschickt zu flechten.
„Mit Vincent zusammen ist alles tausendmal schöner", sage ich voller Überzeugung und Pari nickt ernst zu meinen Worten.
„Mit ihm wird deine graue Welt sicher ein Stück bunter."
„Ja, bei dir bekommt sie bloß diesen Rosa-Tint, weißt du, welchen ich meine?"

Nachdem wir uns endlos verquatscht haben und die Nacht über uns hereingebrochen ist, hat Pari sich auf dem Balkon an mich gekuschelt. Unten schießen immer mal wieder Autos über die Kreuzung. Wie wir auf das Thema gekommen sind, kann ich nicht mehr genau sagen, aber ich rede seit zehn Minuten über meinen Vater und seine Entscheidung, in die Schweiz auszuwandern. Ohne Mama und mich.
„Konntest du ihm vergeben?"
„Ich dachte, ich hätte es, aber bisher war es trotzdem eine Bürde, wenn ich in seiner Nähe war. Vielleicht sollte ich ihn mal besuchen und schauen, ob ich mich mit dem Gedanken anfreunden kann, dass ich ihm nicht vergeben muss; dass es okay ist, sauer auf ihn zu sein, weil er seinen eigenen Weg damals gegangen ist, als ich ihn gebraucht hätte."
„Darf ich mitkommen, wenn du ihn besuchst?"
„Du?" Ich mustere sie gespielt herablassend von oben bis unten. „Kannst du dich eine Woche lang als liebevolle Freundin verkaufen?"
„Dafür kriege ich dann ...?", kontert sie.
„Junji Ito, die gesamte Horror Collection, wenn du möchtest." Ihre Augen leuchten auf, als ich den Manga anspreche.
„Alle sechzehn Bände, Hardcover", verhandelt sie mit mir. Ich küsse sie auf die Schläfe.
„Abgemacht. Wie kommst du mit deinem eigenen Manga voran? Hat das Projekt einen Arbeitstitel?" Sie nickt.
„Die gescannten Bilder sind nummeriert, alle Dateien auf der externen Festplatte heißen Sona. Wie meine Protagonistin."
„Was bedeutet der Name?"
Und so tauschen wir uns noch aus, bis fast schon der Morgen graut.

Wenn es von Anfang an zwischen uns gewesen wäre wie jetzt, wäre ich nicht ansatzweise so dankbar und zufrieden, das spüre ich. Es ist mir egal, dass sie mich in die Friendzone stecken wollte. Die Zeiten sind vorbei. Ich bin nicht mehr der, der ich mal war. Ebenso wenig wie sie.
„Was beschäftigt dich?", fragt sie mich unvermittelt.
„Dass wir einen weiten Weg hinter uns haben."
„Was lange währt, wird endlich gut", gibt sie eine Binsenweisheit zum Besten.
„Na ja, nicht immer. Aber bei uns stimmt das", stelle ich fest.

Candle Light Döner

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