6. Türchen

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Der kurze Blickkontakt wirkte sich auch den restlichen Abend auf mich aus. Es war fast so, als würde mir jetzt nicht mehr kalt werden können, nur weil Odin mich mit seinen dunklen Augen angesehen hatte.

Und das obwohl ich nicht einmal sicher wusste, ob er mich angesehen hatte und ob wir überhaupt Blickkontakt hatten. Aber Einbildung war schließlich auch eine Bildung und mein Körper schien sich was das betraf doch sehr sicher zu sein. Zumindest klopfte mein Herz seitdem spürbar schneller als zuvor.

Auch nach der Parade kam nicht mehr viel Kundschaft, wodurch ich die meiste Zeit nur sinnlos herumstand und der Weihnachtsmusik lauschte, während ich den Schneeflocken beim Fallen zusah.
Wenn Stefan jetzt hier wäre, könnte ich mich zumindest mit ihm ein wenig unterhalten, dann wäre mir nicht ganz so langweilig.

„Gibt's noch Glühwein? Der Most letztens war lecker, aber den Glühwein möchte ich auch mal probieren."

Die angenehm raue Stimme riss mich aus meinen inhaltslosen Gedanken und ließ mich für einen Moment etwas orientierungslos. Irgendwie war ich nicht darauf vorbereitet gewesen, dass mich jemand ansprach.

„Klar", antwortete ich sofort, nachdem mein Gehirn die Frage verarbeitet hatte und griff gleich nach einer frischen Tasse.

Erst da realisierte ich, dass nicht nur Odin direkt vor meiner Hütte stand, sondern hinter ihm auch sein Pferd, das jetzt wieder völlig ruhig und entspannt war, obwohl hier noch immer einige Leute unterwegs waren und nur zwei Meter neben ihm die Feuertonne knisterte.

Die Zügel hatte Odin lässig über seinem Arm liegen, ohne sie wirklich festzuhalten. Sollte das Pferd also weg wollen, wären die Zügel bei Odin sicherlich keinerlei Hindernis. Das schien Odin aber nicht weiter zu beunruhigen. Offenbar vertraute er seinen Pferd soweit.

„Hier", lächelte ich und reichte ihm die dampfende Tasse. Mein Gegenüber begann daraufhin gleich zu lächeln und kramte in seiner Hosentasche, ehe ich Geld in seiner Hand klimpern hören konnte.

„Das passt schon", winkte ich gleich ab. Ihn wieder zu sehen war es mir wert, vier Euro Gewinn zu verlieren.

Odin wirkte für einen Moment überrascht, spielte es aber gleich wieder runter.
„Vielen Dank. Hast du eine Trinkgeldkasse? Damit ich mein schweres Kleingeld irgendwie anderweitig losbekommen kann?"

An eine Trinkgeldkasse hatte ich bisher nicht gedacht. Bisher war auch noch niemand dabei, der mir Trinkgeld hätte geben wollen. Alle Gäste hatten immer auf ihr Rückgeld beharrt, was an sich auch verständlich war und mich deshalb auch nicht ärgerte.
Deswegen kam seine Frage auch etwas überraschend.

„Nein", antwortete ich also.

„Das solltest du ändern", schmunzelte mein Gegenüber und legte mir schlussendlich trotzdem vier Euro auf den Tresen. „Das ist für deine Trinkgeldkasse. Vielleicht ist das Ansporn genug, um eine anzuschaffen."

Daraufhin konnte ich nur lachend den Kopf schütteln. Das Geld nahm ich aber dennoch dankbar an und schmiss es in einen leeren Pappbecher, in dem ursprünglich Servietten gesteckt hatten.

„Entschuldige übrigens, dass ich die Tasse letztes Mal nicht mehr zurückgebracht habe. Der hier" Er deutete über seine Schulter hinweg auf sein Pferd. „hat sein Hufeisen verloren. Deswegen ist der Hufschmied dann noch kurzfristig vorbeigekommen." Er zuckte lächelnd mit den Schultern und lehnte sich dann mit einem Arm lässig gegen den Tresen. „Ich habe heute gleich jemand hergeschickt, damit du deine Tasse wieder bekommst." Daraufhin folgte ein Zwinkern.

Die unvorhergesehene Geste ließ meine Wangen trotz der Kälte gleich heißer werden. Für einen Moment konnte ich nur den Blick senken, um mich davon zu erholen, und mich leise räuspern, ehe ich wieder zu ihm sah. Ihm war das jedoch anscheinend nicht entgangen, denn er grinste mir wissend entgegen.
Daraufhin wurden meine Wangen nur noch heißer, sodass ich mir nun sicher war, dass man die rote Farbe trotz des eher schwachen Lichtes deutlich erkennen würde. Das war mir furchtbar unangenehm.

„Schon ein wenig kitschig, oder?", fragte Odin im nächsten Moment nach und nickte an mir vorbei in die Hütte hinein.

Unsicher, was er damit meinte, drehte ich mich in die Richtung, in die er genickt hatte. Dabei fiel mein Blick unweigerlich auf die gold glitzernden Holzanhänger, die auf dem samtroten Stoff deutlich hervorgehoben wurden. Vor allem da sich das Licht, der Lichterkette an der Decke darin leicht spiegelte, wodurch sie noch stärker glitzerten.
Ich fand es keinesfalls kitschig.

Da gab es ganz andere Weihnachtsdekorationen, die mit hektischem Blinken, bunten, grellen Farben auf sich aufmerksam machten oder gar gruslige Weihnachtsgartenzwerge. Aber einen Klassiker wie Gold auf Rot daran fand ich wirklich nichts kitschig.

„Die Anhänger?", fragte ich zögerlich nach. Etwas anderes konnte er kaum meinen.

Odin nickte und zog dann seine Nase etwas kraus.

„Die sind selbst gemacht." Und mein Vater war stolz darauf. Genauso wie Stefan und ich eine spezielle Bindung zu diesen Holzanhängern hatten, nachdem wir sie damals anmalen durften und mit dem goldenen Glitzer dabei einen Heidenspaß hatten.

Daraufhin verzog Odin kurz das Gesicht und schüttelte langsam seinen Kopf.
„A for effort", spottete er dann regelrecht und zog dabei die Augenbrauen überheblich nach oben, ehe er grinsend einen Schluck von seinem Glühwein nahm.

Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ja, ich war fast ein wenig sprachlos.
Diese Schamlosigkeit irritierte mich ein wenig. Normalerweise würde man doch etwas selbst Gemachtem ein wenig mehr Respekt entgegenbringen, oder? Lieber selbst gemacht als irgendwo eingekauft...

Meine Augen suchten angestrengt nach etwas, worauf ich das Gespräch stattdessen lenken konnte und als mein Blick sich auf dem schwarzen Pferd fokussierte, das gerade nahezu gelangweilt Luft aus seinen Nüstern blies, atmete ich erleichtert auf.
Das wäre doch ein gutes Thema.

„Wer ist das denn?", fragte ich und deutete an Odin vorbei auf seinen treuen Begleiter. Dabei klang meine Stimme nicht so kräftig wie eigentlich gewollt. Vielmehr war es ein gerade so verständliches Nuscheln, das ihm meine Unsicherheit wie auf dem Silbertablett servierte.

Odin wirkte auf meine Frage hin kurz etwas überrascht, wandte sich dann aber auch zu seinem Pferd und kraulte ihm einen Moment lang über die Stirn. „Das ist Buddy."

„Buddy?", fragte ich irritiert nach. Das klang eher nach einem Namen für einen Hund. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass er einen majestätischen Namen hatte, immerhin sah das Pferd selbst gelangweilt noch atemberaubend schön aus.

„Jup." Odin zuckte entspannt mit den Schultern.

„Das kann ich nicht glauben", platzte es ungläubig aus mir heraus.
Ich hatte mit Pferden nicht viel am Hut, aber das vor mir war sicherlich ein Friese oder sowas in die Richtung. Friesen waren doch schwarz, oder? Der langen Mähne nach zu urteilen, müsste ich mit meiner Vermutung aber gar nicht so falsch liegen.

Odin begann daraufhin frech zu grinsen.
„Hast du das gehört, Buddy?" Er lehnte sich weiter zu seinem Pferd, der ihm sogar mit dem Kopf ein wenig entgegen kam. „Er glaubt mir deinen Namen nicht."

„Er heißt eigentlich Bukephalos", erklärte Odin dann grinsend. „Er wurde nach dem Pferd von Alexander dem Großen benannt." Dabei klopfte er den Hals des Tieres, dessen Ohren daraufhin lustig hin und her zuckten, bevor er wieder völlig zur Ruhe kam. „Ich beziehungsweise alle im Stall nennen ihn aber Buddy. Das ist einfacher und schneller gesagt. Außerdem hört er auf Buddy viel eher als auf Bukephalos."

„Auf Bukephalos würde ich aber auch nicht hören", schmunzelte ich und lehnte mich mit der Hüfte gegen den Tisch, auf dem die Getränkekocher standen. „Der Name ist zwar passend, aber–" „Buddy gefällt dir nicht und sein richtiger Name auch nicht", unterbrach mich Odin lachend. „Wie würdest du ihn denn stattdessen nennen?"

Mein Blick schweifte erneut über das ansehnliche, schwarze Pferd, dessen brauner Sattel langsam von einer dünnen Schicht Schnee bedeckt wurde. Der Schneefall war noch nicht leichter geworden.

„Black Beauty."

„Black Beauty?"

Odins skeptischer Blick fiel wieder auf sein Pferd, ehe er mit hochgezogener Augenbraue wieder zu mir sah. „Warum nicht gleich Fury?"
Er schnaubte amüsiert durch die Nase.

Ich konnte aber nur mit den Augen rollen.

„Oder Kleiner Onkel", fuhr Odin fort und lehnte sich wieder zu seinem Pferd. „Oder wäre dir Ostwind lieber, hm Buddy?"

Ich konnte nur erneut mit den Augen rollen.

„Kleiner Onkel war nicht schwarz", murmelte ich weniger begeistert aus. Er hatte mich gefragt, welchen Namen ich seinem Pferd gegeben hätte und da er nunmal schwarzes Fell hatte, passte Black Beauty in meinen Augen sehr gut. Dass er sich aber gleich darüber lustig machte, fand ich irgendwie nicht so nett.

„Kein Rappe."

Kein Rappe? Was war ein Rappe?

Odin sah meine Verständnislosigkeit offenbar, denn ein erneutes Schmunzeln trat auf seine Lippen. Es saß verführerisch auf seinen rosigen Lippen, wodurch mein Blick wahrscheinlich einen Moment zu lang darauf lag.

„Pferde mit schwarzem Fell, Mähne und Schweif nennt man Rappe. Kleiner Onkel war kein Rappe, sondern ein Schimmel." Er nippte an seiner Tasse, die noch immer heiß dampfte. „Fun fact übrigens: Die schwarzen Punkte, die Kleiner Onkel hatte, waren nicht echt. Die wurden ihm vor jedem Dreh mit einer Spraydose aufgesprüht."

Das ließ mich gleich das Gesicht verziehen. Das arme Pferd. Artgerecht hörte sich das nicht an und ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie die Haut des Pferdes auf diese Chemie reagiert haben musste...

„Ich finde das auch nicht cool", erwiderte Odin auf meine Reaktion hin. „Deswegen habe ich mir gleich einen Rappen gekauft, dann muss ich mir nicht jeden Morgen die Mühe machen und herum sprayen. Da bist du froh, nicht Dicker?" Er klopfte seinem Pferd erneut kräftig gegen den Hals, woraufhin Buddy seinen Kopf gegen Odins Schulter stieß und offensichtlich nach etwas Aufmerksamkeit bettelte. Odin begann daraufhin seine Stirn zu kraulen, was dem Pferd sichtlich gefiel, denn seine Ohren zuckten begeistert hin und her.

Oder war das überhaupt ein Indiz dafür? Ich kannte mich mit Pferden und deren Körpersprache wirklich nicht aus, aber seine Ohren, seine gesamte Körperhaltung sahen gerade zufrieden aus.

„Nein... Buddy passt schon zu dir", lächelte Odin und hauchte seinem Pferd sogar ein Küsschen gegen die Wange, ehe er mir seine Aufmerksamkeit wieder schenkte. Als würde Buddy wissen, dass damit die Liebkosungen beendet waren, zog auch er seinen Kopf wieder von Odin weg und interessierte sich wieder nicht mehr weiter für uns.

„Irgendwie passt Buddy doch", begann ich laut zu überlegen. „Er erinnert mich irgendwie ein wenig an einen Hund."

Das entlockte Odin ein Lachen. Ein lautes, kehliges Lachen, dass rau in meinen Ohren widerhallte. So sehr mir seine Stimme gefiel... Wow. Sein Lachen war dagegen wirklich wie Musik. Wie die schönste Symphonie überhaupt.
Eine Gänsehaut breitete sich augenblicklich auf meinem Körper aus und ich konnte nicht verhindern, ebenfalls breit zu grinsen. Dieses Geräusch wollte ich unbedingt öfter hören. Es war so ansteckend und mitreißend, dass man gar nicht anders konnte, als mit einzusteigen.

„Das ist schon zutreffend."

Und daraufhin entflammte ein überraschend langes Gespräch über Hunde. Denn im Gegensatz zu Pferden konnte ich zu Hunden auch etwas sagen, immerhin war ich mit Hunden aufgewachsen. Auch Odin kannte sich damit aus, was, wie er erzählte, daher kam, dass er bis vor zwei Jahren einen eigenen Hund hatte, den er leider mit stolzen sechzehn Jahren einschläfern lassen musste.
An dem kurzzeitig dunklen Schatten, der sich sichtbar über seine Augen legte, konnte man sehen, dass ihm der Tod seines Hundes noch immer nachhing.

„Wie alt bist du denn? Wenn ich fragen darf?" Ich war jetzt einfach mal so unverschämt. Wenn sein Hund schon sechzehn Jahre alt war, dürfte Odin auch nicht mehr so jung sein.

Bitte mein Alter Bitte mein Alter Bitte mein Alter Bitte mein Alter, betete ich stumm und hätte am liebsten wie in der Kirche die Finger miteinander verschränkt.
Bitte lass sein Alter zumindest irgendwo in der Nähe von meinem sein.

Zwar deuteten die vereinzelten grauen Haare schon darauf hin, aber andererseits gab es auch Zwanzigjährige, die schon grau melierte Haare hatten. Danach konnte ich also nicht gehen.

„Na hör mal!", stieß Odin daraufhin schockiert aus. „Einen Gentlemen fragt man nicht nach seinem Alter."

Das kam etwas überraschend und ließ mich beinahe zurückweichen. Ich wollte nicht unhöflich sein und ärgerte mich augenblicklich darüber, dass ich so dreist gefragt hatte.
Ich wusste ja noch nicht einmal seinen richtigen Namen. Und selbst von mancher meiner Freunde wusste ich das Alter nicht. Sie alle tummelten sich irgendwo um mein Geburtsjahr, aber direkt gesprochen hatte ich mit den meisten noch nie darüber. Was daran lag, dass es mich kaum interessierte, solange wir uns gut verstanden und kein allzu großer Unterschied zwischen uns lag.

Bei potentiellen Freunden jedoch, war es schon wichtig, das Alter zu wissen.

Dieser Gedanke trieb mir gleich einen noch stärkeren Rotschimmer auf die Wangen. Hatte ich Odin gerade wirklich als potentiellen Freund eingestuft? 

Für Odin waren seine Worte aber anscheinend nur ein Witz, denn einen Moment später begann er wieder laut zu lachen und löste damit eine erneute Gänsehaut aus, die diesmal länger anhielt, als wir für einen Augenblick Blickkontakt hielten.
Und diesmal war es eindeutig Blickkontakt, bei dem ich die blinkende Weihnachtsbeleuchtung und seine Lebensfreude in seinen dunklen Augen schimmern sehen konnte.

„Das war nur ein Spaß", grinste er. „Ich bin achtundzwanzig."

Halleluja.

Danke Gott.

Er war tatsächlich genauso alt wie ich.

Wow.

Das ließ mich sprachlos, sodass ich ihn nur anlächeln konnte.

„Und wenn wir vorhin schon so ausführlich bei Namen waren: Ich heiße übrigens Cornel."

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