1 - Schattenspiele

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

˚☾⋆

Calebs Zunge schmeckte nach Tabak und Weizenschnaps.

Angewidert schob ich ihn von mir weg, doch sein Arm, der mich um meine Schultern umklammert hielt, wollte mich nicht freigeben. Noch immer wurde ich an seine Flanke gepresst. Unsere Gesichter waren sich so nahe, dass ich seinen warmen Atem riechen konnte.

Das Fest zur Sommersonnenwende war in vollem Gange und ich hatte einmal mehr über meinen Durst getrunken. Nicht, weil ich die Konsequenzen meines Handelns nicht fürchtete, sondern, weil ich für eine Nacht verdrängen wollte, wer ich war. Das süsse Vergessen im Apfelwein hatte mich in eine angenehme Wärme gebettet, weshalb ich mich vom Fest entfernt hatte, um es mir auf einem einsamen Strohballen gemütlich zu machen und, um hier auf meine Verabredung zu warten.

Leider hatte mich Caleb entdeckt und sich mit der Erwartung zu mir gesetzt, dass wir in sicherer Entfernung des Festes, im Schutze der langen Schatten, welche der Wald aufgrund der schwindenden Sonne auf uns warf, unserer Liebelei nachgehen konnten.

Nur war das überhaupt nicht meine Absicht gewesen.

Sein Griff um meine Schultern verstärkte sich, sodass ich gezwungen war, mein Gesicht in seiner Halsbeuge zu vergraben. Sein Geruch nach Heu und Pferdemist drang mir augenblicklich in die Nase. Caleb kuschelte seine Wange in meine Haare, die ich zu Ehren unserer Sonnengöttin ausnahmsweise mal offen trug. Sie reichten mir bis zur Taille.

„Bitte", wurde mir an die Kehle gemurmelt. „Ich will mich im Stroh wälzen und Dinge mit dir anstellen, die so obszön sind, dass man sie besser nur in der Dunkelheit tut."

Er schob meine Strähnen zur Seite, legte seine Lippen auf meinen exponierten Hals und küsste meine Haut. Seine verlockenden Worte und seine Zärtlichkeiten lösten heute allerdings keinen angenehmen Schauer in meinem Körper aus, sondern liessen meine Abneigung ihm gegenüber nur weiter ansteigen.

„Nicht heute Nacht", murrte ich.

Bei Solas Gnade, ich verspürte keine Lust! Weder auf das Leben in diesem verflucht beengendem Tal, noch auf ein Schäferstündchen mit Caleb.

„Selbst Sola wird vor Schock die Augen verschliessen müssen, weil es so anstössig sein wird, was ich—"

„Ich habe gesagt, nicht heute, Caleb!"

Mit den Händen schob ich ihn energischer von mir, sodass sich unsere Körper endlich voneinander lösten. Eine Mischung aus Enttäuschung und Empörung machte sich in seinen graugrünen Augen breit. Ich rutschte von dem lüsternen Mann weg und strich meine Kleidung glatt. Wenn mich mein Vater hier mit Caleb sehen würde, dann wäre der Abend sowieso gelaufen. Dann wäre die ganze Woche oder vielleicht sogar der ganze Monat ruiniert.

Ich wollte meine Freiheit geniessen und gewiss nicht so schnell wieder aufs Spiel setzen! Die Sache letzte Nacht in Calebs Scheune war ein Ausrutscher gewesen. Ein verdammt dummer Ausrutscher!

„Komm schon! Sonst zierst du dich auch nie so!", quengelte er.

„Ich warte hier auf Aurora, wenn ich dich erinnern darf." Die Worte knurrte ich förmlich, was die Giftigkeit unterstrich, mit welcher ich sie meinte.

Caleb umgriff mein Handgelenk und dirigierte meine Hand zwischen seine Beine, auf die ziemlich beeindruckende Härte, die ich unter seiner braunen Wollhose ertasten konnte. Er pulsierte gegen meine Finger.

„Sprich nicht so mit mir", raunte er. „Ich werde hart, wenn du wütend bist."

Genervt entriss ich mich aus seinem Griff. „Caleb! Es ist dir und deiner Lust zu verschulden, dass ich dieses ekelhafte Zeug herunterkippen muss, also behalte deine Finger bitte bei dir!"

Caleb schien mich nicht zu hören, denn er platzierte seine Hand auf meinen Unterleib, ohne dass ich es wollte und fuhr mit seinem Daumen zärtlich darüber.

„Mich würde es nicht stören, wenn ein kleiner Balg in dir heranwüchse", murmelte er. „Ich fände das sogar schön, weil dann wärst du endlich mein. Wir könnten eine Familie sein. Du und ich und der Kleine."

Mir entging nicht, wie ein verträumtes Lächeln über seine Lippen zog. Er musste über seine Denkfähigkeit getrunken haben.

„Lass es uns riskieren. Trink das Elixier nicht."

Er hatte definitiv zu viel gesoffen. Entsetzt sprang ich auf die Füsse.

„Nein, verflucht! Du weisst ganz genau, was passieren würde, wenn ich schwanger wäre!"

Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Meine Wut schien zu ihm vorzudringen und ganz besonders diese Worte wirkten immer wie ein Weckruf. Caleb kannte schliesslich meine Familie. Ergeben lehnte er sich vor und stützte seine Ellbogen auf den Knien ab. Ein finsterer Schatten zog über sein Gesicht.

„Verzeih mir", sagte er und vergrub seine Finger in den strohblonden Haaren. „Ich dachte halt, dass ich mit deinem Vater sprechen und um deine Hand anhalten könnte, wenn du wirklich—"

Er sprach es nicht aus, aber wir beide wussten was er meinte: Die wahrscheinliche und sehr ungewollte Folge jenes Missgeschickes, das uns gestern in der Scheune zwischen sehnsüchtigen Küssen und brennender Lust passiert war.

„Vielleicht lässt er ja mit sich reden. Er kennt mich und weiss, dass ich ein guter Mann wäre."

Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Das tat Caleb immer. Erst trieb er es zu weit und liess mich alles riskieren und danach kam er mit einer Entschuldigung oder einem schlecht ausgedachten Lebensplan angekrochen, der weit entfernt davon war, jemals Realität zu werden.

„Wir zwei haben keine Zukunft. Das weisst du."

Meine Stimme war merkwürdig distanziert, als ich das sagte. Ich klang schon beinahe wie mein eigener Vater. Caleb schnaubte und verbarg die Verletzung, die meine Worte in ihm verursachten, indem er sich von mir wegdrehte.

Er knirschte mit den Zähnen. „Weil es nicht das ist, was Mr. Gleamridge will."

„Genau."

„Und weil wir bloss Nachbarn sind."

Ich nickte, obwohl sich etwas in meinem Herzen dagegen sträubte. „Bloss Nachbarn."

In einem anderen Leben wären wir vielleicht sowas wie Verliebte gewesen. Nicht aber in diesem Tal.

Caleb starrte einen Moment lang zu Boden, dann erhob er sich, klopfte seine Mütze am Oberschenkel ab und platzierte sie sich wieder auf seinem Haupt. Er sah damit so sehr wie der liebevolle und aufmerksame Bursche aus, als welchen ich ihn kennen und mögen gelernt hatte. Der Sohn des Weizenbauers, der nie gut genug für mich sein würde. Die einzige gute Seele im Tal.

Seufzend stand ich auf.

Sein Mund verzog sich nach unten. Ich kannte diese Miene. Caleb war nicht glücklich und es gab nichts, was ich an seinem oder an meinem Schicksal hätte ändern können. Sola hatte für uns beide andere Pläne.

Ich blieb regungslos stehen, während Caleb einen Schritt nähertrat und mir ins Gesicht blickte. Seine Augen glänzten sehnsuchtsvoll. Er senkte den Kopf zu mir herab und hauchte mir einen Kuss auf die Braue.

„Faye", flüsterte er. „Du bist die Quelle meines Glücks und das wirst du immer sein. Dein Vater wird das nicht ändern können. Ich hoffe, du weisst das."

Ich presste meine Lippen aufeinander und schloss die Augen. Liebend gerne hätte ich mich in seine Zärtlichkeit gelehnt, mich in seinen Armen verloren, denn seine Berührungen fühlten sich manchmal wirklich so an, als läge ihm etwas an mir. Als wolle er mich hüten, mich beschützen, mir ein Leben bieten, das mich glücklich machen würde. Aber ich durfte es nicht. Ich war für grössere, wichtigere Dinge bestimmt — für einen grösseren, wichtigeren Mann.

Mein Kinn zitterte, als ich ihm den Dolchstoss ins Herz verpasste.

„Es ist besser, wenn du dir eine andere suchst und dich darauf gefasst machst, mich zu verlieren. Vater will nächste Woche mit der Vermittlung beginnen."

Caleb schwankte einen Schritt zurück. Diese Kleinigkeit hatte ich noch nicht verraten, aber nun war sie raus: Die nackte, schmerzvolle Wahrheit. Meine Zeit war gekommen.

Seine grünen Augen, die mich schon immer mit so viel Bewunderung und Wärme betrachtet hatten, besonders dann, wenn wir uns hemmungslos im Heustall geliebt hatten, verhärteten sich zu grauen Steinen.

„Du hast recht. Ich sollte mir eine Frau suchen, die von gleicher Abkunft ist." Er hob die Hand an seine Mütze, deutete ein Nicken zum Abschied an. Sein Ausdruck war unglaublich kalt. „Schönen Abend, Miss Gleamridge."

⋆☽˚。⋆

Der Apfelwein in meinem Becher schwankte stark, als ich meine Fussspitze an einem Stein anschlug und beinahe Gesicht voran auf die Erde krachte. Mein Gleichgewichtssinn schaltete sich jedoch rechtzeitig ein und ich konnte mich mit schwingenden Armen gerade noch auffangen. Allerdings verschüttete ich die Hälfte meines Getränkes, für das ich so lange an der Schenke hatte anstehen müssen.

„Mist verdammter!", fluchte ich.

Bevor ich noch den Rest meines Weines verlieren würde, kippte ich mir die goldene Flüssigkeit in den Rachen. Die Welt drehte sich vor meinen Augen, liess mich von einer Seite zur anderen torkeln. Unsanft krachte ich gegen die kalten Steine der Trockenmauer und sank zu Boden. Den Becher warf ich in einem hohen Bogen in die Wiese.

„Blöde Sommersonnenwende!", stiess ich aus. „Und blödes Tal! Und noch blöderer Caleb!"

Den letzten Teil rief ich etwas laut, aber ich stand am Rande eines Zusammenbruchs. Nachdem Caleb gegangen war und ich fürs Nachfüllen auf die Schenke zugesteuert war, hatte ich seine vorwurfsvollen Blicke gefühlt wie Mistgabelstiche. Es war verständlich, dass er mich verfluchte und mich womöglich zu Belial wünschte, aber was konnte ich dafür, dass ich vor langer Zeit einem anderen, sehr wohlhabenden Kerl am anderen Ende unseres Reiches versprochen worden war? Es war ja nicht so, dass ich das entschieden hätte. Wie alles in meinem Leben.

Die Eskapaden in Calebs Stall waren für mich schon immer eine willkommene Flucht vor dieser dräuenden Bestimmung gewesen. Meine eigene kleine Rebellion. Wenn ich schon nicht über mein Leben entscheiden konnte, dann immerhin über meinen Körper. Darum hatte ich damals Caleb meine Jungfräulichkeit und einen Teil meines Herzens geschenkt.

Mein Unterleib zog sich beim Gedanken an ihn, seine rauen Hände und was sie mit mir tun konnten, sehnsüchtig zusammen.

Mist!

Dieser verfluchte Apfelwein machte mich lächerlich bedürftig. Hätte ich doch nicht eine ganze Kanne davon heruntergekippt! Ich verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Beine an, um die steigende Lust darin abzuklemmen.

„Blöde Männer und ihre Schwänze!", grummelte ich.

Dumpfe Schritte liessen mich zusammenfahren. Jemand näherte sich.

„Dachte ich es mir doch, dass ich dich hier finden würde", sagte die Heilerin unseres Dorfes.

Aurora kam in ihrer hellgelben Robe auf mich zu. Ihr Lächeln war breit, warm und einladend wie jeden Tag und ihre goldenen, schulterlangen Haare wehten in der Brise. Das Licht der Abendsonne verfing sich darin wie Insekten in einem Spinnennetz.

Es war uns im Dorf ein Rätsel, wie sie es geschafft hatte, all die Jahre lang den Glanz ihrer Haare aufrechtzuerhalten. Meine Vermutung war, dass ihr Geheimnis in ihrem Kräutergarten lag, andere wisperten von Magie, aber keiner wusste es so genau, wie die siebzigjährige Dame und Dorfheilerin es geschafft hatte, das Versilbern ihrer Haare zu verhindern.

Aurora blieb drei Schritte vor mir stehen und blickte zu mir herab.

„Ich bin gerne hier", gab ich murmelnd zu und hoffte, dass ich nicht allzu betrunken klang.

Aurora spähte über die Mauer und den düsteren Wald, der sich hinter mir befand. Wenn es Nacht wurde, dann waren die Bäume noch furchtgebietender als bei Tag.

„Die dunkle Seite hat durchaus ihren Reiz", räumte sie ein und streckte mir sodann ihre Hand hin. „Aber besser du bewunderst sie nur von der Ferne."

Ich lachte heiser auf und nahm Auroras Angebot an. Sie half mir, mich auf die Beine zu hieven. Schwankend raffte ich mich auf, doch der Schwindel erfasste mich und wollte mich gen Erde reissen, weshalb ich mich mit einer Hand an der Mauer abstützen musste.

Auroras silbergraue Augen blieben auf meinen Fingern ruhen, die sich nach Halt suchend in die Steine krallten.

„Du fürchtest dich wirklich nicht davor", stellte sie fest.

Ich folgte ihrem Blick, tätschelte die rauen Steine und setzte ein Grinsen auf. „Es ist auch wirklich nur eine Wand. Aus Steinen. Aus sehr vielen Steinen."

„Mit schwarzer Magie verstärkt, die uns vor dem Mondvolk beschützt", fügte Aurora mahnend hinzu, als müsste sie mich daran erinnern.

Meine Augen rollten sich automatisch nach hinten. Die Schreckensgeschichten konnten meine Furcht nicht mehr nähren, denn die grösste Gefahr befand sich für mich längst nicht mehr ausserhalb dieser Grenze.

Ich machte eine lockende Handbewegung, um der Heilerin zu verdeutlichen, dass sie mit dem Trunk rausrücken solle.

„Jetzt gib schon her! Ich brauche deinen Ekeltrank, sonst gebäre ich noch einen Bastard und lande nächstes Jahr auf dem Scheiterhaufen."

Auroras freundliche Gesichtszüge wurden ernst. „Du weisst, dass ich nicht über deine Taten urteile, Faye, aber ich sehe es nicht gerne, wie du deine Würde dermassen mit Füssen trittst."

Ein Schnauben entkam mir und ich entriss der Heilerin das Glasfläschchen, in welchem eine schwarz-grüne Flüssigkeit schwappte.

„Sag das mal meinem Vater."

Als Bezahlung drückte ich ihr drei Münzen in die Hand. Aurora bedankte sich mit einer leichten Verbeugung. Das Geld stopfte sie in einen Beutel, in welchem es laut klimperte. Vermutlich war ich in dieser Nacht nicht die letzte Dame, welcher sie das Schattenelixier verkaufen würde.

„Warte bis zum nächsten Sonnenaufgang", wies mich Aurora an. „Du musst nüchtern sein und in Solas ersten Strahlen stehen, damit die Nebelblüte ihre Wirkung in deinem Mutterleib entfalten kann. Tust du es nicht, wird es zu spät sein."

Mein Blick richtete sich unwillkürlich in den Himmel. Die Sonne warf ihre letzten Lichter über die Himmelskuppel und tunkte die Wolken in ein kräftiges Orange. Ein Seufzen entfloh mir beim Gedanken, eine ganze Nacht warten zu müssen.

„Kann ich es nicht jetzt schon trinken?"

Ein Kopfschütteln. „Nein. Du musst meinen Anweisungen folgen, sonst wird es nicht wirken."

Ich seufzte in mich hinein. Na schön, dann musste ich eine Nacht lang ausharren. Wie schwierig konnte das schon sein?

„Werde ich", murmelte ich und wickelte meine Finger enger um das Fläschchen.

Aurora beäugte mich von Kopf bis Fuss, als wollte sie sich mein Aussehen einprägen. Seit ich sie das letzte Mal aufgesucht hatte, war eine beachtliche Zeit vergangen.

„Es war schön, dich zu sehen", sagte sie. „Die frische Luft tut deiner Gesichtsfarbe gut."

Meine Vermutung war zwar, dass die roten Wangen eher vom Apfelwein stammten, den ich mir in den Schlund gekippt hatte, aber ohnehin murmelte ich meinen Dank.

„Bleib hier nicht zu lange", meinte Aurora noch, ehe sie ging.

Ich nickte vor mich hin und sagte mehr zu mir selbst als zu jemand anderes: „Ja, ja, ich weiss. Gehe niemals in den Wald und lasse dich nicht von der Dunkelheit verführen. Bla, bla, bla ..."

Im selben Moment, als ich das sagte, hallte ein Wolfsheulen durch den Wald und liess mich erstarren. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Das Schattenelixier verschwand in der Tasche meines Kleides, als ich mich mit klopfendem Herzen der Trockenmauer zuwandte. Das Heulen war direkt von der anderen Seite gekommen — in unmittelbarer Nähe!

Meine Finger gruben sich in die Zwischenräume der Steine und mit geübten Handgriffen hievte ich mich die Mauer hinauf. Mir war durchaus bewusst, dass es verboten war. Das letzte Mal, als ich es gewagt und die Grenze erklettert hatte, war vor fünf Sommern gewesen und das hatte mich schlussendlich drei Monate meines Lebens und einen Backenzahn gekostet.

Ein viel zu hoher Preis für die Neugierde, die mich in dieser Nacht angetrieben hatte. Aber zu Belial mit den Verboten! Ich musste diesen Wolf sehen!

Das Heulen erklang abermals und ich war mir sicher, dass sich das Tier nicht weit von dieser Mauer befinden musste. Noch nie hatte ich es so nahe gehört!

Mit aller Kraft zog ich mich auf die Mauerkrone, schwang ein Bein darüber und dann stand ich auf dem höchsten Punkt — auf der Linie zwischen Mond und Sonne, zwischen Tod und Leben, zwischen Dunkelheit und Licht. Vorsichtig erhob ich mich zu meiner vollen Grösse, meine Arme ruderten, damit ich das Gleichgewicht nicht verlor.

Der Apfelwein rauschte durch meine Blutbahnen und erhitzte mein Gesicht, während mein Herz aufgeregt in der Brust trommelte. Ich warf einen hastigen Blick über meine Schulter. Das Fest zur Sommersonnenwende hatte soeben ihren Höhepunkt mit dem Feuer erreicht, das am anderen Ende des Dorfes gezündet wurde. Es zog die Menschenmassen dahin, weg von den Festständen und der Schenke hin zur ewigen Flamme des Lebens.

Keiner würde mich hier am Rande der Welt erspähen.

Tief ausatmend drehte ich mich wieder dem Wald zu. Ich konnte beinahe dabei zusehen, wie sich die Nacht über mich und die Bäume legte, wie sich die Schatten zwischen den knorrigen Stämmen ausbreiteten und alles in Schwärze tunkten. Ich legte den Kopf in den Nacken. Die Baumkronen schienen mich mit ihren langen, hängenden Ästen in die Arme nehmen zu wollen.

Meine Augen richteten sich nach vorne und schweiften über den Waldboden. So oft hatte ich mir hinter verschlossenen Türen vorgestellt, wie es sich anfühlen würde, über die weiche Erde voller Moos, Laub, Wurzeln und Ästen zu gehen. Ob der Boden im Wald genauso warm war, wie auf unseren fruchtbaren Feldern? Ob die Blätter meine Zehen kitzeln würden? Wie die Erde wohl roch? Ich sog die Nachtluft tief durch die Nase ein. Es duftete so herrlich würzig.

„Sing nochmal für mich", flüsterte ich.

Der Gesang der Wölfe war das Lied meiner Seele, denn es war ihr Heulen, das mir in den einsamen Stunden voller Angst und Schmerz Trost gespendet hatte. Wenn der Riegel der Tür einrastete und ich nicht wusste, wann ich die Sonne jemals wieder zu Gesicht bekommen würde.

Schon seit ich denken konnte, wollte ich einen Wolf mit eigenen Augen sehen.

„Bitte, es war so schön."

Niemand erhörte mich. Die Nacht blieb stumm.

Ich kniff die Augen zusammen und suchte das Gefilde weiter ab, denn so schnell würde ich nicht aufgeben. Vergebens probierte ich, durch das Schattenspiel und dem schwindenden Licht irgendwas zu erblicken.

Das Knicken eines Astes liess mich zusammenschrecken. Ich schwankte zur Seite, doch fing ich mich wieder auf.

Meine Instinkte waren plötzlich geschärft, der Apfelwein verdunstet.

Tief im Forst, dort, wo der Waldboden sich in einen steiler werdenden Hügel hob, sah ich einen Schatten. Ein grosser Schatten mit vier Beinen und einem goldenen Augenpaar, das mich fixierte.

Ein Wolf!

Mein Herz setzte einen Sprung aus.

„Bei Sola, bist du schön!"

Ohne nachzudenken trat ich einen Schritt nach vorne. Nur leider vergass ich, dass ich auf der Mauer stand und dass die hohe Krone nicht breit genug für einen zweiten Schritt war.

Jäh verlor ich den Boden unter meinen Füssen und stürzte Kopf voran auf die dunkle Seite.

─── ⋆。˚⭒⋆.☾⋆🌑⋆☽.⋆⭒˚。⋆ ───

Author's notes:

Faye wurde nicht unbedingt vom Glück gesegnet.

Was wird sie wohl auf der anderen Seite erwarten?

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro