◆12| H u s h H u s h◆

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Wenn ich mein Geheimnis verschweige, ist er mein Gefangener. Lasse ich es entschlüpfen, bin ich sein Gefangener.

|arabisches Sprichwort|

Es klopfte äußerst sanft an der Tür, sodass ich das Aufgehen dieser kaum realisierte, bis Evas blonde Haarpracht hervorlugte und besagte Person ihre großen Augen unsicher auf der Suche nach mir über die vielen Bücher streifen ließ.

Ich lächelte und hob die Hand in meiner sitzenden Position an, um ihr zu signalisieren, wo genau ich mich befand. Denn nur zu gut konnte ich mir vorstellen, dass sie mich in dieser überaus groß ausgebauten Bibliothek leicht übersehen könnte, da sie für gewöhnlich auch von keinem Familienmitglied in Ausnahme von mir aufgesucht wurde und somit auch das Hauspersonal nicht oft hier vorbeizuschauen hatte.

«Hier bin ich!»

Ihr suchender Blick erreichte meine Wenigkeit und kleine Lachfältchen bildeten sich um ihre geschwungenen Lippen, als ihr zierlicher Körper die Bibliothek betrat. Sie wusch sich die Hände an ihrer pastellfarbenen Schürze ab, ehe sie in einem sachlichen Ton erwiderte:

«Das Frühstück ist gleich fertig, Miss Alington. Ihr Vater wird in wenigen Minuten mit Señor Gallego ankommen. Vielleicht möchten Sie schon vor ihm den Esssaal aufsuchen.»

Gemischte Gefühle bannten sich beim ausstoßen ihrer Worte in mir auf. Zum einen erstrahlte mein wachsamer Blick, als ich hörte, dass ich Onkel Santiago endlich sehen würde. Dieser Typ hatte eindeutig viel zu tun.

Auf der anderen Seite erblasste meine Freunde hingegen dezent, als ich meinen Blick auf das aufgeklappte Buch auf meinen Oberschenkeln richtete, das ich die ganze Zeit über in der Bibliothek auf meinem gemütlichen Standardplatz vor der Fensterbank zu lesen angefangen hatte. Es war das Werk Symposion von Platon an das ich mich schon seit längerem dran zu setzen vorgenommen hatte.

Ich konnte es einfach nicht mehr aus der Hand legen, nachdem ich einen ruhigen Moment heute Morgen für mich gefunden hatte und ausnahmsweise keine Vorlesung vormittags zu besuchen hatte. Also hatte ich mich kurz, bevor die Sonne aufgegangen war, mich in die große Bibliothek in die untere Etage geschlichen, ehe ich es mir mit einem warmen Pfefferminztee auf der gepolsterten Fensterbank gemütlich gemacht hatte. Ich hatte so lange bereits gelesen, dass ich nicht einmal das Aufgehen der Sonne und die Helligkeit, die mich durch das Fenster mit seinen Sonnenstrahlen begrüßte, eines Blickes würdigte. Das Werk hatte keine große Seitenanzahl vorzuweisen, aber ich hatte mir Zeit genommen und etwas langsamer gelesen um die Bedeutungen dessen was von Zeile zu Zeile erläutert wurde zu verinnerlichen.

Die letzten zwanzig Seiten waren angebrochen, als mich Eva zum Frühstück rief. Verbissen klemmte ich meine Unterlippe zwischen meine Zähne und wog die Chancen ab, ob ich noch ein wenig weiterlesen konnte. Hingegen musste ich mir schnell eingestehen, dass ich die zwanzig Seiten nicht fertig bekommen würde, ehe Papá vor mir im Esssaal ankommen würde.

Ich seufzte, klemmte mein Lesezeichen zwischen die Seiten und richtete mich auf, anschließend ich auf Eva zulief, die mich immer noch mit ihrem Lächeln beglückte.

Einen Moment verharrte mein Blick an ihr und meine Stirn zog sich grübelnd zusammen.

Mir fiel auf, dass ich in letzter Zeit nie wirklich dazu gekommen war, sie zu fragen, wie ihr Auslandsaufenthalt gewesen war. Von einem Tag auf den anderen vor knapp eineinhalb Jahren war Eva plötzlich weggereist. So hatte es uns Blanca am nächsten Tag berichtet.
Sie war mit uns aufgewachsen, weshalb sie für mich immer einer Sandkastenfreundin geglichen hatte. Und auch wenn meine Bindung zu ihr, nicht zu vergleichen mit der zu Sanjana war, waren wir zusammen groß geworden und das schweißte Menschen ebenso zusammen, wie die Bindung mit dem eigenen Blut.

Ich hatte einige meiner Tage gerne mit Eva verbracht und wir hatten uns sehr oft ausgetauscht. Sie hatte des Öfteren voller Euphorie von ihren Träumen und Zielen erzählt, was sie aber nun, wie ich bemerkte, seit ihrer Rückkehr nicht mehr getan hatte. Ich kniff die Augen zusammen. Auch mich traf da ein Teil der Schuld. Mein Studium hatte mich viel Zeit gekostet und die letzten Ereignisse hatten ebenfalls dazu beigetragen, dass ich sie unbewusst unbeachtet gelassen hatte. In dem Augenblick nahm ich mir vor etwas daran zu verändern.

«Danke Eva, dass du mir Bescheid gegeben hast. Ach und wir haben lange nichts mehr miteinander unternommen, ich würde mich freuen, wenn wir die nächsten Tage Mal etwas zusammen machen könnten, wie zum Beispiel spazieren gehen oder uns eine kleine süße Kalorienbombe bei Starbucks zu bestellen.»

Sie lächelte beim letzten Part meines Satzes und auch ich stimmte mit ein. Sie hatte genau wie Sanjana eine große Schwäche für Süßes. Ich ging sofort davon aus, dass Sanjana sich zu uns gesellen würde, denn wenn ich ohne sie nach Starbucks ging, würde sie mich um einen Kopf kürzer stimmen.

«Das würde mich freuen», sagte sie höflich und doch spürte ich die Röte auf ihren Wangen hervortreten. Sie sind nicht nur Bedienstete, rief ich mir wie immer in Erinnerung, als ich realisierte, dass es Eva verwunderte, dass ich noch was mit ihr zu tun haben wollte. Geld sagte nichts über einen Menschen aus und nichts über ihre Entscheidungen und über ihren Freundeskreis. All die Bediensteten waren ebenso eine große Familie für mich, wie meine eigene und das würde auch so sie bleiben. Sie waren alle ganz besondere Menschen.

Nachdem ich mein Zimmer angesteuert hatte, um das Buch in meine Tasche zu verstauen, flochtete ich mir noch kurz die Haare zu einem losen Zopf. Auf dem Weg zur Uni würde ich sie aufmachen, damit meine Locken dadurch besser zur Geltung kamen.

Anschließend trat ich den Weg in den Salon an, wo ich auch schon das herzhafte Lachen von Delilah hörte und sich unwillkürlich bei diesem Laut ein Lächeln auf meinen Lippen bildete. Ich öffnete die Salontür und das Bild was sich mit da bot ließ mein Herz wie kleine Flügelschläge eifriger kleiner Vogeljünglinge aufflattern und mein Körper durchströmte im selben Augenblick eine solch' enorme Wärme, die sich vom Haaransatz bis zu meinen Zehen breit machte.

Raúl saß mit Delilah auf der modernen einarmigen Chaiselongue, die Mamá damals so schön gefunden und die sie dann von Papá extra passend in der Farbe des restlichen Mobiliars eines Morgens Geschenk bekommen hatte. Während Raúl in einem überaus teuren Anzug dasaß und auf den ersten Blick einen recht strengen Eindruck übermittelte, verblasste dieses Bild im Nu, als ein ehrliches liebevolles Lachen auf seiner Kehle ertönte. Abrupt fing er an Delilah zu kitzeln, die vergebens versuchte seinen Händen auszuweichen. Sie ließ sich lachend rücklings aus die Sitzfläche fallen, sodass ihre Zöpfe herunterbaumelten, was die Kleine hingegen nicht bemerkte, da sie sich kreischend und lachend zugleich aus Raúls Griff zu befreien versuchte.

«Hermano lass das !», gackerte sie, was Raúls Lächeln vergrößerte. Es war schön mitanzusehen, dass Raúl Momente hatte, wo er einfach nur ein normaler Junge war. Kein Player, kein Trinker, kein reicher Macker, sondern einfach nur Raúl ohne eine Beschriftung, die ihn in eine Kategorie einordnete.

Mit einem überglücklichen Lächeln und einem inneren Frieden ausgestattet, der mich in diesem Augenblick einholte, betrat ich in den Salon und stellte mich wenige Meter vor den beiden hin, die noch immer in ihrer wilden Rangerei vertieft waren.

«Habe ich was verpasst ?», fragte ich, die Hände auf den Hüften ablegend und erwartungsvoll zwischen beiden hin und herblickend, mit der indirekten Aufforderung mir zu erklären, weshalb ich nicht in diese geschwisterlichen Partie involviert wurde.

Raúl hörte auf Delilah zu kitzeln und schaute mich mit erhobenen Mundwinkeln an:

«Eifersüchtig, Schwesterherz ?»

Ich verdrehte die Augen.

«Das hättest du wohl gern, was ?», antwortete ich, was Delilah ein Kichern entlockte.

«Hermano hat gesagt, dass ich später keinen Freund haben darf», fing sie an zu plappern.

«Aber große Menschen sind doch später nie alleine. Papá hat Mama, hermano hat Clara», Delilah wurde nachdenklicher je mehr sie sprach und ihre kindliche Naivität, ließ mich auflachen, ehe ich mich fragend zu Raúl wandte. Dieser zuckte lediglich mit den Schultern.

«Später, viel viel später darf sie einen Freund haben und auch du kannst noch einige Jahre warten.»

Ich hob die Augenbrauen hoch. Hatte ich mich gerade etwa verhört ? Wollte er, dass ich bis zu meinem 50 Lebensjahr darauf wartete einen geeigneten Partner zu finden ?

«Ich weiß, wie Kerle ticken und ich lasse nicht zu, dass man mit meinen Mädels spielt, verstanden!», sagte er nun etwas lockerer und stupste Delilah mit dem Zeigefinger auf die Nase. Auch da musste sie wieder lachen.

«Bis dahin werde ich der einzige Mann in eurem Leben sein», gab er mit ausgestreckter Brust stolz von sich, in dessen Haltung auch ein Hauch von Arroganz steckte.

Bevor ich aber eine sarkastische Antwort parat hatte, spürte ich einen Arm auf meiner Schulter und sah Elias vor mir,  der ebenfalls in einem Anzug ausgestattet, sich lässig an mich lehnte, derweilen er Raúl belustigt angaffte:

«Nun mach Mal halblang, du Romeo. Wer behauptet, dass du schon ein wahrer Mann bist ? Außerdem kann es gar nicht sein, dass die Kerle erst an dir vorbei müssen, um an die Mädels zu gelangen. Ich bin der große Bruder und bevor du einschreiten kannst, habe ich schon alle Verehrer beseitigt. Stimmt's ?», sagte er grinsend und wackelte mit den Augenbrauen.

Ich schubste ihn lachend von mir weg.

«Díos, seid ihr schlimm !»

Elias kniff mich von der Seite und auch Raúl war ausnahmsweise Mal nicht beleidigt und schien die Frage über seine Männlichkeit als Scherz aufgefasst zu haben.

«Na los jetzt ist genug mit Spielchen. Lasst uns ins Esszimmer. Vater und Onkel San müssten jeden Augenblick hier ankommen. Clara sitzt schon mit Carlos am Tisch.»

Delilah sprang auf und ergriff direkt Elias Hand, während sie den Raum durchquerten. Raúl und ich liefen einen angemessenen Abstand halten hinter ihnen her. Neben mir qngekommen redete er in einem gedämpften Ton, sodass nur ich es hören konnte:

«Ich bin im Moment auf einer heißen Spur.»

Ich verdrehte die Augen und wollte gepresst aufatmen, doch da fügte er hinzu:

«Ich meine nicht die Frauen. Ok, zugegeben da läuft es auch... Na ja, aber worauf ich hinauswill ist, dass ich eine neue Taktik gefunden habe um den Hacker ausfindig machen zu können. Deine hübsche Freundin von letztem Mal hat mich auf eine brilliante Idee gebracht.»

Nun drehte ich mich interessiert zu ihm um. Und obwohl ich ihm kenntlich machen wollte, dass Silvana nur eine Mitarbeiterin war, die mir lediglich geholfen hatte, sodass man uns nicht Mal annähernd als Freunde bezeichnen konnte, blieb meine Aufmerksamkeit an dem ersten Teil seiner Erzählung hängen.

«¿De verdad ?», fragte ich aufgeregt und mich beschlich endlich eine, wenn auch minimale, Hoffnung. Eine Schwere wurde leichter und es war so befreiend, endlich auch seitens Raúl positive Worte diesbezüglich wahrzunehmen, nachdem wir so viele Niederlage einstecken mussten. Denn ehrlich gestanden, war ich kurz davor gewesen das Handtuch zu schmeißen, nachdem auch Silvana nicht weiter gekommen war. Angesichts dessen war ich just unglaublich überrascht von dieser unerwarteten Wendung, was mich wieder in den siebten Himmel beförderte.

«Sí», lachte er, als er meine vor Aufregung zitternde Stimme wahrnahm. Abrupt unterbrachen wir unser Gespräch hingegen, als wir nach Elias und Delilah, die über Delilahs Schule sprachen und uns gar nicht hörten, den Saal betraten.

Mein Magen fing wie auf Kommando an zu Knurren, als ich den länglichen Tisch mit den frischen Spezialitäten gedeckt vorfand und mir das Wasser regelrecht im Munde zusammenlief. Blanca und Eva hatten Mal wieder eine Glanzleistung dargelegt. In solchen Moment fragte ich mich wie so oft auch, wie Blanca all das schaffte. Sie hatte praktisch den ganzen Haushalt zu erledigen und doch stand nun wieder ein perfekt hergerichteten Mahl vor uns, das wie aus einem fünf Sterne Menü hervorbeschworen war.

Mit einem letzten hungrigen Blick lief ich auf Clara zu, die gerade dabei war Carlos den Schnuller in den Mund zu stecken.

Ich umarmte sie von hinten und sie drückte erfreut meinen Arm.

«Da bist du ja endlich. Guten Morgen liebes. Ich bin heute extra früher mit Carlos gekommen, habe dich aber nirgendwo finden können.»

Derweilen ich den Stuhl neben Clara noch hinten schob, um mich zu setzen, machte mir Delilah dies gleich und wie immer setzte sie sich ebenfalls neben mich. Die Jungs nahmen gegenüber von uns Platz.

«Perdona, das habe ich leider nicht mitbekommen. Ich war am Lesen und habe dabei, wie immer, völlig die Zeit vergessen.»

Dann richtete ich meinen Blick auf Carlos, der an seinem Schnuller nuckelte und mich mit großen Kulleraugen anblickte.

Verzückt streckte ich die Hände nach ihm aus.

«Na mein kleiner Mann. Na... komm zu Tantchen.» Clara übergab ihn mir, als ich mich ausreichend nach vorne bückte, um ihn an mich zu nehmen. Ich verteilte feuchte Küsse auf sein Gesicht, derweilen seine kleinen Hände meinen Zeigefinger umgriffen und diese neugierig betrachteten.

Dieser kleine Frechdachs war mein Glücksbringer, da ich mich in seiner Gegenwart immer vom Glück gesegnet fühlte. Und auch wenn Carlos vom Aussehen her, eher nach seiner Mutter kam, konnte ich ab und an schon Verhaltensweise ausmachen, die Elias Genen hervorhoben.

Carlos versuchte brabbelnd etwas zu erzählen und auch wenn ich nichts verstand, gefiel mir sein Enthusiasmus so sehr, dass ich so tat, als würde ich ihm aufmerksam lauschen.

Delilah, die über Carlos kleinen Finger fuhr, kicherte, weil auch sie seine Geheimsprache nicht entziffern konnte.
Es freut mich zu sehen, wie die Kleinen sich unbeschwert amüsierten. Plötzlich hörte ich die Salontür aufgehen, gefolgt von einem Lachen, was unverkennbar Onkel San gehören musste.

Ich drehte in meinem Stuhl den Kopf zur Seite und sah auch schon die große schlaksige Statur meines Vaters, welcher neben einem fast zwei Meter großen Mann stand, der in den Ende vierzigern war. Sein Alter hatte ihm zwar die Junghaftigkeit genommen, doch die einzelnen großen Strähnen zwischen seinen dunklen Haaren und sein gebräunter Teint hatten seine Attraktivität nicht eingebüßt. Die Jahre hatten es durch und durch gut mit ihm gemeint. Wie zu erwarten, waren die Männer auch bereits am Morgen mit einem perfekten Erscheinungsbild ausgestattet. Nur selten hatte ich sie jäh in einem legeren Look gesehen, denn selbst in ihrer Freizeit bevorzugten sie es den Anzugträger zu repräsentieren.

Papá war gerade in ein angeregtes Gespräch mit Onkel San verwickelt, sodass beide noch nicht hochgeschaut hatten, um meinem erfreuten und aufgeregten Blick zu begegnen. Ich übergab Clara Carlos und stand auf, um ihnen entgegenzutreten. Als demzufolge die dunkelgrauen Augen bei der Wahrnehmung meiner Bewegungen nach vorne gerichtet wurden und mich dabei sofort erblickten, huschte ein warmes Lächeln über seine Züge und einladend bereitete er die Arme aus.

«¡Qué guapa ! Du bist sogar noch schöner geworden, als ich dich in Erinnerung habe, mi estrella», lachte er erfreut und zog mich direkt in eine Umarmung, der ich mich geboren hingab. Ich hatte es schon, als kleines Kind geliebt, wenn er mich seinen 'Stern' genannt hatte. Denn obwohl Onkel Santiago nicht wirklich blutsverwandt mit uns war und somit auch nicht unser leiblicher Onkel, kannten wir ihn schon unser ganzes Leben lang. Er war Papá, wie ein Bruder und obwohl Mr. Howard Papás engster Freund gewesen war, hatte Onkel San immer einen separaten Platz in Papás Herzen gehabt.

Sie waren bereits beste Freunde in ihrer Jugend in Kolumbien gewesen. Als dort aufgrund der drastischen politischen Situation, schwere Zeiten angebrochen waren, hatten sich beide zusammengerafft und sich gegenseitig unterstützend hinaufgearbeitet . Denn Onkel San war ebenso in der Justiz tätig, wie meine Familie, auch wenn er im Gegensatz zu Papá nicht sesshaft war oder eine eigenen Kanzlei eröffnet hatte, sondern sich eher verschiedenen Regionen in Lateinamerika gewidmet hatte, um dort tätig zu werden.

Wir alle mochten Onkel San und er übernahm indirekt immer eine zweite großer Vaterrolle bei uns ein. Mamá hatte uns sogar Mal erzählt, dass die Wehen bei Elias ausgerechnet dann eingetroffen waren, als Papá eine wichtige Gerichtsverhandlung hatte und diese so nicht unterbrechen konnte. Onkel San war es in dem Moment gewesen, der Mamá ins Krankenhaus gebracht hatte und Elias als Erstes in den Armen halten durfte. Onkel San war immer ein Teil unserer Familie und das würde er auch bleiben.

Umso erfreuter war ich also nun, dass er endlich wieder Zeit gefunden hatte sich von seiner Arbeit zu trennen und einen kleinen Abstecher in London einzulegen.

Ich befreite mich aus seiner Umarmung, ehe auch schon Elias und Raúl hinter mir hervortraten und sich jeweils einen männlichen väterlichen Schlag von ihm auf die Schulter einholten. Auch von ihren Gesichtsausdrücken her erkannte ich, dass sie genauso erfreut darüber waren ihn wieder zu sehen, wie ich in diesem Augenblick.

«Jungs, Jungs, Jungs da habt ihr aber was aus euch gemacht», sagte er stolz meinen Brüdern zugewandt, ehe Papá neben ihm anfing zu lachen.

«Das nenn ich Mal eine feine Begrüßung nur zu deinem Anlass, Santiago. Ich habe nie gesehen, dass meine Kinder sich über meinen Anblick so sehr gefreut haben, wie bei dir.»

«Wir wussten doch schon immer, dass ich mit dem besseren Aussehen gesegnet bin», sagte dieser, was Papá mit einem merklich belustigten Kopfschütteln quittierte.

Anschließend ging Onkel San zu den anderen an den Tisch und begrüßte sie ebenso herzlich. Zudem war er richtig angetan von Carlos Entwicklung, da er ihn zuletzt in der Wiege zu sehen bekommen hatte.

Das Essen verlief sehr harmonisch, selbst Eva und Blanca, die ab und zu Mal hereinkamen um uns einen weiteren Tee einzuschenken wurden für das atemberaubende Frühstück, welches sie so früh auf die Beine gestellt hatte, mit haufenweise Komplimenten überhäuft. Onkel San war wie eh und je charmant und witzig zugleich. Mit seinen Anekdoten und den Geschichten, die er aus Lateinamerika mitgebracht hatte, erheiterte er alle Anwesenden am Tisch, auch wenn es vielen von uns klar war, dass es auch eine dunkle Seite in diesem Kontinent gab, wie die Korruption und die stetige Armut. Doch auch Onkel San besaß die Sensibilität dies nicht neben Delilah zur Sprache zu bringen. Zu einem geeigneten Zeitpunkt würde er mit Papá darüber sprechen, wen er dies nicht schon vor einigen Tagen im Büro getan hatte.

«Heute Abend versammeln wir uns aber in meiner Unterkunft. Meine Angestellten bereiten schon den ganzen Tag die Gerichte vor», gab Onkel San geradewegs kund, als mein Handy zu vibrieren begann. Ich hatte mir extra einen Alarm eingestellt, damit ich nicht zu spät zur Uni kam. Anschließend hob ich den Blick an.

«Entschuldige Onkel San, aber ich bin heute leider nicht mit dabei. Es ist Donnerstag. Da helfe ich beim Küchendienst aus und anschließend bin ich auf die Geburtstagsfeier von dem Vater meiner besten Freundin eingeladen.» Ich warf ihm einen entschuldigenden Blick zu und legte mein Besteck ordentlich zur Seite, um mich zu erheben.

«Das war heute ?», fragte Papá Stirn runzelnd am Tischende. Ich wusste, dass, wenn es um Onkel San ging, er eine Ausnahme erwartete, doch das würde ich nicht tun.

«Ja und ich habe Sanjana und ihrem Vater versprochen, dass ich da auf alle Fälle auftauchen werde», betonte ich jede Silbe. Als hätte Onkel San den Nachdruck meiner Worte verstanden, mischte er sich ein, bevor Papá reagieren konnte.

«No es para tanto, mi estrella. Ich bin ja noch eine Weile in der Stadt, da werden sich genug Anlässe ergeben uns nicht nur einmal zu einem Abendessen zu treffen. Ich wünsche dir viel Spaß auf dem Geburtstag», sagte er gar nicht beleidigt von der Absage, die ich vorgelegt hatte.

Durch die Worte wurde auch Papá besänftigt. Denn nun lehnte er sich keine Gegenworte erhebend in seinem Stuhl zurück. Ich nahm sein Schweigen als Einverständniserklärung an, was mich dazu verleitete schnell aufzustehen und den Saal zu verlassen, bevor er es sich noch anders überlegen konnte. Mit einem Winken und einen Kuss an Delilah und Carlos auf beiden Seiten neben mir, drehte ich mich um und machte mich auf dem Weg nach draußen, um von Jeffrey zur Uni gefahren zu werden, der bereits seelenruhig auf mich wartete.

***

«Mhh irgendetwas ist falsch», murmelte Sanjana und blickte auf ihr Gutachtenstil nieder, den sie nach der Vorlesung in der Cafeteria geschrieben hatte, um die Zeit für ihre nächste Vorlesung zu überbrücken. Ich war ihr zuliebe noch etwas länger geblieben, denn im Gegensatz zu ihr, musste ich diese Vorlesung nicht mehr belegen, da ich sie im vorherige Semester vorgezogen hatte.

Ich blickte über ihre Schulter auf die Niederschrift nieder, die sie kritisch beäugte und tippte anschließend an die Stelle, die wahrscheinlich der Auslöser ihrer Skepsis geworden war.

«Du hast die eigentliche Auslegen vergessen, die Subsumtion. Nach der Definition bist du sofort zum Schlussteil gesprungen. Das ist eine riesen Lücke und ein enormer Fehler. Mach das bloß nicht in den Klausuren. Das muss mittlerweile sitzen, Sanju !»

Sie seufzte auf und versehte die Stelle auf die ich tippte mit einem großen Kreis.

«Man ! Diesen Schritt vergesse ich einfach viel zu oft», gab sie frustriert von sich, doch da schellte bereits die Cafeteriaglocke und Sanjana fing an ihre Sachen zusammenzupacken, weil sie sich gleich auf dem Weg zum Hörsaal machen musste.

In dem Moment wurden wir in der beinahe verlassenen Cafeteria, in der nur einige Studierende an ihren Mitschriften vertieft waren und einen Kaffee tracken, von einem schrillen Lachen unterbrochen.

Ohne hinzuschauen, konnte ich bereits erraten, wem diese Stimme zuzuordnen war.

«Ugh, die hat uns noch gefehlt», gab Sanjana mit einem Würgegeräusch von sich und deutete mir ihrer Kinnspitze zum Eingang der Cafeteria hin, wo Liza und ihre Clique sich versammelt hatte und Liza anscheinend von ihrem eigenen Witz begeistert, als einzig in der Runde lachte. Doch auch sie konnte meine Laune heute nicht runter ziehen, denn die schlanke Blondine mit ihrem Karokleid, dass einen Chaneltouch hatte, womöglich war es auch von Chanel, war nicht diejenige, an der meine Augen hafteten. Es war der Junge, nur wenige Schritte neben ihr, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Ein Grinsen bereitete sich auf meinen Mundwinkeln aus und ich flüsterte:

«Er ist gekommen.»

Irritiert folgte Sanjana meinem Blick und verwundert schnappte sie nach Luft. Bevor sie dies überhaupt kommentieren konnte, trafen seine Augen auf meine und auch er lächelte. Kurz drehte er sich zu seinen Freunden um, gab ihnen zu verstehen, dass sie auf ihn warten sollten, zumindest erahnte ich dies von seiner Körpersprache her, ehe er auf mich zulief. Meine Beine reagierten auf seine Bewegungen gleichermaßen und auch ich lief auf ihn zu. Einen geringen Abstand zueinander haltend waren unsere Blicke immer noch miteinander verankert und je mehr sein Grinsen an Breite gewann, desto mehr nahm auch meins zu. Die stechenden giftigen Blicke, die mir Liza von der Ferne aus zuwarf, ignorierte ich dabei ohne schlechten Gewissens.

«Jon ! Du hast dich dazu entschlossen wieder an den Vorlesungen teilzunehmen ?»

Er nickte, dabei fielen seine kurzen Haarsträhnen leicht nach vorne. Endlich hatte er sich wieder die Haare kürzer geschnitten!

«Sagen wir es Mal so, ich hole den alten Jon wieder zurück. Mir hat nämlich jemand ein Date versprochen, weißt du ?», neckte er mich, was mich wiederum zum Lächeln brachte, da ich nur zu gut wusste, worauf er hinaus spielte. Ich beschloss da mitzumachen, da ich sehr erfreut darüber war den unbeschwerten Jon nach all der langen Zeit wieder bei mir zu haben.

«Dann muss diese Person ja sehr überzeugend gewesen sein, wenn du ängstlich Ihren Befehlen nachgegangen bist.» Er lachte und mein Herz machte einen ungeschickten Hüpfer. Dieses Lachen hatte ich in den letzten Wochen kaum zu hören bekommen und nun war es, wenn auch etwas abgemilderter, wieder da.

Er wollte gerade einen frechen Satz von sich geben, was ich an seinem verspielten Ausdrucks ausmachen konnte, doch da erklang die zu dünne Stimme von Liza hinter uns, die uns unterbrach.

«Jonny wir müssen los, sonst kommen wir zu spät zu der Vorlesung.» Demonstrativ klimperte sie mit den Wimpern. Ich fragte mich automatisch, ob sie dadurch versuchte süß zu wirken. Unsere Blicke trafen sich.

«Oh hi Darling, dich habe ich ja gar nicht gesehen.» Mit einem aufgesetzten Lächeln wunk sie mir zu. Wie ich diese gespielte Förmlichkeit hasste und ihr 'Darling' war ich ganz bestimmt auch nicht.

«Oh hallo Elizabeth», antwortete ich ebenso gespielt verzückt und sprach dabei bewusst ihren vollen Namen aus, weil ich wusste, dass sie es hasste, wenn man sie so nannte. Die gewünschte Reaktion erfolgte recht schnell, als ihre Mundwinkel sich nach unten verzogen.

Gern geschehen, darling.

Neben mir tauchte in dem Moment auch Sanjana auf. Jon und sie begrüßten sich mit den gewöhnlichen Floskeln.

«Besuchst du auch die Vorlesung bei Professor Tanium ?», fragte er sie und sie nickte.

«Cool, dann sehen wir uns ja gleich», sagte er höflich, ehe er sich erneut mit dem Körper zu mir drehte.

«Wir hören uns Amalia, machs gut.» Er steckte die Hände in seine hinteren Hosentaschen und trat ein wenig unbeholfen zurück, was angesichts seiner makellosen leicht zur Seite geworfenen Frisur, dem Polopullover mit dem Hemdkragen und seiner vornehmen modernen Jeans völlig gegensätzlich wirkte. Dann drehte er sich um und ging.

Mein Blick haftete nicht lange an seinem ausgeprägten Quarterbackrücken, denn ein Stechen in meine Rippen ließ mich augenblicklich zusammenfahren.

Die Halbinderin neben mir wackelte verschwörerisch mit ihren Augenbrauen.

«Was läuft da ?»

Verdutzt blickte ich sie an.

«Wie... was meinst du ?»

Warum stotterte ich plötzlich ? Dies entlockte ihr wie schon zu erwarten war direkt ein theatralisches Augenverdrehen.

«Ach komm schon. Bin ich etwa blind ?»

«Nein, aber definitiv zu spät dran», sagte ich und schob sie mit der Hand Richtung Ausgang, welche sie nach einigen Sekunden mit eigenen Schritten erreichte. An der Tür angekommen, drehte sie sich nochmal um:

«Meine Antennen haben die ausreichenden Signale bekommen. Na warte, so leicht kommst du mir nicht davon», dann gab sie mir einem Luftkuss und ich erwiderte diesen mit einem Lachen, weil ich wusste, dass sie sonst keineswegs einen Schritt weiter machen würde.

Sanjana war verrückt, dachte ich und wurde mir erneut bewusst, warum ich sie so sehr liebte und wertschätzte. Auch ich packte meine Tasche, die am Fensterbrett lag, ein und verließ in wenigen Minuten die Cafeteria. Ich hatte Jeffrey zwar gesagt, dass er nicht auf mich zu warten brauchte, da ich zur Bibliothek und von dort aus den Bus zur Küchenhilfe nehmen würde, aber ich war schon immer ein Mensch gewesen, der nicht gerne trödelte. Also lief ich den Campusplatz entlang und bog in einer der Gänge ein, die komplett isoliert und verlassen vorfand, sodass ich mich zunächst einmal erschrak, als meine eigenen Fußschritte an den Wänden widerhallten. Andererseits war nun auch wieder Vorlesungszeit, dementsprechend war er klar, dass viele Studenten und Dozenten sich nicht mehr in den Fluren aufhielten. Mutterseelenallein steuerte ich meinen Weg zum Ende des Ganges an, der von der einen Seite von großen Fenstern überseht und auf der gegenüberliegenden Seite von Räumlichkeiten hinter verschiedenen Türen eingenommen wurde, ehe ich, als ich meine Haare nach hinten warf, bei einer offenen Tür zum Stehen kam und ein mir bekanntes Gesicht wahrnahm.

Mrs. Ionescus Assistentin Silvana saß über gewisse Unterlagen gebückt an ihrem Schreibtisch, auf den ich letztes Mal ihre Ordner angestellt hatte, und strich in ihrer Hand einen Stift haltend mit einer übernatürlichen Geschwindigkeit über das Blatt Papier. Ich blickte mich irritiert um. Also hatte ich erneut den Flur, wie letztes Mal eingeschlagen, wo ich ihr anschließend begegnet war.

Wie als hätte sie aber meinen Blick auf sich gespürt, stoppte sie in ihrer Bewegung und hob den Blick

Mir begegnend legte sich Verwunderung in ihr so schönes Gesicht, doch dann lächelte sich mich an.

«Hallo», sagte sie, was mich dazu veranlasste, mich dem Raum zu nähern.

«Kommen Sie doch rein.»

«Hallo», antwortete ich, ehe ich zögerlich in ihr Reich eintrat.

«Störe ich ?», fragte ich, machte einige Schritte vor und blieb vor ihrem Tisch stehen. Unwillkürlich huschte mein Blick erneut auf ihren unveränderten Arbeitsplatz, mit den Stiften in denen die Buchstaben S.C.T eingraviert waren und dem Foto, was ich letztes Mal von ihr und einer männlichen Begleitung gesehen hatte. Das Bild war aber nun abgewandt, sodass nur sie es sehen konnte.

«Natürlich nicht», antwortete sie höflich und als ich nickte, legte sie ihren Stift zurück und fragte mit einem Funkeln in den Augen:

«Möchten Sie sich nicht setzen ? Ich habe warmen Kaffee zubereitet. Wenn sie mögen, kann Ihnen auch einen anbieten.»

Ich überlegte kurz, doch da ich sowieso im Moment keine überaus dringlichen Erledigungen hatte und es kein Problem darstellte, wenn ich etwas später in die Bibliothek ging, nickte ich ihr zustimmend zu.

«Dann können Sie mir auch erzählen, wie die Klausur bei Mrs. Ionescu verlaufen ist. Ich habe gehört, dass die Durchfallquoten standardmäßig bei um die 70 % liegen. Das ist unglaublich!»

Ein Grinsen bereitete sich in meinem Gesicht aus bei ihrem offenkundig Interesse und ich wollte etwas erwidern, doch urplötzlich unterbrach das schrille Klingeln meines Handys unsere Unterhaltung.

Raúls Namen leuchtete auf dem Display auf und ich drückte ich ihn weg. Gerade aber als ich mein Handy wieder in die Tasche legen wollte, rief er nochmal an. Was war denn nun schon wieder ?

Mir fiel das eine Mal ein, als er mich die ganze Vorlesung über angerufen hatte, nur weil er seine Kondome vergessen hatte. Natürlich hatte ich mir Sorgen gemacht und hatte den Saal verlassen, um ihn zurückzurufen. Als ich hingegen den wahren Grund seiner Unruhe in Erfahrung gebracht hatte, war ich außer mir gewesen und hatte ihn wortwörtlich in die Hölle verfrachtet. Den wichtigsten Teil der Vorlesung hatte ich nämlich deshalb verpasst, weil der werte Herr seine Triebe nicht unter Kontrolle hatte.

Bei diesen Gedanken überkam mich ein Déjà-vu Moment. Deshalb war es mir auch nicht zu verdenken, als ich den Anruf annahm und etwas genervt in den Hörer rief:

«Was willst du ?»

«Ich hab's.»

Ich zog die Augenbrauen zusammen. War er betrunken oder hatte er sich neuerdings dazu entschlossen, weniger Worte zu benutzen, um seine Kraft für andere Sachen zu schonen ?

«Raúl... ich verstehe nicht...»

«Ich habe den Hacker, Amalia !», sagte er erfreut in dem Moment und ich richtete mich gerade auf. Silvana, die meine abrupte Bewegung wahrnahm, schaute mich an.

«¡No

«Doch !», grollte Raúl und lachte.

«Ich habe weiter nachgeschnüffelt und obwohl ich die Person dahinter noch nicht genau identifizieren konnte, habe ich den Cybernamen ausfindig gemacht, unter der sich dieser gedeckt hält. Er heißt S.C.T.»

Ich stoppte. Und meine Aufregung fiel abrupt in die unterste Etage.

S.C.T ? Moment Mal das...

Mein Blick schoss auf den Tisch und dann auf die Stifte mit den Gravierungen.

S.C.T...

Oh mein Gott.

Ich spürte, wie Silvana meinem Blick folgte, doch ich schluckte hart, spürte, wie mir augenblicklich übel wurde. Ich versuchte meine Stimme vor dem Zittern zu bewahren, als ich in den Hörer rief.

«Estás seguro

«Ja, ich bin mir sicher», sagte er.

Verdammt. Oh verdammt.

Ich drehte langsam den Kopf zur Seite und begegnete ihrem Blick, der für mich nicht mehr so freundlich wirkte, wie ich zuvor immer angenommen hatte. Irgendetwas lag plötzlich in ihren Augen, was mir eine Gänsehaut bescherte und obwohl ich wusste, dass sie Raúl nicht hören konnte, beschlich mich ein ungutes Gefühl, was meinen Mageninhalt von heute Morgen nach oben katapultierte. Instinktiv presste ich das Handy noch fester an mein Ohr und versuchte nicht kenntlich zu machen, dass nun meine Hände angefangen hatten zu zittern.

«Alles klar. Ich melde mich später bei dir», sagte ich zwanghaft meine Mundwinkel nach oben ziehend und legte auf, ehe Raúl noch etwas dazu sagen konnte.

Ihr Blick haftete an meinem. Meiner an ihrem. Keiner von uns sagte etwas, doch schien die Atmosphäre in diesem Raum eine 180 Grad Wendung gemacht zu haben.

Mein Herz pumpte mir unaufhörlich gegen die Ohren, dass ich selbst nicht einmal mehr genau sagen konnte, ob ich noch ordentliche Atemzüge vollführte. Mein Körper ähnelte einem steifen Brett, den ich nicht von der Stelle bewegen konnte.

Was... was hatte das zu bedeuten ? Mein Herz raste noch schneller, als ich zu verstehen versuchte, was hier vor sich ging.

Nicht auffällig werden, bloß nicht auffällig werden. Du musst es nur aus diesem Raum schaffen, Amalia. Nur weg kommen von dieser... dieser. Wer war sie denn nun ? Was wollte sie von uns ?

Je länger ihr Blick auf mir lag, desto nervöser wurde ich und desto mehr gewann ich den Eindruck als würde sie mich durchschauen.

Ich zerdrückte fast das Handy in meiner Hand, ehe ich auch den Griff um meine Tasche verstärkte. Lauf ! Renn ! Verschwinde, verdammt nochmal, bevor es zu spät ist !

«Ich... ich danke Ihnen für das Angebot, aber leider muss ich nach Hause. Mein Bruder hat angerufen, um mir Bescheid zu geben.» Mit einem aufgesetzten Lächeln hob ich demonstrativ mein Handy in die Höhe, aber als sie nicht reagierte und mich einfach nur anstarrte, sprach ich unhaltbar weiter.

«Ein anderes Mal dann eben. Bis dann.» Ich drehte mich um und eilte zur Tür. Dabei achtete ich darauf nicht zu schnell zu laufen, sodass es nicht den Anschein erweckte, als würde ich flüchten. Mein Gehirn rief mir zwar zu, dass ich rennen sollte, um nach Hilfe zu schreien, doch vielleicht hatte sie gar nichts bemerkt und ich könnte einfach so hinaus spazieren und in Sicherheit gelangen... überall hin aber nicht in ihrer Gegenwart, wo ich in Gefahr sein könnte. An der Tür angekommen, drehte ich mich flüchtig nochmal zu ich um. Als mein Fuß gerade die Türschwelle passierte erkannte ich mit dem Körper noch halbwegs zu ihr gewandt, dass sie sich von ihrer Sitzfläche erhoben hatte und ein Handy an ihr Ohr hielt.

Ich riss die Augen auf. Was tat sie da ?

Renn, renn, renn ! schrie meine innere Stimme mir zu und als ich nach links die Tür abbog, hörte ich nur noch, wie sie in den Hörer sprach.

«Wir haben ein Problem.»

Hörbar nach Luft schnappend rannte ich, aus ihrem Sichtfeld entkommend, dem Ausgang dieses langen Flures entgegen. Raus, raus, raus hier ! Meine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an und der Schock lähmte meinen Körper, als ich mir immer wieder zurief, dass ich allen ernstes einige Male mit ihr alleine in einem Raum war, mit dem Hacker und damit auch dem Mörder von Mr. Howard.

«Oh mein Gott», stammelte ich außer Atem und rannte nun viel schneller. Ich musste den Ausgang dieses Flurs erreichen. Ich musste, ich musste. Erleichtert aufatmend, als ich diese nun vor Augen sah, fasste ich mit schweißnassen Händen an die Metallklinge und drückte die Tür nach außen. Fast draußen ankommend, warf ich nochmal einen Blick über meine Schultern und als ich feststellte, dass mir kein blondes Mädchen gefolgt war, hätte ich vor Freude in Tränen ausbrechen können, aber da knallte ich an einen harten Körper und taumelte einen Schritt zurück, sodass ich wieder im Flur landete. Erschrocken aufschreiend, hatte ich es nur dem Glück zu verdanken, mein Gleichgewicht noch gerade zurecht bekommen zu haben. Meine Haare lagen mir nun verschwitzt im Gesicht, als ich aufkeuchte und den Blick nach oben führte. Ein junger Mann, höchstens einige Jahre älter als ich, trat über die Schwelle der Glastür des Ausganges und blieb genau vor der Tür stehen. Die dunklen, fast schwarzen Haare, bildeten einen starken Kontrast zu den azurblauen Augen und sein kantiges Gesicht wurde von einem hellen Hemdkragen umschlossen.

Mein Herz hämmerte so stark gegen meine Brust vor Freude, dass ich erleichtert wimmerte. Endlich ! Da war jemand, der mir helfen konnte. Er war groß und muskulös. Ja. Ja er könnte mir helfen ! Könnte mich zur Polizei bringen, in Sicherheit. Ich war ihr entkommen !

Er lächelte mich freundlich an und lehnte sich sachte an die Tür.

«Wen haben wir denn da ? Haben Sie sich verirrt !»

Man ist hinter mir her ! Ich werde gestalkt, man will mich töten, hätte ich am liebsten laut raus posaunt. Mir war es egal, ob ich mich völlig daneben benahm, hauptsache ich kam hier weg.

Meine Gedanken spielten verrückt und ich überlegte, wie ich es ihm am besten darlegen konnte, damit er nicht dachte, ich wäre von einer Irrenanstalt ausgebrochen. Meine aufkommende Freude verblasste jedoch im Nu, als ich dem jungen Mann vor mir näher in Augenschein nahm und realisierte, dass er mir gar nicht Mal so unbekannt vorkam.

Woher kannte ich... Das Foto ! Das Foto auf Silvanas Schreibtisch mit dem Jungen. Das... vor mir stand genau dieser Junge. Oh mein Gott, das musste ein Albtraum sein... ein riesen großer Albtraum.

Ich blickte schnurstracks zu Boden, damit er meine Angst nicht von den Augen ablesen konnte.

Bewahre jetzt die Ruhe. Er darf nicht merken, dass du ihn erkannt hast, geschweige denn, dass du ihn überhaupt kennst. Wenn er einmal Verdacht schöpft, dann war es das !

«Entschuldigen Sie, ich muss kurz durch», murmelte ich so gelassen wie nur möglich und wollte an ihm vorbei an die Tür, doch da streckte er den Arm seitlich aus, sodass ich im Nu wieder einen Schritt zurücktreten musste.

Sein Lächeln wurde breiter, als er den Kopf leicht zur Seite neigte und mich weiterhin mit deinen Augen gefangen hielt.

«Hi, ich bin Tian.» Ein diabolisches Grinsen streifte seine zarten Mundwickel, sein Blick wirkte wie die eines Raubtieres: fest und jederzeit bereit zuzuschlagen.

Ich muss raus ! Verdammt, ich muss raus.

«Ich muss wirklich...», versuchte ich einen erneuten Schritt nach vorne an die Tür zu setzen, doch da stellte er sich nun mit dem ganzen Körper davor. Ein amüsiertes Schnalzen mit der Zunge durchschnitt die Luft und erzeugte das Gefühl, als hätte man mit dem Messer ein großes Stück meines eigenen Fleisches von meinem Körper abgerissen.

«Tz tz tz... wie unhöflich, du hast dich aber noch gar nicht vorgestellt.»

Verzweifelt blickte ich ihm in die Augen, unklar darüber, was ich nun machen sollte, doch da hob der große Mann den verspielten Blick von mir und blickte über meine Schulter geradeaus. Seine Augen glänzten nicht mehr vor Vergnügen. Ich folgte seinem Blick und ich hatte das Gefühl einen Herzinfarkt zu erleiden und jeden Moment in Ohnmacht zu fallen, als ich hinter mir einige Meter entfernt Silvana ausmachen konnte, die stark nach Luft rang, wie als wäre sie ebenfalls gerannt.

Beide blickten sich Sekunden lang monoton an und dann sagte sie:

«Sie weiß es, Tian.»

Sie ? Ich ?

Panisch drehte ich mich wieder nach vorne um, blickte hin und her zur Seite, aber Fehlanzeige, ich war zu beiden Seiten gefangen. Ich rang stark nach Luft. Es war Jahre vergangen, als ich das letzte Mal einen Atemanfall erlitten hatte, aber gerade mit dem tiefen schweren Schmerz in der Brust hatte ich das Gefühl, dass dies tausendmal erbarmungsloser und härter war als ein Anfall.

Was blieb mir nun übrig ? Aus einem völligen Impuls heraus, warf ich mich in der Hoffnung nach vorne doch noch an die Türklinke zu kommen, aber bereits da hielt mich ein starker Arm an der Taille fest und dirigierte mich zurück.

«Lass mich los... lass mich... ich.»

Er katapultierte mich nach hinten, aber ließ erst dann von mir leicht ab, als meine schrille Stimme den ganzen Flur wiederbelebte.

Derweilen ich mich in seinem Griff zu befreien brstrebte, hörte ich Silvanas Stimme erneut hinter mir. Dieses Mal klang es gedämpft, fast schon, als hätte sie vor ihren eigenen nächsten Worten Angst.

«Er... er weiß es auch.»

Der große Kerl, in dessen Fängen ich in Gewahrsam war, hielt abrupt inne. Messerscharf zerdrückte sein Tonfall, die kläglichen Laute, die meine Kehle verließen.

«Was hat er gesagt ?»

Wer ?

Stille herrschte. Stille, die mich noch gerissener stimmte, die mir konkludent eine Warnung übermittelte.

«Er hat gesagt, dass es beginnen kann. Sofort.»

Das Lächeln, was sich nun auf seinem Gesicht bildete, als ich ehrfürchtig meinen Blick anhob, war nicht nett, er wurde dämonisch. Langsam beugte er sich meinem Blick begegnend mit seiner Größe zu mir runter, ehe er wenige Meter über mir gegen meine Wange zuraunte:

«Es ist zu spät. Geheimnisse müssen Geheimnisse bleiben.»

Er legte sich den Zeigefinger auf die Lippen.

«Pscchhttt. Das ist streng geheim.Du hast diesen Weg selbst gewählt, Amalia

Nach diesem Satz und dem Hören meines eigenen Namens, der mir einen heiden Schreck versetzte, spürte ich augenblicklich einem dumpfen Schlag an meinem Hinterkopf, der mich in die Verdammnis verfrachtete.

Denn ab da war ich weg vom Diesseits, indem ich von der Finsternis in die tiefen Abgründe gezogen wurde.

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