Kapitel 9: Geheimnisvolle Melodie

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Ich war eingehüllt in Licht.

Es war so hell, dass ich ein paar mal blinzeln musste, um überhaupt etwas zu sehen. Ich fand mich in einem riesigen Zimmer wieder, das von etlichen Bogenfenstern gesäumt war, aus denen mir die Sonne entgegenstrahlte.

Hier war es ruhig und friedlich. Das einzige, was die Stille durchbrach, die hier herrschte, war sanfte Musik. Sie schien aus der Ferne zu kommen und hatte etwas seltsam Vertrautes an sich,das mich besänftigte. Mein Atem, der noch eben panisch schnell gewesen war, wurde allmählich tiefer und ruhiger.

Mein Blick fiel auf den Boden.

Da war ein Meer aus Notenpapieren. Alt und vergilbt waren sie. Einige hatten Risse. Sie schienen wie ein Weg, der sich in die Ferne erstreckte, durch diesen riesigen Raum. Mir fiel auf, dass er genau in die Richtung führte, aus der die Musik kam.

Neugier erwachte in mir. Es war schon seltsam, dass ich in letzter Zeit so angetan von Musik war. Klar, ich hatte sie schon immer gemocht, aber ich war noch nie so besessen von ihr gewesen. Noch nie hatte ich ein derartiges Kribbeln verspürt, sobald ich jemanden singen oder irgendein Instrument spielen hörte. Was hatte sich in letzter Zeit verändert? Das letzte Mal, als ich Musik gehört und davon wie verzaubert gewesen war, war ich ihr gefolgt – und das war damals das beste gewesen, was ich hatte tun können. Sie hatte mich direkt zu Nevis geführt.

Ich beschloss, ihr wieder zu folgen. Was habe ich schon zu verlieren? Meine Füße wirbelten die Notenblätter durch die Luft, während ich den geheimnisvollen Weg entlangschritt, den das Lied für mich schuf. Ich spürte einen sanften Luftzug an meiner Haut, immer wenn eins der Papiere an mir vorbeisegelte. Bald schon wurde mir die Sicht von fliegenden Blättern und uralten Notentexten verdeckt.

Auf einmal hörte ich Vögel zwitschern, wie an jenen unbeschwerten Frühlingstagen, an denen ich noch mit Lanix durch die Wälder getollt war.

Verwirrt horchte ich auf, doch je mehr ich mich auf die Geräusche konzentrierte, desto mehr Tiere konnte ich vernehmen.

Wölfe jaulten, Pferde scharrten, vielleicht waren es auch Hirsche oder Rehe.

Es raschelte und piepte und trampelte. Ich befand mich in einem Wirrwarr aus Tierlauten und Waldgeräuschen.

Als nächstes sah ich Farben aufblitzen. Zuerst waren es nur wenige, doch dann wurden es immer mehr. Ein ganzer Fluss aus Farbtönen durchflutete meine Sicht. Es glitzerte, es funkelte, überall.

Die Musik wurde lauter. Dramatischer und dennoch wunderschön. Es war wieder Geigenmusik. Geheimnisvoll und verlockend, so verlockend, dass sie mich mit all meinen Sinnen einnahm. Ich gehörte ganz ihr, sie lenkte mich und meine Schritte.

Etwas in mir schrie nach ihr, nach den Farben, nach den Geräuschen, nach den Gefühlen. Ich befand mich in einem Rausch aus Euphorie, der mich von Kopf bis Fuß beherrschte.

Auf einmal zerriss alles. Das Lied endete mit einem letzten schaurigen Ton, die bunte Welt, die sich um mich herum gebildet hatte, verblasste schlagartig.

Ich blinzelte.

Vor mir auf einem kleinen Hocker saß eine Dame in einem weißen Spitzenkleid. Sie schien um die dreißig zu sein, hatte lange feuerrote Haare, die zu einem lockeren Zopf verflochten waren und einige Sommersprossen um die Nase herum.

Ich trat leise ein paar Schritte näher, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte und mich daher nicht direkt bemerkbar machen wollte. Die Augen der Frau waren seltsamerweise geschlossen und ich fragte mich, ob sie schlief. War sie während dem Geigespielen etwa eingenickt? Oder war sie einfach nur konzentriert? Es war komisch, dass sie mich bisher nicht einmal gehört hatte.

Es dauerte nicht lange, bis sie sich bewegte. Sie seufzte einmal tief und öffnete dann blinzelnd die Augen. Als sie mich sah, zuckte sie zu meiner Verwunderung zusammen und war mit einem Mal auf den Beinen. Sie hatte blaugraue Augen, mit denen sie mich beunruhigt musterte. »Ich erteile Euch nur ungern irgendwelche Befehle, Eure Hoheit, aber Ihr solltet nicht hier sein. Geht irgendwo anders hin.« Mir fiel auf, dass ihre Stimme außergewöhnlich tief und ruhig war, auch wenn ihr Blick alles andere als entspannt wirkte.

Ich trat ein paar Schritte zurück und sah sie verwirrt und auch ein wenig nachdenklich an. Ich hatte nicht erwartet, dass sie mich direkt rausschicken würde, auch wenn mir klar war dass das kein Ort war, an dem ich einfach so herumschnüffeln sollte.

Bereitwillig neigte ich den Kopf. »Ich gehe schon.«

Zögernd fügte ich noch hinzu: »Das Lied war übrigens echt schön.«

Zu meiner Überraschung blitzte für einen Moment so etwas wie Entsetzen in ihren Augen auf, doch binnen Sekunden hatte sie sich wieder im Griff. Sie schüttelte den Kopf und meinte mit Nachdruck: »Nein, es ist scheußlich.«

***

Die nächsten Tage waren still und grau. Ich versuchte sie einfach nur hinter mich zu bringen. Die Zeit schien endlos, doch ich wollte nicht raus. Ich wollte nicht zu irgendwelchen gemeinsamen Mahlzeiten, ich wollte mich nicht durchs Schloss führen lassen, wollte nicht lernen.

Und so kam es, dass ich mich ein zweites Mal in das verbotene Zimmer schlich. In letzter Zeit hatte mir nämlich nicht viel geholfen. Nur die Musik hatte mich für einen kurzen und doch so wunderbaren Moment all meine Probleme vergessen lassen.

Doch es blieb nicht bei diesem zweiten Mal. Meine heimlichen Spaziergänge an den verboten schönen Ort wurden immer häufiger. Irgendwann wurden sie Alltag. Immerzu lauschte ich der Musik, mit rauem Notenpapier in der Hand und einem Samtkissen unter mir. Die seltsame Geigenspielerin sah mich kein einziges Mal, da sie immer während dem Spielen die Augen schloss und ich jedes Mal verschwand, ehe die letzten Töne verklangen.

Ich las die Noten und Texte genau. Es waren Lehrbücher gewesen, doch die Seiten waren ausgerissen. Ganz so, als würde jemand sie zerstören wollen. Doch was war an der Musik so falsch, dass sie kein Anderer mehr lernen sollte? Und wieso hatte sie diese eigenartige Frau »scheußlich« genannt?

Oft wenn ich las, sah ich das Wort »Ophuna« in den Zeilen aufblitzen. Die Worte waren allgemein merkwürdig verschlüsselt und gleichzeitig so surreal wie die Eindrücke in meinem Kopf, die die Musik auslöste. Ich verstand nichts davon. Enttäuscht ließ ich die Papiere wieder zu Boden schwingen. Ich hatte mir erhofft, in den uralten Texten eine Erklärung zu finden.

Ich seufzte und rieb mir die Schläfe. Eigentlich war das auch nicht so wichtig. Es brauchte mich nicht zu interessieren, schließlich änderte es nichts an meiner Situation. Vermutlich war ich nur deshalb so brennend daran interessiert, weil ich nach Ablenkung suchte.

Ich beschloss, mich lieber auf den Klang der Geige als auf die Noten zu konzentrieren, da jeder Versuch, sie zu lesen, mit Frust endete. Die Finger der Geigerin erinnerten mich an rauen Sommerwind, da sie schnell, fast schon stürmisch über den Geigensteg wirbelten.

Der Bogen hingegen schwang sanft und sachte über die zitternden Saiten. Doch obwohl die Fremde langsam spielte, steckten in jeder ihrer Bewegungen tausende Emotionen.

An diesem Morgen waren ihre Töne zuerst leise. Doch je länger sie spielte desto lauter wurden sie. Ich fieberte immer mehr mit ihnen mit. Der letzte Ton, den ich hörte, war schaurig und schrill.

Es war ein Schrei.

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