◆6| Á l v a r o V e r a◆

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Man findet oftmals mehr, als man zu finden glaubt.

|Pierre Corneille|

«Bis nächste Woche», rief ich lächelnd über die Schulter hinweg, ehe ich meinen Arbeitskollegen den Rücken zudrehte und um die Ecke abbog um die dezent beleuchtete dunkle Straße hoch zulaufen. Die Knöpfe meines Wintermantels einen nach den anderen zuknöpfend, um der dargebotenen Kälte des nächtlichen Januars, der unmittelbar einen Widerstand gegen mich anzettelte, entgegenzutreten. Trotz, dass der atemraubende Windzug sich gegen mich drückte und meinem Körper zu erzittern brachte, konnte selbst dieser Umstand, das kleine bedächtige Lächeln, welches sich auf meinen Lippen ausbreitete nicht zum erfrieren bringen. Denn als ich mir in Erinnerung rief, wie mich die armen Menschen und Obdachlosen mit funkelnden und dankbaren Blicken angeblickt hatten, derweilen ich und zwei meiner Arbeitskolleginnen das Essen ausgeteilt hatten, da erfüllte solch eine große Freude meine Seele mit einer unerbittlichen Wärme. Und obwohl ich mir im Klaren darüber war, dass es mit dem Wetter zu dieser Jahreszeit nicht zu spaßen war und ich mir eingestehen musste, dass ich mir bald eine Erkältung einzuholen würde, war es dies wert allemal wert, beschloss ich mit einem Mal.

Diese Menschen glücklich und zufrieden zu sehen, ihnen eine kleine warme Mahlzeit zu verschaffen, galt vielleicht in vielerlei Augen als unbedeutsam, gewöhnlich, doch war es nicht genau diese Etikettierung, die erst recht dazu führte, dass Menschen ihre Blicke vor Problemen der Welt verborgen hielten, sie schlichtweg ignorierten, indem sie nämlich als aller erstes genau dies taten: sie verharmlosten die Situation.

Meine Haare, die mir durch den Wind unmittelbar ins Gesicht peitschten, schob ich aus meinem Blickfelde, ehe meine Gedanken bei dieser Geste augenblicklich zu meine Mutter abschweiften, die mir als kleines Kind immer die Haare aus dem Gesicht zu einem Dutt gebunden hatte, da ich unwiderstehliche nervende Strähnen hatte, die mir jedes Mal achtlos ins Gesicht fielen.

Verschließe nicht die Augen. Auch wenn Menschen sich gegenseitig zerstören, können sie sich gleichermaßen auch gegenseitig zur Widerauferstehung helfen, lauteten ihre Worte, die sie zu sagen gepflegt hatte, als sie mich jeden Sonntag, selbst trotz ihrer Schwangerschaft zu Delilah, zum alten Markt mitgeschleppt hatte, um dort die alten Menschen für einige Stunden zu besuchen und ihnen ihre Gesellschaft anzubieten. Das Lächeln, welches durch diese schönen friedlichen Kindheitserinnerungen hervorgerufen wurden, verschwanden jäh, als ich hinter mir urplötzlich ein Rascheln und das Knacken eines Astes ausmachen konnte. Mit nun deutlich zunehmender Wachsamkeit und einer Unruhe, die sich augenblicklich in mich einnistete, drehte ich mich kurz um, doch nichts als vollkommene Finsternis begrüßte mich in dieser späten Stunde. Leicht paranoid und ängstlich zugleich drehte ich mich wieder nach vorne und nahm zügigere und größere Schritte ein. Verdammt, warum musste diese Straße auch nur so spärlich beleuchtet sein ? Wollte die Stadt etwa an Strom sparen ?

Ich schüttelte über die absurden Gedanken, die mich nun einnahmen den Kopf und versuchte mir innerlich einzureden, dass ich gleich am Ende der Straße ankommen und den Weg Richtung Bushaltestelle ansteuern könnte. Innerlich, mit wild klopfendem Herzen, die ihr eigenes Basssolo hinlegten, während ich verkrampft meinem Weg fortsetzte, wünschte ich mir zum ersten Mal, dass ich auf Papa gehört und unseren Chauffeur mitgenommen hätte. Dann wäre ich jetzt nicht in panischer Angst darüber, dass mich jeden Moment jemand angreifen könnte.

Das Rascheln hinter mir erblasste kurzzeitig, nur um daraufhin lauter und viel näher hinter mir zu ertönen. Ich riss erschrocken die Augen auf, legte an Tempo bei meinen Schritten zu, sodass sie nicht mehr einem normalen gefassten laufen, sondern fast schon einem Joggen, glichen. Oh Gott was passiert hier gerade ? Was wenn es sich um einen Dieb handelte, der mich mit einem Messer bedrohen und Geld von mir verlangen würde ? Ich hatte nichts dabei... ich würde ihm nichts bieten können.

Ich spürte, wie meine Nackenhaare sich bei dem möglichen Szenario sträubten und trotz, dass die nächtliche Kälte sich mich weiterhin umgarnte, begann ich zu schwitzen. Mit stockendem Atem und getrockneten Lippen, stieß ich einen erleichterten Luftzug aus meiner Lunge raus, als ich eine Laterne der Straße wahrnahm, die mich darauf hinwies, dass ich gleich am Ende dieser Gasse angelangt und endlich eine Straße betreten können würde.

Fast schon stolpernd, setzte ich die letzten Schritte bis zu meinem Ziel, als ich in unmittelbar einen abrupten Halt einlegte, als sich vor mir eine groß gebaute Statur aufstellte.

Mit aufgerissenen Augen und der Angst ins Gesicht geschrieben, schrie ich laut auf und hob beschützerisch die Hände hoch, als ich sah, wie der Schatten sich auf mich zubewegte.

«Nein... nein...kommen Sie mir nicht nahe !» Meine Stimme klang eher flehentlich als bodenständig, sodass ich mit Sicherheit vergessen konnte, dass man mich in diesem Zustand ernst nehmen würde. Und wie zu erwarten würde auch einem kleinen ängstlichen Mädchen, wie mir, nicht zugehört, denn der im Schatten verborgene Mann bewegte sich weiterhin auf mich zu. Ich trat weitere Schritte zurück, dabei überlegend, was ich als Nächstes unternehmen könnte, doch da erklang verwunderlicher Weise eine mir allzu bekannte Stimme, die meine wirren Gedanken wieder aufsammelte.

«Amalia ?»

Verdutzt blieb ich, wie angewurzelt an meinem Platz stehen und blinzelte paar Mal gegen die Dunkelheit an, um die Gesichtszüge meines Gegenübers identifizieren zu können.

«Jon ?»

Meine Stimme war nichts weiter als ein Flüstern, doch mein Gegenüber schien dies trotz dessen noch verstanden zu haben, denn plötzlich schloss er den herrschenden räumlichen Abstand zwischen uns, sodass sein Gesicht von einer der wenigen Laternen in dieser Straße beleuchtet wurde.

«Hey», sagte dieser und kratzte sich mit einem schiefen Grinsen im Gesicht am Hinterkopf, sodass die lässige Jeansjacke, die er trug, seine Armmuskulatur unterstrich, die er sich beim jahrelangen Training beim Football angelegt hatte.

«Habe ich dich erschreckt ?», fragte dieser im Anschluss, doch ich reagierte nicht sofort auf ihn, sondern befreite all die angespannte Luft aus meiner Kehle, die ich zuvor angehalten hatte.

«Was... was suchst du hier ?», hörte ich im Anschluss meine eigene Stimme irritiert erklingen.

Verwundert hob dieser eine Augenbraue in die Höhe. Erst da fiel mir hingegen auf, dass meine Frage absolut unhöflich klang. Errötend biss ich mir verlegen bei dieser Erkenntnis auf die Lippe, was er aufgrund der Dunkelheit höchstwahrscheinlich nicht ausmachen konnte.

«Ich meine... tut mir leid... Ich dachte mich verfolgt jemand und als du dann plötzlich vor mir standest da...»

Ein amüsiertes Lachen seinerseits kam zustande, die er anschließend mit einer lockeren Haltung quittierte, indem er seine Hände in seine Hosenjacke schob und mich mit wachsamen Blick anstarrte. Erleichtert darüber, dass er nicht böse auf mich war, reagierte ich ebenfalls mit einem zurückhaltenden Lächeln, derweilen ich gespannt auf seine Antwort wartete.

«Unsere Väter hatten wieder Mal etwas Geschäftliches zu besprechen, sodass mein Vater zu euch fahren musste. Da mein Training heute ausfiel, dachte ich mir, kann ich dich besuchen ich. Aber auch dieses Mal habe ich dich knapp verpasst. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen du gehst mir aus dem weg», gab er gespielt betroffen mit einem schiefen Lächeln kund, ehe er hinzufügte:

«Dein Vater wollte später den Chauffeur losschicken, damit dieser dich vom Küchendienst abholt. Da ich aber sowieso nichts zu tun hatte, leidlich nur bei euch im Wohnzimmer saß, während die Männer geschäftliches im Büro besprachen, habe ich angeboten dich abzuholen.»

Ich spürte, wie mir regelrecht ein Stein vom Herzen fiel bei dieser Erklärung und zum ersten Mal, seit ich heute Abend Jon begegnet war, schenkte ich ihm ein aufrichtiges Lächeln.

«Danke Jon, das ist lieb von dir», antwortete ich und fügte nicht hinzu, dass es nicht nötig gewesen wäre. Denn ehrlich gesagt, war ich nun mehr als froh darüber nicht alleine den Heimweg ansteuern zu müssen, wie ich es vorerst so tatkräftig auch gewollt hatte.

«Für sie doch immer wieder gerne, mi Lady», sagte dieser mir zuzwinkernd, ehe wir beide, den Weg, den wir kurzzeitig aus meiner Paranoia zurückgegangen waren, wieder hoch liefen und Jon ich dabei innerlich wieder in Ruhe atmen konnte, da es sich bei Jon um keinem mutmaßlichen Vergewaltiger oder Dieb handelte. In der Straße angekommen, stoppte ich ein letztes Mal, dabei ignorierend, dass Jon dies nicht bemerkt hatte und weiterhin den Weg fortsetzend zu mir sprach, gleichzeitig ich nochmal die dunkle Gasse beobachtete, die ich nun hinter mir gelassen hatte.

Es war wie leer gefegt und absolut finster. Nichts rührte sich und von dem vermeintlichen Rascheln war rein gar nichts auszumachen. Außer dem starken abendlichen Windzug war diese Gegend wie, ausgestorben von irgendeinem Leben. Ich schüttelte über mich selbst lachend den Kopf. In letzter Zeit bildete ich mir einfach zu viele Sachen ein. Es war nur Jon, klärte ich innerlich den Fall ab und drehte mich wieder zu ihm um, der ebenfalls stehen geblieben war, als er einige Meter nach mir bemerkt hatte, dass ich ihm gar nicht mehr folgte. Schnell überbrückte den Abstand zwischen uns.

«Da ist mein Auto», sagte dieser und deutete auf die gegenüberliegende Straßenseite, auf einen weißen neuen Range Rover, welches er sich vor kurzem angelegt hatte und auf den Liza, so wie ich ab und zu Mal mitbekam, total abfuhr. Ich verdrehte die Augen und spürte wie meine Laune beim Nennen ihres Namen sackte. Nach so einem anstrengenden Tag, wollte ich mir nicht auch noch wegen Liza Gedanken machen müssen.

Also setzte ich mich am Auto angekommen, kommentarlos und danken neben Jon auf den Fahrersitz entspannt zurück und blickte nun endgültig beruhigt aus dem Fenster. Es dauerte nicht lange bis ich auch aus dieser Starre und dem vorbeirauschenden Bild der Landschaft geweckt wurde, als mein Handy in meiner Hosentasche leicht zu vibrieren anfing. Mich wieder in das hier und jetzt eingefunden, steckte ich vorsichtig meine Hand in die Hosentasche und sah, als ich das Handy in der Hand hielt auf dem Display Sanjanas Namen aufblicken. Müde rieb ich mir über die Augen und drückte den Anruf weg, ehe ich ihr auf der Stelle eine Nachricht schrieb.

Hey, kann gerade nicht. Ich rufe dich gleich an, ok ?

xx Amalia

Dann wandte ich mich wieder zum Fenster um, ohne mich innerlich zu fragen, weshalb mich Sanjana so spät noch anrief. Mit großer Wahrscheinlichkeit wollte sie mir bestimmt erzählen, wie es nun ihrem Vater ging.

Nachdem sie vor einer Woche urplötzlich mitten in der Vorlesung eine Nachricht von ihrer Mutter bekommen und wie vom Blitz getroffen den Saal verlassen hatte, hatte ich mir schreckliche Sorgen gemacht, weil mich das ungute Gefühl seit jeher einfach nicht verlassen hatte, dass etwas nicht stimmte. Als sie endlich auf einen meiner zig Nachrichten irgendwann reagiert und mir unter Tränen am Telefon erzählt hatte, dass ihr Vater einen Herzinfakt bekommen und ins Krankenhaus gefahren wurde, da hatte ich erschrocken aufgeschrien, ehe auch bei mir die Tränen geflossen waren. Ich kannte Sanjanas Vater seit Jahren und sah ihn wie ein leiblicher sympathischer Onkel an. Dass ihm etwas passieren würde, würde auch meine Welt zutiefst treffen. Als Sanjana mir hingegen danach berichtet hatte, dass ihr Vater nun in einer stabilen Lage war und sich ausruhen müsste, hatte ich versucht meinen anfänglichen Schock zu bändigen und für Sanjana als beste Freundin da zu sein. Ich hatte sie und ihre Mutter so oft es ging im Krankenhaus besucht. Und genau heute sollten die letzten Untersuchungen gemacht werden, wenn die Ergebnisse positiv ausfielen würde er morgen entlassen werden.

Bitte lass alles gut ausgehen, bitte lass die Ergebnisse gut aufgehen, betete ich innerlich, dass Handy fest zwischen meine Hände klemmend, die auf meinem Schoß, ineinander gefalten vorlagen, sodass ich einen Augenblick lang nicht bemerkte, dass Jon mich angesprochen hatte.

«Wie... ?», fragte ich und mein Kopf schoss in die andere Richtung der Fensterscheibe, zum Fahrersitz, in dem Jon saß und hochkonzentriert auf die Straße geradeaus blickte.

«Ich sagte: wir sind da. Ist alles mit dir in Ordnung Amalia ?», fragte dieser sichtlich verwirrt und ich bekam ein schlechtes Gewissen. Ich war die ganze Zeit schon irgendwie in Gedanken versunken, denn erst kam die Sache mit Raúl zu Hause, der sich darüber aufregte, dass er den Hacker nicht ausfindig gemacht hatte, dann diese Todesangst, die ich bekommen hatte, weil ich dachte, mich hätte jemand verfolgt und zusätzlich waren meine Gedanken zu Sanjana geswitcht, sodass ich ohne es beabsichtigt zu haben, Jon gegenüber einen falschen Eindruck übermittelte.

Von einem schlechten Gewissen geplagt, biss ich mir auf die Unterlippe und drehte mich mit dem Oberkörper im Sitz ganz zu ihm um.

«Tut mir leid Jon. Ich bin heute nur etwas durch den Wind, bitte fass es nicht persönlich auf. Ich... wie kann ich das wieder gut machen ?», fragte ich aufrichtig lächelnd und bemerkte, wie auch die harten Gesichtskonturen von Jon erweichten und er ebenfalls lächeln musste, als er meinen aufgeregten Blick sah.

«Wie wär's mit einem Essen ?»

Sekunden später als ich realisierte, was er da von sich gegeben hatte, formten sich meine Lippen zu einem kleinen 'O' und ungewollte hoben sich dabei erstaunt meine Augenbrauen in die Höhe. Unmittelbar fielen mir Sanjanas neckende Worte in der Vorlesung ein, als sie mich ausgefragt hatte, ob Jon mich nach einem Date gefragt hatte. Damals hatte ich heftig verneint und gesagt, dass das niemals infrage käme, aber doch... nun fragte er mich tatsächlich nach einem Date. Wahrhaftig nach einem echten ernst gemeinten Date

«Ist das... ehm fragst du mich etwa nach...»

«Nach einem Date ?», beendete er mein Stottern mit einem selbstsicheren Lächeln, wobei seine perfekte Zahnreihe daraufhin zur Geltung kam, als er mitbekam, wie ich beschämt den Blick von ihm abwandte.

«Ja. Ja, ich frage dich gerade nach einem Date, Amalia», beendete er den Satz und ich bemerkte erst jetzt, dass wir beide schon die ganze Zeit vor der Haustür geparkt hatten aber ich nicht ausgestiegen war.

Ich fühlte urplötzlich eine Hitzewelle über mich Einbrechen, die durch die Röte in meinem Gesicht deutlich zutage kam. Doch ich hoffte auch in diesem Fall, dass meiner gegenüber nichts davon mitbekam. Hatte Sanjana also recht behalten mit den Neckereien ? Wollte Jon wirklich... doch meine Gedanken weiter ausführen konnte ich nicht mehr, denn plötzlich blendete, als ich zur Seite zu Jon rüberblickte ein grelles Licht meine Perspektive und ich hob instinktiv abwehrend die Hände vors Gesicht, nur um wenige Sekunden darauf ein Stimmgewirr aus dem Auto heraus wahrzunehmen. Langsam ließ ich meine Hand wieder sinken und realisierte erst da, dass das Licht aus unserem Haus kam. Das Auto war zum Stehen bekommen.

Die Haustür stand weit offen und Papa als auch Mr. Howard, Jons Vater, standen nun vor dieser. Den einen Bein, den Mr. Howard bereits über die Türschwelle gestreckt hatte, wies darauf hin, dass dieser jeden Augenblick seinen Heimweg antreten wollte, als er sich mit einem freundschaftlichen Schlag auf den Rücken von Papa verabschiedete und sich von der Tür abwandte. Unmittelbar schoss sein Blick direkt auf uns im Auto zu. Mit festen Schritten lief er die Treppe am Eingang runter, ehe er einen kurzen Augenblick später vor uns zum Halt kam.

«Jonathan», sagte dieser und Jon drehte sich anschließend um, wohl wissend, dass sein Vater vor ihm stand, da nur er ihn beim vollen Namen nannte.

«Hallo Amalia», begrüßte er mich danach mit einem höflichen Lächeln. Und wieder einmal, wie so oft, wenn ich Mr. Howard und Jon nebeneinander sah, fiel mir auf, dass Jon seine Attraktivität von seinem Vater haben muss, der sich für sein Alter gut hielt.

«Hallo Mr. Howard. Wie geht es Ihnen ?», fragte ich höflichkeitshalber und er nickte einige Sekunden lang vor sich hin, ehe er sagte:

«Den Umständen entsprechend. Die Arbeit beansprucht in Zeit meine ganze Aufmerksamkeit» und das war. Mehr gab es nie zwischen uns zu besprechen, weshalb eine kurze Stille herrschte. Auch Jon mischte sich derweilen nicht ein oder grüßte seinen Vater. Das war für mich also ein ganz klares Zeichen zu gehen.

«Danke fürs Fahren», bedankte ich mich mit einem schüchternen Lächeln bei Jon und stieg aus dem Auto aus, bevor dieser etwas erwidern konnte, da wir beide nur allzu gut wussten, dass ich auf seinen letzten Satz nicht eingegangen war.

Nachdem sich Mr. Howard auf meinen Sitz gesetzt hatte, blickte Jon ein letztes Mal aus dem Fenster in meine Richtung, schenkte mir einen intensiven stummen Blick, ehe er mir leise entgegenhauchte:

«Schlaf gut, Amalia.»

Urplötzlich bildete sich daraufhin eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper und ich musste unmittelbar mit den Händen über meine Jacke rauf und runter fahren. Warum mein Körper auf Jons Bemerkung auf diese Weise reagierte war mir unklar, doch bevor ich weiter in der Nacht darüber grübeln konnte, hörte ich auch schon Eva an der Haustür stehend nach mir rufen. Papa war weit und breit nicht mehr zu sehen.

«Miss Amalia. Es ist kalt kommen sie rein», rief sie nach mir mit einem Winken zu sich, anschließend ich ihrem Rat folgend, mit klappernden Zähnen schnell die Treppen hochstieg und Türschwelle überschritt. Besorgt blickte sie mich an.

«Geht es Ihnen gut ? Bei diesem starken Windzug sollten Sie sich nicht so lange draußen aufhalten, ansonst holen Sie sich noch eine Erkältung ein.»

Gerade wollte ich beruhigend auf sie einsprechen, doch da fiel mein Blick auf Evas Haare und ich runzelte verblüfft die Stirn.

«Eva hast du einen neuen Haarschnitt ?», fragte ich, Blancas Tochter, die nur wenige Jahre älter als ich war und die nach meiner Frage, wie auf Kommando mit der Hand über ihre Haare und behutsam durch ihre kastanienbraunen Locken strich.

«Ja... ich habe eine Veränderung gebraucht und sie dementsprechend etwas kürzer schneiden lassen.»

Ich beäugte Eva ausgiebig und musste feststellen, dass die nun Schulterlangen voluminösen Haare sehr gut zu ihrer ovalen Gesichtsform passten und als recht schöne Gesamtheit miteinander agierten.

«Mir gefällt es sehr. Bekanntlich lassen sich Frauen ja erst die Haare so radikal schneiden, wenn sie mit etwas unzufrieden oder traurig sind. Falls dies der Fall war, nun es hat gewirkt, du siehst fabelhaft aus», scherzte ich und streifte mir dabei lachend meine Jacke von den Armen, bis ich aus Augenwinkel wahrnahm, dass Eva sich nach meinen ausgesprochenen Worten anspannte. Ich stoppte in meiner Bewegung und zuckte zusammen.

«Habe ich etwas Falsches gesagt ?», fragte ich und meinte es auch wirklich so. Die Worte waren unüberlegt mir herausgerutscht, da ich davon ausgegangen war, dass Eva die Ironie dahinter erkennen und mit mir Lachen würde. Doch ihr Lächeln wirkte eher gepresst und gezwungen als echt.

Ihr leicht gedämmtes Lächeln gewann hingegen bei meinen Worten erneut an Stärke, sodass ihre Mundwinkel sich Sekunden später erhoben.

«Natürlich nicht, Miss Amalia. Meine Mutter ist bereits in ihrem Zimmer. Delilah wollte nicht ohne sie schlafen gehen.»
Mit einem vielsagenden Blick und ein Lachen unterdrückend, bedankte ich mich bei der jungen Blondine, ehe ich die Wendeltreppe hoch, mein Zimmer ansteuerte.

Selbst einige Schritte von meiner Zimmertür entfernt, konnte ich bereits das kindlich fröhliche Lachen von Delilah wahrnehmen, sodass ich augenblicklich spürte, wie mich eine Ruhe umhüllte und wie die vorherrschende Anspannung von mir fiel. Ihre Kindheit, ihre Unschuld, ihre fröhliche nette Art erfüllte mich jedes Mal mit Frieden Und ganz gleich wie nerven zerreißend der Tag auch war, sobald ich ihr Lachen mitbekam, rückte all das in den Hintergrund. Mit einer unbeändigenden Aufregung öffnete ich meine Zimmertür und bekam mit wie Blanca, Delilah an meiner Kommode die letzten Strähnen zu einem Zopf flechtete, derweilen Blanca ihr mit ihrer ruhigen sanften Stille etwas Spannendes zu erzählen schien, denn Delilah hörte ihr hoch konzentriert zu. Als sie von Spiegel meiner Kommode hingegen mich zu sehen bekam, kreischte sie erfreut auf und sprang vom Sessel auf, anschließend sie auf mich zugerannt kam. Ich bereitete einladend meine Arme aus und hob sie sofort hoch, als ich ihre kleinen Finger um meinen Nacken spüren konnte.

«Hermana, da bist du ja endlich ! Komm, Blanca hat mir gerade eine Geschichte erzählt, hör mit zu», sagte sie, wandte sich aus meinem Griff und zog mich mit auf mein großes Bett, auf das sie sich setzte und mir ebenfalls mit der Hand befiel, mich zu setzten.

Blanca und ich warfen uns belustigte Blicke zu, anschließend ich Blancas Hand drückte.

«Hat sie dich lange aufgehalten, Blanca ?», fragte ich in einem schnellen Spanisch, sodass Delilah nicht viel mitbekam.

Blanca lachte, was einzelne kleine Falten um ihre Augen zur Geltung brachte.

«Nein Liebes, natürlich nicht. Ich kümmere mich gerne um euch.»

Ich spürte, wie mein Herz sich mit Dankbarkeit füllte und zu platzen drohte, nachdem Blanca diese Worte von sich gegeben hatte. Sie war so ein gütiger Mensch... ich verstand immer mehr, weshalb sie Mamas beste Freundin gewesen war und der letzte Wunsch von Mama an sie war, dass sie auf uns aufpassen sollte. Neben Elias, war sie immer unser Schutzengel gewesen, der immer über uns gewacht hatte, insbesondere aber auf Raúl Acht gegeben hatte, der nach Mamas Tod orientierungsloser denn je war.

«Geh bitte schlafen, Blanca. Du warst heute die allererste, die im Haus wach war und nun sollst du nicht auch noch die Letzte sein, die schlafen geht.»

«No ! No ich will das Blanca mir die Geschichte zu Ende erzählt», mischte sich nun Delilah beleidigt ein und ich warf ihr einen warnenden Blick zu.

«Du willst ? Nicht in diesem Befehlston, Delilah», sprach ich nun etwas strenger aus.

Delilah war zwar die jüngste im Bunde, sodass es unmöglich schien ihr einen Wunsch auszuschlagen, da ihre süße unschuldige Art den Umstand ebenso schwieriger gestaltete, doch trotz dessen hatte sie zu akzeptieren, dass es nicht nach immer ihrem Willen ging. Denn auch im späteren Leben, im Erwachsenenleben würde sie spätestens da erkennen müssen, dass sich nicht alle nach ihr richten, sondern dass auch sie sich zu anpassen hatte. Wie sagte Darwin nochmal, 'survival of the fittest', wenn man es nicht ganz streng sah, konnte dies ebenso auf diesen Sachverhalt bezogen werden.

Ihren Fehler bemerkend, zog Delilah einer Schildkröte ähnelnd leicht den Kopf ein und blickte mich mit unschuldigen Kulleraugen an, was mich wieder schwach werden ließ. Ich seufzte auf und erwiderte:

«Wie heißt das Zauberwort, cariña ?»

«Por favor.»

Ich nickte zufrieden.

«Nun kannst du deine Frage nochmal stellen.»

Zurückhaltend blickte sie über meine Schulter zu Blanca rüber.

«Blanca wenn du nicht müde bist, kannst du mir bitte bitte die Geschichte zu Ende erzählen.»

Blanca tat so, als würde sie scharf darüber nachdenken, doch als sie das unsichere rauf und runtergehüpfe von Delilah wahrnahm, konnte selbst sie nicht mehr ernst bleiben und nickte.

«Einverstanden. Ich erzähle die Geschichte weiter.»

Derweilen ich mich kurz im Bad umgezogen und meinen Schlafanzug angezogen hatte, bemerkte ich, dass auch Delilah dies getan und es sich im Anschluss in meiner Bettwäsche bequem gemacht hatte.

Aufgeregt zappelte sie mit den Zehen, die leicht aus der Decke herausschauten und nicht komplett ihre Füße bedeckten. Ich verkniff mir ein lautes Lachen bei ihrem Anblick und mit einem Blickaustausch mit wie Blanca von der Seite aus, die auf dem Sessel meines Schminktisches Platz genommen und sich ebenfalls die Hand auf den Mund gelegt hatte, um ihre Belustigung zu verbergen.

So wie es aussah, hatte sich Delilah erfolgreich in meinem Bett ausgebreitet und wollte wieder Mal bei mir im Bett schlafen. Das war überhaupt keine gute Angewohnheit, schließlich musste sie auch lernen selbst klar zu kommen, aber wie immer konnte ich ihr, in ihrem Pinken Prinzessinen Pyjama und den beiden Zöpfen die an ihrer flachen Brust herunterbaumelten, nicht widersprechen.

Ohne dies nochmal anzumerken, beziehungsweise überhaupt zu kommentieren, setzte ich mich auf die andere Bettseite und schwang meine Beine aufs Bett, sodass ich Sekunden später das harte Bettgerüst an meinem Rücken spüren konnte, anschließend Delilah sich in meine Richtung schob und sich auf mein Schoß legte, das Gesicht dabei friedlich lächelnd auf mein Knie reibend. Während Blanca also die Geschichte fortsetzte, die, wie ich später nichts anderes war als die Schöne und das Biest und dabei auch im Laufe einschlief, rief diese Situation ein ganz altes, tief in mir verborgenes Bild von Jahren hervor, welche ich dachte erfolgreich verdrängt und endgültig vergraben geglaubt haben schien.

Müde rieb ich mir über die angeschwollenen roten Augen und drehte mich unruhig im Bett um. So sehr ich mich auch bemühte zu schlafen, es gelang mir einfach nicht. Die Tränen, die ich seit Tagen vergossen hatte, waren aufgebraucht und nun spürte ich nicht weiteres als eine klaffende Leere in meiner Brust, die zusätzlich untermauert wurden mit den Erinnerungen an den letzten Anblick von Mamá, wie sie kraftlos im Bett gelegen und ihre letzten Atemzüge vollführt hatte. Erneut stiegen mir doch noch Tränen auf und ich spürte, wie ein Schluchzen meine Kehle verließ, die ich auf dem halben Weg zum Ersticken brachte, als ich mir die Hand auf den Mund presste. Zwar war ich ganz alleine im Zimmer, hatte aber trotz mir unerklärlichen Gründen Angst, dass jemand mitbekommen könnte, dass ich geweint hatte.

Ich hatte es nämlich Mamá versprochen. Ich hatte versprochen stark zu bleiben. Hinter einem starken Mann steckte immer eine starke Frau hatte gesagt und unsere drei Männer die wie zu Hause hatten, Papá, Elias und Raúls würden durch ihren Verlust die Stärke über sich und über die Familie verlieren. Mamá hatte gesagt, dass ich dafür sorgen musste, dass wir weiterhin stark im einem Kern blieben. Ich hatte in diesen jungen Jahren die Aufgabe zugeteilt bekommen eine Familie zusammenzuflicken, die Stücken für Stückchen in den Augen einer 9-Jährigen auseinanderfiel.

Ich fuhr mir langsam durch das Gesicht und atmete gepresst auf, ehe ich flüsterte:

«Ich kann es nicht Mamá... Ich kann es einfach nicht, ich bin nicht stark genug. Ich vermisse dich einfach zu doll.» Doch auch da begrüßte mich nur diese furchtbare Totenstille. Wenige Sekunden danach nahm ich hingegen ein Klopfen wahr und ohne den Kopf zu erheben, wusste ich, dass die Tür geöffnet und anschließend wieder zu gemacht wurde.

Als ich Schritte in Richtung meines Bettes wahrnehmen konnte, schloss ich abrupt die Augen. Ich wollte, dass man dachte; ich würde schlafen und mich dann in Ruhe lassen.

«Ich weiß, dass du nicht schläfst», erklang die sanfte Stimme von meinem einige Jahre älteren Bruder Elias, der sich zu mir gebückt hatte und mir sanft einige Haarsträhnen aus dem Gesicht strich.

Langsam öffnete ich meine von weinen angeschwollenen Lider und blickte auf ihn hinauf zu ihm. Auch er sah traurig und müde aus und unmittelbar zogen sich bei seinem Anblick meine Mundwinkel weiter nach unten.

Er ging in die Hocke, sodass wir Angesicht zu Angesicht waren.

«Kannst du nicht schlafen ?», fragte er mich liebevoll.

Ich konnte ihm nicht antworten, ein Klotz hatte sich in meinem Hals gebildet, weshalb ich verneinend lediglich den Kopf schüttelte.

«Verstehe. Möchtest du, dass ich dir eine gute Nacht Geschichte erzähle, die Mamá mir früher immer erzählt hat ? Vielleicht kannst du danach besser schlafen.»

Ich nickte und Elias ließ sich dies nicht ein zweites Mal sagen, sondern umrundete mein Bett und setzte sich von der andere Seite die Matratze, ehe ich meinen Kopf auf seinen Schoss legte und er mir langsam über die Haare strich.

«Also es war einmal vor langer langer Zeit....»

Doch weiter kam er nicht, denn erneut hörte ich das Geräusch der quietschenden Tür, die darauf hinwies, dass diese erneut geöffnet wurde und trotz dass ich eine liegende Position eingenommen hatte, bekam ich aus dem Augenwinkel mit, wie nun Raúl unbeholfen, in einem Pyjama gekleidet, barfuß und einen Teddybären, den er sich fest an die Brust drückte, unbeholfen und mit gläsrigen Augen völlig verloren in unsere Richtung blickte.

«He, kleiner Mann», sprach Elias aus und versuchte sich ein Lächeln abzuringen, während er nun auf die freie Bettseite neben sich klopfte.

«Komm leg dich zu uns. Ich wollte Amalia gerade eine gute Nacht Geschichte erzählen.»

Ohne überhaupt ein Wort gesagt zu haben, tappte er still in unsere Richtung und hatte ebenfalls in nur wenigen Sekunden seinen Kopf auf den Schoß von Elias gelegt, sodass wir Kopf an Kopf auf Elias Oberschenkel lagen.

Derweilen Elias ausgeglichene Stimme die bedrückende Stille überbrückte, hatten Raúl und ich kein Mucks von uns gegeben, bis ein plötzlicher Schrei uns aufzucken ließ und ich mich abrupt aufsetzte.

Wenige Sekunden später realisierte ich, dass ein Baby weinte. Mamá war gegangen und an ihrer Stelle war das kleine weinende Mädchen gekommen.
Delilah Isabella Alington.

Ich spürte, wie meine Nackenhaare sich abrupt erhoben, als das Geschrei weiterhin bis in unser Zimmer drang und selbst Elias dazu verleitete abrupt mitten in seiner Erzählung zu stoppen. Sekunden lang verharrten wir in dieser Position, bis ich ein lautes aufknurren neben mir bemerkte und ängstlich meinen Kopf zur Seite drehte, ehe ich im nächsten Moment mitbekam, wie Raúl seinen Lieblingsteddy auf den Boden warf und mit zusammengezogenen Augen, wütend zu meiner Zimmertür blickte.

«Es soll aufhören ! Es soll aufhören zu weinen !», schrie dieser plötzlich, was mich erschrocken nach Luft schnappen ließ. Nur Elias blieb ruhig, streckte brüderlich eine Hand nach Raúl aus und fasste ihn an der Schulter.

«Delilah ist unsere Schwester Raúl, sie...»

«Nein ! Ich will sie nicht hier haben. Ich will Mamá zurück. Sie soll weggehen !», schrie dieser, anschließend er ab da seine Gefühle über ihn endgültig einbrachen.

Sofort stiegen mir Tränen in die Augen, als ich den damals 10-jährige Raúl vor meinem bloßen Auge sah, der an diesem Tag, das aller letzte Mal irgendeine Trauer offenkundig angezeigt hatte. Er hatte Stunden lang geweint, trotz dass ihn Elias mit Fußball oder Videospielen zu ablenken versucht hatte. Doch immer wieder hatte er dabei unter Tränen darum gebeten, dass Mama wieder zurückkommen sollte. Dies stellte des weiteren auch eine große Wende für den Glauben Raúl dar, da dieser ab da in die Brüche ging. Für ihn hatte nämlich ab da keine göttliche Macht und auch keime göttliche Gerechtigkeit mehr geherrscht. Er hatte seine Rechnung mit Gott in den endlosen Tränen abgeschlossen und hatte die Bindung zwischen ihnen durchtrennt.

Eine Träne stahl sich über mein Gesicht, die ich aber schnell wegwischte, als ich bemerkte, dass ich am Bein angetippt wurde. Delilah war also doch noch nicht ins Land der Träume abgetaucht.

«Hörst du hermana am Ende ist die princesa glücklich», sie schloss die Augen und lächelte zufrieden, als sie sich in die Decke einkuschelte, kurz aufgähnte, ehe sie kicherte und erwiderte:

«Hermano nennt mich immer cariña, denn er meinte eine Princesa sei ich schon und das muss er deswegen nicht immer sagen.»

Dann verlief ihr Atem flacher und ich realisierte, dass sie in einen sorglosen Schlaf gefallen war. Ich währenddessen versuchte das krampfhafte ziehen in der Brust, welches durch ihre Worte bezweckt wurde, unter Kontrolle zu bringen.

Ja, Delilah war Raúls kleine Prinzessin. Und das würde sie auch immer bleiben.

***

«Woah selbst unser Bürgermeister ist hier !», erklang Sanjanas begeisterte Stimme, die sich an mein Fenster lehnte und hinter den Vorhängen den Eingang beobachtete, um mir anschließend zu berichten, welcher der Besucher für den Charity Abend bereits erschienen waren. Und obwohl sie schon einige nennenswerte Namen nannte, war das noch schier nicht alles, dachte ich mir, als ich mir die kleinen Tropfenförmigen Diamantohrringe vor dem Spiegel an meine Ohrläppchen befestigte und mich danach ein letztes Mal mein Spiegelbild betrachtete. Meinen Ansichten nach war das Pailettenkleid zu gewagt und körperbetont. Auch der dezente Ausschnitt war schon zu viel für mich, aber Papa meinte, dass die Presse einige Familienfotos von uns schießen wollte, sodass seine Managerin für den heutigen Anlass meine Abendgarderobe herstellen musste. Ich trat einige Schritte zurück und fuhr mit den Händen ein letztes Mal über meine Hüften, ehe ich meine offenen Wellen, die voluminöser aufgetragen waren, durch den Seitenscheitel zur Seite warf, sodass dies das Dekoltée etwas verbergen konnte.

«Ohh ohh», hörte ich Sanjana ein weiteres Mal aufschreien, ehe sie amüsiert aufquickte. Ich wandte mich ihr mit einem fragenden Blick zu, doch da blickte sie weiterhin starr aus dem Fenster.

«Jon und sein Vater steigen nun auch aus dem Auto aus. Donnerwetter... Jon sieht ja in einem Anzug noch besser aus als in seinem verschwitzten Mannschaftstrikot.» Dann drehte sie sich zu mir um und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen, was mich genervt aufseufzen ließ.

Nachdem Jon mir einige Tage zuvor offenkundig ein Date angeboten hatte, hatte ich, nachdem Delilah eingeschlafen war, sofort nach meinem Handy gegriffen und hatte Sanajana angerufen. Zunächst hatte ich, wie es sich eben für eine Freundin gehörte, mir ihre Probleme angehört. Angesichts dessen, dass es ihrem Vater nun besser ging, hatte ich es, dann doch noch übers Herz gebracht ihr zu erzählen was passiert war. Sie war, wie nicht anders zu erwarten, Feuer und Flamme gewesen und hatte bereits angefangen Pläne zu schmieden, was für ein Outfit ich beim ersten Date anziehen hatte. Doch da hatte ich sie schleunigst unterbrochen, indem ich ihr erläuterte, dass ich ihm noch keine Antwort gegeben hätte. Natürlich hatte sie mich zur Schnekce gemacht, mir aber dann letztlich doch verziehen mit der Ausnahme, dass ich meinen Fehler heute bei der Charity Veranstaltung wieder zurechtbiegen würde.

Ich spürte, wie ich unwillkürlich errötete und die Hände an den Hüften ab stemmend zu ihr rüber blickte.

«Nun fang bitte nicht wieder damit an.» Doch mit einem zuckersüßen Lächeln und dem auffällig übertriebenen Wimpernschlag konnte ich nicht, wie erhofft, die harte Tour durchziehen, sondern verfiel selbst in ein Gelächter.

«Ist ja gut. Ist ja gut.» Bevor sie sich hingegen nochmal zum Fenster drehen konnte, ließ ich mein Blick über ihr korallenfarbiges Kleid wandern und war froh darüber, ihr etwas von meiner Garderobe angeboten zu haben. Ich wollte nicht, dass Sanjana sich ausgegrenzt fühlte, nur weil sie sich bestimmte Kleidungsstücke nicht leisten konnte. Trotz, dass ihr Vater sich noch nicht ganz erholt hatte, war sie mir zuliebe zu dieser Feier erschienen und das rechnete ich ihr wirklich hoch an.

Ich machte einige Schritte auf sie zu und schlag meine Arme, um ihre Hüfte anschließend ich sie fest an mich drückte.

«Danke», sagte ich mit einer Freude vom ganzen Herzen.

«Ich weiß, dass du viel um die Ohren hast. Danke, dass du trotzdem gekommen bist.»

Ich bemerkte, wie meine Stimme vor Gerührtheit zitterte und auch Sanjana sich anspannte, ehe sie mich an den Armen packte und mich somit anschauen konnte.

«Hey... du bist meine beste Freundin, da lasse ich dich doch nicht alleine. Zudem lasse ich mir solch eine hammermäßige Fete ganz bestimmt nicht entgehen. Ich muss zwar, wie gesagt, viel früher die Feier verlassen, aber immerhin stirbst du zu Beginn der Veranstaltung, ganz bestimmt nicht vor Langeweile.»

Auch ihr waren die Tränen hochgestiegen, doch machte sie dies mit einer lächerlichen Handbewegung wieder weg.

«Nun lass jetzt aber runter. Die Gäste warten auf uns.»
Mit einem diabolischen Grinsen und einem Augengezwinker in meine Richtung, verließen wir beide mein Zimmer und steuerten die Wendeltreppe nach unten an, anschließend wir den großen Gästesaal betraten, an dessen großen Türen sich zwei Kellner positionierte hatten.

«Mama mia», staunte in der nächsten Sekunde Sanjana neben mir und auch ich machte große Augen. Das waren deutlich mehr Gäste, als ich von ausgegangen war. Während Champagner getrunken, Gruppierungen aufgestellt und über Geschäftliches gesprochen wurde, war der Luxus, den diese Menschen repräsentierten kaum zu übersehen. Auch ich hielt, wie Sanjana neben mir, einige Sekunden lang die Luft an und ließ mir kurz darauf ein Lächeln über meine Gesichtszüge gleiten, als ich die aufdringlichen Blicke einiger neugieriger Gäste auf mir spürte. Der erste Eindruck war äußerst wichtig, pflegte Papá immer wieder zu sagen. Ich streckte mein Kinn dezent nach oben, um einen selbstbewussten Eindruck zu übermitteln. Denn dann würden sie irgendwann wegschauen. Während ich mit Sanjana also den Saal betrat, nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie Papá sich mit in einem hitzigen Gespräch befand, neben ihm war Jons Vater positioniert, der sich ebenfalls in beteiligte. Wie immer hatten sie sich fein herausgeputzt, dachte ich mir den Blick über ihre maßgeschneiderten Anzüge gleiten lassend. Zwei stilvolle, unschlagbare Männer. Gerade als ich den Blick weiter Abwenden wollte, sah ich eine kleine Gestalt, die sich zwischen den Gästen hindurchschlängelte und auf uns zukam. Mein zuvor aufgesetztes kaltes Lächeln wandelte sich um in ein wärmeres, echtes.

«Sanjana du bist auch hier !», freute sich Delilah, die in einem luftig rosafarbenen Kleid, wahrlich wie eine kleine Fee wirkte. Wenn ich diesen auffälligen Lippenstift nicht auf meine Lippen geschmiert hätte, hätte ich sie sofort geküsst. Nachdem die Zeit verstrichen war, die Zahl der Gäste sich häuften und ich langsam den Überblick verlor, hatten Sanjana, Delilah und ich uns abseits des Saales begeben, um uns am Buffet von den Kellnern etwas zu trinken zu besorgen. Während ich mir und Sanjana ein Glas Wein zur Seite stellte, reichte ich Delilah ein Glas Orangensaft, welche sie strahlend annahm. Gerade führte ich das Glas an meinen Mund, als ich Raúl den Saal betreten sah, der gerade den Kragen seines Hemdes ordentlich zuzubinden bestrebte, was mich empört aufatmen ließ. Denn ich wusste ganz gut was das zu bedeuten hatte. Das konnte doch nicht sein... er hatte sich, trotz all dieser Gäste, nicht entgehen lassen sich zu amüsieren. Welches arme Ding es wohl dieses Mal war, die er um den Finger gewickelt und ihr die ewige Liebe geschworen hatte ? Vielleicht eines der Gäste ? Ich schüttelte verärgert den Kopf. Er würde nie daraus lernen.

«Sanjana entschuldige mich bitte kurz. Ich muss einen Augenblick etwas erledigen», sagte ich und deutete unauffällig auf Raúl, damit Delilah, die den Rücken zur Tür gedreht hatte, nichts davon mitbekam. Sanjana verstand sofort, denn sie nickte mir kurz angebunden zu und verwickelte Delilah schnell in ein Gespräch ein, damit diese sich meiner Abwesenheit nicht bewusst werden sollte.

Als ich mit zielstrebigen selbstsicheren Schritten zu Raúl schritt, bemerkte dieser mich im direkt und der gelangweilte Blick wandelte sich. Ein gewisser Schalk spiegelte sich in seinen Augen wider, der vertieft wurde durch das leichte zynische heben eines seiner Mundwinkel.

Er pfiff leise vor sich hin und klatschte sich kurz in die Hände.

«Schwesterherz, du sieht aber reizend aus», sagte dieser und gab mir einen Kuss auf die Wange. Angeekelt zog ich mich zurück.

«Verdammt Raúl hast du wieder getrunken ?»

Er grinste vor sich hin. Jap, da hatte ich meine Antwort.

«Doch nicht heute !», flüsterte ich anklagend, doch er schien keine Gewissensbisse zu haben, denn er zuckte lediglich mit den Schultern.

«Lass mich doch etwas Spaß haben Schwesterherz. Ich mache gerade echt schwierige Zeiten durch. Ersten habe ich immer noch nicht die ID der Person ausmachen können, der mich gehakt hat, zweitens muss ich bald bei Vater zu arbeiten anfangen, was in mir erneut den Drang hervorruft zu trinken und als wäre das nicht genug kann ich nun auch nicht mehr mein ganzes Potenzial im Bett ausschöpfen», sagte dieser miesgrimmig gestimmt und schnappte sich ein Glas Whiskey von einem Tablet, den er einen der vielen vorbeilaufenden Kellner im Saal wegschnappte.

Ich verdrehte die Augen.

«Wow... deine derzeitige Impotenz ist wirklich weltbewegend», sprach ich sarkastisch aus, doch anscheinend war er tatsächlich schon längst vom Rausch des Alkohols insofern eingenommen, dass er meinen Unterton nicht bemerkte und mich ernsthaft blickend fragte:

«Ja oder ? Die armen Frauen, wie sollen sie sich nur ohne mich begnügen ?»

Ich atmete tief aus und sprach mich innerlich Selbstbeherrschung zu, ehe ich meine Haare nach hinten warf und mir Luft zu wedelte.

«Raúl jetzt...», doch weiter kam ich nicht, denn plötzlich nahmen Raúl und ich zeitgleich die tiefe Stimme von Papá wahr. Schnell stellte ich mich vor Raúl, damit dieser versteckt von den Blicken, insbesondere von denen von Papá blieb, ehe ich mich langsam umdrehte und von der Schulter aus Papá sah.

Er wunk höchstwahrscheinlich Raúl zu sich und wollte, dass er zu ihm ging. Denn neben ihm stand nicht mehr Jons Vater. Ich sah nur zwei Gestalten vor ihm stehend, die mit den Rücken zu mir gekehrt waren, zwei Männer, um genau zu sein, die aus dieser Entfernung nicht Mal ansatzweise zu identifizieren. Dennoch war ich erleichtert darüber, dass Papa mitten im Raum mit den Männern stand und wir abseits an der Tür. Somit hatte er Raúls erbärmlichen Zustand doch nicht mitbekommen.

«Geh und komm nicht eher zurück, bis zur dir das Gesicht nicht gewaschen und wieder zu dir gekommen bist», sprach ich zu Raúl, dem es gerade ebenfalls unangenehm schien, dass ich nun anstellte von ihm zu Papá gehen und ihm den Rücken decken musste.

«Ich werde mich solange zu Papa und den Kunden gesellen, haben wir uns verstanden ?», gab ich mit Nachdruck von mir, versuchte dabei aber gleichzeitig mein schlechtes Gewissen gegenüber Raúl zu untergraben. Ich wollte nicht belehrend oder hart im gegenüber klingen, aber ich kannte Raúl zu gut, um zu wissen, dass er es nicht anders verstehen würde. Als dieser stumm vor sich hinnickte und den Rückweg antrat, richtete ich meine Haare und meine Halskette gerade und begab mich erneut in den Saal Richtung Papá. Einen Blick ins Sanjanas Richtung werfend, beobachtete ich, dass sie mit Delilah immer noch am Buffet stand, nur dass sich Elias nun, den kleinen Carlos in den Armen haltend zu ihnen begeben hatte und sich mit ihnen unterhielt.

Bei Papá schließlich angekommen, bemerkte ich, wie dieser kurz die Stirn runzelte, was darauf schließen ließ, dass er gerade wirklich nach Raúl gerufen hatte und nicht nach mir. Doch ließ er sich dies nicht anmerken, als ich bei ihm ankam und er mir einen Kuss auf den Mittelscheitel setzte.

«Princesa, du siehst bezaubernd aus", sagte dieser und ich errötete, da ich die Blicke der beiden Männer vor uns, auf mich spürte, zu denen ich aber im Gegenzug noch nicht rübergeblickt hatte, da meine Aufmerksamkeit zunächst ganz Papá galt.

«Liebes darf ich dir vorstellen...», sagte dieser und gerade wandte ich mich Lächeln nach vorne, als mein Blick mit einem finsteren Augenpaar in Kontakt kamen und mich urplötzlich den Atem anhalten ließ. Mein Lächeln erlosch und unverwandt starrte ich gerade raus auf den Mann, den ich, so hoffte ich inständig, mir nur einzbildete. Dieser hingegen ließ sich davon nicht aus dem Konzept bringen, sondern hielt den Augenkontakt zu mir bei, während Papá seinen Satz fortsetzte:

«Juán Santos, Steuerberater... einer der Besten, die ich je in diesem Bereich kennenlernen durfte.»

Widerwillig riss ich mein Blick von meinem gegenüber ab, nur um diesem auf die deutlich ältere Person, welche neben ihm stand zu richten, der mich freundlich anlächelte.

Ich erwiderte das Lächeln gepresst und reichte ihm meine Hand entgegen.

«Freut mich, Sie kennenzulernen Sie sind also der berühmte Mr. Santos. Mein Vater hat mir schon viel über sie und ihre exzellente Arbeit erzählt», sagte ich und dieser erwiderte einen Händedruck mit einem Grinsen.

«Deine Tochter ist genauso charmant wie du Eduardo», gackerte dieser mit einem vielsagenden Blick drauf los und Papá schloss sich dem an, als er einen vielsagenden Blick mit ihm austauschte. Derweilen sie mit sich beschäftigt waren, glitt mein Blick kurzzeitig wieder zu dem jungen Mann neben ihm, doch als ich in dem Moment erkannte, dass er mich ebenfalls weiterhin anschaute, wandte ich mit glühenden Wangen meinen Blick wieder von ihm ab.

«Und dieser junge Bursche Amalia ist Álvaro. Álvaro Vera...»

Nun stand es fest, dachte ich mir. Ich halluzinierte nicht. Er stand hier. Er, der sich über meine Familie, über meine Schicht abschätzig ausgesprochen hatte, war hier, auf dieser hoch angesehenen Veranstaltung. Er war einer von ihnen. Einer von uns.

Ich wusste nicht daraufhin zu reagieren. Wenn Papá nur wusste, dass Elias Strom wegen der Recherche nach seinem Namen ausgefallen ist, dann würde er austicken. In meinen verstrickten, wirren Gedanken so sehr vertieft, hatte ich gar nicht bemerkt, dass ich ihn unverwandt angestarrt hatte, bis er mir seine Hand ausstreckte.

«Freut mich sie kennenzulernen, Miss Alington.» Ein spöttisches Grinsen lag auf seinem Gesicht was mich in meiner ließ. Was war das nur für ein Spiel, was er hier mit mir spielte ?

Als ich seine Hand nicht angenommen, sondern ihn währenddessen weiterhin angestarrte, hatte Papa sich neben mir geräuspert und das belustigte Grinsen des jungen Mannes mir schräg gegenüber wurde noch breiter. Ich verengte die Augen zu Schlitzen und griff, nach einem plötzlichen verlangen mit mir nach seiner Hand. Ehe ich mich aufhalten konnte, hörte ich schon, wie meine Lippen sich von alleine bewegten und die nächsten Worte unhaltsam meinen Mund verließen.

«Ist das so, Mr. Vera ? Freuen sie sich wirklich ein Mitglied der Familie Alington kennenzulernen ?»

Und ich wusste nicht warum, aber als seine Augen auf meine trafen, da wusste ich, dass ich mit meiner Frage direkt ins Schwarze getroffen hatte.

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