Kurz geblinzelt, schon stehen Haus und Hof in Flammen

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Bielefeld, Tims Haus
26. Juli 2015

Wenige  Stunden später wachte ich gerädert in meinem Bett auf, in dem außer  Lukas und mir noch eine hübsche Brünette lag. Eine weniger attraktive  Rothaarige lag außerdem noch auf dem Boden direkt neben dem Bett. Als  ich vorhin, nachdem ich glücklicherweise doch wieder einigermaßen in der  Realität angekommen war, in mein Bett wollte, hatte dieses Mädel auch  noch mit Lukas und der Brünetten darin gelegen. Da ich keinen Bock auf  irgendwelche Diskussionen hatte, hatte ich sie einfach, während sie  schlief, aus dem Bett gezogen und sie auf dem Boden abgelegt, um mir  selbst Platz darin zu machen.
Ich  streckte mich, kämpfte mich langsam hoch und stand dann auf. Das Zimmer  sah einfach furchtbar aus. Klamotten, leere Flaschen, Essensreste und  Kippenstummel lagen überall auf dem Boden und im Bett herum. Zudem hatte  irgendjemand in einer Ecke gegen die Wand gekotzt.
Angewidert  stieg ich über das Mädchen auf dem Boden hinweg und schwankte den Flur  entlang. Auch dort sah es nicht viel besser aus. Ich durchstreifte  einmal das ganze Haus und sah jede Menge weiteren Müll und hin und  wieder noch ein paar Spuren von Erbrochenem. Im Wohnzimmer auf der Couch  und auf dem Boden lagen schlafende Alkoholleichen, auch in den anderen  Zimmern waren noch vereinzelt Leute zu finden.

Während ich mich fragte, wie ich die ganzen Leute wieder loswerden  konnte und wer zur Hölle wieder ein Haus aus diesem Chaos machen sollte,  suchte ich mir eine Zigarette und setzte mich, nur in Boxershorts  bekleidet, auf die Bank vor meinem Haus, um zu rauchen und an der  frischen Luft ein bisschen klarer zu werden.
Ich  zündete die Zigarette an, inhalierte ein paar mal tief, legte dann  meinen dröhnenden Kopf zwischen meine Knie und schloss die Augen. Ich  glaube, so eklig wie in diesem Moment hatte ich mich noch nie zuvor  gefühlt. Aber das denke ich oft und toppe es dann doch beim nächsten Mal  wieder. Nachdem eine Welle der Übelkeit über mich hinweg geschwappt  war, ohne dass ich mich erneut übergeben musste, öffnete ich langsam die  Augen und sah mein Handy, das unter der Bank lag. Ich nahm es hoch und  sah mir die paar Nachrichten an, die eingegangen waren.
Lukas  hatte mir ein Foto geschickt, mit dem er mich wissen ließ, dass er  besseren Ersatz für die Ekelbraut von gestern gefunden hatte und doch  noch zu seinem Dreier gekommen war. Mehrere Leute hatten geschrieben,  dass sie gut Zuhause angekommen seien, dass die Party geil war und dass  ich mich melden solle, wenn ich am nächsten Tag wieder halbwegs lebte.  Außerdem hatte Zara geschrieben, dass sie heute nach Hause kommen würde. 
Was? Fuck.
Ich rieb mir die Augen und las die Nachricht noch weitere drei Male, bis ich richtig begriffen hatte, was da stand.

Zara, 0:02: Ok, ich wollte dich überraschen, aber ich halte es nicht aus. Kommen morgen Nachmittag zurück :) :) :)

Ich schaute auf die Uhr, die halb zwölf am Mittag zeigte und brach  augenblicklich in Panik aus. Wie in aller Welt sollte ich das Haus bis  heute Nachmittag in Ordnung bringen, ohne dass Zara irgendwas davon  bemerken würde, was heute Nacht hier abgegangen war?
Ich  schleppte mich durchs Haus und weckte jeden auf, den ich unterwegs  fand. Es waren größtenteils nur noch Menschen da, die ich kaum oder  nicht kannte, deshalb warf ich sie allesamt direkt raus. Am Ende waren  nur noch Lukas, Marcel und ich übrig.

„Gott Leute,  bitte. Wir müssen das hier in Ordnung bringen, bevor sie kommt", flehte  ich meine beiden völlig kaputt aussehenden Freunde an.
„Timi  schreib ihr doch einfach, dass du gefeiert hast. Sie kann doch noch  einen Tag zu ihrer Mutter gehen, bis du hier aufgeräumt hast", jammerte  Marcel.
„Ich  hab ihr aber versprochen, dass ich so etwas hier nicht mehr mache, das  geht nicht. Echt nicht. Ich hab mich in letzter Zeit sowieso nicht so  wahnsinnig gut verhalten, das wäre echt zu viel. Sie darf nichts davon  mitkriegen. Gar nichts."
„Es wäre aber wirklich einfacher, wenn du es ihr sagen würdest."
„Nein, ich hab ihr gestern geschrieben, dass ich TV gucke und früh schlafen geh. Ich hab sie angelogen."
„Aber wenn du ihr die Party verheimlichst, lügst du doch auch."
„Das  merkt sie dann aber nicht. Ich bin eh sozusagen gerade auf Bewährung  wegen diverser Sachen, ich kann mir bei ihr momentan echt keine weiteren  Ausrutscher erlauben."  

Schulterzuckend blickten sich Lukas und Marcel an und machten sich  gleich an die Arbeit. Die beiden waren einfach viel zu gut für diese  Welt. Und viel zu gut für mich.
Wir  räumten auf, wir rückten Möbel wieder an die richtige Stelle und  putzten eine gefühlte Ewigkeit. Wir waren alle drei am absoluten Ende  unserer Kräfte. Abwechselnd legten wir uns für ein paar Minuten irgendwo  hin, um unseren Kreislauf vorm Zusammenbruch zu bewahren, denn die  Temperaturen hatten auch heute wieder vierzig Grad erreicht. Lukas und  ich kotzten ab und zu noch, Marcel blieb davon verschont, da er es in  der Nacht nicht ganz so schlimm übertrieben hatte, wie wir.

Gegen sechzehn Uhr hatten wir es tatsächlich geschafft, das Haus einigermaßen normal aussehen zu lassen. Marcel hatte sich danach direkt verabschiedet, um zu Hause schlafen zu gehen. Lukas legte sich oben ins Gästebett und ich versuchte, mir mit einer kalten Dusche ein frischeres Aussehen zu verleihen, was mir nur bedingt gelang.

Zara kam eine halbe Stunde später an und begrüßte und küsste mich überschwänglich draußen vor dem Haus, wo ich nach der Dusche auf sie gewartet hatte. Ich setzte mein schönstes Fake-Lächeln auf und ließ diese Prozedur nur halbherzig über mich ergehen, da mir immer noch extrem schlecht war und ich aufpassen musste, dass ich ihr nicht vor die Füße kotzte.

„Na, du hast dich auch schon mal mehr gefreut", sagte sie und boxte mir leicht an die Schulter.
„Ich freu mich, mir ist einfach nur so furchtbar heiß."
„Mh ok. Komm wir legen uns da hinten unter den Baum in den Schatten und ich erzähl dir, wie es an der Nordsee war."

Eigentlich waren alles, was ich wollte, zwanzig Stunden Schlaf am Stück, aber es war ja gerade mal halb fünf am Nachmittag und offiziell gab es für mich keinen plausiblen Grund, um jetzt zu schlafen, also hörte ich mir ihren sehr, sehr langen Bericht an. Viel davon bekam ich allerdings nicht wirklich mit, da ich zu sehr damit beschäftigt war, die Übelkeit nicht die Überhand gewinnen zu lassen, außerdem schmierte mein Kreislauf mehrmals fast ab. Ich nickte oder grinste ab und zu an den gefühlt richtigen Stellen ihrer Erzählung und sie schien gar nicht zu bemerken, dass ich ihr kaum zuhörte. Währenddessen lag Zara in meinem Arm und unser Sohn schlief friedlich neben uns im Gras. Sie lag mit dem Kopf an meiner Schulter und streichelte ganz sanft meinen nackten Bauch. Jede Berührung von ihr hinterließ ein Brennen auf meiner Haut. Allerdings nicht im romantischen Sinne, eher war es richtig schmerzhaft.

„Ja, das müsste jetzt alles gewesen sein. Ich geh kurz rein, ich brauch  was zu trinken, mir ist so abartig heiß", sagte sie und stand auf.
„Ok, bleib nicht so lang weg", antwortete ich und grinste sie an. Dann war sie auch schon im Haus verschwunden.
Es  vergingen ein, zwei Minuten, dann bemerkte ich, wie sich mein  Herzschlag beschleunigte und ich hatte wieder Kreislaufprobleme. Ich  schloss kurz die Augen, atmete tief durch und versuchte mich dann  abzulenken, indem ich mir die Umgebung detailliert ansah und anhörte.  Der Wind wehte nur ganz leicht, er war kaum zu hören und man spürte ihn  kaum auf der Haut. Weiter weg vernahm ich leise das Plätschern des  Bachs, der sich ganz in der Nähe meines Grundstücks befindet. Ich sah  mir den wolkenlosen, tiefblauen Himmel an und die Vögel, die ganz weit  oben darin flogen. Weiter ging mein Blick zu den vielen Bäumen und  Büschen, von denen einer pink heraus stach.

Ich sah auf das weite Feld hinaus und auf den dichten Wald dahinter. Ich fragte mich, was Zara wohl so lange drinnen machte, sie wollte sich doch schließlich nur was zu trinken holen. Sobald sie wieder raus kommen würde, wollte ich mich ins Bett verabschieden. Ich könnte meine Müdigkeit ja auf eine beginnende Krankheit schieben oder so. Oder ich könnte ihr eben tatsächlich sagen, dass es gestern eine kleine Party gegeben hatte. Ich wusste ja schließlich nicht mal, dass sie heute zurück kommen würde, was war also eigentlich so schlimm daran? Schließlich war das immer noch mein Haus.

Ich drehte mich  um und betrachtete meinen Sohn, der selig im Gras vor sich hin  schlummerte. Ich zupfte an ein paar Grashalmen herum, sah mir die  Gänseblümchen an, den Löwenzahn und die vereinzelten lila Kleeblätter.  Meine Hand erstarrte und in meinem Kopf begann es, zu rattern. Seit wann  wächst lila Klee in meinem Garten? Und warum war eigentlich dieser eine  Busch vorhin pink? Ich setzte mich auf, schaute mir die Umgebung an und  suchte nach Dingen, die ebenfalls komisch aussahen. Spätestens, als ich  drei ungefähr zehn Zentimeter große, dicke Männchen laut lachend auf  mich zulaufen sah, wusste ich, dass bei mir gerade ganz gewaltig etwas  schief lief. Ich bekam Panik, extreme Panik und sah mich suchend nach  Zara oder Lukas um. Von beiden keine Spur. Mein ganzer Körper kribbelte  fürchterlich, als ob tausende Käfer darauf herumspazierten, mir brach  kalter Schweiß aus, mein Herz raste, mir war heiß und kalt gleichzeitig  und die Welt um mich herum nahm Farben und Formen an, die bald kaum noch  was mit der wirklichen Realität zu tun hatten. Zum ersten Mal in meinem  Leben hatte ich an diesem Tag, zum ungünstigsten Zeitpunkt, einen  Flashback, wo man einfach so, ohne erneut was einzunehmen, wieder voll  im Rausch drin ist.

Ich weiß nicht, ob es an meinem veränderten Bewusstseinszustand lag und es mir dadurch nur so vorkam, aber Zara schien schon stundenlang weg zu sein. Ich wurde extrem müde und sah auf meinen Sohn, der zum Glück nichts davon mitbekam, was bei mir gerade los war. Dann legte ich mich wieder auf den Rücken, starrte in den Himmel und sprach mir selbst gut zu, dass das alles gleich vorbei sein würde. Wenige Minuten vielleicht, dann würde alles wieder normal sein. In meinem Kopf waren viele verschiedene Stimmen zu hören. Neben meiner eigenen noch ein paar, die mich beschimpften, die mir sagten wie unendlich wertlos ich war, dass ich mal wieder komplett versagt hatte, dass ich Dreck war, der nicht ein einziges Mal für ein paar Wochen einfach normal existieren konnte. Ein paar wenige sprachen freundliche, nette, warme Worte und redeten mir gut zu. Die meisten jedoch sprachen ganz sanft und beruhigend. Sie sagten, es würde mir gleich viel, viel besser gehen, wenn ich mal kurz die Augen zumachen würde. Für fünf Minuten einschlafen und dann würde wieder alles normal sein. Diese Stimmen rückten immer mehr in den Vordergrund, ihr Ton war ermüdend, einschläfernd, hypnotisierend und ich konnte mich nicht dagegen wehren. Mein Körper wurde schwerer und schwerer, dann fielen mir die Augen zu.

In der nächsten Sekunde hörte ich Zaras Stimme und spürte, wie sie mich an der Schulter schüttelte.
„Wo ist er, Tim?"
„Was? Wer?"
„Dein Sohn."
„Liegt doch neben mir."
„Da liegt er nicht."
Ich  setzte mich langsam hin und blickte in Zaras Gesicht, in dem sich  langsam ein besorgter Blick zeigte, während sie sich umschaute.
„Tim, verdammt. Warum ist er nicht mehr da? Du warst doch die ganze Zeit daneben. Wo ist er?"
Ich  schaute mich suchend um und konnte ihn weit und breit nicht entdecken.  Ich hatte doch nur eine Sekunde die Augen zu? Die Farben der Umgebung  stimmten immer noch nicht so recht mit der Realität überein und auch  Dinge, die es unmöglich wirklich hier geben konnte, standen immer noch  da. Zara schaute mir skeptisch in die Augen und ich versuchte ihrem  Blick mit meinen umher zuckenden Pupillen verzweifelt stand zu halten.
„Tim.  Du bist drauf. Du bist drauf, verdammt. Hast du dir eben, in den  fünfzehn Minuten als ich im Haus war und du auf deinen Sohn aufpassen  solltest, was eingeschmissen?"
„Nein, ich schwöre. Ich hab heute nichts genommen."
„Du  bist völlig drauf! Das kann doch echt nicht dein Ernst sein." Sie gab  mir einen kräftigen Stoß nach hinten und rannte, den Namen unseres Sohns  rufend im Garten herum, während sich um mich alles drehte und mein  Körper mir nicht mehr gehörte.
Kurz darauf hörte ich auch Lukas, der mitbekommen haben musste, dass hier draußen etwas nicht stimmte, nach meinem Kind rufen. 
Als  ich mich wieder setzte, sah ich meinen Sohn leblos in der Nähe des  Hauses liegen. Ich sah Zara über ihm, die verzweifelt versuchte, ihn  wiederzubeleben. Lukas stand daneben, eine Hand in den Haaren, die  andere an seinem Handy, welches er sich ans Ohr hielt. Es waren Begriffe  aus seinem Mund zu hören wie: Wasser, atmet nicht, bewusstlos, blau...
In  der nächsten Szene standen Krankenwagen und Notarzt vor meinem Haus,  Zaras alles erschütterndes Weinen war zu hören, viele Menschen, die alle  durcheinander sprachen...
Ich  sah mir das ganze Geschehen bewegungslos und schockiert an. Ich wollte  etwas sagen, wollte mich bewegen, aber ich war starr. Ich konnte nicht.  Es ging nicht. Als der Notarzt sich um Elias kümmerte, lief Zara auf  mich zu. In ihrem Gesicht ein Blick, den ich noch nie bei ihr gesehen  hatte. Ein Blick, den ich auch nie wieder sehen wollte. Sie sagte  nichts. Sie holte aus und schlug mir mit der Faust mit aller Kraft, die  sie hatte ins Gesicht und brach mir meine Nase und mein Herz.
Dann  rannte sie zurück und stieg in den Krankenwagen. Ich spürte, wie mir  das Blut aus dem Gesicht, über den Oberkörper lief. Ich spürte einen  extremen Schmerz, aber ich wusste, dass ich ihn verdient hatte. Ich  hatte meinen Sohn auf dem Gewissen. Ich hatte ihn getötet. Er war tot  und es war meine Schuld. Lukas kniete vor mir und sah mich nur geschockt  an. Als er mich an der Schulter berühren wollte, stieß ich seine Hand  weg.
„Verdammt,  kümmere dich nicht um mich. Fahr mit ihr mit", flüsterte ich ihm zu. Er  sah zwischen meinem blutüberströmten Körper und dem Krankenwagen hin  und her, dann stand er endlich auf und stieg zu Zara in den  Krankenwagen.
Das  Blaulicht wurde schwächer, die Sirenen entfernten sich und ich lag im  Gras, ließ mein Blut laufen und wusste, dass ich das nie wieder gut  machen könnte. Ich hatte es versaut. Wieder einmal.  

Bielefeld, Tims Haus
16. Dezember 2015 

Nach  Luft schnappend und mit rasendem Herzen schreckte ich aus meinem  unruhigen Schlaf auf. Lukas schnarchte mit dem Kopf im Nacken neben mir,  der Fernseher lief immer noch und der Abspann des Films, den wir vorhin  angefangen hatten, lief gerade durch. Ich sprang von der Couch, rannte  den Flur entlang und riss die Tür zum Kinderzimmer auf. Ich schaute in  das hübsche, kleine Gesicht meines schlafenden Sohnes und ließ mich dann  langsam auf den Boden neben seinem Bett sinken. Den Rest der Nacht  verbrachte ich auf diesem Boden und starrte hellwach an die Decke,  während meine Hand auf meinem hämmernden Herzen lag. Ich lauschte jedem  einzelnen Atemzug von Elias und wollte keinen einzigen davon verpassen.

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