17 - Der feige Soldat

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Er klang nicht sauer oder verletzt.

„Hey, Shivan", sagte ich, denn mit dieser Art der Begrüßung hatte ich nicht gerechnet. Viel eher hatte ich mich darauf eingestellt, dass er nicht abnahm, denn ich wäre an seiner Stelle nicht drangegangen.

„Was gibt's?", fragte Shivan. Ich hörte Wind rauschen, hörte ihn ein- und ausatmen.

„Was machst du?"

„Ich treff'n Kumpel", erzählte er. „Aber ich bin noch nicht da, ein bisschen Zeit hab ich also noch."

Er war auf dem Weg zu einem Freund. Keine Ahnung, ob ich erwartet hatte, dass er traurig in seinem Zimmer saß oder so, aber irgendwie störte es mich, dass der Vorfall am Samstag sein Leben in keinster Weise zu beeinflussen schien.

„Ähm, okay. Viel Spaß dann mal. Ich wollte nur wissen, ob du Samstag gut nach Hause gekommen bist", sagte ich in gleichbleibender Tonart.

„Hat ein bisschen gedauert, aber als ich den Bahnhof erstmal gefunden hatte, hat alles geklappt", erwiderte er und klang dabei auch nicht so motiviert wie sonst immer.

Belastete ihn der Vorfall vielleicht doch?

Irgendwie würde ich gerne darüber reden, aber nicht am Telefon. Dafür war das Thema viel zu persönlich.

„Gut", sagte ich und verabschiedete mich, statt ihn nach einem weiteren Treffen zu fragen. Bestimmt hatte er keine Lust und wollte mich gar nicht mehr wiedersehen. Es war nachvollziehbar, immerhin hatte ich mich wie ein absolutes Arschloch verhalten. Wahrscheinlich sprach er auch jetzt nur aus Höflichkeit mit mir.

„Warte kurz", hielt Shivan mich zurück. Im Hintergrund fuhr ein Krankenwagen vorbei, die Sirenen kamen näher, schrien durch den Hörer in mein Ohr und entfernten sich wieder. „Es tut mir leid, dass ich dich am Samstag einfach geküsst hab'. Ich wollte nichts tun, wodurch du dich irgendwie scheiße fühlst, okay, ich hätte nicht gedacht, dass das für dich so 'ne große Sache ist. Kannst du mir das verzeihen?"

„Dann war es für dich keine große Sache?", fragte ich vielleicht ein bisschen zu schnell.

Shivan lachte.

„Nein, Mann, überhaupt nicht."

Nein. Überhaupt nicht.

Überhaupt nicht.

Es war keine große Sache für ihn gewesen, wahrscheinlich war es überhaupt keine Sache für ihn gewesen. Wahrscheinlich stand er nicht mal auf mich, sondern küsste wahllos irgendwelche Leute, wenn ihm gerade danach war.

Ich war so ein Trottel.

„Ich muss jetzt auflegen", sagte ich, nahm das Handy von meinem Ohr und drückte mit zitternden Fingern auf den roten Hörer.

Mein Handy vibrierte nur eine Sekunde später. Shivans Name leuchtete mir auf dem Display entgegen, aber ich ging nicht ran. Wartete einfach, bis mein Handy wieder verstummte und starrte dann den Sperrbildschirm an, der mir von einem verpassten Anruf berichtete. Noch ein wenig später ging eine Sprachnachricht von Shivan ein, aber ich hörte sie nicht an. Ich legte mein Handy bei Seite und widmete mich Call of Duty, denn der Scheiß hatte mich noch nie enttäuscht.


Am nächsten Nachmittag gingen Syl und ich in den Wald. Wir hatten die Luftgewehre dabei und steuerten wie immer die einsame Lichtung an, auf der die durchlöcherten Blechdosen auf uns warteten. Am Morgen hatte es noch geregnet und jedes Blatt, das ich streifte, gab Feuchtigkeit an meine Klamotten ab.

„War's das jetzt eigentlich mit Shivan und dir?", fragte Syl, als wir mit den Gewehren in der Hand nebeneinander standen. Er hatte diese Frage wirklich lange zurückgehalten, das musste ich ihm lassen.

„Weiß nich'", sagte ich. Shivans Sprachnachricht hatte ich mir noch immer nicht angehört. „Ich hab' ihn nochmal angerufen ..."

Syl wandte mir den Blick zu.

„Echt? Und?"

Ich konzentrierte mich auf die Dose vor mir, zielte, schoss und traf.

„Er sagt es hat ihm nichts bedeutet. Der Kuss."

„Hat er nicht?", wiederholte Syl.

Ich schüttelte den Kopf.

„Und du bist dir sicher, dass das stimmt, und er das nicht nur gesagt hat, weil du ihn abblitzen lassen hast?"

Diesmal schaute ich Syl an, während er zielte, schoss und verfehlte.

Wenn ich es recht bedachte, hätte ich wohl so gehandelt an Shivans Stelle. Ich hätte so getan, als wäre es keine große Sache gewesen und alles runtergespielt. Aber Shivan war nicht ich und er hatte schon am Samstag deutlich gesagt, dass nichts dabei sei.

„Ja", sagte ich daher und hob das Gewehr wieder an. „Ja, ich bin mir sicher."


Es herrschte Funkstille und mein Leben ging seinen gewohnten Gang. Ich bekam noch ein paar schlechte Klassenarbeiten zurück, nur die in Englisch war eine Zwei. Am Samstagabend übernachtete ich bei Syl. Nachdem wir Tiefkühlpizza zu Abend gegessen hatten, etwas, das es bei mir Zuhause nie gab, legten wir uns mit einer Tüte Chips auf die Couch und schauten einen Film. Besser gesagt den ersten Film einer ganzen Reihe, denn wir hatten vor uns heute Nacht sämtliche Teile von Fast & Furious reinzuziehen.

Wir waren gerade beim zweiten Film an der Stelle angekommen, an der Brian und Pearce in der Lagerhalle ihre GPS überwachten Wagen gegen die fürs Rennen tauschten, als mein Handy vibrierte. Ich holte es aus meiner Hosentasche und erblickte Shivans Namen auf dem Display.

Warum rief er an? Es war elf Uhr nachts.

Syl verrenkte sich, damit er ebenfalls einen Blick auf mein Display werfen konnte.

„Geh schon ran, worauf wartest du noch?", sagte er und dann, als ich nichts tat, zog er den grünen Hörer nach oben und drückte mir das Smartphone ans Ohr.

„Hallo?", brachte ich hervor, während Syl den Fernseher leiser stellte.

„Ich hab' von Anfang an gesagt, dass du kein guter Sniper bis'", sagte Shivan irgendwie undeutlich. „Was für'n Soldat wills'n bitte sein mit der Einstellung, he?"

„Was?", fragte ich.

Syl rutschte sehr nah an mich heran, um mithören zu können. Sehr nah. Er drückte sein Ohr von der anderen Seite gegen mein Handy und ich rutschte von ihm weg. Enttäuscht verschränkte er die Arme und zog eine Schnute.

„Du bis'n Feigling, Alter, 'n richtiger Feigling!" Irgendjemand im Hintergrund sagte etwas und Shivan hielt das Handy ein wenig von seinem Mund weg, ehe er erwiderte: „Halt die Fresse, verpiss dich!" Dann wandte er sich wieder an mich. „'n Feigling", wiederholte er.

„Geht's dir gut?", fragte ich und zog die Augenbrauen zusammen.

„Nein. Nein, Alter. Was ignoriers' du mich einfach?"

Scheinbar hatte es ihm doch was bedeutet. Oder? Oder ging es hier nur um die Sprachnachricht, die ich mir nicht angehört hatte?

„Ich ... mach ich doch gar nicht", widersprach ich und drehte mich von Syl weg, der mich Chips essend interessiert beobachtete, als sei ich der Film.

„Doch!", widersprach er sehr deutlich.

„Ich dachte, der Kuss sei keine große Sache gewesen", wagte ich den Vorstoß.

„War's ja auch nich', aber deine Reaktion, die schon! Ich hab dir nichts getan, nichts, und du weichs' vor mir zurück als sei ich'n Monster oder so. Weißt du eigen'lich, wie scheiße sich das anfühlt, hm?"

Seine Stimme war lauter und schiefer als sonst, von dem entspannten Typen, den ich kannte, war gerade nichts mehr übrig.

„Ich wette, er ist besoffen", sagte Syl, der scheinbar trotzdem jedes Wort zu hören schien. Schnell stellte ich die Lautstärke des Gesprächs runter.

„Bist du betrunken?", fragte ich Shivan dennoch.

„Nein!", erwiderte er heftig. „Vielleicht. Aber is' doch egal jetz', sag was dazu, verdammt!"

„Tut ... tut mir leid, ich wollte dir nicht das Gefühl geben ein Monster zu sein", murmelte ich und würde am liebsten Syl aus seinem eigenen Zimmer verbannen. Stattdessen stand ich auf und ging schnellen Schrittes durch den dunklen Flur ins Badezimmer, wo ich mich auf den Rand der Badewanne setzte.

„Ich dachte, du magst mich!", sagte Shivan.

„Sollen wir da nicht lieber wann anders drüber reden?"

„Nein, nein! Wir reden da jetz' drüber, genau jetz'!", verlangte er. Im Hintergrund raschelte etwas.

Ich hielt dieses Gespräch nicht unbedingt für eine gute Idee, aber Shivan jetzt abzuwimmeln brachte ich nicht übers Herz.

„Sag jetz'!", vernahm ich seine fordernde Stimme.

„Natürlich mag ich dich", brachte ich leise über die Lippen. Es stimmte, aber die Worte auszusprechen war nicht einfach. Denn was bedeutete dieses Mögen? Ich mochte ihn anders als Syl, oder nicht? Und er mich?

„Aber?", fragte er. Es raschelte lauter, Shivan fluchte.

„Alles gut?"

„Ja, ja. Sag jetzt'!"

„ ... aber du hast mich überrumpelt. Das ... wir kennen uns doch noch gar nicht richtig, verstehst du? Ich hab einfach ... wirklich nicht damit gerechnet und ... keine Ahnung, was ich davon halte."

Schweigen.

Rascheln.

Schweigen.

„Shivan?"

„Hm? Ja ... Sorry. Ach, keine Ahnung, vergiss es einfach", nuschelte er.

„Was? Nein. Warum jetzt plötzlich?"

Ich vermutete, dass er gerade die Schultern zuckte.

„Sollen wir nicht vielleicht doch persönlich darüber reden?", versuchte ich es erneut, denn das hier hatte wirklich keinen Sinn und würde nirgends hinführen.

„Weiß nich' ..."

„Ich ... ich komm morgen vorbei, okay?", bot ich an, denn wenn ich ehrlich mit mir selbst war, wollte ich dieses Gespräch auch. Ich wollte wissen, was das hier war, ich wollte herausfinden, was es für mich war. Und bis nächstes Wochenende wollte ich die Unwissenheit nicht mit mir herumschleppen. Wollte nicht, dass Shivan weiter darunter litt, dass ich ihn schlecht behandelt hatte, das war nicht fair.

„Wenn du willst ..."

Ich würde gar nicht erst nach Hause gehen, dann konnte meine Mutter mich auch nicht aufhalten. Direkt von Syl aus würde ich zum Bahnhof fahren, mir ein Ticket ziehen und zu Shivan fahren.

„Will ich! Bis morgen und pass auf dich auf, okay?"

„Okay. Bis morgen."

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro