Kapitel 11: Geheime Erkundungstour

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Dunkle Träume suchten mich diese Nacht heim. Das ständige Geräusch von prasselndem Regen begleitete sie, wie ein düsteres Instrument.
In diesen Träumen war es finster. Stockfinster.
Ich sah nichts als Nebel und Schwärze. Nur in der Ferne konnte ich ein kleines, flackerndes Licht erkennen, vermutlich eine Laterne.

Ich fröstelte ein wenig in dem frischen Luftzug, der über meine Arme strich. Ich verschränkte sie, damit sie sich gegenseitig Wärme und Trost spenden konnten - einen winziger Hauch von Geborgenheit.

Schon gleich fühlte ich mich wieder wohler. Meine Schritte trommelten wie schwere Steine auf den Asphalt, der so dunkel war, wie der Untergrund auf dem ich vor wenigen Tagen gestanden hatte. Der Untergrund, der von Blut befleckt und Messern zerkratzt gewesen war. Ich hasste diesen Ort jetzt schon, und wollte nur weg von hier. Weg von dieser Dunkelheit. Also setzte ich mich in Bewegung und rannte auf das Laternenlicht zu.

Doch als ich ankam, blieb ich wie angewurzelt stehen. Eine Steinmauer ragte vor mir auf, an der ein Junge lehnte. Einsam und mit gesenktem Kopf saß er da und starrte auf den Boden. Er war vollkommen durchnässt, die Kleidung klebte wie eine zweite Haut an seinem Körper, der von Muskeln gezeichnet war. Ich trat einen Schritt zurück. Der Kleine war bestimmt sieben, höchstens acht. Warum war er so muskulös?

Der Schrei eines Mädchens riss mich aus meinen Gedanken, und ich fuhr herum. Doch da war niemand – nur dieser Junge. Langsam drehte ich mich wieder zu ihm um. Noch immer saß er da – ungerührt. Auf einmal spürte ich wie ein seltsames Gefühl in mir aufsteig. Mein Herz schlug plötzlich ganz schnell, während sich alles in mir zusammenzog. Hitze schoss in mir hoch und ich fühlte einen Druck in meinem Körper, der jeden meiner Muskeln erzittern ließ. Ich taumelte ein paar Schritte zurück und stützte mich keuchend auf die Knie. Was passiert hier?

Ich war wütend. Eindeutig wütend. Nur warum?

Als ich wieder zu dem unheimlichen Jungen blickte, fiel mir auf, dass er nun den Kopf gehoben hatte und mich direkt anblickte.

Blinzelnd starrte ich zurück, und musste sogleich erschaudern.

Irgendetwas klebte unter seinen Augen. Eine eigenartige, dunkle Flüssigkeit, die ihn für einen Moment wie einen Geist wirken ließ. Was zum Teufel?

Hatte er sich das mit Absicht ins Gesicht geschmiert? Ich musste ein paar mal blinzeln bis ich bemerkte, dass seine Augen ebenfalls voll mit diesem widerlichen Zeug waren, das seine Wimpern verklebte. Man sah nicht einmal mehr seine Lederhaut. Seine Augen waren nun schwarz wie die Nacht und es sah fast schon so aus, als würde er dieses Schwarz weinen.

So wie er mich anstarrte, mit gespannten Muskeln und ausdruckslosem Gesicht fragte ich mich, ob er mir dieses Zeug ebenfalls in die Augen schmieren wollte. Irgendetwas hatte er bestimmt vor, sonst würde er mich nicht so ansehen.

Ich drehte mich ganz langsam um, darauf bedacht, keine plötzlichen Bewegungen zu machen, die ihn reizen könnten. Sobald er hinter mir war, rannte ich los, so schnell, wie es meine Beine nur zuließen. Mit wirbelnden Beinen und zerzausten Haaren hastete ich durch die Nacht. Jeder Muskel in meinem Körper schrie, doch die Angst trieb mich weiter. Ein Mann mit schwarzen Augen! Ein Mann der schwarze Tränen heult? Wie kann das sein?

Das Zeug in seinen Augen war weder Pech noch Farbe gewesen, das wurde mir mit jedem Schritt klarer. Es waren Tränen. Verdammte Tränen!

Mein Herzschlag wurde immer schneller, ebenso wie meine Schritte. Ich konnte nicht mehr, doch ich rannte trotzdem. Ich fühlte meine Füße kaum mehr, nahm nichts mehr um mich herum wahr, nur die pochende Angst in mir.

Schneller, ich muss schneller sein!

Plötzlich spürte ich Hände hinter mir und ich fuhr zusammen. Wie wild schlug ich um mich. »Nein!«, schrie ich, »geh weg, bitte geh weg!«

Augenblicklich lösten sich die Hände wieder von mir. Ich hörte ein kurzes, schlurfendes Geräusch, dann war es um mich herum wieder still. Zitternd sah ich auf. Ist er noch da? Hab ich ihn vertrieben?

Ich begegnete großen, verängstigten Augen, die mich für einen Moment innehalten ließen. Verwirrt zog ich Hände und Füße zurück. Diese Augen waren weder schwarz noch tränenverschmiert. Sie waren dunkelblau.

Und die Person vor mir war auch nicht dieser gruselige Junge, sondern Sinula.

Mit verschränkten Armen und erschrockenem Gesicht stand sie da und rieb sich einen blauen Fleck, der wohl von mir kommen musste.»T-tut mir leid«, stammelte sie, »ich wollte dich nicht wecken...«

Ihr Blick fiel zu Boden und blieb an dem Saum ihres Kleides hängen, als sie schüchtern hinzufügte: »Aber du hast im Schlaf geschrien. Ich wollte nur wissen ob alles - «

»Schon gut«, unterbrach ich sie schnell, und rieb mich verlegen am Kopf. Ich muss sie wohl vor Angst geschlagen haben. Au weia... Was wenn das jemandem auffiel? Oder wenn Cifan davon erfuhr? Wie sollte ich das bloß erklären?

Sinula wirkte alles andere als wütend. Sie stand noch immer steif an Ort und Stelle und betrachtete mich nachdenklich aus ihren blauen Augen. Es war seltsam, von ihr so direkt beobachtet zu werden. Bisher hatte sie mich kaum angesehen und lediglich ins Leere gestarrt.

Sinula knabberte wieder an ihrer Lippe herum und diese Bewegung brachte mich aus meinem Gedankengang. Mir fiel auf dass ich mich noch gar nicht erklärt hatte.

»Ich hab schlecht geträumt«, murmelte ich, »das ist alles. Bloß ein böser Traum.«

Sie blinzelte nur anstatt zu nicken. Anscheinend war sie nicht sonderlich gut im Gesprächeführen – vielleicht war sie auch gar nicht auf ein Gespräch aus. Ich musste auch nicht unbedingt mit ihr reden, aber sich gegenüberstehen und anschweigen war mir unangenehm.

Auch diesmal schien ihr das nicht viel auszumachen. Anscheinend war sie das Schweigen gewohnt, was mich bei ihr aber auch nicht wunderte. Dieses Mädchen hatte etwas wirklich seltsames an sich. Alles was sie tat, ergab keinen Sinn für mich. Ihre unruhigen Blicke, das ständige Blinzeln, das Schweigen. Außerdem verstand ich nicht, was sie täglich in diesen Garten trieb, schließlich hatte ich sie hier jeden Tag gesehen, als ich mich noch zu der Geigerin schlich. Meistens war sie still gewesen, fast unsichtbar inmitten dieses Paradieses aus Blumen, Gold und Lampions. Sie hatte die Fähigkeit, in ihrer Umgebung zu verschwinden. Man bemerkte sie einfach nicht.

Mir fiel auf, dass neben mir auf dem Brunnenrand ein goldenes Tablett stand mit einer Suppenschüssel, die einen eigenartigen Kräutergeruch hatte. Ich rümpfte ein wenig die Nase. Die Suppe stank nicht, roch aber seltsam scharf.

»Wir essen jeden Morgen Suppe«, setzte Sinula vorsichtig an, die meine Blicke bemerkt haben musste, »also jedes Mädchen unserer Familie. Wir dürfen nicht mehr essen, denn wenn wir nicht schlank und schön sind, werden wir keinen Bräutigam finden. Sagt Vater zumindest immer.«

Sie blinzelte betrübt und rieb sich die Schläfe.

»Oh, verstehe«, murmelte ich und probierte einen Löffel von dieser seltsamen Mischung, die sowohl aus Kräutern, als auch aus Gemüse zu bestehen schien. Der Geschmack überraschte mich. Er war eigenartig, aber nicht schlecht. Bitter und süß zugleich, außerdem würzig. Ich nahm ein paar weitere Löffel. Je mehr ich aß, desto besser schmeckte mir mein Frühstück. Innerhalb weniger Minuten war der Teller leer.

»Danke«, seufzte ich zufrieden und wischte mir den Mund mit einer Serviette ab.

Sinula lächelte wieder und auf ihren Wangen bildeten sich kleine hübsche Grübchen. »Gerne doch. Ich habe auch schon gegessen.«

Verwirrt sah ich mich um, konnte aber nirgends ein zweites Tablett erkennen.

»Nicht hier«, schnaubte sie belustigt, »bei den Laternen. Du hast so tief geschlafen, da wollte ich dich nicht stören. Aber als ich zurückkam...«

Sie brach ab und musterte mich beunruhigt. »Willst du mir erzählen wovon du geträumt hast?« Ihre Unruhe machte mich nun ebenfalls nervös. Es war doch nur ein blöder Traum, was hatte sie? Ich fragte mich, was genau ich gemacht hatte, währendem meinem Schlaf. Ich musste stärker auf meine Träume reagiert haben als vermutet, sonst wäre sie nicht so nervös.

»Da war so ein Junge«, fing ich mit matter Stimme an, »ein wirklich seltsamer Kerl, wenn du mich fragst. Ich bin ihm in einer Sackgasse begegnet. Im Traum war es Nacht und alles war dunkel. Dieser Junge war so gruselig. Er hatte widerliches schwarzes Zeug in und unter den Augen, das so aussah wie dunkle Tränen.«

Als ich sah, wie sich Sinulas Augen für den Bruchteil einer Sekunde lang weiteten, hielt ich für einen Moment inne. Sollte ich mehr erzählen? Zögernd hob ich wieder die Stimme und stellte fest, dass sie mir noch immer an den Lippen hing.

»Ich bin natürlich weggerannt«, murmelte ich, »wirklich lange, es hat sich wie Ewigkeiten angefühlt. Als du mich angefasst hast, dachte ich du wärst dieser Junge, vor dem ich geflohen bin.« Ich zuckte unschuldig mit den Schultern und ergänzte widerwillig: »Deshalb die Schläge.«

Sinula nickte, doch das Nicken wirkte seltsam steif. War sie immer so angespannt oder machte ihr der Traum tatsächlich Angst?

»Wie gesagt, nur ein Traum«, fügte ich daher so locker wie möglich hinzu und betrachtete sie prüfend.

Wieder nickte sich und strich sich fahrig einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, die über ihre Schultern gefallen waren. »Ja, natürlich.«

Ich runzelte die Stirn. Was hat sie? »Hast du auch schon mal sowas in der Art geträumt, oder warum - «

Sie unterbrach mich. »Nein«, sagte sie so nachdrücklich, dass ich nicht wusste ob ich ihr glauben sollte, »Sowas habe ich nur noch nie gehört, das ist alles.«

So schlimm war dieser Alptraum jetzt auch wieder nicht – also zumindest solange man wusste, dass es ein nur Traum war. In der Nacht hatte ich ja auch panische Angst gehabt.

Sinulas Furcht hielt jedoch nicht lange an, da auf einmal hohe Stimmen aus der Ferne zu hören waren. Das Mädchen hob alamiert den Kopf und schob hastig das Tablett in den nächstgelegenen Busch. »Was ist los?«, zischte ich ihr zu.

»Ich muss gehen«, flüsterte sie und drehte sich eilig um. Still und leise, wie ich es von ihr gewohnt war, huschte sie zu einer goldenen Pforte, die in den mittleren Teil des Gartens führte. Unschlüssig sah ich mich um und überlegte, ob ich ihr einfach folgen sollte. Sie hatte mich nicht dazu eingeladen, mich aber auch nicht weggeschickt. Wenn ich auf Abstand blieb, würde sie mich vielleicht nicht bemerken.

Als die Stimmen näher kamen, rückten sämtliche meiner Zweifel in den Hintergrund. Sinula schien sich hier auszukennen und war wahrscheinlich die einzige Chance, mir mächtigen Ärger zu ersparen - oder ihn zumindest aufzuschieben. Mit wehendem Kleid rannte ich also durch das offenstehende Gartentor. Erst als ich hinter einer großen Hecke verschwand, drosselte ich mein Tempo. Vor mir war ein ganzes Meer aus Zitronen- und Orangenbäumen zu sehen, allesamt in dieselben goldenen Töpfe gepflanzt. In der Mitte bildete sie eine Gasse, die geradlinig zu einem weiteren Wäldchen führte, das aus Magnolienbäumen bestand. Ich sah Sinula gerade hinter einem dieser Bäume verschwinden.

Ich eilte ihr auf Zehenspitzen nach. Zuerst bemerkte sie mich nicht. Sie marschierte zügig weiter und weiter, ohne sich umzudrehen. Doch als ich versehentlich auf einen Zweig trat, schnellte sie zu mir herum. Verdammt! Verärgert kickte ich das Geäst von mir, das nicht einmal sonderlich dick war, wie ich nun feststellen musste. Sinula hatte anscheinend ganz gute Ohren.

Zu meiner Überraschung sah sie nicht wütend aus, als sie mich erkannte. Anstatt mich fortzuscheuchen, winkte sie mich nach einigen hecktischen Blicken zu sich und zischte: »Komm - schnell!«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich hastete zu ihr und dann rannten wir Seite an Seite durch das Wäldchen. »Wieso versteckst du dich vor ihnen?«, keuchte ich während dem Sprint.

Sinula antwortete nicht. Als der Wald abrupt endete, lag ein großer See vor uns, über den eine lange Brücke führte – und davor war der Turm. Sinula nickte nach vorne, nahm dann meine Hand und rannte noch ein wenig schneller. Ihre Schnelligkeit überraschte mich. Ich hätte ihr dieses Tempo wirklich nicht zugetraut.

»Eure Hoheit!«, ertönten da auf einmal Stimmen hinter uns, »Eure Hoheit!«

Sinula fuhr erneut herum und scheuchte mich dann rückwärts auf die Treppenstufen. Wir rasten an den Säulen vorbei und brachten immer mehr Abstand zwischen uns und unsere Verfolger. In Windeseile rannten wir über den Säulengang ins Hauptgebäude des Schlosses hinein.

Dort blieb Sinula stehen, und zwar so abrupt, dass ich erst einmal an ihrer Hand im Kreis geschleudert wurde. Sinula griff nach meinen beiden Schultern und drückte mich gegen eine Wand, bis ich endlich zum Stillstand gebracht wurde. Sie grinste ein wenig und so schlich sich auch auf meine Lippen ein Schmunzeln.

Diese Flucht war ebenso unnötig wie verrückt gewesen. Und es war irgendwie zu komisch, neben ihr in in den Schatten einer Ecke zu kauern, aus Angst, von einer erbosten Hofdame gefunden und zurechtgewiesen zu werden.

»Machst du das immer?«

Sinula zuckte vergnügt mit den Schultern. »Gelegentlich.«

Wir lösten uns voneinander und liefen langsamer durch einen langen Korridor. »Warum eigentlich? Warum versteckst du dich vor ihnen?«

Sinula schnaubte. »Weißt du eigentlich wie anstrengend die sein können? Sie sehen es als ihre Berufung, einen ständig in viel zu enge Kleider zu quetschen, mit Höflichkeitsfloskeln zu nerven und sobald man sich auch nur einen Hauch von Unmut anmerken lässt, überschütten sie einen mit Fragen.«

Sie blinzelte traurig. »Sie wollen für mich einen Bräutigam finden. Ständig eröffnet Vater deswegen einen neuen Ball für mich, nur damit ich einmal heiraten kann. Manchmal habe ich das Gefühl, er findet mich nutzlos und möchte mich schnellstmöglich loswerden.«

Ich sah sie überrascht an. »Du wirst jetzt schon heiraten?«

Ihr Blick bekam etwas Hartes und Ausweichendes, als sie murmelte: »Nein, werde ich nicht. Ich heirate niemanden, ob das Vater nun gefällt oder nicht.«

Nachdenklich musterte ich sie. Sinula wirkte wie eine Person, die Streit eher aus dem Weg ging und vieles einfach nur tat, um Konflikte zu vermeiden. Warum lehnte sie sich dann ausgerechnet so sehr gegen eine Hochzeit auf?

»Wieso willst du nicht heiraten? Ich mein', jedes Mädchen träumt doch von einer Hochzeit!«

Sinula jedoch schüttelte nur den Kopf. »Für mich wäre es eher ein Albtraum..«

Ich beschloss, nicht weiter nachzufragen. Sie würde mir schon mehr erzählen, wenn sie wollte.

»Aber du wirst Cifan doch wieder begegnen – du kannst dich ja nicht ewig verstecken«, bemerkte ich, »was machst du dann?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Das, was er befiehlt, solange es nicht das Anprobieren von Hochzeitskleidern ist.«

Mit einem Seufzer fügte sie hinzu: »Wir sollten beide beim nächsten Abendmahl erscheinen, wenn wir es nicht noch schlimmer machen wollen. Er wird ohnehin schon sehr verärgert sein.«

Gedankenverloren kratzte sie sich am Kopf. »Viele fürchten seine Wut, doch ich hab' mich mittlerweile daran gewöhnt. Er würde mich nicht schlagen, da er möchte dass ich perfekt aussehe. Ich bin in seinen Augen unnütz und schwach, habe nicht mehr zu bieten als meine Schönheit und Fruchtbarkeit, und deshalb verheiratet er mich, um seine Macht zu sichern, und mich nicht mehr durchfüttern zu müssen. Wenn er mich schlägt, dann würde er unschöne Verletzungen riskieren, die meinen Bräutigam abschrecken könnte – deshalb wird er nicht handgreiflich.«

Ich nickte schwer. »Verstehe.«

Ich hatte schon oft gehört, dass Eltern ihre Kinder schlugen, doch in unserer Nachbarschaft war das nie geschehen. Auch in Molja war sowas äußert selten. Nur in Denva galten Schläge als normal, da die Eltern dort die größten Ansprüche an ihre Kinder hatten – schließlich wurde Denva nicht umsonst als ‚Händlerdorf' bezeichnet.

Ich sah sie beunruhigt von der Seite an. »Würde er mich schlagen?«

Sinula schüttelte langsam den Kopf. »Ich war nicht oft bei ihm in den letzten Tagen, dennoch habe ich bemerkt, dass er dich mag. Er hat großen Respekt vor dir.«

Ich fragte mich noch immer, warum er ausgerechnet mich so sehr in Schutz nahm. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich entweder bewunderte, oder mochte... nur wieso? Ich hatte schließlich nichts Ehrenhaftes getan.

Meine Begleiterin sah mich nun wieder an. »Du solltest dich bei ihm nicht so unbeliebt machen wie ich. Du brauchst seinen Schutz jetzt mehr denn je. Hör auf ihn, dann wird er dir helfen – er ist vermutlich der einzige, der das jetzt noch kann.«

»Dann werde ich wohl wirklich zu dem heutigen Abendmahl gehen müssen.«

Sinula nickte und brachte mich in den Ostflügel des Schlosses. Hier bestanden die meisten Flure und Wände aus Marmor und großen Sprossenfenstern. Das Meer und ein Teil von dem Berg, auf dem Talis stand, war hier zu sehen. Talis... Ich erschauderte ein wenig. Ich hatte einmal gehört, dass Riamos seine Festung in der Nähe dieses Dorfes gebaut hatte, ganz weit oben auf dem schneebedeckten Berg.

Wir liefen an einigen Kronleuchtern und diamantenbesetzten Spiegeln vorbei, bis mich Sinula in einen kleinen Raum führte, in dem unzählige Kleiderpuppen standen. Die Kleider und Stoffe, in denen sie steckten, hatten allesamt eine kühle Farbe, dennoch waren sie einzigartig und wunderschön. Manche waren blau wie das Meer, andere hingegen hatten die Farbe von Eis. Wieder andere waren so dunkel wie die Nacht, doch ebenso gab es Kleider in Weiß, Silber oder Beige.

Staunend drehte ich mich im Kreis. Auf unzähligen Regalen türmten sich dutzende von Schmuckkästchen und Schmuckständer auf, ebenso wie Schals, Federn und Hüte.

Sinula lächelte als sie meinen baffen Blick sah. »Willkommen in meinen Gemächern. Das hier ist mein Ankleidezimmer.«

»Wieso hast du mich hierher geführt?«

»Naja, du musst entsprechend aussehen, um dich Vater zeigen zu können«, erklärte sie, »und da du dich wahrscheinlich nicht von den Höflingen richten lassen willst, könnte ich dir ebenso behilflich sein.«

Ich hob beleidigt eine Augenbraue. »Und wieso gehst du davon aus, dass ich das nicht alleine schaffe?«

Sinula schnaubte belustigt. »Ein Mädchen vom Lande das Ahnung von Mode hat, wäre mir neu. Ich hingegen weiß was Vater mag und was nicht.«

Das Kleid, das sie für mich aussuchte, hatte eine blasse Farbe, die meiner gebräunten Haut schmeichelte. Es bestand aus einem Tüllrock, der mehrfach gerafft war, sowie einem weißen Korsett.

Sinula bindete es vorsichtig zu, darauf bedacht, dass ich noch Luft bekam. Sie verflocht meine Haare nur zum Teil und steckte sie an meinem Hinterkopf fest. Um meine Hände und meinen Hals legte sie Silberschmuck. Die längste Kette, die sie mir anlegte, hatte einen spitzen Kristall, der nur knapp über meiner Brust hing. Um meine Finger lagen dutzende von Ringen. Einige davon hatten kleine Edelsteine, andere eine gezwirbelte Struktur und wieder andere die Form einer Schlange.

Sinula schminkte mich kaum. Sie betupfte mein Gesicht lediglich mit Puder und färbte meine Lippen rot. Dann war sie auch schon fertig.

Es war eine westlich angenehmere Prozedur gewesen, als die beim letzten Mal und doch gefiel mir mein Spiegelbild am Ende so sehr, dass ich lächeln musste.

»Wow«, machte ich und fügte scherzhaft hinzu: »Du hast wohl doch ein bisschen mehr Ahnung von Mode als ich.«

Die Prinzessin lächelte bescheiden, dennoch sah ich ihr an, dass sie sich über mein Kompliment freute. »Ich muss mich dann aber auch mal richten.«

Ich ließ sie dafür eine Weile allein und sah mich unterdessen in ihren Gemächern um. Sie waren groß und schön, allesamt in Blau- und Silbertönen gehalten. Ihr Schlafzimmer war am größten, jedoch wirkte es auf mich leer und irgendwie ungemütlich. Es hatte ein riesiges Himmelbett, außerdem zierten einige Ornamente die Decke. In der Mitte des Raumes hing ein Kronleuchter, der in allen Farben, die das Licht so hergab, funkelte.

Sinula besaß zudem eine Bibliothek, ein Badezimmer, ein leerstehendes Zimmer, dessen Zweck ich nicht ganz verstand, eine Schatzkammer, ein Wohnzimmer und einen Keller. Das Kellergeschoss jedoch hatte nur wenige Räume und ich konnte nicht wirklich sagen, was davon ihr gehörte. Es war dunkel hier, nur ein paar Fackeln erhellten die unzähligen Gänge, die weiter als das Auge reichten. An einigen Seiten verschwanden sie in völliger Dunkelheit.

Mir wurde ein wenig mulmig zumute, darum drehte ich mich um und flüchtete schon nach wenigen Minuten wieder ins Helle. Da ich überall durch war, beschloss ich, wieder zu Sinula zurückzukehren. Sie musste mittlerweile sowieso schon fertig sein.

Und ich hatte Recht: Als ich bei ihr eintraf, wartete sie in einem feinen weißen Kleid auf mich. An ihren Haaren hatte sie kaum etwas gemacht. Sie hatte nur wenige Strähnen miteinander verflochten und sie locker nach hinten gesteckt. Auf ihrer Stirn saß eine silberne Kopfkette mit einigen feinen Edelsteinen und Perlen.

»Bist du ein wenig herumgelaufen?« Sie begrüßte mich mit einem Lächeln.

Ich schnaubte. »Herumgeirrt triff es eher.«

Sinulas Lächeln wurde breiter. »Komm mit, dann zeig ich dir eben noch ein bisschen was, damit du dich das nächste mal besser zurechtfindest. Bis zum Abendmahl ist sowieso noch Zeit.«

Sie führte mich denselben Weg zurück, den wir auch gekommen waren. Sobald wir ihre Gemächer verlassen hatten, mussten wir auch schon die Richtung wechseln. Wir liefen nach links. »Hier im hinteren Teil des Schlosses solltest du aufpassen, wohin du gehst«, warnte sie mich, »hinter diesem Gang befinden sich die Gemächer von König und Königin. Sie zu betreten ist strengstens verboten. Lediglich ich darf das, wenn ich von ihnen ausdrücklich dazu aufgefordert werde.«

Hier war der Flur an einigen Stellen weinrot und an den Wänden konnte ich eine ganze Reihe an Herrscherbildern erkennen. Ganz am Ende war ein Portrait von König Cifan zu sehen.

Wir bogen wieder ab, diesmal waren wir in meinem Bereich des Schlosses angelangt. Ich hatte ähnliche Zimmer wie Sinula. Ein Schlafzimmer, ein Schminkzimmer, ein Ankleidezimmer, ein Wohnzimmer, ein Badezimmer und eine Schatzkammer. Nur komischerweise gab es im Erdgeschoss noch eine Waffenkammer, die mich zutiefst beunruhigte. Warum glaubte Cifan, dass ich so etwas nötig hatte? Ging er wirklich davon aus, dass ich eines Tages selbst gegen meine Feinde kämpfen musste?

Wir verließen meine Gemächer durch eine Seitentür und befanden uns diesmal im vorderen Teil des Schlosses. Den kannte ich schon halbwegs.

»Hier ist der Thronsaal, die Schlossküche, der Speisesaal und auch ein Wohnzimmer«, erklärte Sinula, »du solltest dich benehmen wenn du dich hier aufhältst und auf deine Körperhaltung achten. In diesem Bereich tummeln sich nämlich die meisten Adeligen und Gäste. Sobald du einen Fehler machst, wird der ganze Hofstaat über dich tratschen und lästern.«

Ich schnaubte. »Das klingt mies.«

Sinula verdrehte nun ebenfalls die Augen. »Willkommen im Leben einer Adeligen.«

Als wir allerdings beim Speisesaal ankamen, verging uns schlagartig jegliche Belustigung. Eine riesige, gedeckte Tafel erwartete uns, die bereits vollbesetzt war, mit sämtlichen Personen, die uns nun anstarrten.

Auch Cifan war da – und beäugte uns mit seinen unergründlichen grünen Giftaugen.

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