Ich kann den Wind nicht ändern, nur die Segel drehen

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Ein Hotelzimmer in Berlin, Charlottenburg
01. Februar 2016

Erst gegen Nachmittag des nächsten Tages wurde ich wieder wach und fand mich neben Ina wieder, die in einer übergroßen Jogginghose neben mir auf dem Bett saß und in einem Fantasy-Roman blätterte. Tania war bereits vor einigen Stunden in das Atelier der beiden gefahren, um zu arbeiten.
„Soll ich jetzt auf dieses Date gehen, oder nicht?", fragte ich Ina, nachdem ich ihr von Bennis grandiosem Plan berichtet hatte.
Ina legte mir ihre Hand auf die Schulter und nickte aufmunternd. „Na klar, gehste dort hin. Vielleicht wird es ja gut und wenn nicht, ist doch auch kein Drama. Dann kriegst du wenigstens wieder mal ein bisschen Übung mit dem ganzen Kram."
„Ich weiß nicht."
„Das ist jetzt aber nicht, weil du noch Hoffnung in Maya setzt, oder?"
Ich lachte und schüttelte den Kopf. „Nein, um Gottes Willen. Es tut zwar total weh, aber so langsam öffnen sich meine Augen wieder und die rosa Wolke, die mich umgab, lichtet sich ein bisschen. Mir ist schon klar, dass sie total irre ist und außerdem war sie ohnehin viel zu alt für mich. Und so hübsch, wie sie damals war, ist sie auch nicht mehr. Das sehe ich jetzt. Keine Sorge, ich bin froh, wenn ich sie nicht mehr sehen muss. Höchstens bei einem Prozess, sollte es tatsächlich soweit kommen."
Ina rutschte zu mir rüber und nahm mich in den Arm. „Ach Luki, das war wirklich nicht dein bester Jahresbeginn. Erst taucht diese Kuh wieder auf, dann der ganze Stress an Silvester..."
„Jetzt kann es ja nur noch besser werden. Die Tour fängt diesen Monat an, ich bin dieses Jahr wieder auf Festivals, wir fangen mit dem neuen Album an..."
„Pass auf, dass du dich nicht zu sehr in Arbeit stürzt. Es gibt auch noch ein Leben außerhalb."
„Ina, das coolste hab ich dir noch gar nicht erzählt. Benni ist derzeit ein bisschen größenwahnsinnig, aber das ist super. Er und Timi ziehen ja jetzt das Modelabel hoch und irgendwann Ende Sommer wollen sie noch ein Restaurant aufmachen. Wie genau das aussieht, weiß noch keiner, aber der Plan steht grob schon."
Ina grinste. „Ja, ganz super. Aber ich hab grade gesagt, es gibt noch ein Leben außerhalb von diesen ganzen Sachen. Das hast du gepflegt ignoriert."
„Ist ja gut, ich schau mir das heute Abend halt mal an. Ich bin zwar aufgeregt wie Sau und hab überhaupt keinen Plan, was ich machen oder sagen soll, aber was solls."

Nachdem wir uns noch ein bisschen die Zeit faul im Bett vertrieben hatten und uns zum „Frühstück" eine übergroße Pizza vom Lieferservice reingezogen hatten, verabschiedete sich Ina zu Tania ins Atelier und ich beschloss, mich auf den Weg zu Benni zu machen, um in seinen mir noch etwas suspekten Plan einzuwilligen.

„Find ich echt geil von dir, dass du da mitmachst!", sagte Benni, als ich später mit ihm auf der Couch saß.
„Aber ich hätte da einen kleinen Änderungswunsch vorzubringen", sagte ich und hob abwehrend die Hände nach oben.
Benni musterte mich skeptisch. „Der wäre?"
„Na, du hast gesagt, dass du dich in einem Restaurant treffen willst. Eine Bar ohne Essen wäre mir aber lieber. Erstens, weil ich sowieso viel zu aufgeregt zum essen sein werde und zweitens, weil man sich, wenn man nur ein Getränk hat, viel besser und schneller aus dem Staub machen kann. Beim Essen ist man irgendwie so festgebunden und ich kann ja wohl schlecht, noch bevor das Zeug kommt, abhauen, wenn das Date total daneben ist."
„Ach Lukas, du machst dir echt zu viele Gedanken. Ich kenn Alexa doch. Sie war damals überhaupt kein Freak oder irgendwie eigenartig. Sie war wirklich nett, sonst würde ich sie dir doch nicht vorstellen wollen. Und du findest doch mit jedem irgendwie eine Basis für ein Gespräch. Ich hab noch nie von irgendjemandem gehört, dass er dich irgendwie unsympathisch fand. Und wenn die Funken halt nicht fliegen, mein Gott, dann unterhaltet ihr euch halt einfach ein bisschen. Ich kann mir echt nicht vorstellen, warum und auf welche Weise da heute Abend was schief gehen sollte."
Ich hörte mir Bennis Ansprache grinsend an. Ich fand es zu süß, wie er sich so für mein Liebesleben einsetzte, weil niemand so etwas von ihm erwarten würde, wenn man ihn nicht besser kannte und wie ich wusste, was für ein Kerl hinter dieser harten Fassade steckte.

Während ich kurz meinen Gedanken nachhing, bemerkte ich Timi im Augenwinkel, der wie ein aufgescheuchtes Huhn in der Küche auf und ab lief, und sich immer wieder eine neue Zigarette ansteckte und eine Tasse Kaffee nach der anderen trank.

„Ich will trotzdem, dass wir in eine Bar gehen, okay?"
„Meinetwegen. Also dann schreibe ich ihr jetzt, wo ich mich mit ihr treffen will, in Ordnung?"
„Okay. Aber was, wenn ich später doch nicht will?"
„Lukas, dann geh ich eben alleine hin. Fühl dich jetzt nicht zu irgendwas gezwungen."
Ich lächelte Benni erleichtert an und warf dann wieder einen Blick auf Timi.
„Was ist denn heute mit ihm los?"
Benni warf ebenfalls einen Blick Richtung Küche. „Gute Frage. Er sagt, es wäre nichts. Aber sieht anders aus, oder?"
„Auf jeden Fall...", erwiderte ich und sah mir meinen sichtlich nervösen Freund an, wie er sich total zitterig die nächste Zigarette ansteckte.

In Bennis Büro klingelte das Telefon, also stand er sofort auf, um den Anruf entgegenzunehmen. Sofort, als er um die Ecke war, kam Timi auf mich zu gestürmt.
„Oh Gott, was machst du denn hier? Ich hab dich angerufen und dir geschrieben, aber du gehst nicht ran und du liest es nicht! Marcel ist auch nicht erreichbar! Und sonst irgendwie auch keiner!"
Ich kramte in meinen Taschen herum, konnte mein Handy jedoch nicht finden. „Tut mir leid, ich weiß nicht, wo ich mein Handy hab."
Timi setzte sich und zupfte total hibbelig am Saum seines Pullovers herum, bis sich die ersten Fäden lösten.
„Was ist denn los mit dir?", fragte ich ihn, als ich ihn eine Weile beobachtet hatte und er nichts sagte.
„Es... es ist was passiert. Also... ich hab was... gemacht und ich weiß jetzt nicht, was ich tun soll. Verdammt, was soll ich denn nur machen?"

Als die Tür vom Gästezimmer aufging, zuckte Timi heftig zusammen und bemühte sich um einen ganz normalen Gesichtsausdruck, der ihm wie auf Knopfdruck fast schon erschreckend gut gelang. Zara lief durch das Wohnzimmer in Richtung Küche, grinste uns an und mir entging nicht, dass sie das Shirt anhatte, das Timi gestern Abend getragen hatte. Timi lächelte sie total freundlich an, aber bei genauerem Hinsehen konnte ich erkennen, wie extrem angespannt er war. Was war denn bloß in den paar Stunden, in denen ich weg war, passiert?
Zara trank etwas, dann ging sie wieder an uns vorbei ins Bad rein, wo man kurze Zeit später die Dusche prasseln hörte. Erst jetzt setzte Timi seine Maske ab und zeigte sich mir wieder total nervös und verzweifelt.

„Was hast du gemacht?", fragte ich leise.
Da Timi dabei war, seinen Pullover bald komplett auseinanderzunehmen, drückte ich ihm ein Kissen in die Hand, auf dem er stattdessen herumdrückte.
„Ich hab Scheiße gebaut!"
Ich lehnte mich nach vorne und sah ihn abwartend an, in der Hoffnung, dass er bald endlich mal Klartext reden würde.
„Ich war an ihrem Handy, Lukas. Schon wieder!"
„Hat sie es gemerkt? Was hast du denn an ihrem Handy gesucht?"
Timi legte den Kopf auf die Knie. „Ach ich bin so ein Idiot. Da war nur eine Nachricht von ihrem scheiß Macker, der geschrieben hat, dass sie sich melden soll. Ich weiß doch auch nicht, warum ich das wieder tun musste. Wir sind doch jetzt gar nicht zusammen und sie hat einen Freund, von dem zwar keiner genau weiß, warum sie den hat, aber sie hat ihn. Ist doch klar, dass er ihr schreibt. Was hab ich denn erwartet?"
„Ich hab die Nachricht auch gesehen. Also... aus Versehen. Die kam an, als ich ins Hotel gehen wollte und man sieht die ja direkt auf dem Sperrbildschirm. Na, und du hast die gelesen, und dann?"
„Dann hab ich sie gelöscht! Sie weiß jetzt nicht, dass er ihr geschrieben hat und er denkt, sie hat es gelesen. Wegen diesen dummen blauen Haken. Wer die erfunden hat, gehört doch erschossen! Ich will gar nicht wissen, für wie viele Dramen weltweit diese Dinger schon gesorgt haben. Naja, auf jeden Fall wird er sie fragen, warum sie sich nicht gemeldet hat. Und sie kann ja nicht sagen, dass sie die Nachricht nicht bekommen hat, weil er sieht ja, dass sie angekommen ist. Dann ist es ja wohl klar, dass jemand an ihrem Handy gewesen sein muss. Wer sollte es außer mir denn gewesen sein?"

Als plötzlich Ina vor uns stand, zuckten wir beide zusammen.
„Du hast was?", fragte sie vollkommen fassungslos, was mich und Timi gleichermaßen verwunderte. „Du musst ihr unbedingt sagen, dass er ihr geschrieben hat!"
Timi sah Ina mehr als perplex an. „Ähm. Das... das geht aber nicht."
„Was machst du denn hier auf einmal?", fragte ich an Ina gerichtet.
Sie holte mein Handy aus der Tasche ihrer Jeans und hielt es mir hin. „Das hat Tania heute Morgen aus Versehen eingesteckt und ich bring es dir jetzt. Ich hab geklingelt und Benni hat mir aufgemacht."
„Ach, deshalb find ich es nicht", sagte ich und nahm es erleichtert an mich.
„Tania sagt, ich soll mich herzlichst bei dir entschuldigen. Aber egal, das ist ja jetzt geregelt", meinte sie und ließ sich neben uns auf die Couch fallen. „Viel wichtiger ist jetzt... Zara muss unbedingt wissen, dass Valentin sich bei ihr gemeldet hat."
Timi und ich guckten ziemlich ratlos aus der Wäsche. Aus irgendeinem Grund schien Ina die Sache total nervös zu machen.
„Ich kann ihr das nicht sagen, Ina! Du kannst dir kaum vorstellen, was bei uns schon los war, weil ich nie die Finger von ihrem Handy lassen konnte und ihr wegen jedem Scheiß ne Szene gemacht hab, den ich da so gefunden hatte. Ich hab ihr das versprochen, dass ich es nicht mehr mache. Gut, ich hab das Versprechen schon ein paar Mal gebrochen, aber sie hat es nicht mitbekommen. Und ich nehm mir ja ganz fest vor, es nicht mehr zu machen. Aber wenn sie es jetzt rausbekommt, dann brauch ich mir gar nichts mehr vorzunehmen. Weil ich dann mal wieder ein Versprechen nicht gehalten hab und sie garantiert nicht mehr zu mir zurück kommt."
„Ach verdammt", murmelte Ina. Nach einer kurzen Bedenkzeit sprang sie auf und zeigte auf mich. „Lukas! Du warst heute Nacht auch hier. Sag ihr, dass du die Nachricht gelesen und gelöscht hast."
Ich guckte unzufrieden in die Runde. „Aber dann bekomm ich doch Krach mit ihr."
„Besser du, als Timi. Dir ist sie bestimmt nicht so böse, wie sie ihm wäre."
„Ich weiß nicht so recht, Ina."
„Boah Lukas, wenn hier jemand anderen Leuten irgendwelche Geschichten auftischen kann, dann bist das doch wohl du. Anders geht es nicht. Sie muss es erfahren. Der Typ ist so ein Arschloch, er ist bestimmt pissig, wenn sie sich nicht meldet. Das...ähm... muss doch nicht sein."

Ich sah in die Gesichter von Ina und Timi. Sie schaute mich erwartungsvoll an und würde wohl kein Nein akzeptieren, und Timi sah mich mit einer mitleiderregenden Mischung aus Hoffnung und absoluter Verzweiflung an. Also konnte ich schließlich nichts anders tun, als einzuwilligen, auch wenn mir das ganz und gar nicht schmeckte.
Als Ina sich verabschiedet hatte, nahm ich mir vor, später unbedingt mal bei ihr nachzuhaken, warum ihr das überhaupt so wichtig war, wenn wir wieder alleine wären. Ich hatte den Eindruck, sie wusste irgendwas, was Timi und mir noch im Verborgenen lag.

Zara war mittlerweile mit duschen fertig und seit einigen Minuten im Gästezimmer. Ich sammelte mich noch kurz, dann stand ich auf. „Okay, ich erledige die Sache dann mal..."
„Lukas? Ich... also da ist noch ähm... was anderes, das ich dir sagen wollt."
Ich setzte mich wieder hin. „Was denn?"
Timi schluckte schwer und er wirkte, als ob er jeden Moment in Tränen ausbrechen würde, aber er riss sich gerade so zusammen. „Wir hatten Sex."
„Oh. Und... war das denn nicht gut?"
„Ähm. Doch..."
„Warum macht es dich dann so traurig?"
Timi überlegte eine Weile, dann schüttelte er den Kopf. „Ach, egal. Es war gut, ich bin vielleicht einfach nur ein bisschen zu sehr überwältigt, weil das passiert ist. Schon gut."
Ich musterte ihn skeptisch. Irgendwas war da noch, das merkte ich sofort, da ich ihn ja nicht erst seit gestern kannte. „Wirklich?"
„Ja, wirklich. Jetzt geh schon zu ihr und halt den Kopf für mich hin", antwortete er mit einem schiefen Lächeln. „Ich kann das, was ihr alle immer für mich tut, niemals wieder gutmachen..."
„Du wirst schon irgendwann die Chance haben, dich dafür zu revanchieren", sagte ich und machte mich mit einem sehr unangenehmen Gefühl in der Bauchgegend auf den Weg zu Zara.

„Du hast was?", fragte sie mich erbost, als ich ihr von meinem vermeintlichen Anschlag auf ihre Privatsphäre berichtet hatte.
„Ja, ich hab dich und Timi halt gehört, wie ihr gelacht habt und dann poppte diese Nachricht auf. Ich wollt es dir erst bringen, aber Timi war doch so schlecht drauf und er hat mir so unglaublich leid getan. Dann hab ich Valentins Nachricht eben einfach gelöscht. Tut mir leid."
„Um wie viel Uhr hat er geschrieben?", fragte Zara mich leicht panisch.
„Ähm. Heut Nacht... so um halb drei ungefähr."
„Fuck. Scheiße...!", murmelte Zara und hackte hektisch eine Nachricht in ihr Handy hinein. „Lukas... mach so etwas nie wieder, okay? Ich weiß gar nicht, was ich jetzt genau sagen soll. Ich hätte das echt von jedem erwartet, aber nicht von dir."
„Ich hab es doch nur für Timi und... dich getan", sagte ich und versuchte mich an einem charmant-süßen Lächeln.
„Danke, dass du es mir wenigstens jetzt gesagt hast", sagte sie nun etwas weicher. „Aber jetzt geh mir lieber aus den Augen."
Ich entschuldigte mich noch einmal, dann verzog ich mich schnell aus dem Zimmer, in dem man die Luft hätte schneiden können. Es war mir total unangenehm gewesen, aber wenn ich es mir recht überlegte, war es wohl die beste Herangehensweise, um Timis Fehler zu vertuschen. Als ich wieder ins Wohnzimmer gegangen war, hatte sich Timi auf mich gestürzt und mich minutenlang fast erdrückt vor lauter Dankbarkeit.

„Was geht denn hier ab?", fragte Benni, als er nach einem gefühlten halben Tag wieder aus seinem Büro gekommen war.
„Erzähl ich dir heut Abend irgendwann", sagte Timi und rutschte von mir weg.
„Ich weiß nicht, ob ich das hören will", meinte Benni und grinste. „Lukas, steht das mit dem Date noch, oder hat sich dein Frauenbedarf gerade erledigt?"
„Du hast ein Date?", fragte Timi grinsend.
„Ja, hat er", antwortete Benni an meiner Stelle. „Und zwar in genau dreißig Minuten."
„Oh. Aber, ich bin noch gar nicht fertig und alles!"
„Du weißt doch, wo das Bad ist. Außerdem siehst du gerade nicht anders aus, als an jedem anderen Tag auch. Jetzt gib halt Gas, dann gehen wir los", sagte Benni und verdrehte die Augen. „Tussi..."


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