48~Ich lebe nicht, ich überlebe~48

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⚠️ Trigger Warnung ⚠️
Explizite Nennung von Suizid und Selbstverletzung

~Ich lebe nicht, ich überlebe~


Yoongi hatte Angst. Große Angst.

Denn als er den fünfminütigen Weg von der Bahnhaltestelle zu seiner Schule lief, spürte er unweigerlich, wie sich die Panik in ihm breit machte und er fragte sich zum gefühlten hundertsten Mal, warum er so unfähig gewesen war, seine Mutter zu überreden, dass er zu Hause bleiben durfte. Denn die Angst, die ihn jetzt vereinnahmte wie Ketten, die um seinen Körper gespannt worden waren, war seit ein paar Wochen sein täglicher Begleiter.

So schaffte er es nicht mehr einfach zum Bäcker zu gehen, um sich dort etwas zu Essen zu kaufen. Auch sein Basketballtraining hatte er die letzten Wochen ziemlich vernachlässigt und selbst das zur Schule gehen war zu einer unglaublich großen Angst geworden. Das, was normal für Teenager wie ihn war, konnte er gar nicht mehr oder nur mit sehr großen Mühen und Ängsten tun, oder eben nicht tun.

'Angst-Störung' nannte sich das. So hatte es Yoongi zumindest in einem Artikel gelesen. Ob er ihm Glauben schenken konnte, wusste er nicht so richtig, aber er wusste, dass die Panik, die in ihm aufkam und so auch jetzt seinen Körper beherrschte, nicht mehr normal war.

Wie jeden Morgen fragte, er sich, warum er sich nicht einfach vor die Bahn geworfen hatte, dann müsste er das alles hier nicht mehr durchstehen, nur um es dann 'leben' zu nennen.

Denn so traurig es auch war, Yoongi hatte schon lange aufgehört zu leben; nur leider bemerkte das niemand so richtig.

Es bemerkte niemand, dass jeder Tag, der neu hereinbrach, für ihn die reinste Hölle war, jede Stunde, die er durchlebte sich einfach grausam anfühlte.

Nein, als 'leben' konnte man das wohl nicht mehr bezeichnen. Eher als 'überleben'.

Und sogar das fiel dem 15-jährigen, der für jede Sekunde, die er nicht mit Leuten kommunizieren musste, unglaublich dankbar war, ziemlich schwer.

Leider vergingen die fünf Minuten, die ihn seine Beine fast schon roboterhaft zu dem großen grauen Schulgebäude getragen hatten, viel zu schnell. Und so fand sich Yoongi vor dem Eingang zu seiner ganz persönlichen Hölle wieder. Er schloss für einen Moment die Augen, konzentrierte sich ganz auf die Musik, die durch Kopfhörer an seine Ohren drang; versuchte aus ihr die nötige Kraft zu schöpfen, die er brauchen würde, um einen weiteren grauen und schrecklichen Tag zu überleben.

Musik war so ziemlich das einzige, das Yoongi einfiel, was ihm noch mehr oder weniger Freude, oder wenigstens keine Angst, bereitete.

Als er die Augen nach einer halben Ewigkeit wieder öffnete, war Yoongi traurig, dass er sich immer noch am selben Ort wie noch vor ein paar Minuten befand, an dem er die Augen geschlossen hatte.

Am liebsten hätte er sich auf die steinernen Treppen vor dem Eingang gehockt, hätte die Beine angezogen und begonnen bitterlich zu weinen und zu schreien, denn die Angst war nun unerträglich groß. So groß, dass Yoongi das Gefühl hatte zusammenzubrechen und nie wieder aufstehen zu können.

Die Angst vereinnahmte ihn wie eine eisige Kralle, die sich in sein Herz bohrte und es schön fand Yoongi leiden zu sehen, die es schön fand zu sehen, wie er langsam an sich selbst zerbrach, wie er nicht mehr fähig war die Blutung zu stoppen, die die Kralle verursacht hatte.

Er hatte gerade genug Kraft gesammelt, dass er sich fähig fühlte das Gebäude zu betreten, ohne zusammenzubrechen, da hörte er eine freudige Stimme hinter sich.

„Yoongi!" Er drehte sich ganz langsam um und erblickte Jaemin, einen seiner wenigen Freunde, auf ihn zu kommen. Er blieb vor ihm stehen und bemerkte nicht, wie der Minthaarige kaum merklich ein wenig zurücktrat, um ja nicht von ihm zu berührt zu werden.

„Hey, Jae." Der 15-Jährige zwang sich wie sooft ein leichtes Lächeln auf.

„Wie geht's?" Jae legte freundschaftlich einen Arm um Yoongi, so wie Jungs in ihrem Alter das eben taten. Für jeden anderen wäre das kein Problem gewesen, aber für Yoongi war es die reinste Folter. Es fühlte sich so an, als würde Jaemins Arm aus Feuer bestehen und eine große Brandwunde in seine Schultern und seinen Rücken brennen. Aber gleichzeitig fühlte es sich wie Eis an, dass Yoongi erstarren ließ und ihn völlig vereinnahmte. Und hinzukam, dass die Kralle, der es so unglaublich Spaß machte, Yoongi leiden zu sehen, nicht mehr permanent in seinem Herzen steckte, sondern immer wieder zustach, mit der Absicht sein Herz völlig zu durchlöchern und ihn nur endgültig zu brechen.

Doch Yoongi befreite sich nicht von dem Schmerz, nein. Dafür hatte er zu große Angst.

Er hatte Angst, dass er Jaemin dann verärgern würde und, dass er dann irgendwann alleine sein würde.

Seine Depression und Suizidgedanken hackten nur ein paar Ziegel aus Yoongis Mauer, die ihn schützte, aber die Angst riss sie komplett ein, mit Geschrei und Gelächter, mit Spitzhacken und Hämmern.

„Mir geht's gut", antwortete Yoongi also, als die zwei Jugendlichen in das Gebäude traten und einen langen Gang entlangliefen. Viele Schüler kamen ihnen entgegen oder liefen an ihren vorbei.

Zu viele in Yoongis Augen.

Denn als sie sich an einer Gruppe Mädchen Vorbeidrängen mussten, die sich aufgeregt über Make-up und den restlichen Schönheits-Irrsinn unterhielt, um zu ihren Spinden zu kommen, war es um Yoongi geschehen. Eine Träne rollte seine Wange herunter und er wischte sie schnell weg, damit man sie nicht bemerkte.

Sein Herz hingegen hämmerte wild in seiner Brust und er verkrampfte seine Hände um die Gurte seines Rucksacks. Jaemin bemerkte von alledem nichts. Denn er hatte den Rücken zu Yoongi gedreht und wühlte in seinem Spind. „Jae-Jaemin, ich gehe aufs Klo", stottere Yoongi. Allerdings hörte er die Antwort seines Freundes gar nicht mehr, denn schon rannte er in Richtung Toiletten. Seine Tränen verschleierten ihm die Sicht und sein Zittern erschwerte es ihm sich fortzubewegen, aber schließlich schaffte er es doch sich in eine der Kabinen zu retten, bevor alles aus ihm herausbrach.

Er stützte sich an den Kabinenwänden ab und versuchte nicht umzukippen, während er nach Luft schnappte und auf den grau-gefliesten Boden starrte, fast so als wäre er von diesem hypnotisiert worden.

Er atmete ein und aus und ließ sich ein paar Minuten spürt erschöpft auf den Klodeckel sinken.

Wie sollte er den Tag überleben? Wie zur Hölle sollte er das schaffen? Er griff nach seiner Wasserflasche und trank schnell und ohne dazwischen Luft zu holen, die ganze Flasche auf einmal aus. Es tat gut das Wasser zu spüren, das seinen total erhitzten Körper zu kühlen schien.

Er seufzte und senkte den Blick auf seine Füße.

Warum konnte er nicht einfach hier sitzen bleiben, bis der Unterricht vorbei war? Warum konnte er sich nicht einfach an einen anderen Ort wünschen, einen Ort, an dem alles besser, schöner und einfacher war, als hier?

Er wollte hier weg. Egal wie, egal wohin.

Sein Blick glitt zu den Gurten seines Rucksacks und für den Bruchteil einer Sekunde stellte er sich vor, wie es sein würde sich diese, um seinen dünnen Hals zu legen und einfach zuzuziehen, solange bis alles einfach schwarz und ruhig werden würde.

Er sah schon vor sich wie sein Gesicht rot und dann blau anlief, er nach Luft schnappte, versuchte zu atmen, es ihm aber nicht erlaubt wurde.

Und es war ein schöner Gedanken, auf eine gewisse kranke Art und Weise.

Es würde doch sowieso niemand bemerken geschweige denn interessieren, wenn er sich selbst tötete. Alle würden doch nur sagen 'Oh, das tut mir leid' ihm ein paar Herz-Emojis mit auf den Weg schicken und dann wieder verschwinden wie Geister. Aber so war das, dachte Yoongi.

So war es 'The System's Slave' zu sein. So fühlte es sich an anders zu sein, krank zu sein, ein Psycho zu sein.

Genau so und nicht anders.

Er wäre wohl noch ewig da sitzen geblieben, hätte sogar den Gong überhört, der die 1. Stunde ankündigte und hätte sich weiter in seinen Gedankenschleifen verloren, solange bis er nicht mehr wusste, wie viel Zeit vergangen war, wer er war und was er hier eigentlich machte, obwohl er letzteres jetzt auch schon nicht wusste.

Was ihn aber dazu brachte seine Gedanken zu durchbrechen und sich zu erheben, um zum Unterricht zu kommen, war Jaemins Stimme, welche nun unnatürlich Laut durch den Raum schallte.

„Yoongi? Alles in Ordnung?"

Nein.

Nichts war in Ordnung. Sein Stiefvater misshandelte ihn, er wollte sich umbringen und mit seiner verdammten Angst-Störung kam er auch nicht klar.

„Ähm, klar. Mir ist nur ein bisschen schlecht", log er wie gedruckt und er hörte, wie Jaemin seine Tasche abstellte und es dann still wurde.

„Okay, ich warte auf dich."

Das wollte er aber nicht. Er wollte alleine sein und nie wieder diese zwei Quadratmeter der Klo-Kabine verlassen.

„Aber beeil dich, der Unterricht fängt in zehn Minuten an, ja?"

„Okay."

Als Yoongi nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit die Türe der Kabine wieder öffnete und mit gesenktem Kopf heraustrat, hoffend, dass man ihm nicht ansah, dass es ihm richtig dreckig ging, fühlte er sich noch elender als zuvor. Der Gedanke, dass er gleich in den Unterricht musste, machte ihn fertig.

„Sicher, dass alles okay ist. Du siehst echt fertig aus." Jaemin musterte ihn besorgt, doch er nickte nur und trat an das Waschbecken.

„Alles super, habe nur schlecht geschlafen", ratterte eine seiner vielen Lügen ohne zu zögern herunter.

Doch als er den Kopf hob und in den Spiegel blickte, musste er sich zurückhalten nicht zu schreien und zurückzuzucken.

Der Junge, der ihm entgegenblickte, war nicht er.

Nein.

Ihm blickte ein gebrochenes etwas, mit kantigem und rotem Gesicht, mit zerzausten Haaren und mit geschwollenen Augen entgegen. Das da war nicht er, das war Yoongis Dämon, der nun seinen Weg ans Tageslicht gefunden hatte. Seine Hand wanderte fast schon automatisch zu seinem Unterarm und seine Finger drückten fest auf eine ganze bestimmte Stelle auf diesem.

Sie war eine von vielen Stellen, auf die er gezeichnet hatte. Auf die er seinen Schmerz gedruckt hatte, seine Trauer Ausdruck verlieh. Nur durch diese Zeichnungen war er sich sicher, dass er noch lebte und nicht in einer grausamen Endlosschleife eines bösen Traums gefangen war.

Als er auf eine der vielen frischen Schnitte drückte, durchfuhr seinen Körper ein wohliger Schmerz. Er drückte weiter, solange bis der Schmerz unerträglich wurde und er leise auf zischte.

Ja, er lebte noch, leider.

Der Psycho lebte noch.

„Jetzt mach' mal, Yoongi." Jaemin klatschte in die Hände und Yoongi zuckte aufgrund des lauten Geräusches kurz zusammen, bevor er den Wasserhahn aufdrehte und kaltes Wasser über seine Hände laufen ließ. Ein wenige von diesem Wasser landete in seinem Gesicht, aber er spürte es noch nicht mal.

Als das Rauschen des Wassers aufgehört hatte, fuhr sich Yoongi ein paar mal prüfend durch seine Haare, um nicht ganz so fertig aus zu sehen.

Dann verließ er die Toilette in Begleitung seines Freundes.

Verlies seine Komfortzone wie sooft und fuhrt damit fort mithilfe von Lügen zu leben.

Oder sollte er besser sagen zu überleben?


~

Es tut mir leid, dass ich im Moment so viele Warnungen aussprechen muss, aber ich möchte euch mehr Einblick in Yoongis damalige Situation geben.
Ich hoffe, das ist okay so.

SUNN

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