19. Kapitel- In dem Detektiv Sammy eingreift

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„Don't let the sun catch you cryin'
The night's the time for all your tears
Your heart may be broken tonight
But tomorrow in the morning light
Don't let the sun catch you cryin'"
(„Don't let the Sun catch you crying", Gerry & the Pacemakers)

„Was zur Hölle ist denn hier passiert?"

Mein kleiner Bruder macht eine ausladende Geste und sieht mich mit anklagendem Blick an. „Nein, noch wichtiger; was zur Hölle ist mit dir passiert?"
Ich fahre mir geistesabwesend über meine Gesicht, als könnte ich die Wunden damit auf magische Weise verschwinden lassen.
„Was machst du hier, Sammy?"

Aus irgendeinem Grund macht mich sein Auftauchen äußerst wütend. Ich habe nicht darum gebeten, dass er mir einen Besuch abstattet. Und seine Vorwürfe kann ich jetzt schon gar nicht gebrauchen.

„Na ja, anscheinend bin ich genau zur richtigen Zeit gekommen, sonst wäre das alles hier wahrscheinlich nur noch ein einziger Trümmerhaufen, so wie du bereits gewütet hast."
„Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst", wehre ich ab und ernte dafür Sammys typischen „Ach-wirklich" Blick.
Den konnte er schon immer besonders gut; seine Augenbrauen schieben sich nach oben und seine Augen weiten sich. Die Mundwinkel zucken leicht, runden den ironischen Ausdruck damit perfekt ab.

„Spar dir den Blick."
„Welchen Blick?"
„Du weißt genau von welchem Blick ich rede."
Anstatt zu antworten sieht er mich einfach nur weiter mit genau diesem Blick an und ausgerechnet das setzt mir mehr zu, als alles andere.
„Wenn du nur hergekommen bist, um dich über mich zu amüsieren. Da ist die Tür." Ich deute demonstrativ auf den Durchgang zur Bibliothek hinter mir.

„Dean, ich bin hier, weil du dich nie zurück gemeldet hast. Du wolltest mich mal besuchen, du erinnerst dich? Oder warst du zu besoffen, um dir zu merken, dass du einen Bruder hast?"
Autsch, der hat gesessen. Runde Nummer 2 im Kampf der Anschuldigungen.
„Okay, ja, ich habe gesagt, dass ich vorbei schauen werde. Und das hatte ich auch vor. Wirklich. Aber-"
„Aber?" Seine Nasenlöcher blähen sich auf und die Kiefergelenke treten hervor. Beides sind deutliche Zeichen, dass er wütend ist. Sehr wütend.
Ich dagegen hebe abwehrend die Hände und ziehe mich in die Defensive zurück. Wenn Sammy wütend wird- und das geschieht nur sehr selten-, gewinnt er jeden Kampf, wirklich jeden.

„Etwas ist dazwischen gekommen."
Er verschränkt die Arme und schlendert einige Schritte durch das Chaos. „Lass mich raten; Alkohol?"
Ich zucke mit den Schultern, versuche so gleichgültig, wie möglich dreinzuschauen. „Schon möglich."
Seine Hand wandert Richtung Stirn und er knetet sein Nasenbein. „Wieso säufst du dich in den Ruin?"

Stille. Elend langsam verstreichen die Sekunden, während denen ich überlege, ob ich es ihm erzählen sollte. Ihm gestehen sollte, dass ich mein Herz verloren habe und nun mein Leben keinen Sinn mehr ergibt. Würde er es überhaupt verstehen?
Vermutlich nicht.
Er hat eine Freundin, ist glücklich verlobt. Gut möglich, dass er mich in seinem Ärger sogar auslacht.

„Dean, raus damit."

Andererseits ist die Last so drückend, dass ich zu ersticken drohe. Die Zeit mit Cas habe ich nie mit irgendjemand anderem geteilt. Ich habe sie immer nur gelebt. Immer nur für den einen Augenblick, den einen Moment. Die eine perfekte Sekunde, die der nächsten noch besseren Sekunde Platz gemacht hat.
All die Zeit immer nur mit- und für ihn gelebt.

Als sei er mein persönlicher Schatz. Ein Schatz, den ich nie teilen wollte. Mit niemandem auf dieser Welt.
Erst jetzt, wo er weg ist, sehe ich die Dinge anders; er ist nicht länger ein wertvolles Gut, einzig für mich bestimmt.
Nein, inzwischen kommt es mir vor, als sei er die ganze Zeit über nur mein kleines, schmutziges Geheimnis gewesen. Ein Mensch, nein viel eher eine Reihe von Ereignissen, für die ich mich im Nachhinein vielleicht sogar schämen sollte. Immerhin habe ich einen vollkommen Fremden verführt, ihn in mein Leben gelassen, ohne irgendetwas dabei zu hinterfragen. Ich habe ihn mit offenen Armen empfangen, mich in seinen himmelblauen Augen verloren, ohne dabei auf die tickende Bombe, um seinen Hals zu achten.
Ausgeblendet habe ich sie: seine kuriose Amnesie. Seine suspekten Heilerkräfte.

Jetzt, wird mir unliebsam die Realität offenbart. Mir wird auf einmal bewusst, dass auch er kein perfektes Wesen ist. Dass auch er vermutlich vor Makeln und Fehlern strotzt.
Er war es doch, der vor Antworten davon gerannt ist. Der sich nie die Mühe gemacht hat, seine Vergangenheit in Frage zu stellen. Wahrscheinlich, weil er tief im Inneren bereits wusste, dass es dort Dinge gibt, die er lieber nicht mehr wissen wollte.
Oder sogar, weil es nie eine Amnesie gegeben hat.

Und letztendlich ist er doch gegangen, ohne sich bei mir, dem, der ihm ein zuHause gegeben hat, zu verabschieden.
Eine Tatsache, die ich in den vergangenen Tagen blindlings ignoriert habe, weil ich sie nicht sehen wollte.

Aber ich wollte nicht nur seine Fehler vergessen. Nein, jede Sekunde mit ihm, wollte ich, mehr als alles andere, meine eigenen vergessen.
Vergessen, wie sehr ich mich selbst verachte.

Dafür, dass ich Sammy kein Vater sein konnte, keine Mutter. Ihm keine Familie geben konnte, nicht so, wie er es verdient hätte.
Und dann, als er endlich in Gabby eine Familie gefunden hatte, sie ihm nicht einmal gönnen konnte, ohne stechende Eifersucht zu verspüren.

Dafür, dass ich Bobby und Jo und Ellen und all die anderen nicht schützen konnte.
Für all das Blut von Unschuldigen, dass ich ‚als Mittel zum Zwecke' bereitwillig vergossen habe.
Durch ihn habe ich all das vergessen können. Er hat die Amnesie an mich weitergegeben, für einen kurzen Augenblick waren sie fort. Die Lasten der Vergangenheit.
Doch jetzt bin ich wieder dort angekommen, wo alles angefangen hat.
In der wahren, unbarmherzigen Welt.

Nun kann ich es mir eingestehen. Nun brauche ich keine schützende Hand mehr über die Zeit mit ihm zu halten. Ich kann mein schmutziges Geheimnis an die Oberfläche bringen. Ich muss es tun, wenn ich nicht will, dass die Fäule mich zerfrisst und zusammen mit dem Alkohol meinen Zerfall herbeiführt.

„Castiel."

Es fühlt sich merkwürdig an seinen Namen auszusprechen, ohne, dass er anwesend ist. So viele Erinnerungen haben sich in so kurzer Zeit an dieses eine Wort geheftet.

„Was ist ein ‚Castiel'?"

Es fühlt sich noch merkwürdiger an, zu hören, wie jemand anderes seinen Namen ausspricht. Jemand, der ihn nicht kennt. Der nicht weiß, wie wundervoll und doch zerstörerisch diese Person ist.

„Er ist ein Mensch. Ein Mensch, der mir alles bedeutet. Alles bedeutet hat."

Sam kann mir sichtlich nicht folgen.
Anstatt nachzufragen, stellt er uns zwei der Essstühle auf, sodass wir einander gegenüber sitzen können. Anschließend schlägt er die Handflächen aufeinander und räuspert sich.

„Okay, schieß los. Was ist passiert?"

***

Ich erzähle es ihm. Ich erzähle ihm alles.

Angefangen bei unserer zufälligen Begegnung in der Tankstelle, bis zu dem Vorfall im Geisterhaus und unserer anschließenden, gemeinsamen Zeit. Die Zeit, welche ich als glücklichste meines Lebens bezeichnen kann, ohne lügen zu müssen.
Sogar Castiels Amnesie und seine Anfälle erwähne ich. Nur den Sex und unsere Liebesbeziehung lasse ich aus. So viel muss er dann auch wieder nicht wissen.
Sam sitzt die ganze Zeit über einfach nur da und hört mir zu. Aufmerksam sieht er mich an und nickt oder lächelt sogar gelegentlich.

Es tut gut, sich die Erlebnisse von der Seele zu reden. Sich jemandem anzuvertrauen, der einen kühlen Kopf hat und alles mit anderen Augen sieht.
Sam hat das Potential zum Juristen und dies spiegelt sich vor allem in seinem Charakter wider; er ist äußerst fair und betrachtet Sachverhalte aus unterschiedlichen Standpunkten. Er verwendet für diese Eigenschaft irgendein hochgestochenes Wort: „Multiperspektivität" oder so.

Als ich damit ende, wie ich mich nach seinem Verschwinden wieder dem Alkohol zugewendet habe, sehe ich ihn erwartungsvoll an.
Mein Bruder streicht sich nachdenklich über sein rasiertes Kinn und schweigt für einige Sekunden. Anschließend erwidert er meinen Blick und grinst.

Von allen möglichen Reaktionen, die er zeigen könnte, zeichnet ausgerechnet ein breites, schamloses Grinsen sein Gesicht.

„Lachst du mich aus oder was?", frage ich entrüstet und bin kurz davor aufzuspringen und wütend aus dem Raum zu stürmen.
„Auf keinen Fall. Ich habe nur noch nie erlebt, dass du dich dermaßen Hals über Kopf in jemanden verliebt hast."
Ich weiche seinem Blick aus und starre gen Boden. „Wie kommst du darauf, dass ich ihn liebe?"

„Ist das dein Ernst? Schon alleine, wie du seinen Namen aussprichst; ‚Cas'." Er betont den Spitznamen so dermaßen, dass es wie ein halber Orgasmus klingt.
„So sage ich das überhaupt nicht."
Sein zweifelnder Blick vermittelt mehr als tausend Worte.
„Jetzt sag mir nicht, du hättest nie mit ihm geschlafen."
„Habe ich auch nicht", verteidige ich mich und verschränke demonstrativ die Arme.
„Wieso fällt es mir nur so schwer, das zu glauben?"

„Ist doch egal. Jedenfalls ist er fort. Für immer", versuche ich auf das eigentliche Thema zu kommen.
„Und deshalb steckst du den Kopf in den Sand und badest in Selbstmitleid." Seine Worte klingen trocken und kompromisslos, nicht gerade nach der berüchtigten Multiperspektivität.
„Ich bin einfach nur enttäuscht."
„Nein, Dean, du bist weinerlich. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied."
Zornig schaue ich meinen Bruder an, der nicht einmal mit der Wimper zuckt.

„Für mich sieht es so aus, als würdest du ihn immer noch lieben und dir Sorgen machen. Gleichzeitig hast du Angst, vor dem, was geschehen könnte, wenn du ihn findest."
„Falls ich ihn finde. Das erscheint mir nämlich unmöglich", korrigiere ich.
„Du hast es ja noch nicht einmal versucht. Nicht wirklich."
Ich vergrabe den Kopf in meinen Händen und seufze schwerfällig. Allmählich weicht der abklingende Alkohol meiner aufkommenden Müdigkeit, welche eine lückenlose Abwehr verhindert.

„Ich weiß noch nicht einmal, wo ich da anfangen sollte", gestehe ich nach einer kurzen Pause.

„Wir haben doch schon so einige Hinweise." Sam erhebt sich und läuft langsam durch den Raum, als würde er besagte Hinweise aus dem Chaos deduzieren.
„Wir?", echoe ich irritiert und folge ihm mit meinem Blick.
Er hält inne und sieht mich lange an, ehe er dramatisch seufzt; „Ich werde dir helfen, ihn zu finden." Jedes Wort betont er dabei so, als hätte ich nur noch drei Gehirnzellen.
„Wieso?" In diesem Moment muss mein Gesichtsausdruck in der Tat sehr unintelligent wirken.
„Na, ich will die Person natürlich kennenlernen, die es schafft meinem Bruder dermaßen den Kopf zu verdrehen." Er grinst bei diesen Worten schadenfreudiger, als mir lieb ist.

„Aber-"
„Keine Widerrede. Das Spiel beginnt." Sammy reibt sich die Hände, als könne er es gar nicht erwarten.

„Okay, also, Hinweis Nummer eins; die Anfälle", leitet er die Ermittlungen im Kommandotonfall an.
„Ja, er hat erwähnt, dass er dabei Stimmen hört, die ihm etwas zuflüstern."
Sam positioniert sich vor dem umgekippten Tisch, wobei sich seine grübelnden Schultern deutlich unter dem Hemd abzeichnen.
„Hm, Stimmen. Verstehe." Er starrt förmlich durch den Tisch hindurch, während sein Gesicht zu einer Maske des Denkers erstarrt ist.

Da ich eher der praktische, als der theoretische Typ bin, mache ich mich nützlich, indem ich beginne, dass Chaos zu bereinigen.
Einfach nur rumstehen und in die Gegend starren, war noch nie mein Ding. Genauso wenig, wie irgendwelche Bücher nach Informationen zu durchforsten. Letzteres ist bei der Jagd meist Sams Pflicht gewesen.

„Wo hat er eigentlich geschlafen?", durchbricht Sam die eingetretene Stille, als ich gerade eine Ladung von Glasscherben aufkehre. Mit dem Besen in der Hand halte ich inne. Ein verlegenes Räuspern verlässt meinen Mund, während ich verunsichert den Besenstiel zwischen meinen Fingern drehe.
„Also zunächst habe ich ihm deinen Raum überlassen", setze ich mit trockenem Hals an.
„Ernsthaft? Du gibst einfach meinen Raum her, ohne mich wenigstens zu fragen?"
Genau die Reaktion, die ich befürchtet hatte.

„Nun, wir waren beide müde und ich habe es nicht so ganz durchdacht", versuche ich mich zu erklären.
„Dinge zu durchdenken scheint in Hinsicht auf diesen Castiel, für dich überhaupt nicht möglich zu sein."
Ich treffe seinen Blick, der verrät, dass er ein wenig verärgert ist. Gleichzeitig zuckt er anschließend mit den Schultern und streift dadurch seine Wut zumindest äußerlich ab. „Schon gut. Dann werde ich mich mal in meinem -oder seinem- Zimmer umsehen gehen."
„Hey, du hast schließlich jetzt dein eigenes Haus", rufe ich ihm hinter her. Kurz dreht er sich um und sieht aus, als wolle er etwas entgegnen. Allerdings hebt er nur abwehrend die Hände und weicht meinem Blick aus. „Du hast ja recht."
Irgendwie klingt es wenig überzeugend, aber ich schaffe es nicht mehr ihn zu hinterfragen, da er mich bereits in der Küche allein gelassen hat.

Jeder Handgriff, mit dem ich den Raum bereinige, lässt die Wirkung des Alkohols ein bisschen mehr verschwinden. Schritt für Schritt stelle ich die Küche wieder her; richte die Möbel auf, wische die ausgetretenen Flüssigkeiten weg und schmeiße kaputtes Geschirr in den Abfall.
Da Sammy Holmes anscheinend immer noch Detektivarbeit leistet, nehme ich mir auch die anderen Räume vor. Diese sind weitaus weniger zeitraubend, da ich in der Küche wirklich am Schlimmsten gewütet habe.

Eine Stunde später, lasse ich die letzte Ladung Scherben in den Müll gleiten und wische mir über die Stirn. Aufräumen ist wirklich ein Sport für sich, vor allem wenn man hämmernde Kopfschmerzen dabei hat.

Sammy lehnt lässig an der Wand neben seinem Raum und sieht mich mit einem breiten Grinsen an. „Fleißig, fleißig, Hausmütterchen."
„Halt die Klappe. Du hättest ruhig mit anpacken können", murre ich und schüttele den Stoff meines Hemdes, sodass ein wenig Luft an meinen verschwitzten Körper kommt.
„Wie du sagtest; ich habe mein eigenes Haus." Er kostet es sichtlich aus, dass ich gerade zu erschöpft bin, mich gegen seine Sticheleien zu wehren.
„Keine Sorge, ich war nicht untätig." Er hält demonstrativ einen Papierschnipsel zwischen Zeige- und Mittelfinger.
„Was ist das?", frage ich irritiert und trete näher.

„Das habe ich unter meinem -seinem- Kopfkissen gefunden." Er steigert die Spannung, indem er das Papier einige Male in der Hand dreht.

„Jetzt zeig schon her." Ungeduldig versuche ich ihm, den Schnipsel zu entreißen, aber da er mich um eine Kopflänge überragt und dementsprechend auch längere Arme hat, scheitere ich kläglich.
Grinsend lässt er betont langsam den Arm sinken, sodass es einige Sekunden dauert, ehe ich das Stück endlich in den Händen halte.
Mit vor Aufregung klopfendem Herzen falte ich es auseinander. Vielleicht ist es ein Abschiedsbrief mit einer Adresse. Irgendetwas, das mir verrät, wo er sich aufhält.

Wie versteinert starre ich für schier endlos langsam verstreichende Sekunden auf das, mit blauem Kugelschreiber, Geschriebene. Oder eher Gekrakelte. Unter angehaltenem Atem droht mir das Papier aus der Hand zu gleiten.
„Jipp, so ungefähr habe ich auch dreingeschaut", kommentiert Sam, doch ich nehme es kaum wahr. Seine Stimme klingt weit entfernt, wie in einer anderen Dimension.

Für mich gibt es nur den Zettel mit der blauen Tinte.

Einiges darauf ist in lateinischen Buchstaben verfasst und deshalb wenigstens lesbar- allerdings ohne jeglichen Sinn dahinter:
„A merifri brint telocvovim"

Anderes sind lediglich merkwürdige Zeichen, die wie eine Geheimsprache wirken und mich im Entferntesten noch an eine merkwürdige Kombination aus Griechisch und alt- Gotisches erinnert.

„So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen", murmelt Sam und nimmt mir den Zettel aus der schwitzigen Hand. Ich lasse es bereitwillig geschehen, nicht fähig meine wirbelnden Gedanken unter Kontrolle zu bekommen.

Eines wird mir durch diesen Zettel klar; In was für eine Sache Cas verwickelt sein mag, sie ist größer und vermutlich auch gefährlicher, als ich je hätte erahnen können.

„Cas hat nicht zufällig erwähnt, dass er noch einer anderen Sprache mächtig ist?", hakt mein Bruder nach. Ich kann nur schweigend den Kopf schütteln, noch immer kaum in der Wirklichkeit angekommen.
„Also dann, auf geht's in die Bibliothek. Wir haben nicht umsonst eine Enzyklopädie über alle magischen und nicht magischen Sprachen."

Selbst als wir in der Bibliothek ankommen, habe ich noch immer kein Wort herausgebracht.
Diese merkwürdige Aneinanderreihung von Buchstaben und Symbolen; Ist es das, was die Stimmen ihm zugeflüstert haben?
Möglich wäre es. Vielleicht hatte er irgendwann nachts einen Anfall und hat es geschafft die Laute aufzuschreiben. Wo aber kommen die merkwürdigen Symbole her?
Er hat mir gegenüber nie erwähnt, dass er andere Sprachen beherrscht.
Vielleicht hat er es verheimlicht?
Vielleicht wusste er es selbst nicht?
Vielleicht hat er sich einen geheimen Code ausgedacht?

Ich habe wirklich geglaubt, dieser Zettel würde Antworten liefern. Stattdessen stehe ich vor einem immer größer werdenden Berg aus Fragen.

***

„Ich kann ihn dir zeigen, weißt du?", werfe ich in die Stille ein, während meine Augen die Seite des dritten Bandes der besagten Enzyklopädie überfliegen. Das Dritte von insgesamt dreißig wunderschönen Exemplaren, eines dicker, als das andere. Einfach großartig.

Sam hat es sich gegenüber von mir bequem gemacht; den Kopf über die Seiten von Band vier gebeugt und ab und an in eine Tüte mit Gemüsechips greifend.
Gemüsechips, eine neumodische Lebensmittelkreation, die auf mich eher wie ein gescheitertes Experiment wirkt. Chips haben gefälligst aus Kartoffelmehl und einer Menge Salz zu bestehen. Außerdem müssen sie mit reichlich Geschmackspulver bepudert sein, das einem noch Stunden nach dem Essen auf der Zunge klebt.

Er blickt kurz auf und sieht mich fragend an, wobei er sich betont langsam irgendein Stück rotes Etwas in den Mund schiebt.
„Cas, ich habe ein Foto von ihm", erkläre ich mich und kann es kaum erwarten endlich aufzustehen. Wenn ich noch eine Sekunde länger auf irgendwelche Schriftbilder starren muss, wird mir schlecht.

Anfangs dachte ich, dass es gar nicht so schwer werden würde. Einfach nur Schriftbilder abgleichen, um die Symbole zu entschlüsseln. Inzwischen sieht jede neue Schrift für mich allerdings haargenau so aus, wie die davor. Alles vermischt sich in meinem Hirn zu einem undefinierbaren Brei aus geschwungenen, horizontalen und vertikalen Linien. 

Ich spüre Sams tadelnden Blick auf mir, als ich dem Jucken in meinen Füßen endlich nachgebe und aufstehe.
„Du hast gerade mal eine Stunde durchgehalten", kommentiert er und blättert die Seite um.
„Irrtum; Ich habe eine ganze Stunde, fünf Minuten und dreißig Sekunden durchgehalten", korrigiere ich ihn mit einem halbherzigen Grinsen.
„Geh schon, da mach ich die Recherche lieber alleine und dafür gründlich", grummelt mein Bruder und streicht demonstrativ eine braune Strähne seines kinnlangen Haares hinter sein Ohr.

Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen schlendere ich in Richtung Schießanlage. Meine anfängliche Wut über Sams Auftauchen erscheint mir inzwischen vollkommen lächerlich.
Seit Sam hier ist und hilft, fühle ich mich nämlich deutlich besser. Endlich erscheint es möglich, Cas wiederzusehen. Oder zumindest Antworten zu erhalten.
Immerhin habe ich eingesehen, dass ich diese wirklich brauche. Auch, wenn sie mir vielleicht nicht gefallen werden.
Es ist besser, als auf ewig in Unwissenheit zu leben und alles nur zu verdrängen.

Mit der Kamera in der Hand kehre ich in die Bibliothek und halte am Eingang inne; Sam ist gänzlich in dem Buch versunken, seine Augen gleiten zügig und doch präzise über die Zeilen, huschen anschließend Richtung Notizzettel, bevor er weiter blättert.
„Sammy?"
Er blickt auf und sieht lächelnd zu mir. „Du siehst besser aus."
„Vielen Dank, dass du mir hilfst", erkläre ich, ohne auf seine Anmerkung einzugehen.
„Kein Problem. Wir sind schließlich Familie. Beziehungen hin oder her, du wirst eben immer mein Bruder bleiben."

„Aber ich war so ein Idiot, mich nicht bei dir gemeldet zu haben", erwidere ich, unfähig ihm länger in die Augen zu sehen.
„Dean, du warst schon öfters mal ein Idiot. Niemand ist frei von Fehlern. Ist ja auch egal, jetzt zeig mir schon deinen Castiel." Fordernd streckt er die Hand aus, in der Erwartung, dass ich ihm die Kamera übergebe. Scherzhaft ziehe ich sie zurück, woraufhin er sich stirnrunzelnd erhebt.
„Das ist die Rache für den Notizzettel", verkünde ich grinsend und verstecke die Kamera hinter meinem Rücken.
Mein Bruder bemüht sich, um einen wütenden Gesichtsausdruck, muss jedoch lachen.
„Na warte."
Er versucht hinter meinen Rücken zu greifen, aber meine Reflexe sind zu trainiert, sodass ich es ihm nicht leicht mache.

„Gib mir die Kamera", keucht er, nach einigen Versuchen an sie heranzukommen. Beinahe wäre mir der Apparat heruntergefallen und bevor doch noch etwas kaputt gehen kann, gebe ich großzügig nach und erfülle ihm den Wunsch.

Mit angehaltenem Atem, beobachte ich Sam eingehend, während er die Kamera anschaltet und das Menü mit den geschossenen Fotos öffnet.
Sein neutraler, gerader Mund verzieht sich zu einem breiten Lächeln.
„Ein echtes Sahneschnittchen."
Mit gespielt angewiderter Miene nehme ich ihm die Kamera aus der Hand.
„Das ist die eine Bezeichnung, die ich nicht hören wollte."

Er wirft mir einen verheißungsvollen Blick zu und lächelt sogar noch stärker.
„Dean, du kannst ruhig zugeben, dass du auf ihn stehst. Ich wäre der Letzte, der ein Problem damit hätte, wenn du auch Kerle attraktiv findest."
Sein Schmunzeln verschwindet und er setzt sich mit einem schwerfälligen Seufzer wieder hin.

Ich beiße mir unterdessen auf die Zunge, anstatt irgendetwas rauszubekommen. Es ist schwerer, als gedacht, selbst nachdem Sam mir so offensichtlich die Tür aufgehalten hat.

Gerade, als ich doch ansetzen will, ihn über meine Gefühle aufzuklären, schnellt sein Kopf plötzlich hoch. „Ich glaube, ich hab hier was."

Er deutet demonstrativ auf die aufgeschlagene Seite und gleicht das Geschriebene dabei immer wieder ab. „Sieh dir das mal an."
Das braucht er mir nicht zweimal zu sagen; sofort stehe ich hinter ihm und beuge mich über seine Schulter.
„Das sind die Schriftzeichen", entfährt es mir. Sofort erhöht sich vor Aufregung der Schlag meines Herzens. Wir sind wieder einen Schritt weiter.

„Henochisch. Die Nachricht ist auf henochisch verfasst."

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