Kapitel 9

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Verglichen mit dem, was ich seit meiner Ankunft in Etenia erlebt hatte, verliefen die nächsten Tage geradezu ereignislos. Morgens wurde ich vom Gong geweck, aß im großen Saal Frühstück und verbrachte dann den restlichen Tag, abgesehen von den Therapiestunden mit Erlo, in meinem Zimmer. Wilma hatte darauf bestanden, dass ich statt der Gruppentherapie eine weitere Stunde am Tag mit Erlo verbrachte. Auch wenn keiner von uns beiden begeistert davon war, hatten wir wenig dagegen auzurichten.

Die Freizeitaktivitäten auf meinem Stundenplan ignorierte ich und auch das Mittag- oder Abendessen ließ ich immer häufiger ausfallen. Es änderte sowieso nichts an meiner Lage, denn egal, wie lange die letzte Mahlzeit auch her war, ich schien keinen Hunger zu bekommen. Wilma kam einige Male vorbei, um mich wenigstens für die Freizeitaktivitäten zu begeistern, doch ich hatte keine Lust. Peinliche Ballspiele, Bastelstunden oder Töpfern waren das letzte, was ich gerade brauchte. Viel lieber schlich ich mich in den frühen Morgenstunden, wenn alle tief und fest schliefen, aus meinem Zimmer und schlenderte durch die leeren, halb abgedunkelten Gänge. Wenn es überhaupt jemandem auffiel, schien es ihn nicht zu stören. Schließlich war auch Schlaf hier nicht notwendig. Selbst wenn ich die ganze Nacht damit verbrachte, die Gänge und Büroräume zu erkunden, verspürte ich keinerlei Müdigkeit. Vielleicht war das ja einer der Vorteile, tot zu sein. Man musste sich nicht länger darum scheren, seinen Körper am Leben zu halten.

Die Therapiestunden selber vergingen genauso langsam und eintönig wie die erste. Erlo las mir Fragen vor und kritzelte während meiner Antworten ununterbochen in der pinken Akte herum. Je länger ich in seinem Büro verbrachte, desto häufiger wiederholten sich die Fragen und desto weniger gab ich mir bei meinen Antworten Mühe. Am Anfang hatte ich noch versucht, in mich zu gehen, bevor ich antwortete, nun schoss ich einfach das erstbeste heraus, das mir einfiel. Immerhin hatte Erlo den harten Holzstuhl gegen ein schmales Ledersofa ausgetauscht, auf das ich mich während der Stunde legen konnte.

Ein wenig hatte ich das Gefühl, Erlo erwartete jeden Moment, dass ich mich erinnerte oder sogar weiterging Dabei hatte ich immer noch keine Ahnung hatte, was ich dafür tun musste. Erlo wollte es mir ja nicht erklären. Er schien überzeugt davon zu sein, dass die Blockade sich früher oder später von alleine lösen würde, wenn ich mich nur lange genug auf die langen Fragekataloge konzentrierte. Doch nichts dergleichen passierte.

Je länger ich mich in der Zwischenwelt befand, desto mehr ging mein Zeitgefühl verloren. Ohne Schlaf verschwamm ein Tag mit dem anderen, aus einer Woche wurde zwei, vielleicht drei. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, doch als ich mich einen Morgen gerade für meine erste Therapiestunde fertig machen wollte, klopfte es an der Tür.

"Ja?", rief ich durch die Tür, erwartend, dass ich gleich Wilmas Stimme hören würde. Doch es war nicht Wilma. Es war Sofia.

"Hey", begrüßte sie mich, als ich öffnete. Überrascht sah ich sie an. Seit ich aus der Gruppenstunde geflogen war, hatte ich sie nicht gesehen. Pascal hatte ich einmal auf dem Gang getroffen, aber das war auch meine einzige Begegnung mit einem der ehemaligen Gruppenmitglieder. Mein eigener Tagesrythmus hatte den wunderbaren Nebeneffekt, dass ich mich um solche Dinge eigentlich nicht kümmern musste.

"Hey", antwortete ich.

"Darf ich reinkommen?", fragte sie.

Ich nickte und trat zur Seite. Sofia trat ein, sah sich kurz in meinem Zimmer um und ließ sich dann auf mein Bett fallen.

"Wie geht es dir?", fragte sie und zog ihre Beine in einen Schneidersitz. Ich sah sie ein wenig skeptisch an, doch ich hatte keine Ahnung, was für ein Hintergedanke hinter so einer Frage stecken konnte. Ich zuckte mit den Schultern. "Geht so. Mein Betreuer meinte gestern, dass ich ab nächster Woche vielleicht in eine andere Gruppe komme, aber im Moment ist es recht eintönig." Eintönig war untertrieben.

Sofia nickte langsam. "Kann ich mir vorstellen. Hast du denn wenigstens jemanden, mit dem du dich beim Essen unterhalten kannst?"

Ich hielt einen Moment inne, überlegte, ob ich einfach lügen sollte, doch dann schüttelte ich den Kopf. "Ich geh nicht mehr essen oder so."

"Willst du nicht?"

Wieder schüttelte ich den Kopf. Den Grund konnte Sofia sich bestimmt denken. Obwohl auch sie ihn vermutlich lange nicht mehr gesehen hatte. Das, was in meiner letzten Stunde passiert war, vergaß man nicht so schnell. Wir schwiegen einen Moment. Dann räusperte Sofia sich.

"Ähm, achso, der Grund, warum ich gekommen ist, ist eigentlich, also, ich wollte dich fragen, ob du gleich mit mir zum Töpfern gehen willst."

"Wie?", fragte ich überrascht.

"Ich wollte das mal ausprobieren, so zur Abwechslung und um ein wenig zur Ruhe zu kommen. Ich dachte, du hast vielleicht auch Lust. Der Kurs fängt heute um halb fünf an, in den Werkräumen hinten, neben dem großen Saal."

Lust hatte ich nicht wirklich, wenn ich ehrlich war. Wozu sollte das auch gut sein? Töpfern hatte hier in der Zwischenwelt genauso wenig Sinn wie alles andere. Da konnte ich ja auch gleich anfangen, durch die Gänge zu joggen, um mich fit zu halten. Ich bezweifelte, dass es mir dabei half, mich zu erinnern. Aber vielleicht tat mir Sofias Gesellschaft ja gut. Es war zu lange her, dass ich mich mal wieder ausführlich über irgendwelche unbedeutenden Dinge wie Sport oder Kunst unterhalten hatte. Außerdem, wenn man tagelang nur Erlo sah, war jede Abwechslung herzlich willkommen.

Sofia und ich vereinbarten, dass sie mich zehn Minuten vor Beginn der Stunde abholte. Dann verabschiedete sie sich und ich ging etwas verspätet zu meiner ersten Stunde mit Erlo. Auch wenn ich es selber nicht ganz zugeben wollte, freute ich mich ein wenig auf den Nachmittag, ein Gefühl, dass ich lange nicht mehr gespürt hatte.

Und in der Tat fühlte ich mich gleich ein wenig besser, als Sofia und ich nach der Töpferstunde zurück zu meinem Zimmer wanderten. Bei Mark, Emmas Betreuer, hatten wir gelernt, wie man einen Tonklumpen auf der Scheibe zentrierte und mithilfe eines Holzstückes zu einer simplen Schale formte. Ich ärgerte mich ein wenig darüber, dass mein Versuch trotz Marks Anleitung nichts geworden war, doch es war schön gewesen, sich währenddessen mit Sofia über ihre Zeit in der Zwischenwelt zu unterhalten.

"Kommst du nächste Woche wieder mit?", fragte sie, als wir meine Tür erreicht hatten. Ich überlegte einen Moment, dann nickte ich.

"Gerne." Ich lächelte. "Wenn ich nicht störe, natürlich", fügte ich schnell hinzu.

Sofia lächelte. "Auf keinen Fall. Du störst nicht. Die anderen haben dich auch gerne dabei. Sie müssen sich vielleicht nur ein wenig an dich gewöhnen, du weißt schon, nachdem das alles mit Lucas passiert ist."

Ich brummte frustriert. "Wundervoll. Quelle von Klatsch und Tratsch in der gesamten Abteilung. Aber schön, dass sie Spaß hatten."

"So meinte ich das gar nicht", sagte Sofia beschwichtigend.

"Ich weiß", sagte ich seufzend. "Es ist einfach nur verdammt frustrierend."

"Was genau?"

Ich sah Sofia nachdenklich an. "Alles."

Einen Moment war es komplett still, dann fingen wir beide an zu lachen.

"Tut mir leid", entschuldigte Sofia sich. "Ich sollte nicht lachen. Sorry. Du hast das nur so süß gesagt."

Ich winkte ab. "Alles gut. Danke, dass du mich mitgenommen hast. Das habe ich echt gebraucht heute."

Sofia nickte, noch immer ein wenig grinsend. "Du, morgen früh bin ich mit Colette und Emma zum Frühstück verabredet. Willst du mit?"

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