10 | Das Leben ist kein Barbie-Film

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Entgegen meiner Erwartungen waren es nicht Johnny und seine Mom, die mich abholten, sondern meine eigene, leibliche Mutter, die vor mir stand, als ich entlassen wurde. Um vier Uhr morgens.

Lizzzzzzz, da bist du ja", sagte sie mit mehr Nachdruck, als eine nüchterne Person zustande gebracht hätte. Für einen kurzen Moment glaubte ich tatsächlich, ihre Präsenz erträumt zu haben. Ich hatte meine Mutter bereits seit Monaten nicht mehr gesehen. Nun stand sie vor mir. Sie war dünner geworden. Ihre blonden Haare waren zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden und ihre Lippen hatte sie blutrot bemalt. Auf ihrer Stirn klebte ein Pflaster und in ihrem Minikleid und den hohen Schuhen sah sie eher aus wie ein Teenager als ich.

„Mom", stellte ich fest. War das, wofür sie mich in den letzten Monaten vergessen hatte? Ihr Partyleben? Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Ich kannte diese Seite von meiner Mutter. Ich wusste, wieso Dad den Großteil meiner Erziehung übernommen hatte. Ich wusste, wieso sie uns verlassen hatte. Nur hoffte ich jedes Mal, dass sie sich ändern würde. Dass ein Besuch bei mir sie dazu überreden könnte, tatsächlich zu bleiben und sich für mich zu engagieren, statt auf die nächste Partyinsel zu fliegen und zu vergessen, wo links und rechts war.

„Dein Fahrer wartet draußen."

Mein Fahrer. Bedeutete das, dass sie nach diesem kleinen Besuch nach Hause gehen würde? Hatte Dad sie hierhergeschickt? Vermutlich schämte er sich dafür, dass seine einzige Tochter im Gefängnis gelandet war. Die Leute vom Sicherheitsdienst winkten mich fort, offensichtlich genervt von dem Theater, das Mom vermutlich veranstaltet hatte, ehe sie in mein Blickfeld getreten war.

Ich rannte beinahe nach draußen. Je ordentlicher ein Ort war, desto mehr Chaos stellte meine Mutter an. Sie sah fröhlich aus und das brach mein Herz noch mehr, als wenn sie traurig gewesen wäre. Ich wollte, dass meine Mutter glücklich war, aber es war schwer zu akzeptieren, dass sie das problemlos auch ohne mich schaffte.

„Willst du einen Drink?", fragte sie mich, als ich mich zu ihr in die Limousine gesetzt hatte, für die sie bestimmt nicht selbst gezahlt hatte. Der Fahrer, den Dad für mich angestellt hatte, warf mir einen warnenden Blick zu. Ich war eine Minderjährige und er wollte keinen Ärger, denn sonst könnte ich Dad mit meinem Verhalten blamieren. Einmal mehr.

„Es ist vier Uhr morgens. Das Einzige, was ich brauche, ist ein Bett."

Mom schwieg, während sie sich Champagner eingoss. Ich mied ihren Blick und ihre Aufmachung und alles, was mit ihr zu tun hatte. Es wäre eine Schande gewesen, hier und jetzt in Tränen auszubrechen.

„Liz, bist du etwa wütend auf mich?"

„Nein." Ich sagte das Wort viel zu schnell, um glaubwürdig zu klingen, aber Mom hatte noch nie darin brilliert, zwischen den Zeilen zu lesen.

„Du musst dich nicht dafür schämen, im Gefängnis gelandet zu sein."

Ich schwieg. Das war nicht wahr und nur weil ihr solche Dinge egal waren, übertrug sich das nicht auf mich.

„Dein Vater wird dich schon nicht enterben, Liz. Du musst dir keine Sorgen um deine Zukunft machen."

„Meine Zukunft hängt nicht von meinem Erbe ab", brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich hasste es, dass alle in mir nur die Geldscheine meines Vaters sahen. Ich hatte vielleicht nicht viel zwischenmenschliches Potenzial, aber ich konnte mir wohl einen eigenen Job finden, selbst wenn ich für den Rest meines Lebens Artikel im Supermarkt scannen musste. Was wohlbemerkt ein sehr respektabler Beruf war, den Ruf meines Vater womöglich allerdings in den Dreck ziehen würde. Immerhin würden dann alle glauben, dass er mir kein Geld geben wollte, was nicht wahr war.

Mom schnaubte. „Hängst du noch immer an diesem albernen Traum? Ich dachte, dass du mittlerweile genug alt wärst. Das Leben ist kein Barbie-Film, in dem du in eine Rolle schlüpfen und nach Paris reisen kannst, um dort eine Schneiderin zu werden. Nur weil du dir jedes Kleidungsstück auf diesem Planeten kaufen kannst, verleiht dir das noch lange kein Talent, Mädchen."

Ihre Meinung sollte mir nicht wichtig sein, aber sie war es dennoch. Meine Finger gruben sich in die Lehne des dunklen Leders, mit dem die Limousine ausgestattet war. Vielleicht hätte ich doch auch ein Glas Champagner nehmen sollen. Diese Konversation wäre betrunken vermutlich um einiges angenehmer gewesen. Ich versuchte mich auf die Umgebung zu konzentrieren, an der wir vorbeifuhren, aber alles verschwamm zu einer undefinierbaren Masse.

„Es ist kein Traum, sondern ein realisierbares Ziel. Ich habe nie behauptet, Talent zu haben."

„Gut."

Ich gab mir Mühe, kein ersticktes Geräusch von mir zu geben. Ich hatte nach einem Kompliment gefischt und einen Schlag in die Magengegend erhalten.

„Einige Magazine aus einem brennenden Haus zu retten, verleiht dir ebenfalls keines."

Ich riss meinen Kopf vor Überraschung so schnell zu ihr herum, dass ich mir beinahe den Hals verrenkte. „Du weißt vom Brand?"

Mom schnaubte und schenkte sich ein weiteres Glas Champagner ein. „Natürlich. Was hast du denn geglaubt?"

„I-ich bin mir nicht sicher", stammelte ich. Wieso hatte sie sich nicht nach mir erkundigt? Sie hätte zumindest anrufen und fragen können, ob ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde oder wie es mir ging.

„Du bist dir nie sicher und das ist dein Problem."

Ich verkniff mir einen Kommentar, zu erschöpft, um einen Streit vom Zaun zu brechen. Stattdessen lehnte ich meinen Kopf an die kühle Fensterscheibe und hörte dabei zu, wie sie ihren Champagner trank. Ich hätte genauso gut mit einer Fremden in der Limousine sitzen können. Nur wäre das vielleicht angenehmer gewesen, denn dann hätte ich mich zumindest nicht mit den Komplikationen auseinandersetzen müssen, die sich meine Familie nannten.

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„Du bist in eine Wellness-Anlage eingebrochen?", rief Grandma entrüstet. Sie stemmte ihre Hände in die Hüfte. Sie war einen guten Kopf kleiner als ich, aber sah mit ihrem wütenden Blick dennoch auf mich herab. Sie hatte zwar geschlafen, als ich mit Mom angekommen war, aber das bedeutete nicht, dass sie mich auch in Ruhe frühstücken lassen würde. Grandma hatte sich eines ihrer schönsten Blumenkleider angezogen, das ich ihr genäht hatte. Nach dem Gespräch mit Mom war es wie ein Schlag ins Gesicht. Ihre grauen Haare hatte sie zu einem Dutt zusammengebunden und ihre Lesebrille hing wie eine Kette um ihren Hals.

„Ich bin über einen Zaun geklettert. Theoretisch-..."

„Elizabeth!", unterbrach sie mich kraftvoll. „Du kannst nicht einfach irgendwo einbrechen!"

Ich zuckte hilflos mit den Schultern. Mom hatte es nicht interessiert und ich hatte automatisch angenommen, dass Grandma eine andere Reaktion haben würde, aber scheinbar war dem nicht so. „Es tut mir leid."

„Das sollte es auch! Ist dir klar, was hätte passieren können? Die Bauarbeiten dort waren noch nicht einmal beendet, Elizabeth."

Ich schluckte. „Es tut mir leid", wiederholte ich, diesmal schwächer.

„Du wirst nie wieder irgendwo einbrechen."

Ich hatte es nicht geplant. „Okay."

„Du hast Hausarrest."

„Okay."

„Zwei Monate lang."

Ich nickte. Es war nicht so, als könnte ich tatsächlich irgendwo hingehen und ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich eine Ausrede hatte, um nicht im Feuerwehr-Kurs mitmachen zu müssen. Hausarrest fühlte sich an wie eine Belohnung statt einer Strafe, aber ich war nicht ehrlich genug, um dieses Geständnis abzulegen.

„Was hast du dir dabei gedacht, Liz?", fragte sie, diesmal viel sanfter. Irgendwie machte es alles nur noch schlimmer. Wieso hatte Mom diese Fragen nicht gestellt? Wie war sie um halb fünf lieber weiter in ihrer – oder wohl eher meiner – Limousine in der Stadt herumgekurvt, als sich im Haus ihrer Ex-Schwiegermutter hinzulegen und eine Nacht im selben Haus wie ihre Tochter zu verbringen?

„Ich weiß es nicht." Meine Stimme brach und ich ballte die Hände zu Fäusten. Es war mir egal. Egal, egal, egal. Mom kannte mich nicht, ich kannte sie nicht. Sie war eine Fremde für mich. Was kümmerte es mich, was sie über mich dachte?

Empathie mischte sich in Grandmas Blick, eine Sanftheit, die ich sonst nirgends entdeckt und bestimmt nicht verdient hatte. Ich hatte heute beinahe meine ganze Zukunft aus dem Fenster geworfen. Wieso konnte sie nicht wütend auf mich sein? So richtig, zumindest. Wieso konnte sie mich nicht anschreien und gegen die unendliche Stille in mir ankämpfen?

Grandma legte ihre Hände auf meine Schultern und ich zuckte zusammen. Ich verdiente es nicht, getröstet zu werden. Ich war kein Kind mehr. Ich war keine Träumerin. Ich hatte ein Ziel und ich würde dafür arbeiten und wenn ich es erreichte, dann war ich vielleicht endlich die Aufmerksamkeit meiner Eltern wert. Vielleicht könnte ich ihnen dann in die Augen sehen und hätte ihnen etwas zu bieten.

„Oh, Liz", seufzte sie. Sie klang traurig, viel trauriger als ich und das brach mein Herz. Grandma hätte ihre Rente genießen sollen und stattdessen musste sie sich mit mir auseinandersetzen, weil es sonst niemand tun wollte. Manchmal fragte ich mich, wieso meine Eltern mich nicht zur Adoption freigegeben hatten. Dann wäre ich vielleicht wenigstens in der Lage, mich mit anderen Menschen in meinem Alter zu unterhalten, ohne die brüllende Stille in mir zu spüren.

Ich klammerte mich an Grandma, als wäre sie mein Hafen. Sie liebte mich, trotz all meinen Fehlern und vielleicht war sie der einzige Mensch, der dazu in der Lage war. Ich wünschte, dass ich ihr etwas davon zurückgeben könnte. Aber selbst mein Herz schien still zu sein, nur eine Ansammlung von Momenten, die nie richtig zusammenpassten, so wie es mit mir und der Gesellschaft war. Alle anderen waren in der Lage, Freunde zu finden, zu lachen und dabei ehrlich zu klingen. Ich war die Außenseiterin, selbst wenn Johnny und der Rest behaupteten, dass ich ein Idol war und dass sich die anderen wünschten, wie ich zu sein. Ich fragte mich, ob meine Maske mittlerweile so gut geworden war, dass ich nicht einmal mehr selbst wusste, was ich wollte oder wer ich war.

Vielleicht hatte Mom recht. Sie lebte schon viel länger als ich. Sie hatte tausende Träume mehr durchlebt als ich und war viel öfter enttäuscht worden. Was wusste ich schon vom echten Leben oder der Arbeitswelt, wenn ich mich nicht einmal zu einem Freiwilligenkurs engagieren konnte und stattdessen nur für Handtaschen mitmachte, die mir weniger bedeuteten, als ich zugeben wollte? Sie waren wertvoll, aber nicht einzigartig, genau wie ich auch. Wie viele Millionen Mädchen wollten ebenfalls in die Modewelt einsteigen, einige Kleider entwerfen und sich dann auf der Titelseite eines Modemagazins sehen? Wie viele andere Menschen wollten durch ihre Kunst verstanden werden, wenn sie sich mit Worten nicht artikulieren konnten und ihnen kein anderes Medium bekannt war?

„Es tut mir leid", wiederholte ich noch einmal. „Ich werde nicht wieder irgendwo einbrechen." Nicht einmal für Johnny oder seine sinnlosen Ideen und Ideale, mit denen ich nichts am Hut haben wollte. Sein Aussichtspunkt und die Metaphorik, nicht genug am Leben und dem gesellschaftlichen Treiben beteiligt zu sein? Das war sein Problem, nicht meins. Ich persönlich war nicht abgeneigt, mich mit einem Erdbeermilchshake zurückzulehnen und die Aussicht zu genießen, solange ich mich nicht beteiligen musste. Dafür war die Wellness-Anlage geschaffen und wenn ich es zu nichts anderem im Leben brachte, konnte ich mich wenigstens daran versuchen.

Grandmas Mundwinkel zuckten. „Gut. Denn ab jetzt wird sich so einiges in deinem Leben ändern, Mädchen."

Endlich wieder ein Kapitel 🤭 Ich habe eigentlich noch eine Menge vorgeschrieben, aber die Uni hat wieder angefangen und ich habe unterschätzt, was ich alles tun muss 😭😭

Was sagen wir zu Liz' Mom?

Oder zu ihrer Grandma?

Oder zu Liz ganz allgemein?

Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat und bis bald 💖

Übrigens: können wir darüber reden, wie GUT we can't be friends (wait for your love) von Ariana Grande ist? Ich höre ihre Musik normalerweise nicht so oft, aber dieses Lied ist einfach zu perfekt 😍

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