Kapitel II

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Ich verstehe nicht was vorgefallen ist, was dich so in Angst versetzt.

Im letzten Jahr hat Papa bei einer Wohnungsauflösung ein paar Stiche aus dem 18. Jahrhundert ergattert. Einer von ihnen hatte dich besonders fasziniert. Du beschriebst ihn mir damals am Telefon als besonders kunstvoll. Er sei voller Details und so realitätsgetreu, dass man meinen konnte das abgebildete Tier stünde direkt vor einem. Dass es sich bei dem Tier um einen Wachhund handelte, könne man an seiner Kette und dem grimmigen Gesichtsausdruck erkennen. Laut Inschrift höre das Tier auf den Namen Canus Abendheim, was nicht besonders einfallsreich sei, denn Canus bedeute übersetzt Hund. Du erzähltest mir dass auf dem Bild vermerkt sei wann Canus verstarb. Am 24.12.1772. Papa vermute, dass es sich bei der Grafik um das Gedenkblatt für einen verblichenen Hofhund handelt. So etwas gab es schon damals nicht häufig. Heute war es eine absolute Rarität.

Bis zu ihrem plötzlichen Verschwinden, etwa zur Zeit meiner Geburt vor dreißig Jahren, waren die Abendheims ein Schwergewicht des gesellschaftlichen Lebens unserer Stadt gewesen und hatten über viele Generationen ein pompöses Anwesen unterhalb des Ührder Bergs bewohnt. Seit vielen Jahren schon stritten sich Politik und Bürgerinitiativen um den Erhalt der leer stehenden Villa. Zuletzt hörte ich, dass sie abgerissen werden soll.

Auch wenn der Hund etwas grimmig aussah, gefiel euch das Bild so gut, dass ihr es spontan für euch behieltet. Es bekam einen Platz im Treppenflur wo bereits Familienfotos aus vielen Jahrzehnten und diverse heimatlich angehauchte Grafiken hingen.

Deine Lebensgeister erwachen wieder zum Leben. Den freigeschaufelten Pfad über die Wiese kannst du allein bewerkstelligen.

„Ich koche uns einen Tee. Zum Auftauen."

Bevor ich das Haus durch den Wintergarten betrete drehe ich mich noch einmal zu dir um. Du stehst noch immer vor dem Gartenhaus. Abwartend. Du möchtest, dass ich ins Haus gehe und mich davon überzeuge, dass alles in Ordnung ist.

Meine Schritte setze ich entschieden, doch mein Denken ist zaghaft und mahnt mich zur Vorsicht. Was hast du mit dem Hund, Mama? Was ist hier los?

In der Küche fülle ich den Wasserkocher auf und schalte ihn ein. Den Tee finde ich in einem der Oberschränke, das Sieb in der Schublade. Als ich mich herunter beuge um die Porzellankanne aus dem Unterschrank zu nehmen, höre ich das Jaulen. Erst ganz leise, dann zunehmend lauter.

Ich stelle die Kanne auf die Arbeitsplatte und gehe hinüber ins Wohnzimmer.

Canus Abendheim ist nicht zu übersehen. Ihr habt ihn direkt über das Sofa gehängt. Obwohl die Grafik zusammen mit dem Rahmen nicht größer als eine aufgeschlagene Zeitung ist, scheint sie das ganze Zimmer einzunehmen.

Wieder höre ich ein Jaulen, dann ein Knurren. Es klingt dumpf, verzerrt, wie mit einem dicken Tuch verhängt. Ich schaue auf meine Schuhe, taste den Teppich mit den Augen ab. Kamen die Geräusche von dort unten?

Aus dem Keller? Oder aus den Wänden? Das tierische Hecheln scheint überall und nirgends zu sein.

Ich schaue das Bild an. Es macht mir Angst.

Dann ein Winseln. Sehr leise. Fast flehend.

Und ich verstehe.

Hinter mir ein Rascheln. Ich drehe mich um. Du stehst im Türrahmen und starrst auf Canus Abendheim.

„Es ist das Bild. Es ist der Hund. Er quält mich. Er quält deinen Vater. Er hat ihn gezwungen das Bild wieder mitzunehmen und hier aufzuhängen!"

Du läufst in die Küche. Ich höre dich schluchzen: „Was will diese Bestie? Oh, mein Gott, was will diese Bestie von uns?"

Nur ein paar Schritte und ich bin bei dir. Ich nehme dich in den Arm und halte dich ganz fest. Dein schmaler Körper bebt.

Ich flüstere dir ins Ohr.

„Ich werde kurz wegfahren."

Mit einer ungelenken aber kraftvollen Bewegung stößt du mich von dir.

„Nein! Lass mich bitte nicht allein!"

Jetzt bist du es, die mir über die Wange streichelt.

„Das Bild, Mama. Ich nehme es mit!"

Dein Gesicht hellt sich auf. Du lächelst.

Wir trinken Tee. Dann hole ich aus der Wäschekammer ein großes Bettlaken. Zurück im Wohnzimmer nehme ich das Bild von der Wand und schlage es darin ein. Du schneidest mir ein langes Stück Paketschnur von der Rolle. Damit umwickele ich das Paket so fest ich kann.

Du wirkst entspannt und wie verwandelt, als ich das Haus verlasse und das Bild in den Kofferraum meines Wagens lege. Ich winke dir zum Abschied zu.

Im Radio laufen die aktuellen Charts. Ich drehe den Ton lauter. So laut, dass die Musik das Winseln im Kofferraum übertönt.

Die Straßen in der Siedlung sind vereist. Ich kann nur im Schritttempo fahren. Zu allem Überfluss beginnt es wieder zu schneien.

Nach nicht einmal fünfzehn Minuten parke ich den Wagen vor dem Grundstück der Abendheims. Das Zugangstor ist mit mehreren armdicken Eisenketten versperrt. Ich hole das Bild aus dem Kofferraum und laufe ein Stück an der Mauer entlang in den angrenzenden Wald. Hier liegt der Schnee nur wenige Zentimeter hoch.

An einer Stelle wo die Mauer einen Knick macht sind mehrere Steine heraus gebrochen. Hier will ich versuchen hinüberzusteigen. Meine Kletterkünste überraschen mich selbst.

Der Schnee fängt mich weich auf. Das Bild liegt drei Armlängen von mir entfernt. Ich hoffe, dass es unversehrt ist. Keine Ahnung wie es dort hingekommen ist. Ich spüre wie meine Hose am Hintern feucht wird. Ich sollte aufstehen.


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