◆19| T h i e f ◆

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Glauben heißt nicht wissen wollen, was wahr ist.

|Friedrich Nietzsche|

«Hast du etwa gedacht, ich verpasse das ganze Spektakel ? Es hat doch erst jetzt angefangen richtig spaßig zu werden. Augen auf Miss Alington, it's Showtime.»

Nach dem Aussprechen dieser Wörter entstand ein spöttisches Lächeln auf seinem Gesicht, das sich immer weiter ausbreitete, während er über seine feine Nasenspitze hinweg den Kopf in meine Richtung neigte. Die Position, die er dabei einnahm, verbarg mich von den Blicken all der anderen hier Anwesenden und dies wiederum bestätigte meinem Gedanken wirklich in die Falle getappt zu sein. Anstatt aber wie angenommen von seinen Blicken immer weiter heruntergezogen zu werden, durchforsteten seine pechschwarzen Augen zum ersten Mal nicht meinen Körper auf und ab.

Ich konnte mir keinen Reim darauf machen und mich emotional auch nicht auf eine Seite schlagen - ob mich das nun besänftigen oder erst recht in Unruhe bringen sollte. Missachtete er mein Auftreten, sodass er gänzlich meinem Aufzug nicht ertragen konnte oder wurde sein Verhalten durch eine völlige Gleichgültigkeit geleitet, die er mir gegenüber empfand ? Ich tat mich schwer damit seine Blicke zu entziffern. Sie waren unergründlich.

Unvernünftigerweise entschloss ich mich auf seine Aussage nicht einzugehen, sondern ließ mein Unterlassen für sich sprechen. Heute Abend würde mir nur der Alkohol als gnädiger Betreuer zur Seite stehen, versuchte ich mich zu besänftigen und näherte das Glas erneut an meine Lippen, ehe ich bei der Berührung mit dem Glas gleichzeitig auch seinen Atem an meiner linken Gesichtshälfte ausmachen konnte und eine Gänsehaut meine kompletten Arme in Besitz nahm.

«Du hast genug getrunken. Ich will dich nüchtern haben», raunte er mir in einem beinahe gefährlichen Ton zu, dass ich es nicht wagte das Glas etwas weiter anzuheben, um ein Schluck daraus trinken zu können. Denn obwohl seine Stimme nach außen hin ruhig wirkte, lag doch etwas in seinem Unterton, das das Heranbrechen eines Unheils ankündigte.

Ich stellte mir die Frage, ob ich es darauf ankommen lassen und diese Seite an ihm kennenlernen wollte – schließlich hatten Silvana und Tian mich des Öfteren gewarnt, dass es ausarten könnte, wenn man seine Geduld bis ins Übermaß strapazierte und seine Befehle missachtete. Je länger ich hingegen darüber nachdachte, desto verlockender erschien es mir trotz der Gefahren, die es mit sich bringen würde.

Ein emotionaler, fast zu ängstlicher Teil von mir riet mir strickt davon ab, schrie mich an vernünftig zu handeln und vor all diesem Menschen keine alberne Show abzuziehen. Ein etwas gewagterer zorniger Teil ihn mir zuckte jedoch nur unbeeindruckt mit den Schultern.

Na was soll's, er würde unter all diesen Menschen sowieso nichts anrichtet können. Soll er es doch wagen ! feixte meine innere Stimme.

Erst seinetwegen und dieser ganzen Aktion steckte ich doch in diesem Schlamassel voller Intrigen und einer Maskerade, die meiner Umgebung eine perfekte Welt vorgaukeln sollte. Tagsüber lag meine Hauptbeschäftigung darin meinen Mitmenschen schamlos ins Gesicht zu lügen und auch der Schlaf wurde für mich zur reinsten Folter, da ich mich entweder hin und her wälzte oder von einem Albtraum nach dem anderen heimgesucht wurde.

Nach diesem Abend würden sich vielleicht unsere Wege trennen, doch das was ich seit jeher durchmachte, konnte damit nicht ungeschehen gemacht werden.

Und als ich meinen Arm etwas weiter nach oben anwinkelte und bewusst demonstrierend vor seinen Augen trank, da spürte ich zum ersten Mal wie die Anspannung von mir abließ und ich sie, wenn auch nur für einige Sekunden gänzlich komplett über Bord warf. Ein leises Knurren dicht vor mir entriss mich jedoch schleunigst von meinen friedlichen Tagträumereien, wobei der genüssliche Beigeschmack meiner Genugtuung noch weiter anhielt.
Absichtlich hatte ich mir dabei Zeit gelassen und als ich das just halbleere Glas wieder von meine Lippen entfernte, da konnte ich mir beim besten Willen ein kleines Siegerlächeln nicht verkneifen.

«Aber es schmeckt so köstlich.» Ich zog meine Worte wie Kaugummi in die Länge, wohl wissend, dass ihn das noch wütender stimmte. Wie zu erwarten behielt ich diesbezüglich recht, als seine Lider verräterisch und unübersehbar zu zucken begannen. Der kleinen Teufel in mir vollführte bei diesem Anblick hunderte kleiner Luftsprünge. Doch augenblicklich legte das hämische Grinsen auf meinem Gesicht eine Bruchlandung hin, als ich plötzlich an der Taille gefasst und gegen eine steinharte Brust gerammt wurde. Das Weinglas verweilte währenddessen zwischen meiner uns deiner Brust, die die einzige minimale Barriere zwischen uns hergestellte. Außerhalb dieser Ausnahme galt das Konzept Körper an Körper.

Ich schnappte hörbar nach Luft, als ich spürte wie sich seine Hand, die nicht meine Taille umfasste über meine Hüfte hinweg wanderte und anschließend an dem Seitenschlitz meines Kleides zum Halt anlegte. Ich schluckte schwer, angesichts dessen, dass er nur wenige Millimeter von meiner nackten Haut entfernt war. Dieser Gedanke machte mich wahnsinnig, weshalb meine Augen sich panisch auf ihn richteten, als wollten sie den nächsten Schritt in seine Augen voraussehen.

«Du willst mich also provozieren, mhh ?»

Jeder der diese Szene und sein Gesagtes als bloßer Zuschauer zur Kenntnis nehmen würde, wäre zu der Annahme gekommen es handle sich um die Neckerei eines verliebten Freundes. Doch seine Augen, die sich in meinen verloren und seine Fingernägel, die sich in mein Rücken bohrten waren eindeutig nicht von einer liebevollen Sanftheit geprägt. So war dieser Mann vor mir nicht. Im Gegenteil, er stellte die pure Dunkelheit dar.

«Iván...», erklang eine Stimme wie Alarmsirenen plötzlich in meinem Kopf und ich bemerkte, dass es aus dem Chip ertönte durch das wir Silvana hören konnten.

«Iván bist du des Wahnsinns ! Ihr schaut aus als würdet ihr jeden Moment übereinander herfallen. Trennt euch ! Sofort! Bevor einer der Gäste auf euch aufmerksam wird.»

Er lachte diabolisch auf.

«Ich denke nicht einmal dran», und wie als wollte er seinen Worten etwas Nachdruck verleihen, wanderte seine Hand nun um einiges tiefer, bis es zum Schlitz an meiner  Haut zur Ruhe kam. Seine Hand verharrte demnach unmittelbar an meinem nackten Oberschenkel. Haut an Haut. Feuer an Wasser. Denn obwohl ich diese brennende Hitze, die seine Hand auf meinem Körper verursachte entgegenzuwirken versuchte, war sein Feuer zu groß, zu mächtig als, dass ich davon entkommen könnte, ohne mich an ihm zu verbrennen.

Gott ich brannte und wie ich brannte. Was war das nur für eine Hitze, die meinen Körper unerwartet angriff ?

Mein Augen suchten den Raum ab, als ich Silvanas Stimme hörte. Ich entdeckte sie am Buffet wie sie halbvolle Gläser auf das goldene Tablett vor ihr platzierte, dabei ihre Augen aber unentwegt auf uns richtete. Schnell überflog ich flüchtig die vielen Köpfe in der Menge, doch niemand war auf die dunkle Ecke, in der ich mich befand aufmerksam geworden. Gott sei Dank ! Wenn Sanjana dies sehen würde, dann wäre ich geliefert.

«Jetzt lass sie gefälligst los !»

Iván hingegen regte sich immer noch nicht. Sein Griff war fester und entschlossener als zuvor. Bevor ich realisieren konnte, was als Nächstes geschah, nahm er das Glas aus meinem Dekolleté und drehte es so um, sodass der Abdruck meines Lippenstiftes genau dort ankam, wo nun seine Lippen ansetzten. Ich versuchte nicht geschockt auf die Kollaboration zwischen seinen Mund und der Stelle zu blicken, wo meine eigenen Lippen zuvor gelegen hatten, denn während er seine Lippen feste um das Glas schloss, waren seine Augen wachsam auf mich gerichtet, um jede auch so kleinste Reaktionen meinerseits mitzuverfolgen.

Dieser Moment erschien mir plötzlich so intim, dass ich unbedingt einen Abstand zwischen uns herzustellen wollte. Wie als merkte er dies drückte sich seine Hand fester in mein Fleisch und er zwang mich regelrecht ihn dabei zu beobachten, wie seine vollen festen Lippen die rote Flüssigkeit annahmen, bis er letztlich das Glas sinken ließ und ein leicht schimmernder Abdruck sich auf seinem Mund bemerkbar machte. Er leckte sich lazis über die Lippen, ehe er heiser von sich gab:

«Schmeckt irgendwie nach Cherry.»

Ich schnappte nach Luft, da es sich um den Geschmack meines Lippenstiftes handelte.

Als schien er meine Unruhe zu bemerken, verweilte er noch einige Sekunden in dieser Position, ehe er sich dicht an mein Ohr herunterbückte.

«Wag es nicht einmal Spielchen mit mir zu treiben, hörst du ? Gegen mich... wirst du nur verlieren. Und außerdem sind meine Spielchen im Gegensatz zu deinem skrupelloser. Lass es nicht darauf ankommen.»

Dann lockerte sich sein Griff und er trat einige Schritte zurück, derweilen er weiterhin seelenruhig an meinem Glas nippte, wie als hätte er mir Sekunden zuvor nicht gedroht. Nun waren wir wieder Fremde - so wie wir es eigentlich immer waren. Zwei Fremde, zwei Gegensätze... zwei Feinde.

Ich zog den Schlitz meines Kleides wieder etwas runter und eilte weg von ihm, indem ich aufgebracht einige Schritte nach hinten stampfte. Ich brauchte einen viel größeren Abstand, um diese Eindrücke, um diese Berührungen, diesen Blicken zu entkommen, die mich immer noch nicht losließen.
Gerade überquerte ich die Mitte des Saales, als mich Jon passierte und mich sanft am Handgelenk fasste.

«Hey !»

Oh nein, nicht jetzt Jon ! dachte ich mir, aber meine Nervosität nicht bemerkend bildete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht.

«Hey... Jon. Wie geht es dir ?»

Er grinste, ließ dann aber seine Hand von mir ab.

«Ganz gut. Ich habe dich die letzten Tage kaum gesehen und da habe ich mich gefragt, ob... Nun ja, ob alles in Ordnung bei dir ist» Verlegen kratzte sich Jon am Kopf, was mich abrupt zum Kichern brachte. Jon hatte wie immer ein makelloses Auftreten an diesem Abend hingelegt. Er trug einen sehr edlen Anzug, hatte sich die dunkelblonden Haare leicht zur Seite frisiert, während sein männlicher Aftershave jedem der sich ihm auf 100 m annäherte die Sinne raubte.

Ich wusste nicht, ob es an meiner allgemein Anspannung lag, doch Jon so zu erleben beruhigte mich etwas. Normalität, die seit Tagen ein Fremdwort für mich war, wurde mir durch Jons Auftreten näher gebracht und obwohl ich das Gefühl hatte, dass Silavana und insbesondere er mich in diesem Raum weiterhin aufmerksam beobachteten, ließ ich mich davon in diesem Moment nicht zurückschrecken.

Ich sollte mich doch unauffällig Verhalten und Jon war mein Freund, also war ein kleiner Plausch zwischen uns genau das Richtige.

«Tut mir leid... mir ging es die Tage nicht besonders gut. In letzter Zeit spielt mein Magen verrückt, vielleicht habe ich mir eine Erkältung eingeholt.» Ich war nicht stolz darauf Jon anzulügen, doch wenigstens war meine Antwort nicht ganz so abwegig von der Wahrheit gewesen. Mir war er wirklich nicht gut ergangen. Ich wollte mich nicht heraus mogeln, doch mehr hätte ich ihm nicht sagen können und auf irgendeine Weise musste ich ja mein Gewissen beruhigen.

Nur fragte ich mich, wie lange mein Schweigen leise in sich wimmern würde bis es komplett aus dem Häuschen fuhr und die beängstigende Totenstille um mich herum im Trümmern zerlegte.

***

Die Unterhaltung mit Jon lief entspannt und der Gedanke bezüglich meiner Probleme verschwanden nach und nach. Fast, wäre da nämlich nicht die Stimme an meinem Ohr, die mich immer wieder daran erinnerte, wie die Realität aussah. Mein Magen zog sich krampfhaft zusammen geplagt von dem Gedanken, was unmittelbar an diesen Abend noch bevorstand.

Demzufolge war ich erleichtert, dass Jon sich nach einer Zeit wieder zu seiner Mutter zurückbegeben hatte, um mit ihr und einigen Geschäftsmännern Gespräche zu führen. Denn Jon hatte die letzten Monate sehr gut Fuß in der Arbeitswelt, die sein Vater errichtet hatte fassen können, was angesichts der verzwickten Lage wirklich bemerkenswert war.

Ich hatte mich dabei zurückgezogen und war wieder zu den Tischen mit den Häppchen gelaufen, um so gut wie nur möglich von all den Blicken und Gesprächen der Menschen um mich herum distanziert zu bleiben.

Papa redete wie immer ganz ausgelassen und herzlich mit einigen Männern und auch Elias schlug sich gut wie ich bemerkte, da ich wusste, dass einige Männer die sich um ihn herum versammelt hatten ebenfalls ganz große Fische in ihren jeweiligen Branchen waren.

Raúl hatte Delilah zur Seite gezogen und saß mit ihr an einem Tisch. Anscheinend war ihm heute nicht danach Frauen aufzureißen – was aber womöglich eher daran lag, dass ihm Papa davor eine gehörige Ansage gemacht hatte.

Sanjana, die bemerkt hatte, dass ich mit Jon noch in einem Gespräch war, hatte mir verschwörerisch zugezwinkert und war an den Tisch zu Clara und Carlos hinübergegangen.

Doch mein Blick hatte noch nicht alle gefunden, denn Iván war plötzlich aus meinem Blickwinkel verschwunden und ganz gleich, wohin ich auch blickte, ich konnte ihn nicht ausfindig machen.

Ich ließ die Schultern hängen, strich das Kleid glatt und entschied mich wieder zu Sanjana zu gehen, doch da erregte die Stimme von Papá meine Aufmerksamkeit, die nun über den ganzen Saal hinweg ertönte. Papá sprach in ein Mikro und jeder Gast hatte sich mit ehrlichem Interesse in seine Richtung gedreht, derweilen er anfing zu sprechen.

«So Leute, das ist unsere Gelegenheit. Los geht's ", überschlug auf einmal Silvanas Stimme die meines Papás. Sofort ging mein Blick in die andere Richtung des Saales und ich sah sie zwischen den Leuten laufen, wie sie jeden einzelnen ein neues Champagnerglas anbot. Als würde sie meinen Blick spüren, blickte sie kurzzeitig in meine Richtung, ehe sie mit dem Kopf in Richtung Ausgang nickte.

Ich musste schlucken. Hart und schwer, als hättw sich etwas in meinem Hals verfangen.

Es war soweit. Sie hatte mir das entscheidende Signal übermittelt.

Ich hatte augenblicklich das Gefühl, dass meine High Heels in den steinharten Boden eingerammt und für bewegungsunfähig erklärt worden waren. Doch als Silvanas Blick sich in meine bohrten und ich insgeheim wusste, dass weitere verlorene Minuten sich nur zu meinem Ungunsten auszahlen würden, da machte ich unauffällig die ersten Schritte zum Ausgang zu.

Inständig hoffte ein Teil von mir trotzdem, dass mich jemand aufhielt, dass ich solch einen Verrat nicht begehen musste, doch mit jedem Schritt, der ungehindert ablief, derweilen die Blicke alle aufmerksam nach vorne gerichtet waren, wurde mir die Ausweglosigkeit meiner Lage deutlicher denn je.

Mit dem Verlassen des Salons lief alles blitzschnell. Plötzlich war ich nicht mehr ruhig, nicht mehr ordentlich. Ich streifte mir die High Heels von den Füßen ab, nahm sie in die Hand und rannte den langen Flut entlang ohne einen Halt einzulegen, ohne länger auf meinen Verstand zu hören. Dieser war mit dem Betreten des Flures auf stumm geschaltet worden.

Da die Kellner und das Personal von vornherein nicht die Erlaubnis hatten diese Seite des Hauses zu betreten, sondern den Personaleingang für den Saal zu nehmen hatten, musste ich mir im Hinblick darauf, dass man mich entdecken könnte, nicht unnötig den Kopf zerbrechen.

Es war nur wichtig, dass ich schnell den Saal erreichte, bevor das Zeitfenster, dass in zur Verfügung hatte gekappt wurde.

«Amalia, bist du drin ?»

«Fast», keuchte ich, als ich die große bodenlangen Tür vor mir hervorragen sah und diese mit einem letzten Schritt aufriss.

Mir stockte der Atem beim Anblick, der sich mir bot.
Denn es war das erste Mal nach all den Ereignissen mit Mr. Howord, dass ich wieder einen Fuß in diesen Saal setzte. Mein Blick ging, wie von selbst zur Stelle an der vor einigen Monat noch das ganze Blut auf dem Boden verteilt war und eine erschreckende unangenehme Gänsehaut bildete sich auf meinem ganzen Körper.

Blut... Unschuld... Tod.

Sie hatten ihn getötet. Er hatte in Jons Armen die letzten Atemzüge vollbracht. Jon würde sich niemals von diesem Trauma erholen können, niemand würde sich erholen können, dachte ich mir, als mein Blick den halb renovierten und wieder zurecht gebauten Ballsaal im Auge behielt.

Und solchen Menschen half ich gerade. Den Menschen, die für diese Schreckenstat verantwortlich waren.

Wie als hätte Silvana über das Gerät meinen Stimmungsumschwung wahrgenommen, sprach sie nun sanfter und vorsichtiger:

«Amalia... es ist nur ein Gemälde. Du hast nur eine Aufgabe. Tu es deiner Familie zuliebe», was indirekt bedeutete: Tu es oder sei verantwortlich für ihren Tod.

Ich schluckte all meine unausgesprochene Frust, meine ungesättigte Verzweiflung runter und machte mich in das Innere des in Trümmern liegenden Saales. Dabei musste ich sehr vorsichtig darauf achten, dass ich nicht mit meinen splitternacken Füßen an den auf den Boden liegenden Fensterscheiben in Berührung kam und mir die Haut aufschnitt.

Als ich endlich vor dem so berüchtigten Gemälde stand, das all die Probleme hervorgerufen hatte, konnte ich, so absurd es auch klang, dennoch nicht aufhören dieses Werk ein weiteres Mal zu bestaunen. So schön, so einzigartig, so stark und doch so verletzlich wirkte das Motiv das, so nahm ich an, absichtlich diesen Kontrast darstellen sollte.

«Ich stehe genau davor», sagte ich das Bild anblickend, anschließend Silvana antwortete:

«Gut. Nimm es runter.»
Dies erwies sich wesentlich schwieriger als angenommen und ich brauchte einige Anläufe, bis ich zunächst die eine und anschließend die andere Seite des Gerüsts komplett auf dem Boden hatte und es gegen die Wand abstellen konnte.

Ich schob mein Kleid, das durch den Schlitz getrennt wurde zur Seite und wünschte mir ich hätte was kurzes angezogen. Die Anstrengung erzeugte eine zusätzliche Hitzewelle, die unsanft auf mich einströmte.

«Erledigt», gab ich knapp und außer Atem von mir.

«Sehr gut. Begebe dich nun auf das dritten Fenster rechts von dir zu und öffne es», wies sie mich an.

«Was ?», fragte ich in dem Glauben mich verhört zu haben.

«Nun mach schon, wir haben nicht mehr viel Zeit.»

Durch den mitschwingenden Nachdruck in ihren Worte begab ich mich letztlich an genau das Fenster, auf das sie mich hingewiesen hatte und öffnete besagtes schließlich.

Ich blickte gerade aus und lediglich der Wolkenkratzer aus der weiteren Entfernung und der dunklen Mitternachtshimmel begrüßten mich. Irritiert öffnete ich den Mund, als plötzlich ein Kabel herunter geschoben wurde, ehe die Fälschung des 'Moreno'-Bildes an diesem festgebunden vor mir herunterbaumelte.

Wie um Himmels Willen...

Ich wollte den Kopf aus dem Fenster strecken und nach oben schauen. Wir befanden und auf den oberen Stockwerken. Wie konnten sie das Bild direkt vor meiner Nase heruntergleiten lassen ? Befanden sie sich auf dem hohen Dach ?

«Nimm es rein.»

Durch Silvanas Worte angespornt, umfasste ich die Seiten des Imitats uns zog es an mich, ehe ich das Seil abmachte und es zurück ins Freie schob.

Anschließend steckte ich das Gemälde vorsichtig zwischen meine Achseln, damit ich es leicht anheben und somit leichter den Raum überqueren konnte.

Wieder an der Stelle, wo zuvor das Original aufhangen war, stellte ich mich nun wieder auf die Zehnspitzen und konzentrierte mich darauf das Gemälde an die Stelle befestigt zu bekommen an der der Nagel aus der Wand herausragte. Lauschend presste ich mein Ohr leicht an die Wand und hörte ein Rattern, nach das ich auch meine Bewegungen mit dem Gemälde richtete.

Als letztlich das lang ersehnte 'Klick' ertönte und das Gemälde wortwörtlich an der richtigen Stelle festgenagelt war und keinen größeren Spielraum mehr bot, da ließ ich langsam meine Hände von dem hübschen Bilderrahmen ab und trat einige Schritte zurück.

Mein Blick fuhr sachte über die Figur auf dem Gemälde bis hin zur Unterschrift an der Ecke, wo ich nun erkannte, dass es sich wie beim letzten Mal zwar um ein Kompass handelte, doch nun wusste und erkannte ich auch, wie der Name des Künstlers hieß.

Anschließend richtete sich mein Blick auf das Original, das seitlich an der Wand gelehnt stand und eine Sekunde lang blieb ich außer Atem an Ort und Stelle stehen; verglich die Bilder miteinander. Sie waren identisch bis auf den letzten feinschliff. Wenn man beide vor Augen hatte, würde man niemals herausfinden können, welches nun das echte und welches eine billige Kopie davon war.

Jedes kleinste Detail war bedacht, jedes kleinste Detail wurde mit solch einer Sorgfalt ausgearbeitet, dass ich mich fragte, wer dies gemalt haben könnte. Wer hatte die Kopie gezeichnet ? 2oher hatten sie die Fälschung herbekommen ?

Und wieder huschte mein Name auf die 'Moreno' - Unterschrift. Warum nur ermordeten sie Menschen nur wegen ein Gemälde ?

«Bist du fertig ?»

Ich zuckte zusammen, als ich den hektischen Stimmton von Sanjana erkannte und unmittelbar ein Rascheln hinter ihr wahrnahm.

«Ja», krächzte ich, immer noch nicht glauben könnend, dass das geschah.

Paragraphen tauchten vor meinem Gesicht auf.

Diebstahl.

Kalter Schweiß bildete sich auf meinem Rücken und rann runter.

«Nimm das Gemälde und geh durch den Boteneingang raus. Sorg dafür, dass dich und das Gemälde niemand sieht ! Draußen wird ein großer schwarzer Van auf dich warten, das als der Firmenwagen der Cateringfirma getarnt ist, die dein Vater herbestellt hat. Auf den gehst du dann zu."

Ich nickte, obwohl ich wusste, dass sie dies nicht erkennen konnte, aber antworten wollte ich ihr nicht, weil ich dadurch riskieren würde zu verdeutlichen, wie sehr mich die ganze Situation mitnahm.

Ich schnappte mir also vorsichtig das andere Gemälde, hielt es fest in den Händen, da es das echte des Künstlers war und durchquerte den Raum. Auf halben Wege Griff ich mir noch nach einer der Tischdecken, die auf einem der halb aufrecht stehenden Tische lag und bedeckte damit das Bild. Zum einen, um es vor äußeren Einwirkungen zu schützen, da den Großteil der Leinwand die Farbe Weiß ausmachte und zum anderen, weil ich es somit vor den Augen der Außenwelt verborgen halten wollte.

Für den Ernstfall, dass einer der Bediensteten mich doch erwischen sollten, sahen sie zumindest nicht, was ich bei mir trug. Denn ich wusste, je weniger sie davon mitbekamen, desto besser war es für sie.

Also tapste ich barfuß mit dem langen Kleid, in dem ich steckte, zur Tür und schob diese mit Mühe zur Seite, damit ich mich dazwischen quetschen und auch das Gemälde schnell hinter mir ziehen konnte, bevor die Tür ins Schloss fiel.

Im Anschluss wusste ich nicht mehr, wie mir geschah. Alles verlief wie in einem Rauchzustand ab. Ich schlich langsam den schmalen Flur entlang und nahm anschließend die Wendeltreppe von der Seite um in den Dienstbotengang zu gelangen. Der dazugehörige Abstand kam mir in Sicht und gerade als ich da entgegenlaufen wollte, tauchten plötzlich zwei Kellner auf, die sich angeregt unterhielten.

Mein Herz machte einen Satz. Die Augen weit aufgerissen und die Hände Schweiß gebadet ließ ich bei diesem Anblick fast das Gemälde auf den Boden krachen. Doch bevor das überhaupt passieren konnte, zwängte ich mich um die Ecke und streckte meinen Rücken - in dem Glauben mich damit unsichtbar machen zu können, dagegen.

Die wenigen Sekunden, in denen ich den Schritten der beiden lauschte, kamen mir mit Abstand wie die längsten Sekunden meines Lebens vor. Sobald das Stimmgewirr jedoch das Weite suchte und ich in wenigen Augenblicken nicht einmal mehr Fußschritte wahrnahm, atmete ich erleichtert auf und wischte mir den schweiß von der Stirn. Es würde mich nicht wundern, wenn die wasserdichte Mascara bei der Flüssigkeit, die ich abgab, auch ihre Prinzipien über Wort werfen würde.

Nachdem kein Laut mehr zu hören war, wagte ich meinen Oberkörper leicht nach vorne zu bücken und einem kurzen Blick auf den Flur Richtung Tür, die ich passieren musste, zu werfen, um Ausschau danach zu halten, ob mir noch jemand urplötzlich in die Quere kommen könnte. Doch die daran schließenden Gänge waren leer. Die Rede von Papa müsste sich seinem Ende geneigt haben, sodass die Bediensteten wieder voll und ganz in ihrem Element steckten die Gäste und den Gastgeber zufrieden zu stellen.

Bei dem Gedanken an Papá spürte ich, wie der Druck, mit dem ich das Gemälde fest umklammert hielt verrutschte. Das was ich begann war Verrat... Ich verriet ihn. Unbeugsame Schuldgefühle krochen in mir hoch und auch wenn ich mich zu besänftigen versuchte, indem ich immer wieder auf mich einredete, dass ich das für sie tat, dass ich es für sie tun musste um ihre Schuldlosigkeit zu beweisen, konnte dies das mulmige Gefühl und den bitteren Beigemacht des Verrate auf meiner Zunge nicht minder stimmen.

Es traf mich. Alleine schon die Tatsache, dass ich hinter ihrem Rücken etwas tat und Geheimnisse wie ein Keil zwischen uns brachte.

«Amalia !» Der Chip an meinem Ohr ließ mich aufhorchen als ich Silvanas Stimme hörte.

«Wo bleibst du denn ?»

«Ich bin sofort da», versicherte ich und rappelte mich wieder auf. Ich verdrängte all die Gedanken, die mich eingenommen hatten und tapste so leise es mit den schweren Gemälde in meinem Griff ging die letzten paar Meter vor um an der Tür anzugelangen. Mit vorsichtigem aber dennoch gewillt umfasste ich die kalte Türklinke und drückte sie langsam runter, ehe sich auch schon die nächtliche kühle Luft auf meiner Haut niederlegte und meine Nackenhaare anhob.

Viel Zeit blieb mir hingegen nicht, um mich an dieses Klima zu gewöhnen, dass nun meinen Schweiß zu einer klebrigen Masse umwandelte, welches sich bei jeder Regung unangenehm anfühlte, denn urplötzlich tauchte mitten in dem spärlichen Licht am Hinterhof ein schwarzer SUV auf, der das Logo der Cateringfirma hatte. Bevor ich auf vorderen Plätze schauen konnte, wurden die hintere Türen im nächsten Augenblick zur Seite geschoben und ich erkannte in der Dunkelheit den blonden Haarschopf von Silvana. In ihrer Kellneruniform gekleidet, wobei ihre Haare nun nicht mehr zu einer ordentlichen Hochsteckfrisur gebunden, sondern zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden waren, sprang sie auf dem Van und kam zielstrebig auf mich zu, um mir beim Tragen des Gemäldes behilflich zu sein.

«Wir müssen uns beeilen», keuchte sie, als wir eilig in den hinteren Bereich des Wagens übergingen und das Gemälde dabei - bedacht es unbeschadet zu lassen, reinschoben.

Plötzlich öffnete sich ein kleines Fenster vor uns, was den vorderen Fahrerbereich des Vans und den Hinterbereich voneinander abtrennte.

Ich konnte sie nicht genau erkennen, doch da Iván breitere Schultern hatte und Tian eher im Vergleich dazu von einer schmaleren Figur ausgestattet war, war es nicht schwer zu erraten wer auf welchem Platz saß.

Iván umfasste das Lenkrad feste, drehte dabei, aber leicht den Kopf zur Seite, sodass er aus dem Augenwinkel unser Bemühen mit dem Aufstellen des Gemälde erkennen konnte. Er trug eine Cap, die im tief ins Gesicht stand und somit einen Schatten über seine Züge warf. Nichtsdestotrotz befang mich der unangenehme Verdacht, dass seine Augen gezielt auf mich gerichtet waren.

Nachdem ich seinen Blicken ausweichend, das Gemälde nun so hinstellte, dass es eine stabile Lage einnahm, drehte ich mich zur Tür, um aus dem Van wieder herausspringen. Da bereits aber ertönte nach lang anhaltenden Schweigen seine Stimme.

«Silvana mach die Tür zu. Wir fahren.»

Ich fuhr wie vom einer Tarantel gestochen herum. Moment Mal, das war nicht abgemacht.

Meine Laune kippte vollkommen, als Silvana auf die Tür zulief und sie schießen wollte, derweilen ich immer noch hier drin stand.

«Das war nicht Teil unserer Abmachung. Ich habe euch das Gemälde gebracht. Nun muss ich wieder raus und an der Veranstaltung teilnehmen.»

Mein Gegenüber verzog keine Miene, fast schon regungslos verschwand er absichtlich in der Dunkelheit, die seine Seite darbot.

«Die Abmachung lautete ein Beweis der Unschuld gegenüber deiner Freiheit. Bis wir uns nicht sicher sind, was in der CD vorzufinden ist, wirst du mit uns kommen. Mit deiner Abwesenheit wird dein Freund eine Zeit lang klar kommen», brachte er beinahe spöttisch heraus, doch sein harter Ton täuschte nicht darüber hinweg, dass mir keine andere Wahl blieb. Ich rührte mich nicht vom Fleck, bemühte mich auch nicht seine Andeutungen in Bezug auf Jon als meinen Freund zu korrigieren, als Silvana an mir vorbeilief und die Schiebetür mit einem lauten Schlag nach hinten rollen ließ, sodass ein lauter Knall beim Schließen der Tür erklang.

Als der Lieferwagen mit einem Ruckeln in Bewegung kam, suchte ich notgedrungen an einer der Wände halt und als der Motor sich laut ankündigte und ich hinter mir aus den dunklen Fenstern blickte, spürte ich wie mir die Tränen hochkamen.

Ich war gefangen. Was sollte ich denn jetzt nur anstellen ?

Ich spürte, dass er sich immer noch nicht zu Tian nach vorne gedreht hatte, mich unter der Baseballcap weiterhin wachsam beobachtete. Silvana tat es ihm gleich, nachdem sie das verdeckte Gemälde ordnungsgemäß deponiert hatte, damit es stabil an Ort und Stelle blieb und ja nicht verrutschte.

Nachdem sie sich dann an einer der kleinen Bänke seitlich mir gegenüber gesetzt hatte und sich die Fliege abgestreift hatte, welche sie sich für ihre Tarnung als Kellnerin umgebunden hatte, sagte sie, als ich mich nicht vom Fleck rührte:

«Du solltest dich setzen. Der Weg, den wir einschlagen werden ist nicht gerade kurz.»

Sie deutete mit der Fliege in ihrer Hand auf die Sitzplätze hinter mir, die mit ihrem identisch waren.

Wortlos und um bloß nicht zu zeigen, wie sehr es mir Angst einjagte und wie sehr sich das ungute Gefühl in meinem Magen ausbreitete je weiter wir fuhren, setzte ich mich beide ignorierend zur Seite, indem ich die Schleppe meines Kleides wegtrat und meine nackten Füßen auf diese ablegte.

Sein Blick lag auf meinem kalten durchfrorenen Füßen, da war ich mir sicher, aber ich würde keinen von ihnen darum bitten mir etwas zum Überstreifen zu geben.

Nein, gewiss nicht.

Diese Strafe war noch das mindeste, was ich verdiente.

Denn ich hatte gesündigt.

Das nächste Kapitel erscheint entweder nächste Woche Freitag oder Samstag. Ich verspreche es euch zu 200%, da es eigentlich ein ganzes Kapitel mit diesem hier darstellen sollte. Ich musste hingegen auf einmal völlig erschrocken feststellen, dass es über 10 Tausend Wörter waren und für ein Kapitel finde ich das dann doch etwas zu viel. Demnach habe ich es wieder in zwei geteilt 😅 Ich bin super gespannt, was ihr vom nächsten Kapitel halten werdet, denn wie ihr bemerkt haben solltet, war dieses Kapitel eine Überleitung zu den wichtigeren Ereignissen.

Das war's, schönes Wochenende euch noch ❤

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