Max

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North Side, 24.08.1885

Ich spürte es. Ich wusste, bald war es wieder soweit. Vielleicht sogar heute. Der Spiegel würde wieder ein Bild zeigen. Und ich will der Erste sein, der hineinsieht. Immerhin war das schon fast zur Tradition geworden.

Es war nun fast zehn Jahre her, dass Stefan Rickkarden hier auftauchte und uns von einer anderen Welt erzählte, einer mit neumoderner Technik und Kutschen, die ohne Pferde fuhren.

Und es ist ebenfalls fast zehn Jahre her, dass er eine Geschichte schrieb, in der Zeit, wo wir ihn aufnahmen. Damals war ich neun oder zehn gewesen, das kann ich gar nicht mehr so genau sagen, als er einfach vor mir auftauchte und mich wie ein verrückt gewordenes Pferd ansah. Er hatte nicht gewusst, wo er war und was geschehen ist, genauso wenig wie ich.

„Sie sind in North Side", hatte ich ihm ängstlich geantwortet und war dann so schnell ich konnte davon gerannt, um meiner Mutter von dem fremden Mann zu erzählen, der wie aus dem Nichts vor mir aufgetaucht war.

Später stellte sich heraus, dass bei einem Hexenritual, indem ein Toter hätte beschworen werden sollen, die arme Hexe den Menschen namens Stefan herzauberte, und jener nun wirklich nicht das war, was sie erwarteten. Es gab einen kurzen Streit bezüglich seines Verbleibes und kurz darauf entschied man sich ihn nicht zu töten, sondern ihn bei uns, in meinem Haus, aufzunehmen und zu warten, dass er wieder verschwand.

Was jedoch keiner von uns wusste, war, dass er ein begnadeter Geschichtenerzähler war und daher beschloss, eine Geschichte über uns zu schreiben. Um genau zu sein, über mich und meine Freunde, als Entschuldigung dafür, dass er mich so erschreckt hatte.

North Side, 03.10.1875

„Mein lieber Max, hättest du einen Moment Zeit?"

Natürlich hatte ich das. Mr Rickkarden war nun schon mehr als vier Monate bei uns heimisch und hatte mir eine Geschichte versprochen, die er nun hoffentlich unter dem Arm hielt. Ein anderer Grund, weshalb er sonst einen Stapel Papier bei sich tragen sollte, fiel mir nicht ein.

Ich stellte also den Eimer voller Körner für die Hühner wieder beiseite, klopfte mir die Hände an der Hose ab und sah ihn erwartungsvoll an.

„Ich habe gehört, du wirst heute neun Jahre alt?" Er hatte sich vor mich gekniet und lächelte freundlich. Es stimmte, heute wurde ich neun. Mr Rickkarden war fünfunddreißig, das hatte ich mir gemerkt. Also nickte ich freudig.

„Na dann, alles Gute, hoffentlich wirst du mal ein großer, starker Mann." Er wuschelte mir durch die Haare und reichte mir dann die Blätter.

„Vielen Dank!", sagte ich voller Euphorie. Zwar konnte weder ich noch meine Mutter lesen, doch mein Vater war ein gebildeter Mann und würde mir daher sicher vorlesen, was Mr Rickkarden mir gab.
„Ich danke Ihnen viele Male, Mr Rickkarden." Ich fiel ihm um den Hals und er begann zu lachen.
„Jetzt, wo du doch ein großer Mann bist, kannst du mich auch gerne Stefan nennen."

Ich schaute ihn mit riesigen Augen an. Das war eine Ehre, die ich mir in meinen Augen nicht verdient hatte, doch das war noch nicht alles, was der Mann für mich bereithielt.

„Folge mir", sagte er und führte mich auf den Hof hinaus, wo Penelope stand, die Hexe, die ihn aus Versehen hierher brachte. „Penelope hat einen Zauber gefunden, mit dem ich wieder zurück in meine Welt kehren kann." Von oben hinunter schaute er mich erwartungsvoll an.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er hatte mir schon oft von seinem Zuhause erzählt, und ich konnte verstehen, dass er dorthin zurückwollte, aber ich konnte mir nicht mehr vorstellen ohne seine abendlichen Geschichten zu leben. Außerdem hatte ich gedacht, er und Penelope liebten sich, also warum wollte er gehen?
Scheinbar schien Stefan meine Trauer bemerkt zu haben, denn er kniete sich erneut vor mich und sah mir tief in die Augen. „Sei nicht traurig, Maximilian, das ist nicht alles, was ich dir sagen wollte. Zudem hat deine liebe Hexe auch eine Möglichkeit gefunden, die Geschichte, die ich für dich schrieb, mit deiner und meiner Welt zu verbinden, schau."

Er reichte mir einen Zettel mit einem eigenartigen Zauberspruch drauf.

„Wenn ich zu Hause bin, werde ich diesen Spruch in eine zweite Ausgabe deiner Geschichte schreiben und immer, wenn jemand den Einband dieses Exemplares öffnet und ihn liest, kannst du durch einen Spiegel in meine Welt sehen und beobachten, was die Menschen beim Lesen deiner Geschichte denken. Ist das nicht ein tolles Geschenk?" Er sah mich erwartungsvoll an und deutete auf den Spiegel hinter mir, der Penelopes ganzen Oberkörper verdeckte. Wo hatte sie ihn nur so schnell hergeholt?
„Nur Max, mein Schatz, ich möchte dich darauf hinweisen, dass dieser Spiegel allen Bürgern aus North Side gehört. Das ist ein mächtiges Geschenk für dich und deine Freunde, weißt du?" Ich drehte mich zu meiner Mutter um, die im Türrahmen stand und mich besorgt ansah und nickte.

„Braver Junge. Nun denn, ich wünsche dir alles Gute dieser Welt."

Mit diesen Worten hatte sich Stefan Rickkarden bei mir und dem ganzen Dorf verabschiedet und war zurück in seine Welt gegangen. Obwohl es Penelope niemals zugegeben hätte, aber sein Verlust hatte sie tief getroffen. Sie verließ North Side und wir hörten nie wieder von ihr.

North Side, 24.08.1885

Ich fragte mich, wo Peter und die anderen blieben. Eigentlich sollten sie längst hier sein. Ich hatte ihnen Bescheid geben lassen, dass sich an dem Spiegel etwas tun würde. Es war einige Monate her gewesen, dass jemand das letzte Mal Stefans Buch aufgeschlagen hatte und ich einen Blick auf seine Welt hatte bekommen können. Mit der Zeit war es den anderen recht egal geworden, was sich auf der anderen Seite tat. Der Spiegel war zwar nach wie vor ein Heiligtum, aber jeder aus North Side kannte unsere Geschichte mittlerweile auswendig und hatte genug vom Gucken. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich liebte diese Aufmerksamkeit, die die Menschen auf Ricks Seite uns beim Lesen gaben und wie die Mädchen von mir schwärmten. Es gab bis jetzt nicht eine, die Stefan nicht hatte von meinem Charme überzeugen können.
Erstaunlicherweise hatte er in seinen Erzählungen über mein Zukunfts-Ich komplett richtig gelegen. Vielleicht rührte es daher, dass ich seine Geschichte so oft hörte, dass ich zu dem wurde, was er mich machen wollte, oder aber er kannte mich einfach viel zu gut.

Mittlerweile hatte ich sogar lesen und schreiben gelernt und übernahm daher nicht selten die Aufgabe, Briefe für mein Dorf zu schreiben.

Und in noch einem Punkt hatte er recht gehabt: Unsere Squad war rebellisch. Peter, Matthew, Emma, Marlene und ich hatten seit einigen Jahren den Plan gefasst in den Süden zu gehen, weil wir das Landleben satthatten. Als hätte Stefan es gewusst ...

Nur eine kleine Sache hatte er nicht bedacht. Ich würde mich niemals in Emma verlieben. Auch wenn er es gerne so hätte... Und ich wollte auch nicht in dieser Welt leben, er hätte mich mitnehmen sollen, in seine. Die Welt, die so modern und frei war. Tja. Aber wie bereits erwähnt, war ich ein Rebell. Und das bedeutet, ich gab niemals auf.

„Maximilian, Max mein Lieber, wann wirst du endlich aufhören diesen Spiegel anzustarren?"

Mutter. „Mich interessiert nun mal Stefans Welt, was ist so falsch daran?" Ich spürte, wie sie hinter mich trat und mir ihre kleine Hand auf die Schulter legte. „Das was du dort siehst, ist nicht echt. Es gibt keine andere Welt, wie sollte diese Technik, die Mr Rickkarden uns zeigen wollte, funktionieren? Alles was du siehst, sind nur weitere seiner Geschichten. Ich hatte gehofft, das würdest du irgendwann verstehen."

Geschockt drehte ich mich zu ihr um. Ich konnte nicht glauben, was sie da sagte. „Du denkst also, alles was der Spiegel uns zeigt, ist nicht real? Sind das deine Worte? Wieso beschmutzt du damit Stefans Geschenk an uns?"

Sie senkte ihre dunklen Augen und strich sich einige Male über das schlichte Kleid, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. „Penelope ist sich sicher jemanden aus dem Totenreich geholt zu haben, nur nicht denjenigen, den sie haben wollte. Diesen Stefan ... gab es nie. Dieser Spiegel ist ein Relikt der Hölle, wir behielten ihn nur für euch Kinder, um euch nicht die Wahrheit zu sagen. Doch bist du nicht auch der Meinung langsam alt genug für die Wahrheit zu sein?"

Ich schluckte schwer, ihre Worte trafen mir mitten ins Herz. „Aber wenn Stefan tot ist, wie erklärst du dir, dass der Speigel Bilder zeigt? Wie, wenn Stefan nicht Wort gehalten hat?"
„Wie bereits gesagt, er war ein Geschichtenerzähler, alles was du siehst, stammt aus seiner Feder und die Bilder ... vielleicht half ihm der Teufel dabei um uns angst vor einer neuen Welt zu machen."

Ich sah ihr in den Augen an, dass es ihr leidtat, was sie da sagte, auch sie hatte den Fremden gemocht, doch ihre Worte waren ausgesprochen und geschockt trat ich ein paar Schritte von ihr weg. „Willst du damit sagen, alles was wir hier drin sehen, ist eine Lüge? Eine Fiktion? Tut mir leid Mutter, aber ich rechnete niemals damit, dass du mich und Stefan so hintergehen würdest."
Ich wollte davonstürmen, raus in den Wald hinter unserem Dorf, doch sie hielt mich sanft am Arm zurück. „Verzeih mir Maximilian, aber der Einfluss, den Stefan auf dich und die anderen Kinder nahm, war auf eine längere Zeit betrachtet kein Guter. Du musst einen Beruf erlernen und in den Ernst des Lebens finden und nicht länger deiner Rebellion nachjagen. Akzeptiere bitte die Realität und befreie dich von Stefans wilden Fantasien."

Ich riss mich von ihr los und rannte davon. Voller Wut trat ich den erstbesten Eimer weg und die dürren Hühner hinter dem provisorischen Gatter begannen zu gackern.

„Max! Max, warte doch!"

Doch ich hörte gar nicht auf Peters Stimme. Ich wollte nicht mit ihm reden, womöglich glaubte er Mutter und den anderen sogar. Ich konnte nicht noch einen Verrat verkraften.
„Max, komm schon, ich kann verstehen, wie sehr dich das mitnimmt, doch wie sollten sie die Verbindung zu dem Spiegel verstehen, wenn sie selbst nicht so betroffen sind wie wir? Du musst es ihnen nachsehen."

Mit zitternden Fäusten blieb ich stehen und drehte mich zu dem schmächtigen Jungen mit den blonden Locken um. „Nachsehen? Ich soll es ihnen nachsehen, dass sie alles zerstören wollen, was mich glücklich macht?"

Peter zuckte mit den Schultern. „Sie meint ja nur, dass du vielleicht aufhören solltest etwas nachzujagen, was du niemals fangen kannst. Egal wie viele Mädchen dich in einer anderen Welt anschmachten, es ist umsonst. Was ist mit Emma? Sie hängt so sehr an dir und du stößt sie weg."
„Das liegt nicht an den anderen Mädchen. Ich habe lediglich kein Interesse an ihr", sagte ich mit fester Stimme.
„Woran hast du denn überhaupt Interesse, außer an diesem Spiegel? Merkst du denn nicht, dass das echte Leben an dir vorbeizieht? Ich liebe es auch, einen Blick in den Spiegel zu werfen und mich von einer anderen Realität einnehmen zu lassen, doch irgendwann blicke ich wieder auf und denke mir, wie schön es doch hier ist, und hole mir dann ein Bier. Wann wirst du endlich aufsehen?"

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich fühlte mich verraten, von der ganzen Welt.

Hinter Peter sah ich meine anderen Freunde angelaufen kommen, doch ich fühlte mich nicht dazu in der Lage, auch ihren guten Ratschlägen Gehör zu schenken. Also setzte ich meinen Weg in den Wald fort, um über diesen missratenen Tag nachzudenken.

Ich werde nicht aufgeben ...

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