◆[P R I M A D O N N A]◆

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Die Vergangenheit kann nicht geheilt werden.

|Queen Elizabeth I.|

Die Kulisse öffnete sich.
Der Hintergrund trat in das Blickfeld vieler Zuschauer, bis die makellose Scheibe durch einzelne kleine Regentropfen verunreinigt wurde. Die Sicht verschwamm im dreiviertel Takt eines Metronoms, gewann mit jedem Atemzug an Unschärfe und behinderte somit eine Detailanalyse, die den Vorgang zur Erkenntnis gewährte. Folglich wurde damit dem menschlichen Sehsinn ein Strich durch die Rechnung gemacht, das Gesehene als unzuverlässig abgeschrieben.

Doch während der Knopf zu diesem essentiellen Sinn abgeschaltet wurde, sendete dieser ein Startsignal an den Hörsinn der Gesellschaft und in dem Moment geschah es. Ein Unwetter wurde mit einem lauten Macht illustrierenden Grollen in dramaturgischer Fassung angekündigt und Regen begann in gleichmäßigen Strömen die Stadt zu überfluten. Fast schon zaghaft sanft prallten die einzelnen Tropfen auf den Boden herab und kamen dabei erstmals mit der Menschenwelt in Berührung.

Indessen die Einwohner von London den Eindruck erweckten, als würden sie jeden Moment unter dem Gewicht der Regentropfen erdrückt werden -weshalb sie sich hektisch in ihren Regenschirmen verkapselten und sich einen Zufluchtsort suchten, um diesem Schwall an Wasser schnellstmöglich zu entkommen- weinte der Himmel weiterhin.

Endlose Tränen flossen die Dächer runter und reinigten dabei die schrecklichen Taten der Menschen, die mit jedem harten Aufprall auf den Straßen, mit ihren jeweiligen Sünden konfrontiert wurden. Anstatt aber, dass die Menschen sich anhand dieses verzwickten Konflikts dem Kompromis mit den Tropfen hingaben und sich von ihren Sünden befreiten, zogen sie es vor sich zu verstecken. Sie präferierten die Flucht. Denn die Sünde glich für sie nicht mehr einem ominösen Pakt mit dem Teufel, sondern es symbolisierte eine glorreiche Ehrentat. Es war eine Siegerehrung, eine Macht illusierende Krönung, die sie mit ausgestreckter Brust stolz darlegten.

Über diesen Anblick erschüttert, zogen sie dabei nur noch mehr den Ärger der Richter des Paradieses auf sich, die von oben herab auf sie nieder blickten und ihr Urteil fällten.

Und genau dieses Urteil spiegelte sich in den feinsten Wasserstrahlen wider, die im Zuge ihrer Ratlosigkeit der Menschenheit den Kampf ansagten. Der Himmel grollte auf, der hypnotische Klang der einzelnen Wasserspritzer fusionierte zu ungleichmäßigen oval förmigen Figuren, derweilen einzelne Blütenblätter diesem Widerstand nur angestrengt den Kopf hinhielten. Äste, die von dicken Bäumen gehalten wurden, knackten. Baumrinden zogen sich wie angespannte Gesichtszüge zusammen und die Stadt wurde mit einem Mal durch das starke Unwetter komplett verwüstet, was zur Folge hatte, dass das ganze System der Stadt aus den Fugen geriet. Autos kamen nicht mehr voran, Buse fuhren nicht und die Nachrichtensender verloren immer wieder das Signal, wodurch der reibungslose Kontakt zur Außenwelt einen Riss erlitt.

Ein heftiger Sturm, der zuletzt in diesem Ausmaß vor Jahren erlebt wurde, trieb am heutigen Tage wieder sein Unwesen. Wer hatte den Zorn des Himmels dieses Mal auf sich gezogen? Wer hatte die Welt so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht?, stellten sich die Menschen folgende Fragen und lauerten wachsam herum, jederzeit bereit, ihre Rüstungen anzuziehen und sich diesem Kampf hinzugeben. Denn nur das konnte der wahre Grund dafür sein, weshalb es so aggressiv strömte.

Davon gingen sie zumindest aus, wussten sie doch in Wirklichkeit nicht, dass sie mit ihrer Vermutung völlig im Dunkeln tappten.

Denn in dieser merkwürdigen Lage gab es genau eine Sache, die die Menschen nicht erkannt hatten, derweilen sie den Sturm aus ihren Fenstern, aus ihren schutzvollen Gemächern, betrachteten.

Der Sturm legte den Londoner Einwohnern keine Kampfansage dar, wie sie spekulativ annahmen. Das Paradies wollte sie nicht bestrafen, sie durch das Tränenmeer ertrinken lassen. Nein... es ging lediglich darum eine Tat zu verdecken, die der Menschheit von Grund auf den Boden unter den Füßen reißen und ihnen den Atem rauben würde.

Der aufbrausende Sturm war also nichts weiter als eine Vertuschung, die eine Anomalie überspielen sollte. Und zwar eine Unstimmigkeit, einen weiteren Sturm, der schon längst ausgebrochen war und sich mitten in der Stadt einquartiert hatte. Während nämlich die Stadt vor sich hin vegetierte und die Menschen friedlich in ihren Häusern hausten, sollte der Sturm, der in einer der teuersten Penthouse Suiten just vonstatten wurde, übertönt werden.

Kein Urteil, sondern ein Versteckspiel war das eigentliche Ziel. Wie auch genau jetzt, in diesem Augenblick.

Zunächst herrschte absolute Stille. Die moderne Suite im siebten Stockwerk eines der größten Gebäudekomplexe, die die Zeiten der elisabethanischen Epoche überstanden hatte und die anhand von Modernisierungsmaßnahmen Jahre zuvor restauriert wurde, war weitestgehend steril gehalten. Wohingegen die einzelnen viktorianischen Möbelstücke diesem einen ganz neuen frischen Flair verliehen. Eine Fusion herkömmlicher Kunst traf hier mit der zeitgenössischen aktuellen aufeinander.

Auffällig hingegen war, dass keine persönlichen Gegenstände im Eingangsbereich vorhanden waren, die zum großen Wohnzimmer mit dem Panoramaausblick führten.

In Ausnahme von einem roten Flügel, der unberührt, wie eine reine Darstellung abseits des Raumes stand, welcher ansatzweise einer kleinen Spekulation freien Weg räumte, dass der Besitzer dieser Suite womöglich eine kleine Passion für musikalische Klänge empfand, war nichts außergewöhnliches zu deuten. Doch viel bizarrer war dann doch die Tatsache, dass in den Bilderrahmen, die im Raum verteilt waren, nicht ein einziges Bild aufgestellt war. Rein gar nichts erweckte den Anschein, als würde hier jemand wohnen und diesen Raum, als seinen persönlichen Zufluchtsort erachten. Denn weder war es mit berdeutsamen Souvenirs beschmückt noch wurde dem Ganzen ein eigener Touch verliehen. So nahm man zumindest an, bis der Blick auf die rechte Wandseite des Raumes fiel.

Denn genau dort waren sechs unterschiedlich große Gemälde an die Wand gelehnt worden, die zum Großteil hauptsächlich in einem dezenten schwarz-weiß Kontrast zueinander gehalten wurden und nur ab und an auffällige Farbtupfer vorwiesen, die von einem intensivem Meeresblau bis zu einem Lavendellila reichten. Beim genauen Betrachten dieser unterschiedlich großen und breiten Gemälde war hingegen erst auf dem zweiten Blick zu erkennen, dass es sich um eine Serie von Bildern handelte, die zueinander gehörten. Erst da sah man nämlich, dass die Gemälde durch ihre ähnelnden, sich wiederholenden einzelnen Elementen eine Gesamtheit bildeten. Dies war die einzige persönliche Note, die der Eigentümer dieser Suite ungestüm Preis gegeben hatte.

Unterdessen konnte man selbst bei den drei jungen Anwesenden, die sich in dem palastartigen Raum eingefunden hatten auf dem ersten Blick keine nähere Verbindung zueinander ausmachen. Wie drei Fremde nahmen sie keine Notiz voneinander, waren in Gedanken versunken. Sie ignorierten sich gekonnt.

Blonde hell erstrahlende Haare, die zu einem strengen französischen Zopf nach hinten gebunden waren, waren die ersten lebendigen Farben, die den trist wirkenden Raum auf einem Schlag mit Leben füllten. Den Hals endlos lang gestreckt und den Körper in einer fließenden Linie perfekt gerade haltend, wirkte die einzige weibliche Person in diesem Raum, wie eine vornehme französische Hofdame. Der Schein verwischte sich jedoch so schnell, wie es gekommen war, denn die Hände hinter ihrem Rücken miteinander verschränkend, rieb sie krankhaft nervös ihre Handflächen immer wieder einander. Haut griff an Haut. Während dieses Aktes hatte sie als Einzige dem Raum den Rücken zugekehrt und blickte mit strengem Blick aus den bodenlangen Fenstern hinaus auf die Stadt, von dort aus sie in der Ferne auch den Big Ben ausmachen konnte. Ihr hübsches Gesicht war durch die plötzliche Strenge, die sie annahm, dezent deformiert und gleichzeitig verlor ihre junghaftes Erscheinungsbild an Reinheit.

Man würde nicht davon ausgehen, dass solch ein hübsches Mädchen von Sorgen und Problemen geplagt sein würde, doch ihr Gesichtsausdruck deutete in dem Moment auf nichts anderes hin. Sie hatte ein schwarz-weiß gestreiftes eng anliegendes langärmliges Oberteil an, die zu ihrer dunklen Jeans farblich abgestimmt war. Den einzigen Kontrast dazu bildete die kurz geschnittene enge Bikerjacke in einem schmuddeligen Braunton, welche mit den Bikerboots gepaart, ihrem süßlichem Gesicht eine gewisse Wildheit verlieh.

Sehnsüchtig richtete sie ihre Augen aus dem Fenster. Eine Last haftete auf ihren Schultern und sie wünschte sich in diesem Augenblick nichts Sehnlicheres, als mit diesen Regentopfen eins zu werden und letztlich auf dem Boden aufkommend zu zerfallen, sich endgültig frei zu fühlen.

Nur wenige Meter von ihr entfernt, stand ein junger Mann, der ihr in den Augenpartien ähnlich sah, lässig an einem Tisch gelehnt. Dieser hatte deutlich markantere Gesichtszüge und einen kantigen Kinnbereich vorzuweisen, die beidesamt von wüsten kastanienbraunen Haaren, die in einem Boxerschnitt frisiert waren, umrahmt wurden. Sein muskulöser Körper, der von seinen fast zwei Metern eingenommen wurde, wirkte athletisch und wurde von einem legeren Hemd und einer dunklen Jeans, die lässig an seinen kräftigen ausgeprägten Hüften saß, unterstützt.

Seine Haltung war entspannt, fast schon zu locker, doch sprach sein Blick eine ganz andere Sprache. Die Fingerknöchel alle nacheinander knacken lassend, richtete er seine Augen geradewegs auf die Mitte des Raumes, in der nur ein Sessel platziert war. Und exakt in diesem Sessel thronte eine weitere männliche Person und somit auch der letzte Fremde in diesem Bunde.

Durch das spärliche Licht kaum ausmachen könnend, wurde die Person in dem blutroten Sessel regelrecht verschluckt. Die straffen Beine angewinkelt, saß er in einer dunklen Jeans und einem ebenso dunklen Rollkragenpullover da, welche seine beeindruckende Armmuskulatur umwarb. Zwischen den Fingern eine angezündete Zigarette und in der anderen ein Glas Whiskey haltend, lehnte er sich nach hinten, sodass er fast schon vom Schatten den der Sessel auf ihn warf, eingenommen wurde. Lediglich seine aufleuchtenden Augen waren es, die ihn in diesem Schattenspiel entlarvten.

Das Gesicht hoch konzentriert, hatte dieser es auf die große Filmleinwand vor sich fixiert, sodass, als ein lauter Knall in der Stille erklang, er seine Augen vor Faszination weiterhin gebannt auf die Leinwand gerichtet hielt.

«Perfekt», raunte er mit einem diabolisch klingenden Lachen und zog genüsslich an seiner Zigarette, derweilen er das Video weiterhin betrachtete und sich ansah, wie der Mann zu Boden fiel, zeitgleich sich eine rote Spur über seine Brust breit machte.

«Die Aufnahme und der Schuss sind perfekt, Tian. Du hast gute Arbeit geleistet. Es sind alle zu sehen, die ich haben wollte. Mit diesem Videomaterial können wir arbeiten.»

Er legte sein Glas auf den kleinen Tisch neben sich nieder und wollte gerade nach der Fernbedingung greifen, die daneben lag, als er durch eine anklagende, dünne Stimme von seinem Vorhaben unterbrochen wurde.

In diesem Moment drehte sich das Mädchen mit den verschränkten Armen von der Fensterscheibe um und ihre in Falten gelegte Stirn deutete darauf hin, wie unzufrieden sie war.

«Denkst du nicht es reicht? Du hast dir diese Stelle zig Mal angeschaut, Iván. Henry Howard ist tot. Es ist also nicht länger von Belang sich dies reinzuziehen, denn das Resultat wird immer noch dasselbe bleiben», gab sie erschöpft von sich, als sie einen flüchtigen Blick zum Bildschirm warf und das Blut auf der Leinwand wahrnahm. Scharf sog sie nach Luft und schüttelte missmutig den Kopf. Von ihrer Reaktion und ihrer offensichtlichen Abneigung verärgert, blinzelte Wut in den Augen des dunkelhaarigen jungen Mannes auf, der den Blick schneidend auf sie gerichtet hatte und sie fast schon zwanghaft zu einem Blickduell aufforderte.

Der am Tisch angelehnte, unbeteiligte Mann mit dem Boxerharrschnitt, hatte sich nun beim Beobachten dieses kleinen Disputs inmitten derer er genau stand, aufgerichtet und hatte dabei erstaunt die Augenbrauen angehoben. Gespannt, was für einen Lauf das Ganze nun annehmen würde, blickte er sofort zum jungen Mann im Sessel rüber, dessen Hand über der Fernbedingung schwebte, aber er diese noch nicht auf sie gelegt hatte, weil die Worte von ihr, ihn davon abgehalten hatten. Der Blick starr auf die Wand vor ihm fokussiert, sah man ihm trotz der Dunkelheit dieses Raumes an, wie die Erheiterung aus seinem Körper wich und wie sich seine Züge verhärteten. Seine markanten Partien zogen sich akribisch zusammen. Feindselig, fast schon angriffslustig drehte er seinen Kopf in einem solch schleppenden Tempo zur Seite, sodass die Blondine spürte, wie ihre einstige Courage und ihre Wut, die zuvor Macht über all ihre Sinne gewonnen hatte, sie verließ. Augenblicklich fragte sie sich, was sie dazu geritten hatte sich gegen ihn zu stellen, wusste sie doch am besten, dass er es hasste, wenn man sich in seine Angelegenheiten einmischte oder sie gar hinterfragte.

Als hätte er bei ihrem Anblick ihre Gedanken erraten, mahnte er die Kiefer und ein tödlicher fast schon mörderischer Schatten legte sich über sein Gesicht. Er kommentierte ihre Aussage nicht, obschon er demonstrativ die Fernbedingung in die Hand nahm, sich in seinem Sessel zurücklehnte und einer seiner Beine anwinkelte. Absichtlich hatte er den Arm weit ausgestreckt, sodass sie noch mitbekam, wie er erneut zurückgespulte und auf die 'Play' Taste drückte.

Als erneut die Szenerie seinen Lauf nahm, verzog die junge Schönheit das Gesicht zu einer gespenstischen Fratze und Ekel packte sie.

«Ich tue, was ich will. Und wenn ich mir ansehen möchte, wie dieser Bastard verreckt, dann tue ich auch das. Immer und immer wieder, bis ich genug davon habe.»

Er zog mit einem Zug an seiner Zigarette anschließend der hervorbeschworene Rauch sich zur Zimmerdecke hoch tanzte.

Die Blondine, die sich nicht vom Fleck rührte, blickte zu ihrem Ebenbild in männlich rüber. Er stemmte sich weiterhin mit den Händen an der Ecke des Tisches ab und bedachte sie dabei mit einem beruhigenden Blick, der besagte sie möge runter kommen. Doch wie sie sich selbst zu gut kannte, würde sie dies nicht können. Sie war nicht wie er, der die Ruhe in gewissen Situationen beizubehalten wusste.

Enttäuscht über seine Gelassenheit, drehte sie sich um und blickte erneut aus dem Fenster. In einer Melancholie versunken, erinnerte sie sich an die Worte ihres Vaters von früher, wenn es Mal dazu kam, dass der Regen ihre Heimat heimgesucht hatte.

Wenn es anfängt zu regnen, dann sei dir gewiss, dass eine Sünde begangen wurde. Die Mutternatur weint darum, bestraft diese Menschen. Es verachtet, verhöhnt sie auf den höchsten Stufenabsätze des Himmels.

Sie versuchte sich zu beruhigen, als sie sich die Stimme ihres Vaters in Erinnerung rief. Sie wollte so sehr, dass der autoritäre und liebevolle Klang seiner Stimme sie beruhigte. Auch versuchte sie dabei gleichermaßen ihre Schuld zu dämpfen, indem sie sich weiß machte, warum Henry Howard überhaupt sterben musste. Warum sein Blut fließen musste.

Er war schuldig, er hatte es verdient mit seinem Blut zu bezahlen...

Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen. War sie jetzt eine Sünderin und was war mit Tian? War auch er ein Sünder?

Ein polternder Knall ertönte und sie zuckte augenblicklich aus ihren tiefen Gedanken katapultiert zusammen. Es war das Video. Erneut war es an der Stelle angelangt, wo der leblose Körper von Henry Howard zu Boden gerissen wurde.

Ein satanisches Lachen erklang und ihre Nackenhaare erhoben sich. Das konnte doch nicht sein ernst sein. Das tat er mit Absicht, um sie zu provozieren.

Sie drehte sich um, wollte schnippisch eingreifen, doch dann machte ihr Tian einen Strich durch die Rechnung, indem er ihr einen warnenden Blick zuwarf und aussprach:

«Was nun, Iván? Wie werden wir weiter vorangehen? Nach dieser Sache werden Sie Verstärkung holen. Das ist dir wohl klar, oder?»

Iván erhob sich aus seinem niedrig gelegenen Sessel und reckte sich. Sein Oberteil rutschte indes dezent in die Höhe und gewährte einen kurzen Blick aus seine definierten Bauchmuskeln. Er verschränkte die angespannten Hände hinter seinem Hinterkopf und trat einige Schritte vor, sodass er genau an der kahlen Wand vor der Bildleinwand stand. Der Zynismus und der Wahnsinn waren in seinem Blick verfestigt.

«Wir werden warten. Ich möchte, dass es sich wie ein Peitschenschlag anfühlt. Wenn wir mehrmals hintereinander zuschlagen, werden sie betäubt sein vom Schmerz, die Intensität wird sich verringern. Doch indem wir abwarten, eine Zwischenzeit einlegen, wird sich der Schmerz von Mal zu Mal intensiver anfühlen. Sie werden denken, dass ihre Wunden heilen und genau in dem Moment reiße ich sie wieder auf, lasse das schäbige Blut aus ihren Adern fließen.»

Seine Boots kamen kurz vor der Wand zum Halt und er streckte den Arm nach dieser aus, um das abgebildete Videomaterial, welches erneut auf Pause gedrückt und eingefroren war, zu berühren. Er ertastete ausgerechnet die Stelle mit den Fingerspitzen an der sich eine Blutlache des aus dem Boden liegenden Mannes aufgesammelt hatte und ein boshafte Lächeln erschlich sich einen Weg auf seine Mundwinkel.

«Der Erste von der Liste ist tot. Das Massaker hat erst gerade begonnen.»

Ein Schnauben hinter ihm ertönte, was ihn unmittelbar die Augenbrauen zusammenziehen ließ.

«Hast du dem etwas hinzuzufügen?», fragte dieser das Mädchen völlig ungeniert, als er mit Ärger feststellen musste, dass sie seinen Worten keine Ernsthaftigkeit beisteuern konnte.

«Weißt du, was ich nicht verstehe Iván? Ich verstehe nicht, wie es sein kann, dass wir weiterhin so viel Zeit verlieren. Wir waren in Moskau, in Rom, Budapest, Madrid, Paris.»

Sie deutete auf die einzigartigen schwarz-weiß Gemälde, die an den Wänden abgestellt waren.

«Aber sie haben uns kein Deut weiter gebracht... Es ist nicht da, hinter keinem dieser Kunstwerke! Vielleicht hat er dir eine falsche Information gegeben, vielleicht war es nicht diese Reihe an Werken. Wir sind durch die halbe Welt gereist, um sie zu finden und sie aufzugabeln, aber keines von denen hatte die Disk enthalten. Versteh mich nicht falsch Iván, aber warum sollten wir Blut fließen lassen, wenn wir nicht einmal das wichtigste Puzzelstück gefunden haben.»

Auch der Hemd tragende Jüngling, der sich zum Tisch gedreht und einige angefertigte Zeichnungen in Augenschein genommen hatte, nickte ihr nun erstmals zustimmend zu. Dies war Iván aus dem Augenwinkel betrachtet natürlich nicht entgangen. Er atmete gepresst auf, lief zu dem kleinen Abstelltisch an seinem Sessel, wo er seine Zigarette auszündete und nahm das Whiskeyglas dabei in die andere Hand.

«Du irrst dich», murmelte Iván unheimlich ruhig, obwohl seine angespannte Kiefer seine eigentlichen Gefühle kund gaben.

«Was meinst du damit?», fragte sie argwöhnisch und auch der unbeteiligte Tian wurde hellhörig. Iván hob den Blick an, ließ das Glas in seiner Hand herabgleiten und warf ihnen einen emotionslosen Blick zu, derweilen er bei seinen nächsten Worten die Zähne zusammenpresste:

«Er hat einen behalten.»

Als die beiden immer noch nicht verstanden, worauf er hinaus wollte, fügte er ohne sie anzublicken hinzu:

«Wir haben uns geirrt. Es handelt sich nicht um sechs Ausstellungsstücke, sondern um sieben. Eduardo Alington hat eines der Gemälde behalten. Die Signatur war unverkennbar. Es gehört zu den anderen dazu.»

Tian, der kaum die ganze Zeit über aus der Fassung zu bringen war, richtete sich mit groß werdenden Augen auf. Die Blondine presste geschockt die Hände auf den Mund, ehe sie vor sich hin stammelte:

«Aber... aber wie kann das sein. Also... also haben wir eins übersehen? Oh mein Gott!» Schockiert über die Tatsache fuhr sie sich aufgelöst übers Gesicht.

Solange ergriff Tian einige Meter neben ihr das Wort, der schnell seine Sprachlosigkeit von sich gelegt hatte.

«Bist du dir ganz sicher, Iván? Was wenn es sich um eine Fälschung handelt?»

Iván schüttelte beharrlich den Kopf.

«Nein. Es ist ganz klar ein 'Moreno'.»

Auch Iván atmete tief aus. Die Atmosphäre war geladen und zum Zerreißen angespannt.

«Und auf was warten wir dann? Es liegt doch auf der Hand. Die Disk ist hinter diesem Gemälde versteckt, warum holen wir es nicht Iván?»

Ein neuer Wille nahm Besitz von der zuvor betrübt und schlecht gelaunten jungen Dame. Ihre mürrisch dreinblickenden Augen erstrahlten in einem neuen Glanz mit dieser dazugewonnenen essentiellen Information.

Als Iván auch hier wieder verneinte, wollte sie am liebsten nach irgendwelchen Gegenständen greifen und ihm diese an den Kopf werfen. Sie war mehr als verzweifelt.

«Wir werden gar nichts tun», sagte er monoton und trank dabei völlig entspannt aus seinem Glas; die eindringlichen und ungläubigen Blicke dabei um ihn herum ignorierend.

«Ich habe mir für diese Aufgabe jemand ganz spezielles ausgesucht.»

Der fokussierende Blick, der daraufhin auf die Flüssigkeit in seinem Glas gerichtet war, ließ die beiden Personen, die auf eine Antwort seinerseits warteten, stutzig werden. Sein Blick wirkte dämonisch leer...

Tian, als auch die einzige weibliche Anwesende im Raum beobachteten ihn und je mehr die Stille anhielt, desto nervöser machte sie dies. Als sich die Falte auf der glatten Stirn letzterer vertiefte und sie hinter die Worte von ihrem Gegenüber zu kommen versuchte, vergrößerten sich ihre Augen um das dreifache, während die Erkenntnis wie ein Wirbelwind auf sie eintraf.

«Nein!» Einen entsetzten Ausdruck annehmend und die Hände anhebend, verneinte sie immer wieder die Vermutung, die sich wie Gift in ihr breit gemacht hatte.

«Das... Das ist wahnsinnig!»

Unbeeindruckt vom Zittern ihrer Stimme, sagte er mit einer festen Stimme ausgerüstet:

«Der Wahnsinn hat schon längst die Kontrolle über mich gewonnen. Denkst du, das wird mich noch aufhalten können?»

Sie schaute verzweifelt zu Tian rüber, der zwischen den beiden irritiert hin und her blickte. Er hatte noch nicht verstanden, worüber die beiden angeregt sprachen.

«Er meint die Alington, Tian!»

Nun erfasste ihn auch ein Schauer und fragend richtete er sich an Iván:

«Wie stellst du dir das vor? Denkst du allen Ernstes, dass sie ihren eigenen Vater berauben wird? Das ist absurd!»

Iván schenkte beiden auch dieses Mal keine Beachtung, sondern trat erneut auf das Bildschirm zu, wo er auf eine Person in der Momentaufnahme tippte, die gerade dabei war, den blutüberströmten Mann auf dem Boden in den Armen zu halten.

«Absurd? Wisst ihr was noch absurd wäre? Dass dieser Mann hier, anstelle des Mannes sterbend auf dem Boden liegen könnte, den er auf seinem Schoß hält. Es wäre absurd, richtig? Und trotzdem bestand eine, wenn auch nur eine minimale, Wahrscheinlichkeit, dass Eduardo Alington hätte sterben können, anstelle seines Freundes. Hätte ich es so gewollt, wäre er jetzt schon längst tot.»

Sie blinzelte.

«Deshalb wolltest du diese Aufnahme, oder? Du willst sie mit diesem Videomaterial erpressen.»

Er schnalzte missbilligend mit der Zunge.

«So großzügig und gütig bin ich nicht und das weißt du. Ich will mehr aus ihr herausholen. Ich will viel mehr mit ihr machen... So leicht wird sie nicht davon kommen.»

Sie, als auch Tian tauschten schnell Blicke miteinander aus. Beide dachten an genau dasselbe: Iván wirkte wie besessen von dieser Idee, als er darüber sprach.

«Was... Was hast du mir ihr vor? Warum zögerst du den Prozess mit ihr hinaus? Was hat dich dazu verleitet, sie in der Silvesternacht nicht zu töten?»

Er antwortete nicht, stattdessen sagte er:

«Habt ihr euch je eine Oper angeschaut? Eine in Italien? Im berühmten Opernhaus in Wien? Als ich auf der Reise nach dem fünften Gemälde meinen Aufenthalt in Italien hatte, habe ich eines besucht. Das italienischen Opernensemble besteht aus vielen und doch sehr wichtigen einzelnen Bestandteilen, die eine Einheit bilden. Doch seit dem 17. Jahrhundert kann diese Einheit nur durch ein Mittelpunkt überhaupt aufrecht gehalten werden und zwar durch die Sängerin, durch die Primadonna, wie sie genannt wird.»

Teuflisch blinzelten seine dunklen Augen auf, als sein Blick über die rote Farbe der Leinwand fuhr, durch die er, wie es schien, den Ansporn bekam seine nächsten Sätze zu bilden.

«Und sie, als eine Alington wird meine Hauptfigur werden. Meine Primadonna. Viele Menschen stellen sich darunter ein Privileg vor, aber nein das ist es nicht. Vor den Augen aller sind sie nämlich nichts weiter als Marionetten. Und in diesem blutigen Stück wird sie diese Rolle übernehmen. Sie wird meine persönliche Marionette.»

Er wandte sich Tian zu, seine Augen dabei verborgen vor der Außenwelt.

«Hast du was von Massimilio gehört?»

Tian verneinte mit einer Kopfbewegung.

«Nein, soweit ich weiß warst du der Letzte, der in der Silvesternacht mit ihm gesprochen hat.»

Iván nickte wissend, ehe er befahl:

«Ruf ihn an. Sag ihm, er möge mir weitere Information beschaffen.»

«Über?», fragte Tian neugierig und doch etwas skeptisch.

Sein Gegenüber knurrte leise auf.

«Wir haben etwas übersehen. Raúl Alington war zuvor auf der Havard, nun ist er das zweite Mitglied der Alingtons der an der Oxford studiert. Da ist etwas im Busch. Außerdem möchte ich, dass Massimilio tiefer gräbt. Ich möchte wissen, warum ausgerechnet das Alington Mädchen sich von Anfang an dagegen entschieden hat an der Havard Universität zu studieren und damit die Tradition ihrer Familie zu brechen...»

Kurz machte er eine Pause. Er dachte nach.

«Ich habe da nämlich so einen verdacht...»

Tian nickte, wusste er doch, dass er nicht mehr herausfinden würde. Gerade fischte er sich sein Handy aus der Jeanstasche heraus, als er erneut unterbrochen wurde.

«Das war noch nicht alles. Das Wichtigste von allem ist, dass er mehr über die jüngste der Alingtons in Erfahrung bringen soll. Delilah Alington.»

Nun mischte sich das Mädchen wieder ins Gespräch ein, die die ganze Zeit über aufmerksam zugehört hatte. Ihre Augenbrauen fielen monoton herab und ihre Stimme war kleinlaut, als sie ehrfürchtig fragte:

«Warum willst du mehr über die Kleine erfahren?»

Schweigen.

Und doch war es wie ein Donnerschlag, der sie mit voller Wucht traf, als sie erahnte, was sein Schweigen für Konsequenzen haben würde.

«Stop!» Sie ging einen Schritt auf ihn zu, ihre Stimme schoss dabei einige Oktaven in die Höhe.

Außer sich rang sie nach Sauerstoff.

«Sie... Sie ist ein Kind, Iván. Ein Kind! Nein... nein das kannst du nicht tun. Nicht sie!»

Wütend knallte er das Glas auf den Tisch und knurrte wütend auf, als er ihren auffordernden Stimmton wahrnahm. Niemand erteilte ihm Befehle. Das duldete er nicht.

«Ach ja? Was ist mit dir? Erinnere dich, du warst damals auch ein Kind und haben sie auf dich gehört? Haben sie dich verschont? Sag schon!»

Sie zuckte bei seiner lauten Stimme zusammen und wurde von dem Inhalt den er wiedergegeben hatte kreidebleich.

Aufgelöst schlug er mit seinem Fuß aggressiv gegen den Sessel. Nun war auch er aufgebracht.

«Sieh es langsam ein, die Vergangenheit kann niemals geheilt werden. Deine Kindheit ist in ihren Händen gestorben.»

Sie schluckte. Tränen balancierten auf ihren Wimpern und ihre Stimme überschlug sich, als sie heiser von sich gab:

«Aber... aber sie ist noch ein Kind.»

Iván atmete durch die Nase ein und schloss im Anschluss die Augen, wie als müsste er sich wieder in seiner eigenen Gefühlswelt zurechtfinden. Doch als er sie Sekunden danach wieder öffnete waren sie weg... alle Emotionen waren eliminiert. Selbst die Wut, die ansatzweise wie eine Kruste über seine intensiven Gefühle lag, war wieder im Schatten seiner Augen verschwunden.

Als er das nächste Mal den Mund aufmachte, klang er kalt, düster und zugleich bedrohlich, ohne jeglichen Hauch von Wärme. Seine Gefühle waren zu einem großen Eisklotz geworden.

«Weißt du, was sie noch ist? Sie ist ihre Schwachstelle. Ihr Knackpunkt. Wenn ich Delilah Alington in der Hand habe, dann habe ich auch sie in der Hand. Ich habe es euch gesagt, sobald wir Blut an den Händen kleben haben, beginnen wir mit den Spielchen. Und da ich nun endlich weiß, was sie vernichten kann, werde auch ich unmittelbar mit ihr mein Marionettenspiel eröffnen.»

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