33 - Kissenburgen bauen

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

„Oh verdammt", murmle ich ans Holz der Türe. Mein Gesicht klebt noch immer am Guckloch.

Der Schock sitzt tief in den Knochen. Ich kann mich nicht rühren. Während mein Körper paralysiert ist, arbeitet mein Verstand auf Hochtouren. Mein Kopf rattert und versucht, die Dinge zusammenzuzählen, die Logik darin zu finden.

Wie konnte mir das entgehen?

Julia steht vor der Tür. Die Exfrau von Chris und – wie ich mit Schrecken feststellen muss – meine Chefin.

„Chris? Mach endlich auf!", brüllt sie an die Tür.

Scheisse!

Mein Herz klopft mir panisch in der Brust. Ich muss meine Hand an die Lippen legen. Was soll ich tun? Was zum Teufel soll ich tun? Ich kann der doch nicht die Tür öffnen! Halb nackt, wie ich hier stehe ...

„Chris, verdammt, was treibst du schon wieder? Heute ist Emil bei dir! Mach endlich diese Tür auf!", zetert die Tyrannin draussen.

Es klingelt abermals Sturm und ich höre wie Frau Gerber ihrem Sohn irgendwas Böses zuzischt. Das Sturmläuten hört auf und ich vermute, dass es der kleine Bub gewesen war, der die Klingel bearbeitet hat. Julia Gerber ist auch echt zu jedem gemein. Selbst zu ihrem eigenen Kind.

„Papi?", höre ich die piepsige Stimme seines Sohnes. Es klingt herzzerreissend, fast wie ein Welpe, der nach seinen Eltern jault.

Etwas zieht sich schmerzhaft in meiner Brust zusammen. Ich beisse auf die Zähne und löse mich vom Guckloch.

Chris muss da ein grosser Irrtum unterlaufen sein. Das spontane Candlelight Dinner inklusive fast Happy End mit mir gestern hat ihn möglicherweise dermassen aus der Bahn geworfen, dass er es komplett vergessen hat, dass er heute auf seinen Sohn aufzupassen muss.

Ich schaue an mir herab und seufze. Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als dem Dämon diese Tür zu öffnen. Die Konsequenzen, die damit einhergehen, will ich mir jetzt besser nicht ausmalen. Wenn Frau Gerber realisiert, dass die Low-Performerin ihres Teams ihren Exmann datet, dann wird für mich wahrscheinlich die Hölle auf Erden ausbrechen.

„Chris, Gopferdammi!", ruft das blonde Scheusal.

Meine Finger ergreifen die Klinke und ich schwinge die Eingangstüre auf, sodass der Wind des Aufstosses meine Haare nach hinten wirbelt.

Der Ausdruck in Frau Gerbers Gesicht ist unbezahlbar. Verwunderung und Fassungslosigkeit spiegeln sich gleichzeitig in ihrer perfekten Visage. Sie ist schick angezogen und sieht alles andere aus als eine Mutter. Bei der schmalen Taille frage ich mich, wie überhaupt ein Kind da rein gepasst hat.

Sie starrt mich erschüttert an und ich merke, wie ihre Augen auf mich herabsehen, mein Gesicht mustern, mich erkennen und dann mein interessantes Outfit betrachten, das nur so nach "ICH HABE DEINEN EXMANN GEVÖGELT!" schreit. Ich trage Chris' Kleidung, keinen BH und stehe nur in einem Tanga vor ihr. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum.

„Guten Morgen Frau Gerber", begrüsse ich sie mit der Ruhe, die ich aufbringen kann, obwohl in mir das Chaos herrscht.

Mein Gehirn hat die Alarmtaste gedrückt und die Sirenen heulen panisch, sodass mir fast die Ohren schlackern. Das Adrenalin pumpt durch meine Adern und lässt meine Nerven aufgeregt zucken. Mein Fluchtinstinkt will einsetzen, denn eigentlich wäre ich jetzt bereit dazu, davonzurennen. Schreiend und Haare raufend. Aber das kann ich nicht bringen. Ich muss die Contenance bewahren und der Teufelin ins Gesicht blicken.

Die perfekt gezupften Augenbrauen von Julia Gerber jagen in die Höhe. Sie verschränkt die Arme vor sich. Ein kleiner blauer Rucksack hängt von ihrem Ellbogen und ich vermute, dass darin Emils Spielsachen stecken.

„Frau Schmidt. Was machen Sie denn hier?", fragt sie mich.

Ich erinnere mich daran, dass meine neue Chefin keine Freundin von langen Reden ist. Die kommt immer auf den Punkt. Gerade Linie, nie Umweg. Ich werde mich also nicht bemühen müssen, ihr hier irgendwas vorzumachen. Die harte Wahrheit muss ausgespuckt werden.

„Ich habe hier übernachtet. Chris hat mich gestern zum Abendessen eingeladen."

Meine Stimme zittert und ich muss mir deswegen auf die Zunge beissen. Warum muss die Kuh mich so einschüchtern?

„Aha. Chris datet also so jemanden wie Sie. Interessant", kommt ihre gefühlskalte Antwort. Ich spüre ihren Blick auf mir und wie sie meine dicken Beine analysiert, die ich nur schlecht hinter der Tür verstecken kann. „Fragt sich nur wie lange."

Ich schlucke leer und kralle mich ans Holz, denn sagen kann ich nichts. Diese Frau macht jeden mundtot. Und das alleine mit ihren eisblauen Augen.

„Ist er da?"

Ich schüttle als Antwort nur den Kopf. Mein Blick wandert unwillkürlich zu dem kleinen Buben, der neben Frau Gerber steht und mich neugierig mustert. Er hat hellbraunes Haar und reicht seiner Mutter mit dem Kopf gerade mal bis zur Hüfte. Er scheint mich nicht mit seinem Blick zu verurteilen, so wie seine Mutter, sondern eher mich mit einem freundlichen Interesse anzustarren. So wie Kinder nun mal starren, wenn sie was sehen, dass ihnen unbekannt ist.

Julia verdreht die Augen und stöhnt genervt auf.

„Siehst du Emil!", sagt sie an ihren Sohn gerichtet. „Dein Vater hat dich vergessen."

Emil blinzelt zu seiner Mutter hoch und ich erkenne, wie seine Mundwinkel schlagartig nach unten fallen. Mein Instinkt schlägt Alarm und ich springe vorwärts, als hätte mich eine Wespe in den Hintern gestochen. Jetzt ist es mir egal geworden, dass ich quasi nackt vor den beiden stehe.

„Das stimmt gar nicht!", wehre ich Frau Gerbers Angriff auf den Vater ihres Kindes ab. „Er hat mich gebeten, auf den Kleinen aufzupassen. Er hatte einen ganz dringenden Arzttermin, den er nicht verschieben konnte."

Auch wenn das eine Lüge ist, versuche ich eine für ein Kind möglichst plausible Erklärung zu finden, die den kleinen Emil nicht verletzen könnte. Papa ist beim Doktor. Das klingt doch ganz harmlos.

Ich spinne das Lügennetz noch weiter:

„Aber er meinte, dass Emil mit der besten Freundin seines Papas ein bisschen Zeit verbringen sollte." Diese Worte richte ich an den sechsjährigen Burschen.

Emils Ausdruck erhellt sich und der traurige Schleier verschwindet. Er tapst zwei Schritte auf mich zu und legt den Kopf in den Nacken, um mir ins Gesicht zu blicken.

„Du bist Papas beste Freundin?", fragt er skeptisch. Dabei legt er seine Hand an die Stirn, denn die Sonne blendet ihn ein bisschen. Seine kleinen, hellbraunen Augen kneift er fest zusammen.

Ich nicke energisch.

„Die allerbeste! Er weiss, dass du mit mir so viel Spass haben wirst, wie mit keiner anderen!"

Emil macht noch zwei Schritte auf mich zu, in seinen Augen schimmert die Hoffnung, dass meine Worte wahr sein könnten. Dass dieses Versprechen auf Spass wirklich erfüllt werden könnte. Ich beginne breit zu grinsen, um ihm anzudeuten, dass ich nicht gelogen habe.

„Eeeeecht?"

Ich stütze meine Hände in die Hüfte und beuge mich etwas zu ihm vor, sodass mein Gesicht seinem näher ist. Der Kleine ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, nur die Haare und Augen sind etwas heller. Das muss Julias Einfluss sein. Aber mehrheitlich steckt Chris hinter den süssen Gesichtszügen dieses kleinen Herzensbrechers.

„Hast du schon einmal eine Kissenburg gebaut?", frage ich ihn.

Emils Augen werden untertassengross.

„Nein!"

„Die weltberühmte Kissenburgenbauerin steht vor dir. Ich kann dir zeigen, wie man die grösste Burg baut. Mit TURM! Na los. Rein mit dir!", sage ich und deute mit der Hand ins Haus.

Emil lässt sich das nicht ein zweites Mal sagen und rennt kreischend an mir vorbei ins Wohnzimmer.

„JAAAAaaaaa!", hören wir ihn rufen, als er sich selbst auf das Sofa befördert.

Ich blicke ihm schmunzelnd hinterher, da räuspert sich Frau Gerber vor mir und ich muss mich ihr wieder zuwenden. Sie wirft mir einen herablassenden Blick zu. Der Ekel ist ihr ins Gesicht geschrieben. Die Frau mochte mich vorher nicht und jetzt wahrscheinlich überhaupt nicht mehr.

„Könnten Sie sich aber bitte etwas anziehen, bevor Sie mit meinem Sohn spielen?", zickt sie mich an.

Durch ihren Kommentar getroffen, ziehe ich am Saum des grossen T-Shirts von Chris. Was kann ich dafür, dass diese doofe Katze auf meinen Kleidern liegt und ich sie deshalb noch nicht anziehen konnte?

„Selbstverständlich", antworte ich möglichst gelassen. „Ich war gerade dabei, mich umzuziehen, als Sie kamen."

Julia Gerber kommt auf mich zu und ich weiche ganz automatisch einen Schritt zurück. Irgendwas an der ist unheimlich, bedrohlich.

„Wissen Sie, Frau Schmidt. Wenn ich jetzt nicht dringend zu meinem Botox-Termin müsste, hätte ich Ihnen die Hölle heiss gemacht. Aber leider habe ich dafür keine Zeit. Eins sollen sie jedoch wissen: Ich dulde Chris' Flittchen nicht. Ganz besonders nicht, wenn er diese meinem Sohn vorführt. Emil soll nicht sehen, wie sein Vater durch die Welt vögelt. Haben Sie verstanden? Das hier", sagt sie und macht mit ihrem Finger eine kreisende Bewegung, die mich und sie einschliesst.

„Das hier ist eine Ausnahme. Ich bin die Mutter und ich will das alleinige Sorgerecht. Es wird nach meinen Regeln gespielt, haben Sie das verstanden? Richten Sie dem guten Chris bitte aus, wenn er von seinem "Arzttermin" zurückkommt, dass ich solch Unzuverlässigkeiten von ihm nicht mehr tolerieren werde. Wenn er seinen Sohn noch sehen will, dann soll er sich gefälligst Zeit für ihn nehmen und nicht seine Liebschaften die Arbeit machen lassen."

Mit diesen Worten drückt sie mir den blauen Kinderrucksack in die Hände und stolziert davon. Ich bleibe sprachlos im Türrahmen stehen und blicke ihr hinterher. Es bleibt mir keine Zeit mehr, um nachzufragen, was denn in den Rucksack gepackt wurde, denn schon ist sie um die Strassenecke verschwunden. Tolle Mutter, wirklich.

Etwas zupft an meinem T-Shirt und ich zucke vor Schreck zusammen. Ich blicke zu der Kreatur runter, die mich angestubst hat. Es ist Emil.

„Wie heisst du eigentlich?", fragt er mich.

In seinen Augen schimmert dieser neugierige Funke, den ich vorhin schon an ihm gesehen habe.

„Ich bin Emma", stelle ich mich vor und reiche ihm meine Hand, die er vorsichtig greift und ich sodann schüttele.

„Kommst du endlich, Emma?" Der hat es aber eilig. Kinder sind auch wirklich ungeduldig.

„Äh, ja gleich. Ich muss mir noch kurz eine Hose anziehen."

„Warum?", fragt er weiter und blickt auf meine nackten Beine, als sei das ein gutes Outfit, um zu spielen.

Ich hebe den Blick und schaue links und rechts die Strasse runter. Zum Glück hat uns bisher noch niemand gesehen, denn so wenig sollte wirklich niemand vor einem Kind anhaben. Da könnte jemand glatt die falschen Schlüsse ziehen.

„Weil ich meine Kissenburghose noch nicht anhabe", antworte ich ihm und schiebe ihn ins Haus. Die Tür fällt hinter uns ins Schloss.

Emil steht da und blickt mich erwartungsvoll an und erst jetzt fühle ich, wie sich mein Magen verknotet. Ich habe noch nie ein Kind gebaby-sittet und nun, wo ich alleine mit dem sechsjährigen Knaben in der Wohnung seines Vaters stehe, realisiere ich, was ich mir da eingebrockt habe! Mir ist es komplett fremd, sich um einen anderen Menschen kümmern zu müssen, geschweige denn um ein Kind. Ich kenne meine eigenen Bedürfnisse ja kaum! Wie in Gottes Namen soll ich da die Bedürfnisse und Wünsche eines kleinen Jungen dechiffrieren?

„Und was soll ich tun?", fragt er.

Emil schaut mich an, als hätte ich die Antwort auf jegliche Lebensfragen. Ich blinzle verwirrt. Wie jetzt? Soll ich dem eine Anleitung geben, wie man als Kind zu leben hat?

„Spiel doch einfach", antworte ich.

Kinder sollten doch wissen, wie das geht. Was weiss ich, was der tun soll, während ich mich umziehe! Ist ja nicht mein Problem.

„Womit denn?", hakt er nach.

Oh Gott. In welchem Alter werden Kinder denn selbstständig? Der will doch hoffentlich nicht, dass ich jetzt zu seiner Unterhaltung vor ihm anfange zu jonglieren?

„Äh", krächze ich und blicke mich um.

Da bemerke ich den Rucksack, den ich von Julia in die Hand gedrückt bekommen habe. Vielleicht hat es hier ja Spielsachen.

„Hast du nichts mitgebracht?" Ich öffne den Rucksack. Darin sind drei Bilderbücher zu finden. Er zuckt nur mit den Schultern.

„Hier. Lies das", bestimme ich und strecke ihm ein Buch hin, welches auf der Titelseite einen grossen Traktor abgebildet hat. Darin gibt es sicherlich nicht viel zum Lesen, sondern nur zum Anschauen, aber das muss dem Burschen vorerst reichen. Der Knabe gibt sich damit zufrieden und hopst auf die Couch.

Ich haste in den ersten Stock zurück in Chris' Zimmer. Die fiese Miezekatze befindet sich immer noch im Badezimmer, ich höre nämlich ihre verzweifelten Rufe. Die will freigelassen werden, aber wenn es nach mir ginge, könnte die dort ruhig verhungern.

Nach einer kurzen Suche fische ich eine helle Jeanshose von Chris raus und schlüpfe rein. Sie ist mir natürlich viel zu gross und ich muss die Hosenbeine arg hochkrempeln, aber nach heutigen Modetrends könnte das locker als Boyfriend-Jeans durchgehen.

„Eeeeeeeemma!", ruft Emil von unten und ich spüre, wie mir das Herz plötzlich bis zum Hals schlägt.

Hoffentlich ist jetzt in den drei Millisekunden, in denen ich weg war und das Kind seinem eigenen Schicksal überlassen wurde, nichts passiert! Die Horrorgeschichten, die ich von anderen gehört habe, kenne ich zur Genüge. Ich will nicht, dass ihm was zustösst.

„Ja?", schreie ich und stolpere die Treppe hinunter.

Da sehe ich, wie Emil gerade den Purzelbaum auf der Couch macht. Er landet sicher in den Kissen und hebt den Kopf zu mir hoch. Seine Haare stehen von der elektrischen Spannung des Leders in allen Richtungen von seinem Kopf ab.

„Hast du das gesehen?", fragt er mich begeistert und ich muss automatisch schmunzeln, weil er doch gerade so knuffig aussieht.

„Ja, habe ich." Ich lasse mich auch auf das Sofa plumpsen und setze mich neben ihn hin. Da stellt er sich auf die Knie und packt meinen Unterarm.

„Das war ein guter Purzelbaum, nicht wahr?", will er wissen. Der junge Mann ist sehr von sich selbst überzeugt und schaut mir dabei mit seinen hellbraunen Glubscher so direkt in die Augen, dass ich das Gefühl habe, er durchsticht damit meinen Hinterkopf.

„Der Beste, den ich je gesehen habe", übertreibe ich. Mann soll Kinder ja loben. Selbst für die banalsten Dinge wie ein einfacher Purzelbaum. Jeder fängt mal klein an.

Das Strahlen, das meine Worte auslöst, lässt mein erkaltetes Herz um einige Grad wärmer werden. Selbst wenn ich Kinder nicht mag, ihr Lächeln ist wirklich süss und das Lächeln, was mir Emil gerade schenkt, erinnert mich so stark an seinen Vater, dass ich nicht anders kann, als es zu erwidern.

Wir scheinen uns zu verstehen und so beginnen wir, die Couch auseinanderzunehmen und alle Kissen in der Wohnung zu sammeln, um unsere Burg zu bauen. Emil quietscht und jauchzt dabei und beobachtet jeden meiner geübten Handgriffe ganz genau.

Jonas hat mir das mal gezeigt. Eines Abends, als unsere Mutter uns alleine Zuhause lassen musste und ich wegen des Unwetters, das draussen tobte, unheimliche Angst hatte. Kissenburgen bieten Sicherheit. In einer Kissenburg kann dir nichts geschehen. So habe ich das in Erinnerung und ich merke, jetzt, wo ich sie mit Emil baue, dass dies etwas ist, das ich ihm gerne zeige. Die Kissenburg, die jedem Kinderherz Geborgenheit schenken kann.

Das Leben ist hart genug, da hilft es, wenn man sich in weiche Gänsefedern und Kissen hüllt, um sich für einen Augenblick von der Unbarmherzigkeit des Lebens abzuschirmen.

Die Zeit verstreicht.

Als die Burg steht, bitte ich ihn, sich in die Nische zu setzen, die wir gebaut haben. Mein erwachsener Körper passt nicht hinein, aber der Knirps kann sich hinsetzen und ist dennoch in seiner kleinen Höhle gut versteckt. Seine Äuglein mustern den Innenraum der Burg fasziniert und ich kann erkennen, wie es in seinem Kopf zu rattern beginnt.

Wie die Fantasie in ihm ausbrechen will und er sich schon wilde Geschichten ausmalt. Das unverkennbare Glänzen in seinen Augen verrät mir, dass er in die unbeschwerte Welt abdriftet, die nur in einem Kind existiert, das vom Leben noch nicht enttäuscht wurde.

„Gefällt dir die Burg?", frage ich ihn. Er nickt bloss als Antwort, denn Sprechen kann er nicht mehr.

Der Bursche ist in seine Welt eingetaucht und ich will ihn da nicht stören. Also erhebe ich mich und begebe mich in die Küche, um mir selbst ein Glas Wasser einzuschenken. Für Emil mache ich auch schon eins bereit.

Emil sitzt eine ganze Weile alleine in der Burg und ich höre, wie er Selbstgespräche führt. Wie er sich erst als König vorstellt, der über das Herrschaftsgebiet des Sofas regiert und immer wieder seinen Bediensteten eins über den Kopf haut, weil sie ständig über seinen imaginären Teppich stolpern und den Traubensaft ausschütten. Dann wird er plötzlich zum Ritter und reitet durch die Ländereien, um für Recht und Ordnung zu sorgen. Ritter Emil Bärenherz nennt er sich. Und zuletzt verwandelt er sich in den Burggeist Emoool, der den Leuten Angst und Schrecken einjagt, die es wagen, in seinen Kerker zu kommen.

Ich sitze am Esstisch und horche der blühenden Fantasie dieses Kindes. Ich habe ihm nur ein paar aufeinander gestapelte Kissen gegeben und Emil hat daraus eine ganze Welt erschaffen. Der Kreativität eines Kindes sind wirklich keine Grenzen gesetzt.

Plötzlich lugt er aus der Kissenburg hervor und sucht nach mir.

„Emma?"

„Hast du Durst?", frage ich ihn und er nickt.

Er setzt sich auf den Stuhl neben mir. Seine viel zu kurzen Beine baumeln locker herunter. Er nimmt sich das Glas und trinkt eifrig. Dann stellt er es hin und blickt mich wieder mit dieser unmissverständlichen Neugierde an.

„Wenn Papi und du beste Freunde sind", sagt Emil dann plötzlich. „Spielt ihr dann auch miteinander? So wie ich mit Max spiele?"

Ich beisse mir auf die Zunge, um nicht loszulachen. Eine berechtigte und für ein Kind logische Frage.

„Ja, so ähnlich", sage ich möglichst vage.

Der kleine Kerl wird schon noch seine Hausaufgaben im Leben machen müssen. Die muss ich ihm jetzt nicht beibringen. Das ist ein Gespräch, das Chris mit dem kleinen Herzensbrecher irgendwann einmal in ferner Zukunft führen dürfen wird.

„Aber Teo ist doch sein bester Freund", meint er dann. Irgendwas scheint ihn zu irritieren. „Man kann nur einen besten Freund haben."

„Naja ...", will ich widersprechen, aber da springt Emil schon vom Stuhl und rennt davon.

„FANG MICH DOCH!", kreischt er.

„Was zum–?" Ich bin so überrumpelt von dem abrupten Themenstopp und der lauten Aufforderung, mit ihm zu spielen, dass ich nur perplex blinzeln kann.

„Faaaaaang mich!", ruft er und sprintet in den ersten Stock. In einer Geschwindigkeit, die seine kurzen Beine natürlich erlaubt.

Ich seufze in mich hinein. So müde wie ich bin, sollte ich jetzt eigentlich keinen Sport machen. Und auf Kinder aufpassen zählt für mich definitiv zu Extremsport. Hier wird man ständig an die Grenzen getrieben. Sowohl nervlich als auch körperlich.

Emils Kichern wird leiser. Allmählich erhebe ich mich von meinem Stuhl. Dieses Haus ist zwar recht gross, aber Emil kann nicht weit von mir davonrennen. Ich bewege mich gemächlich zur Treppe und steige die Stufen hoch.

Das Lachen des Jungen ist mittlerweile verstummt und ich vermute, dass er sich spontan dazu entschieden hat, sich vor mir zu verstecken. Manchmal sind Kinder halt schon durchschaubar.

„Hmmm. Wo ist Emil bloss hin?", denke ich absichtlich laut, damit er mich lokalisieren kann. Ich will dem Buben ja keinen Schrecken einjagen.

Ich durchsuche das Gästezimmer. Von Emil keine Spur. Dann muss er sich im Schlafzimmer seines Vaters befinden, denke ich mir. Schnellen Schrittes erreiche ich die Tür. Die ist allerdings geschlossen. Ich habe nicht gehört, wie er sie zugemacht hat. Dann muss er sich wahrscheinlich im Kinderzimmer verschanzt haben.

„Emil, wo bist duuuu?", flüstere ich meine Frage und öffne leise die Tür zum Kinderzimmer.

Hier drin war ich noch nicht, aber ich hatte es an der farbigen Kinderschrift vermutet, die am Türrahmen hängt. Grellgrüne Buchstaben, die den Namen "EMIL" kennzeichnen, haben mir recht deutlich den Hinweis gegeben, dass das hier sein Reich sein muss, wenn er seinen Vater besuchen kommt.

„Emil?", frage ich in den Raum hinein. Ich sehe den Buben nicht und so langsam steigt die Unsicherheit in mir hoch. Wo ist er bloss?

Ich bücke mich und schaue unter dem Bett nach. Nichts. Ich öffne den Kleiderschrank. Nichts. Ich suche hinter der Tür. Auch nichts. Emil ist wie vom Erdboden verschluckt.

„Emil. Komm raus. Es ist nicht mehr lustig", rufe ich, aber ich erhalte keine Antwort.

Dieser kleine Giftzwerg versteckt sich absichtlich so gut. Ich kenne die richtig guten Verstecke hier im Haus leider noch nicht. Wenn ich Pech habe, wird sich der Lausbub den Rest des Tages verkriechen, da bin ich mir sicher.

Ich kehre zum Gang zurück und öffne Chris' Schlafzimmertür. Auch dieses Zimmer scheint leer zu sein. Ich suche eine ganze Weile lang, kann ihn aber nirgendwo finden.

Scheisse. Der Junge ist gut!

Plötzlich höre ich, wie die Haustüre im unteren Stock aufgeht.

„Emma?"

Chris' altbekannte Stimme ruft mich und ich seufze erleichtert auf. Die Zeit ist offensichtlich schneller vergangen, als ich realisiert habe.

„PAPAAAAAA!", schreit Emil und verrät somit sein Versteck: Das Badezimmer. Er reisst die Tür auf, setzt damit das Raubtier wieder frei und stürzt die Treppen runter, um seinem Vater in die Arme zu springen. Die Katze sucht das Weite und rennt mit Emil ins Erdgeschoss.

Ich jogge hinterher und komme ausser Atem vor Chris zum Stehen, der recht perplex seinen Sohn in die Arme nimmt.

„Emil?", sagt er verblüfft und blickt dann fragend zu mir.

„Julia war hier und hat ihn gebracht", erkläre ich, was Chris' Gesichtszüge sofort verhärten lässt. „Du bist heute dran. Anscheinend."

Ich stütze meine Hände in die Hüfte. Diese Sporteinheit war anstrengend und ich muss mich vor dem Schreck erholen, den ich bis vorhin noch gespürt hatte, als ich dachte, ich hätte Emil im Haus für immer verloren.

„Oh verdammt, das habe ich ganz vergessen!", stösst Chris aus und erhebt sich, während er seinen Sohn noch immer in den Armen hält.

Dieser hat seine Arme um den Hals seines Vaters geschlungen und drückt so fest zu, wie er nur kann. Man kann die Liebe und Zuneigung, die dieser kleine Bub seinem Vater gegenüber verspürt, sehen.

Chris streckt seine Hand aus und ich greife danach. Er drückt sie sanft. Das ist wohl die einzige Begrüssung, die wir uns vor seinem Sohn leisten können. Es herrscht die stille Übereinstimmung zwischen uns, dass wir unsere Liebelei nicht vor dem Sohn zeigen werden. Dafür ist es zu früh und ich will mir nicht vorstellen, was sich Emil dabei denken würde. In seinen Augen können sich ja nur Papa und Mama lieben. In seiner Rechnung hat es keinen Platz für eine Emma.

„Hat sie irgendwas gesagt?", fragt mich Chris und meint damit Julia.

Ich zögere. Mein Blick wandert zu Emil, der sich noch immer fest an seinen Papa klammert und nicke vorsichtig als Antwort. Ja, sie hat was gesagt. Das ist allerdings eine Sache, die wir nicht vor dem Kleinen besprechen sollten. Chris versteht meinen vielsagenden Blick und lässt einen Sohn auf den Boden runter.

„Emil, geh du doch bitte mal ins Wohnzimmer und lies eins deiner Bücher, ja? Papa kommt gleich."

Der Bub nickt artig und rennt zurück zur Kissenburg, nur um sich dann mit einem Buch in der Nische, die ich für ihn gebaut habe, zu verkriechen. Chris deutet mit einem Kopfnicken in den oberen Stock. Diese Angelegenheit müssen wir unter vier Augen besprechen.


✵✵✵


Hallo meine Lieben

Obwohl Emma Kinder nicht mag, kann sie ganz gut mit Emil umgehen, findet ihr nicht? Vielleicht steckt in ihr ja ein verborgenes Talent, von dem sie noch nichts wusste ;)

So und Julia ist hier. Viele von euch haben richtig geraten, dass sie Emmas Chefin ist :) (Applaus für euch) hehehe

Habt eine schöne Woche!

Eure Fleur

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro