Mittwoch - 63.3 - die Erlösung

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Don't forget - it's fiction!

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Ich sitze auf meinem Sofa und fühle mich alleine. Am Sonntag sind wir alle aus London abgeflogen. Es war schon Montag Morgen hier, als die Jungs in Las Vegas ihren nächsten Triumph gefeiert haben. Dann kamen die ganzen Interviews und der Flug über Nacht und über die Datumsgrenze. Nun ist es dort und hier Mittwoch, und sie sind uns wieder „nur" acht Stunden voraus in der Zeit. Ich sitze oft ganz still da und denke über die letzten Wochen nach. Ich schaue oft auf meine neue Uhr und freue mich. Ich verfolge mit, wie die ungeordnete Schlacht im Internet allmählich abebbt, weil nun auch die großen SozNet-Riesen dagegen einschreiten, dass ihre Plattformen so missbraucht werden.

Aber ewig kann ich ja nicht rumsitzen und Schimmel ansetzen. Irgendwie muss ich einen Weg finden zu verarbeiten. Also gehe ich an meinen PC und schaue mir die Foto-CD's und die Videos an, die in dem Buch eingearbeitet sind. Da sind soooooo viele tolle Aufnahmen dabei, die wunderbar von unsrer gemeinsamen Zeit hier erzählen. Genau so Spaß habe ich an den Bildern von deren Tour und entdecke noch einmal mit ihnen zusammen Europa.

Und ich denke schon wieder darüber nach, dass ich so sehr eine persönliche Geste von Namjoon vermisse. Gefühlt hundertmal habe ich inzwischen alles abgesucht, aber einfach nichts finden können. Und das macht mich verrückt. Aber ich kann ja schlecht da anrufen und fragen:"Sag mal, Namjoon, hast du mir eigentlich auch was Persönliches geschenkt???"
Ich schüttele über mich selbst den Kopf.
Was brauche ich denn noch für Beweise, dass ganz besonders Namjoon mir ganz eng verbunden ist? Richtig. Keine! Ich stelle mich glaube ich grade ziemlich doof an.

Ich gehe hoch in die Küche. In gut einer Stunde kommen Maja und Simon nach Hause, ich sollte mal anfangen mit Kochen. In dem Moment brüllt mein BTS-Phone Bangtan Sonyeondan". Auf der Stelle lasse ich den Kühlschrank wieder zufallen.
O.K., heut gibt's Pfannkuchen, die gehen schnell. Kochen? Keine Zeit!
Ich flitze zum Sofa, mache es mir gemütlich und öffne den Chat. Es ist Namjoon - wie ich gehofft hatte.

Superhirn:"19:37    Liebe Tina! Es tut gut, wieder zu Hause zu sein. Und gleichzeitig ist es verwirrend, nicht mehr derselbe zu sein. Alle anderen haben sich müde durch den Tag geschleppt, ich sitze seit dem Frühstück ununterbrochen auf dem Balkon und starre Löcher in die Luft. Um in Deinem Bild zu bleiben: mein Luftballon ist leer. Und offensichtlich auch löchrig, denn am kommenden Wochenende geht's ja weiter mit dem Stress, aber das motiviert mich kein winziges Stückchen zu irgendwas. Jimin hat sich lieb um mich gekümmert. Yoongi hat eben mit mir die Leere in meinem Kopf sortiert - und wahrscheinlich tatsächlich rausgefunden, was los ist.
Ich bin ein Idiot und entschuldige mich jetzt schonmal in aller Form!
Ich habe ja an dem Buch für Dich mitgearbeitet, das war sozusagen mein Part am allgemeinen Schenken. Aber das war mir eigentlich gar nicht so wichtig, und ich glaube, dass Du das auch so siehst. Viel wichtiger wäre es gewesen, nochmal eine halbe Nacht mit Dir auf einem Sofa verbringen zu dürfen, Dir nahe sein zu dürfen, Dir erzählen zu können, was in diesen neun Wochen alles mit und in mir passiert ist, genießen zu dürfen, was Du alles zu verschenken hast. Weil es klar war, dass es diese letzte Sofastunde für uns nicht geben würde, habe ich Dir einen langen Brief geschrieben und den in das Buch gesteckt. Die Quinte..."

Hektisch springe ich auf, rase zurück in den Keller zum PC mit dem Brief in der Hand und greife nach dem Buch. Ich blättere es wieder durch. Aber da fällt nichts raus.
Schnell weiter lesen!
Ich plumpse an Ort und Stelle auf meinen ausgeleierten Bürostuhl und lese weiter.

"Die Quintessenz unserer vielen realen und virtuellen Sofastunden soll mein Geschenk an Dich sein. Und Yoongi hat nun eben kapiert, warum ich heute den ganzen Tag so doof rumgesessen habe. Ich selbst war sogar zu stumpf, um das zu kapieren. Ich habe gewartet! Auf irgendeine Reaktion von Dir. Und jetzt kommt der Teil mit dem Idiot - der Brief steckt, weil da am meisten Platz war, in der CD-Box vom Highlight Reel. Selten so daneben gelegen ... Yoongi hat vermutlich Recht, dass Du diese CD-Box bisher noch nicht mal geöffnet hast. Oder? Dann tu es jetzt. Bitte!"

Vollkommen starr glotze ich auf die Buchstaben und kann nicht fassen, was ich da lese. Jepp, ich unterschreibe ohne zu zögern, das „Idiot" und preise den praktischen Verstand unseres Yoongi. Dann hole ich den Brief aus der CD-Box und freue mich wie Bolle. Der Umschlag ist proppenvoll und dick. Ein richtig langer Brief. Ich halte dieses Geschenk ganz fest, und dann antworte ich erstmal Namjoon, damit er von der Ungewissheit erlöst ist.

Mother.of.our.Hearts:"19:46    Lieber Namjoon! Gefunden!"

Mother.of.our.Hearts:"19:48    Wenn ich ehrlich bin - als ich hier Sonntag Abend all die wunderbaren Geschenke noch mal in Ruhe betrachtet habe, war ich schon irritiert. Nicht, weil ich ein Geschenk zu erwarten hätte. Sondern weil in allen vorhandenen Geschenken eine Persönlichkeit zum Vorschein kam - und Deine fehlte. Du hast bestimmt genau so viel Arbeit in das Buch gesteckt wie die anderen. Aber das ist nicht, was Dich ausmacht, und darum hat mich das total verwirrt. DU hast mir gefehlt - mein liebenswerter, fragender, suchender, ehrlicher, mutig querdenkender und so aufmerksam zuhörender Philosoph. Darum bin ich seit Sonntag eigentlich nur wie Falschgeld hier rumgelaufen. Und hab gesucht. Und gesucht. Und Dich vermisst. Und jetzt hab ich Dich gefunden! Danke!!!! Ich mein - ich hab den Brief ja noch gar nicht gelesen. Aber ich WEIß: in dem Brief steckst Du! Jetzt bin ich glücklich."

Superhirn:"19:53    Dann bin ich jetzt beruhigt und freue mich drauf, dass Du mir irgendwann eine Rückmeldung geben wirst. Und jetzt lege ich endlich meinen absolut leeren Luftballon auf mein Kopfkissen. Gute Nacht - wenn es bei Euch so weit ist ..."

Mother.of.our.Hearts:"19:54    Dir auch eine gute Nacht, Du wundervoller Freund!"

Und schon mache ich mich über den dicken Umschlag her und versinke in Namjoons sogar sorgfältig von Hand geschriebenem Brief.

Liebe Tina,                                       Freitag, 18. Mai 2018
Du wunderbare, einzigartige Herzensmutter!

Wir sind nun in London, es ist Freitag Nacht, najaa, eigentlich Samstag viel zu früh, und morgen werden wir das durchgeknallteste Konzert ever geben, einfach nur für Dich. Seit dem Abend, an dem die Sirenen das Ende der Ausgangssperre verkündet haben, planen und organisieren und proben wir daran herum. Es macht viel Arbeit - und unglaublich viel Spaß!

Wir haben eben kurz miteinander gesprochen, aber - mein Herz ist so voll mit all dem, was bei Dir und durch Dich in meinem Leben passiert ist. Ich sehne mich so sehr danach, das alles mit Dir zu teilen, es macht mich verrückt, dass ich dazu keine Gelegenheit mehr haben werde. Das ist ja schon das erste, was Du verändert hast. Ja, ich habe immer mal Sorgen mit Yoongi geteilt. Aber im Wesentlichen war ich sieben Jahre lang alleine mit mir, meinen Aufgaben, meinen Sorgen, Ängsten und Gedanken. Ich fand das normal, und oft wollte ich das auch. So nah wie Du ist mir in meinem ganzen Leben noch nie jemand gekommen. Und ich habe festgestellt, dass ich gar nicht mehr ohne das kann.
Und nicht will. Ich will nie wieder missen, mit Yoongi eine Team-Leitung zu sein. Ich will nie wieder das Gefühl missen, dass wir alle Sieben zusammen den Karren aus dem Dreck ziehen und dazu all unsere vielfältigen Gaben zusammen einspannen. Ich will nie wieder missen, so jenseits aller Klischees und Öffentlichkeit und kulturellen Zwangsjacken frei Schnauze reden, fragen, fühlen und sein zu dürfen. Denn das bedeutet Dein Sofa für mich. Freiheit. Ehrlichkeit. Solidarität.
Du hast MICH gesehen, nicht die Fassade und die Meinungen, die Träume, Vorurteile und Klischees, die über mich im Internet kursieren. Du hast mich in Deine Küche geholt und machen lassen, ohne nervös zu werden. Du hast keine ehrfürchtigen Bücklinge vor meinem Verstand gemacht sondern mich herausgefordert. Aber Du hast auch keine falschen Erwartungen damit verknüpft sondern mein Ganzes gesehen. DAS war ungewohnt! Du hast mich mit keiner Frage, keiner Sorge, keiner Entscheidung allein gelassen - und hast sogar ohne Nachbohren ausgehalten, dass ich Dir die Anspannung, das Geheimnis um Yuiko nicht anvertraut habe. Obwohl Du gespürt hast, dass mich da was schier in Stücke reißt. Das war bestimmt nicht leicht für Dich!
Du hast gewusst und geachtet, dass wir untereinander zwar viel Körperkontakt haben, weil wir sozusagen einander Elternersatz waren und sind, dass Berührungen ansich aber in unserer Kultur nicht stattfinden. Und Du hattest das Gespür dafür, wann es eben doch richtig und nötig war, in direkten Kontakt mit uns zu treten, uns zu erden, uns zu halten, uns spüren zulassen, dass Du uns liebst, wie nur eine Mutter ihre Kinder lieben und knuddeln und ermutigen kann. Berührungen von Fremden fühlen sich furchtbar falsch an. Aber als Du mich müdes Etwas am ersten Abend beiseite genommen und mir die Augen geöffnet hast für Jimins Krankheit und seinen Zustand, da habe ich gar nicht danach gefragt. Ganz vorsichtig hast Du getestet, ob Du mich berühren darfst. Und ich habe mich sofort gefühlt, als würde mir jemand ein kühles Tuch auf die fiebernde Stirn legen. Du hast mich spüren lassen, dass ich nicht alleine bin. Und da waren wir noch völlig Fremde füreinander!

Hast Du eine Ahnung, was Du angerichtet hast? Stell Dir vor - als wir in Berlin waren, bin ich in der ersten freien Minute in eine große Buchhandlung gestürzt und habe mir ein Lehrbuch und einen Vokabeltrainer für Deutsch gekauft. Und die Märchen von Hesse. (Welches war das nochmal, das du so besonders gern magst?) Und deutsche Kurzgeschichten. Und das Hauptwerk von Hegel. Merkste was??? NICHT Nietzsche ...
Aber letzten Endes sind diese Bücher nur ein Symptom. Ein Symptom dafür, dass Du in mir eine Saat gesät hast. Du hast ganz richtig erkannt, dass ich mehr der Denker bin, der Analysierende, der Fragende. Ich bin nicht der Macher. In meinem Gedankenturm habe ich im Laufe der letzten Jahre einige Gedanken, Sätze eingebaut, die zum Fundament geworden sind, gegeben, unverrückbar, unersetzlich für meine Identität: „Ich tue meine Pflicht." - „Ich trage meine Verantwortung." - „Ich bin Atheist." - „Ich mache alles kaputt." - „Ich bin unwichtig." - ach ... u.s.w. Da sind noch viel mehr solche Sätze in diesem abgeschiedenen Turm verbaut. An nahezu allen hast Du gerüttelt. Manchen Stein in diesem aus Sätzen gemauerten Turm hast du losgeklopft. Und ein paar neue Steine hast Du mir gereicht, denn Du wolltest nie zerstören, nie diesen Turm einreißen, höchstens ein paar Fenster öffnen und Licht und Luft hineinlassen. Du wolltest einfach ehrlich sein. Und das ist Dir gelungen.
Der Stein „Ich mache alles kaputt." wurde als erstes ersetzt. Nach dem Knall mit Jeongguk ging es Euch beiden nicht gut. Aber dabei bist Du Dir doch treu geblieben. Du warst fest überzeugt und hast das gelebt: keine Klischees. Sanft hast Du diesen Stein aus meinem Turm ... ja, herausgestreichelt, hast mir die Zeit gelassen, mir den Schutzraum gegeben, in dem ich ausprobieren durfte, ob und wie es anders gehen kann. Ich bin kein ausgeprägter Feinmotoriker, wahrlich nicht, das wäre gelogen. Aber ich bin auch nicht der Zerstörer, den alle in mir sehen, den ich selbst in mir gesehen habe. Ich muss, ich durfte langsam machen, dabei sorgfältig sein und mich selbst neu erleben.

Es war so wunderbar in den Tagen bei Euch - wir hatten keine Ahnung, wie lange das dauern würde. Wir hatten keine Kalender, kaum eine Uhr, nur Pflichten, die direkt hier und jetzt für das Zusammenleben wichtig waren, keine ToDo-Listen, keinen Druck im Nacken, keine laufenden Kameras, die wir nicht wollten, keine Dienstbesprechungen. Wir hatten so viel Zeit, dass es in uns Wünsche geweckt hat. Du hast sie gespürt, hast ihnen Raum gegeben, hast uns ermutigt, uns selbst auszuprobieren, uns neu zu entdecken. Deine Phantasie, uns zu beschäftigen, uns neugierig zu machen, uns abzulenken, war und ist schier grenzenlos. Das war der zweite Stein, den Du ersetzt hast:„Ich tue meine Pflicht." Der neue Stein heißt nun:"Ich spüre, was in mir ist, ich erfahre, was ich wirklich bin und brauche, ich hebe meinen Blick und gehe los." Das heißt ja nicht, dass ich meine Pflicht nicht mehr tue. Aber ich habe eine neue Motivation, die Pflicht hat ein anderes Gesicht.

Fein hast Du gespürt, als der nächste Stein ersetzt werden musste:„Ich trage meine Verantwortung." Wie oft bin ich unter dieser Verantwortung fast zerbrochen in all den Jahren. Du hast Dir meine Last auf Deine Schultern umverteilt, hast mich erleben lassen, dass jemand mitträgt. Von der ersten Minute an! Indem Du erkannt hast, was mit Jimin los ist und das Problem nicht zur Tür rausgeschoben sondern die Herausforderung angenommen hast, indem Du ihm eine neue Tür zum Leben geöffnet hast - ist auch bei mir eine Tür aufgegangen. Du hast nicht nur Jimin gerettet. Du hast mir beigebracht, dass Lasten kleiner werden, wenn man sie besser verteilt. Wie in unserer Wasser-Weltkugel, in der die Drei oben nahezu alles anstellen können - solange sie ihr Gewicht gleichmäßig auf die Drei unteren verteilen. Yoongi an meiner Seite zu wissen in dieser Teamleitung, hat mich durch die folgenden sieben Wochen gerettet. Was da alles auf uns zukam, konnten wir nur zu Zweit bewältigen. Ich alleine wäre gnadenlos untergegangen in diesem Strudel der Ereignisse.

Nahezu zeitgleich hast du auch an dem Stein „ich bin unwichtig" gerüttelt. Indem Du jeden von uns sorgfältig und liebevoll wahrgenommen hast, hast du jedem von uns unsere Einzigartigkeit vor Augen geführt. Nicht erst in Deinen Briefen hast Du jedem von uns gesagt, dass es ohne jeden einzelnen von uns nicht geht. Wie oft haben wir in den folgenden Wochen da gestanden und gedacht oder laut gesagt:"Wir sind Sieben!" Bei Jeongguks Absturz in Stockholm noch viel mehr als ohnehin schon bei Jimin - wir waren inzwischen so aufeinander eingeschwungen, dass wir jeder in die Waagschale werfen konnten, was grade die Situation erfordert hat. Keiner von uns läuft jetzt mit stolzgeschwellter Brust rum und schiebt ein „Ich bin so toll!" vor sich her. Aber wir fühlen uns eben nicht mehr wie austauschbare Rädchen in einer Maschine sondern wie einzelne Farben, die gemeinsam ein Bild zum Erstrahlen bringen.

Und dann war der innere Weg frei fürs Philosophieren. Sofatime! Du hast immer wieder betont, dass Du uns nicht missionieren willst, dass Du uns nichts aufdrängen willst. Wir mussten manchmal sogar energisch werden, um Dich aus der Reserve zu locken. Gleichzeitig hast Du uns tagtäglich vorgelebt, dass Du Du bist, dass Du Kraft hast, dass Du weiter machen kannst, weil Du wiederum jemand hast, der die Lasten mit Dir teilt. Du hast ein Leben mit Gott so greifbar werden lassen, dass der Mörtel um den Stein „ich bin Atheist" ziemlich bald anfing zu bröseln.
Und was hab ich alles aufgestellt, um den Stein festzuhalten! Um Dich und Deinen Gott auf die Probe zustellen. Aber Du hast einfach festgehalten daran, dass Du Deine Kraft nicht aus Dir heraus schöpfst. Sondern dass Du selbst getragen bist. Du hast uns nie etwas vorgemacht. Du hast nicht versucht, etwas zu beweisen, hast Dich nie für irgendwas gerechtfertigt. Wir haben wohl gemerkt, wenn Du mit Deiner Kraft und Weisheit am Ende warst. Und dann bist Du aufgestanden, hast gebetet, hast gesungen und bist wieder ruhig, klar und sicher geworden. Es war so verblüffend, Dir dabei zuzusehen! Du hast Deinen Gott einfach machen lassen - für Dich - und bei uns.
Oh Mann, war ich wütend, als die besch... Sirenen unsere drei Ältesten so traumatisiert haben. Ich habe Dich attackiert. Ich wollte, dass Du endlich mal nervös wirst, keine Antwort mehr weißt, dass Du zugeben musst, dass Dein Gott versagt hat. Dass so ein Gott nicht existieren kann. Und Du? Hast einfach da gesessen, mir in allem Recht gegeben, hast zugegeben, dass es im Leben Dinge, Momente, Ereignisse gibt, die wir nicht verstehen können. Hast zugegeben, dass es Ungerechtigkeiten gibt, dass Gott das nicht verhindert, dass wir damit leben müssen, dass dieser Gott uns nicht in Watte packt. Das nennt man dann wohl „den Wind aus den Segeln nehmen" ...
In Frankfurt, im Dom, hast Du ein wunderschönes Gotteslob gesungen. Wir hätten Dich auch einfach alleine singen lassen können. Aber Du hast uns hinein-gesungen in die Gegenwart und Geborgenheit Gottes. In Rom haben wir, in Gedanken an Dich und Deine segensreiche Hand über uns, das Magnificat sogar ohne Dich gesungen.
Und als wir Jimin abgeholt haben und wir beide unsere letzte Sofatime hatten - da hat es mich schier in Stücke gerissen, dass ich meine Nervosität wegen Yuiko, meine Angst, abgelehnt zu werden, meine Angst, ihr weh zu tun, nicht in Deine beruhigenden Hände legen durfte. Stattdessen habe ich Dich um den Segen im Namen des Gottes gebeten, dessen Existenz ich bisher immer geleugnet hatte. Und es hat so gut getan, es hat mich so ruhig gemacht! Ich glaube, das war der Moment, in dem ich den Stein habe loslassen können.
Was fühlst Du, was denkst Du - jetzt in dem Moment, wo Du das liest? Ist es Triumph, Erleichterung, Irritation, Unglaube, Ansporn, Genugtuung? Als Yuiko mich im Tower in London gefragt hat, warum wir diese christlichen Lieder von Dir singen, und ob ich nun auch daran glaube, konnte ich ihr antworten:
N.nein. Du hörst mich zögern mit der Antwort. Ich bin dadurch nicht zum überzeugten Christen geworden. Aber ich habe auf jeden Fall begriffen, dass Religion kein Placebo zur Selbstregulation ist sondern etwas Lebendiges, Pulsierendes, Gegenseitiges. Ich habe gesehen, habe erlebt: ihr Glauben hat uns alle getragen. Also halte ich jetzt zumindest echten, gelingenden Glauben an etwas Höheres außerhalb von mir für eine Realität, die ich nicht länger leugnen kann. Und darüber hinaus habe ich einen ungeheuren Respekt vor ihrer Religion, vor ihrem Gott bekommen. Ich habe Hochachtung gelernt dabei. Ganz egal, ob es ihn gibt oder nicht. Ob ich an ihn glaube oder nicht - dieses 'wasauchimmer' hat uns alle getragen."
Und daran glaube ich tatsächlich ganz fest. Du hast mich gesegnet, hast mir diesen zauberhaften Segen gesungen, der in so wunderbare Bilder fasst, wie Gott uns versorgen und schützen will. Du hast mich dabei berührt. Und ich kann bis heute nicht beschreiben, was ich in dem Moment gefühlt habe. Ich weiß nur, dass es gut getan hat, mich ruhiger gemacht hat und bereit für das, was vor mir lag, es hat mir Mut gemacht - es hat sich richtig angefühlt. Um den Segen zu bitten und, ihn zu bekommen.
Und zwar über diesen Moment hinaus. Yuiko ist am Dienstag Abend in London angekommen. Die stillen Morgenmomente auf dem Balkon waren wunderbare Geschenke, unsere kleinen Ausflüge in die Stadt waren Feuerwerke an Neugierde, Humor und Glückseligkeit, die Proben wegen der schwebenden Situation ein einziger Krampf und der Donnerstag der blanke Horror. Ich habe so sehr gezweifelt, ich hatte solch eine Angst um sie und davor, diese Chance zu vergeigen, sie endgültig zu verlieren. Deine Abschiedsworte haben mich getragen. Du erinnerst Dich? "Was auch immer dich bewegt - lass dein Herz sprechen." Und dann hast Du mich noch einmal gesegnet. Mehrfach in diesen Tagen in London habe ich meine Angst überwunden, konnte ich über meinen Schatten springen, weil diese Worte mich begleitet haben, weil ... -ach, keine Ahnung, wie! - Dein Segen war wie ein Schutzwall gegen die Angst.

...lass dein Herz sprechen." Das bist Du. Das macht Dich aus. Das macht Dich nicht zur Heiligen. Aber es macht diese Welt zu einem schöneren Ort. Unsere Welt. Meine Welt. Danke!
Von ganzem Herzen, Dein Joonie

Langsam lasse ich den Brief sinken. Registriere, dass meine Beine eingeschlafen sind vor lauter Anspannung. Und dass mein Herz sich wunderbar leicht anfühlt, weil jedes einzelne Wort von Zuneigung und von Ehrlichkeit spricht. DAS ist tatsächlich ein ganz wunderbares Geschenk! Dieser Brief ist voll von Namjoon, voll von seiner Persönlichkeit. Ich hoffe jetzt einfach mal, dass er zum Schlafen sein Phone ausgemacht hat, denn ich möchte die Frage, die er im Brief gestellt hat, sofort und spontan beantworten.

Mother.of.our.Hearts:"   Lieber, lieber Joonie! DAS ist, wonach ich die ganze Zeit gesucht hatte, wonach ich mich gesehnt hatte - ein echtes Stück Joonie, ein echtes Stück von meinem Philosophen. Ich bin berührt und unglaublich dankbar für dieses einzigartige Geschenk. Wir werden sicher noch öfter darüber reden. Doch zunächst möchte ich Dir Deine Frage beantworten, damit Du das gleich morgen nach dem Aufwachen lesen kannst.
Du schreibst:'Ich glaube, das war der Moment, in dem ich den Stein habe loslassen können. Was fühlst Du, was denkst Du - jetzt in dem Moment, wo Du das liest? Ist es Triumph, Erleichterung, Irritation, Unglaube, Ansporn, Genugtuung?' Meine ganz spontane Antwort ist:'Ich bin NEUGIERIG!' Ich bin neugierig, was Du an Stelle des 'Atheismus'-Steines in Deinen Turm setzen wirst. Ich bin neugierig, wohin Dich diese Reise führen wird. Ich bin neugierig, ob Du vielleicht eines Tages ganz aus dem Turm heraus kommen und etwas neues aus den Steinen bauen wirst. Ein gemütliches Haus? Eine Mauer zum Schutz? Eine Brücke, die verbindet?

Und jetzt muss ich wirklich ganz schnell in die Küche und kochen. Maja und Simon können jeden Moment zur Tür rein kommen.
Fühl Dich fest umarmt und gesegnet, Deine Tina

P.S. Mein Lieblingsmärchen von Hesse ist "Pictors Verwandlungen". "Die Stadt" und "Augustus" mag ich auch sehr, aber "Pictor" ist etwas Besonderes.

Völlig verrückt. Mittendrin beim Lesen habe ich noch eine besondere Nachricht bekommen. Yuiko hat ihren Kanal wieder öffentlich gestellt. Und sie hat ein Cover hochgeladen, das mich schier vom Hocker haut. Was für eine wundervolle, starke, selbstbewusste Kämpferin! Schnell kommentiere ich unter dem Song, bevor ich weiter Namjoons Brief suchte.
"Getting out of the cage, showing, that You're definitely not speechless. I'm so proud of You!!!"

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17.6.2019    -    10.12.2019    -    3.6.2020

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