10 - Klingentanz

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˚☾⋆

Ich wollte es glauben.

Alles davon.

Ich wollte jedes Wort für wahr halten und Lycan mein vollstes Vertrauen schenken, doch ich konnte es nicht. Ich konnte es nicht, weil ich den Hass in den Gesichtern seiner Dorfbewohner gesehen hatte. Die Wölfe hatten mich zwar akzeptiert, aber ihre Menschen ganz gewiss nicht. Es fiel ihnen schwer, mich überhaupt zu tolerieren. Sie wollten mich nicht dahaben und ich wusste, worin diese Art von Abneigung irgendwann gipfeln würde: in Gewaltsamkeit.

Hier war ich ebenso wenig sicher, wie in meinen eigenen vier Wänden.

„Uh, wie schön! Du hast deine Ausrüstung bekommen!", jauchzte Lyra und riss mich aus meinen Gedanken.

Ihre Wangen waren von der Hitze rötlich getönt. Sie strahlte und es war dieses vor Freude getränkte Gesicht, das den unruhigen Sturm in meinem Inneren legte. Ich rang mir ein Lächeln für sie ab.

„Anscheinend habe ich das." Mein Blick fiel auf meine Hände. Das Leder fühlte sich erstaunlich weich an. „Allerdings glaube ich, dass jegliche Mühe an mir verschwendet ist."

„An deinem Selbstbewusstsein werden wir arbeiten müssen", fuhr mich Thorne an. Er stand plötzlich hinter Lyra. „Es ist eine hässliche Eigenschaft, sich selbst runterzumachen. Kein Wolf wird das mögen."

Meine Freundin wirbelte herum, funkelte ihn an und obwohl sie drei Köpfe kleiner war als er, wich Thorne doch tatsächlich einen Schritt zurück. Seine ernste Miene verwandelte sich prompt in ein weiches Lächeln.

„Du hältst schön dein Schnäuzchen, mein Grosser", schnurrte Lyra und fuhr mit ihrer Hand über seine Brust, bis sich ihre Arme um seinen Nacken hakten. Thornes Augen verdunkelten sich. Seine langen Finger gruben sich in ihre Taille, als er sie näher zu sich zog.

„Lyra!", blaffte Lycan. Er sass bereits mit Faolan am Tisch. „Du bist ein Frischling und hast deinen Ausbilder nicht anzumachen. Ihr kennt die Regeln. Hände voneinander. Jetzt!"

Die beiden lösten sich aus ihrer Umarmung. Lyra schob ihre Unterlippe vor.

„Wir kannten uns aber schon vorher!"

„Trotzdem werde ich keine Liebeleien dulden. Zumindest nicht während des Trainings. Das fängt heute für dich nochmal von vorne an und damit auch deine Abstinenz."

Lyra sah plötzlich aus, als könnte sie Gift sprühen. Thorne liess ein Brummen hören, das alles andere als begeistert klang.

„Du bist so gemein!", klagte meine Freundin und ging widerwillig zum Tisch, um sich neben Faolan zu setzen.

Farkas lachte bauchig auf und für einen Moment schien die ganze Hütte deswegen zu beben. „Ihr zwei haltet es auch wirklich keinen Tag lang aus, ohne euch gegenseitig zu besteigen!"

„Versuch du mal ein normales Leben mit einem Seelengefährten zu führen, der einen so ausgeprägten Trieb hat wie Amarok!", kam es äusserst frostig von Thorne.

Farkas zuckte die Achseln. „Deine Selbstbeherrschung lässt zu wünschen übrig. Musst halt wieder zu mir ins Krafttraining kommen und die überschüssige Energie dort auslassen, statt an Lyra."

Meine Freundin gluckste. Es brachte sie keineswegs in Verlegenheit, dass offenbar alle über ihre sexuellen Abenteuer mit Thorne Bescheid wussten und nebstdem noch so offen darüber sprachen.

„Also ich habe nichts dagegen einzuwenden. Thorne darf sich liebend gerne an mir austoben", sagte sie und lachte in die Faust, als Lycan sein Gesicht angewidert verzog.

Während sich Farkas weiter über Thornes Virilität lustig machte und ich nur mit halbem Ohr zuhörte, liess ich mich neben Faolan nieder, der mir extra einen Sitzplatz auf der Bank freigelassen hatte. Er lehnte sich zu mir, bis seine Locken beinahe meine Wangen streiften.

„Ich hoffe echt, dass ich keinen Rüden als Gefährten kriege", flüsterte er mir ins Ohr.

„Warum nicht?", wisperte ich zurück. „Sollten die Männchen nicht stärker sein als die Weibchen?"

Das war zwar eine aus der Luft gegriffene Vermutung, aber schliesslich ein Naturgesetz.

Er seufzte. „Doch natürlich, jedoch kommt mit der körperlichen Stärke auch eine grosse Schwäche hinzu: Sie drehen komplett durch, wenn sie eine läufige Fähe riechen. Der Verstand verabschiedet sich für eine Weile, bis die Ranzzeit vorbei ist. Hat man einen besonders hyperaktiven Rüden als Gefährte—" Faolan deutete mit dem Kinn zu Thorne, der sich mittlerweile auf den freien Stuhl am Ende der Eichentafel gesetzt hatte, die Arme vor der Brust verschränkte und seine langen Beine streckte. „—dann spürt man das durch die Seelenverbindung. Bei manchen treten die Effekte stärker auf, bei anderen schwächer. Wir nennen es Gefühlsüberflutung."

Meine Augen mussten riesig geworden sein, denn Faolan lachte deswegen heiser auf.

„Und die Weibchen?", flüsterte ich.

„Die Wölfinnen sind während der Läufigkeit etwas schwieriger zu ertragen, aber Luna sei Dank passiert das nur einmal im Jahr!"

Farkas holte den Hirscheintopf vom Feuer. Das Essen wurde grosszügig in Teller geschöpft und allen verteilt. Der herrlich riechende Dampf zog vom Teller vor mir in meine Nase. Alle fingen an zu essen, nur ich nicht — und Lycan auch nicht. Er schien auf etwas zu warten. Ich spürte seinen Blick auf mir, als ich die Gabel vorsichtig in die Hand nahm und damit in der Sosse herumrührte.

„Also ich wünsche mir auch lieber eine Gefährtin", meinte Lyra genüsslich kauend. „Ich kann mir nicht vorstellen, meine Seelenverbindung mit einem Kerl einzugehen. Der kann doch nicht so schlau sein wie ich!"

Sie grinste mit vollem Mund und erntete einen grämlichen Blick von ihrem Bruder, der uns direkt gegenüber sass.

„Luna hat bereits entschieden", sagte Lycan. „Du wirst keine Wahl haben. Du kriegst den Wolf, der deine Lücken füllt."

„Lücken?", fragte ich ins laute Kauen und Schmatzen der anderen.

Ich musste mich räuspern, denn meine Stimme hatte an Kraft verloren. Dieser Wechsel zwischen kalter Luft, heissem Bad, wieder kalter Luft und nun warme Stube, setzte meinem Körper zu.

„Dein Gefährte ist wie dein Gegenstück", erklärte Faolan neben mir. „Er ergänzt deine Charaktereigenschaften."

Ich belud meine Gabel und hob sie langsam an die Lippen, pustete Luft aufs dampfende Fleisch, damit ich mich nicht verbrannte.

„Wie muss ich mir das vorstellen?", fragte ich weiter und versuchte mich von der Tatsache abzulenken, dass Lycans Blick auf meinen Lippen hing und dort ein Prickeln verursachte.

Ich schloss die Augen, blendete die Anwesenheit des Wolfsmannes vor mir aus, und schob die Gabel in den Mund. Das Fleisch, zart und würzig, entfaltete unmittelbar eine Geschmacksexplosion in meinem Gaumen. Es war, als trüge es die sanften Noten des Waldes in sich. Mir entfloh ein tiefes Seufzen.

Bei Sola, das war köstlich!

Nie in meinem Leben hatte ich so etwas Leckeres gegessen! Das Fleisch zerging auf meiner Zunge und selbst das Gemüse, bestehend aus Karotten, Pilzen und Zwiebeln, schmeckte so viel besser, als das, was ich von Zuhause gewohnt war. Ich musste mich selbst davon abhalten, vor Genuss die Augen nach hinten zu rollen.

Mein Blick kreuzte sich mit jenem von Farkas, der mich ebenso intensiv beobachtete, wie es Lycan tat. Mir entging nicht, dass seine Mundwinkel doch tatsächlich zuckten. War das etwa ein Lächeln, das der Riese meinetwegen zeigte?

„Schmeckt's, Goldlöckchen?", fragte er.

„Mhm", war alles, was ich hervorbrachte, ehe ich mir eine zweite, dritte und vierte Ladung in den Rachen lud.

Während ich ass, hörte ich Faolan dabei zu, wie er die Seelenverbindung zwischen Mensch und Wolf für mich beschrieb: „Am besten denkst du dabei an die Sonne und den Mond. Sie beeinflussen alles, was sich auf unserer Erde abspielt. Die Sonne bringt uns den Tag, das helle Licht und die Wärme ihrer Strahlen, während der Mond uns mit der Nacht und ihrer Ruhe segnet. Die Natur braucht Licht und Dunkelheit gleichermassen, denn nur zusammen bilden sie ein Gleichgewicht."

Lyra lehnte sich hinter Faolans Rücken zu mir rüber. „Ohne unsere Gefährten sind wir unausgeglichen", sagte sie. „Darum leidet unsere Seele solche Qualen, wenn wir sie nicht finden können."

„Qualen, die sich manchmal in einem so hohen Mondfieber manifestieren können, dass man anfängt zu halluzinieren", fügte Faolan mit gravierender Stimme noch hinzu.

Schon wieder überkam mich diese merkwürdige Familiarität.

Was die beiden mir da erzählten, machte Sinn. Für mich und was ich erlebt hatte. Ich hatte nie gewusst, was es war, hatte keine Worte für dieses Gefühl in meiner Brust gefunden, das sich in manchen Nächten wie ein Flächenbrand in meinem ganzen Körper auszubreiten schien und in einem Fieberwahn endete, in welchem ich die wildesten Dinge träumte. Manchmal konnte es die ganze Nacht lang dauern, bis ich mein Bewusstsein wiedererlangte und für die Sehnsucht meiner Seele büssen musste.

„Wie findet man seinen Gefährten?", wollte ich weiter in Erfahrung bringen.

Faolan holte Luft, um zu antworten, doch Lycan kam ihm zuvor: „Das könnt ihr nicht beeinflussen. Die Wölfe werden euch finden."

Ich hob eine Augenbraue in die Höhe, denn diese Antwort stellte mich nicht zufrieden. „Und wann ist das?"

Wenn dieses Fieber so schlimm werden konnte, dass man beinahe seinen Verstand verlor, dann lag den Wolfsmenschen doch bestimmt viel daran, das Seelenband rasch zu knüpfen.

„Im besten Fall geschieht es in einer Vollmondnacht", antwortete Lycan. „Aber es sind die Wölfe, die entscheiden, wann ihr ihrer würdig seid."

Lyra stöhnte neben mir auf und legte ihre Stirn auf die Tischplatte. „Deswegen müssen wir so hart trainieren. Damit wir ihnen beweisen können, wie widerstandsfähig, wie flink, wie geschickt und wie schlau wir sind ..."

Auf diese Worte liess auch Faolan die Schultern hängen. „Wir müssen die Wölfe von uns überzeugen."

Die beiden schienen zu wissen, was das bedeutete. Ich konnte es nur von dem, was sie mir über die Wölfe erzählt hatten, erahnen.

Farkas schob uns drei Becher hin, die mit einer goldbraunen Flüssigkeit gefüllt waren. „Trinkt!", forderte er uns auf. „Es ist Met. Das stärkt euren Geist und beugt Entzündungen vor. Ihr werdet es brauchen, denn eure erste Lektion zu dritt habt ihr nachher gleich mit Thorne."

Ein heftiges Zucken durchfuhr mich bei seiner Wortwahl, doch ich verbarg es sofort, indem ich meinen Arm nach vorne beförderte und mir einen Becher schnappte. Hoffentlich hatte das keiner gesehen.

„Was beinhaltet diese Lektion?", fragte Lyra ihren Thorne.

Ich kniff die Augen zusammen, als ich an meinem Becher nippte und versuchte, damit mein Gesicht möglichst zu verdecken. Das Met schmeckte bitter und gleichzeitig süss und hinterliess eine klebrige Wärme in meinem Bauch.

Thorne sass ausgestreckt auf seinem Stuhl und putzte sich die Fingernägel mit einem Dolch. Seine langen, glatten Haare ergossen sich über seine Schulter wie ein glänzender Schal. Der Silberstreifen darin war im Dampf der Stube kaum zu erkennen.

Ein wölfisches Grinsen umspielte seine Lippen, als er sagte: „Heute lernt ihr den Tanz mit der Klinge."

⋆☽˚。⋆

Das Leder schmiegte sich an meinen Körper wie eine zweite Haut. Es war weich und warm und gab mir das Gefühl, zusammengehalten zu werden. Die Tierhaut gehörte einem Rothirsch, hatte mir Lycan verraten, und würde mich gegen die Gefahren des Waldes schützen. Ich schüttelte ein Bein und dann das andere. Meine neuen Stiefel fühlten sich schwer an und waren innen mit flauschigem Fell ausgestattet worden. Eine Wohltat für meine Eisklötze an Füssen.

Lyra kicherte hinter mir.

„Du wirst dich an die Hose gewöhnen", sagte sie. „Es hat nur Vorteile: Du bist flinker und es wird deinen Gegnern schwerer fallen, dich zu packen und zu Boden zu zerren."

Sie flocht meine Haare zu einem Zopf, weil sie meinte, dass mir meine lange Haarpracht für das Training mit Thorne bloss im Weg stehen würde.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal die tote Haut eines Hirsches zwischen meinen Schenkeln haben würde", bemerkte ich und fuhr mit den Handflächen über das schwarz gefärbte Leder.

Meine Freundin gluckste. „Würdest du es lieber mit dem lebendigen, warmen Leib eines Mannes tauschen?"

„Nein, danke!", schnaubte ich.

Über uns ächzten die Bäume. Das helle Licht, das durch die Blätter drückte, tunkte alles in ein fröhliches Saftgrün. Ein sanfter Wind zog durch den Wald. Ich erwartete den üblichen Kälteschauer, der mich, seit ich auf der Seite des Mondes gelandet war, regelmässig überkam, weil ich es nicht gewohnt war, so lange im Schatten zu stehen. Aber nichts geschah. Das Leder zeigte Wirkung und hielt die Wärme gefangen.

Lyra verknotete das Ende meines Zopfes mit einer Schnur. Sie umrundete mich und kam grinsend vor mir zum Stehen, die Hände stützte sie in die Hüfte. Etwas Verschmitztes flimmerte in ihren himmelblauen Augen, als gefiele ihr der Anblick von mir in dem Leder.

„Seid ihr bereit?", hörten wir Thorne fragen.

Er stand mit Faolan bereits auf dem Übungsplatz beim umgefallenen Baumstamm und hielt eine Holzkiste in den Händen. Wir gingen zu ihnen. Thorne zog drei gleich lange Messer aus der Kiste. Ihre Klingen waren spitz, dünn und zu beiden Seiten scharf, wie ich unschwer erkennen konnte.

„Ihr werdet lernen, hiermit umzugehen."

Faolan konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. „Mit Kochmessern?"

Thorne schnalzte mit der Zunge. „Egal ob es dazu dient, Holz zu schnitzen oder einem Eber den Kopf abzuhacken, eine Klinge ist eine Klinge. Verlache sie nicht, sie kann dir in den falschen Händen die Kehle durchtrennen, egal wie klein sie ist."

Er verteilte die Messer an uns. Ich prüfte das Gewicht. Es war ein leichtes, handliches Messer. Eins, das man fürs Schälen von Kartoffeln benutzen würde. Faolan imitierte Hiebe mit der Klinge, als attackierte er einen unsichtbaren Feind. Daneben fuhr Lyra mit ihrer Fingerspitze über die Schneide.

„Vorsicht!", warnte Thorne, doch es war bereits zu spät. Ein feiner Blutstrom quoll aus Lyras Fingerkuppe. „Die Klingen sehen zwar harmlos aus, aber sie sind es nicht."

Lyra saugte an ihrem Zeigefinger und Faolan hörte augenblicklich auf, die Luft zu zerteilen.

„Das einfache Messer", begann Thorne und strafte Lyra mit einem abmahnenden Blick, „ist nicht nur ein nützliches Instrument in der Küche und beim Sammeln, sondern auch eine effektive Waffe im Kampf."

Er legte die Kiste auf den Baumstamm und holte für sich selbst ein Messer heraus. Mit einer Geschicklichkeit, die meinen Atem stocken liess, begann er damit zu jonglieren. Die Klinge flog von seiner linken Hand in seine rechte und wieder zurück.

„Die Natur ist schnell und unbarmherzig, ebenso müssen es eure Instinkte sein. Geschwindigkeit und Präzision sind gefragt. Ihr werdet euch nicht auf eure starke Hand verlassen können, sondern beidhändig Fähigkeiten entwickeln müssen." Er warf die Klinge über seinen Kopf, sodass sie herumwirbelte. Wir folgten dem rotierenden Geschoss mit den Augen. „Wir beginnen mit—"

„Thorne!", wurde er von Farkas unterbrochen.

Der Messerkünstler fing die Klinge am Griff auf und stopfte sie zurück in seinen Gurt.

„Was gibt's?", rief er.

Farkas stampfte auf uns zu, mit zwei bulligen Kerlen im Schlepptau, die er am Nacken gepackt hatte. Sie blickten grimmig aus der Wäsche und sahen aus, als hätte jemand einen unsichtbaren Spiegel zwischen sie gestellt. Äusserlich waren sie identisch, mit dem einzigen Unterschied, dass dem einen auf seiner linken und dem anderen auf seiner rechten Schläfe ein Symbol mit schwarzer Farbe in die Haut gestochen worden war. Die Markierung zog sich von ihrer Stirn über die Schläfe bis zu ihren Wangenknochen und sah aus wie die verschiedenen Phasen des Mondes. Von Vollmond bis Neumond. Ihre Haare waren kurz und von einem tiefen Braun. Ebenso dunkel funkelten ihre Augen.

Hinter ihnen folgte eine Frau mit hochgebundenen Haaren, geschminkten Augen und einem sehr weiblichen Körperbau. Ich schätzte sie auf zwanzig Sommer.

„Drei Spätzünder", erklärte Farkas und schubste die breiten Kerle vor.

Sie stolperten vor Thornes Füsse. Dieser verschränkte die Arme vor der Brust und liess seinen verurteilenden Blick über sie schweifen. Obwohl die Zwillinge gross waren, überragte er sie noch bei Weitem.

„Sorrel und Ash", murrte Thorne wenig begeistert. „Wer hätte gedacht, dass Luna euch jemals als würdig erachtet." Er wandte sich der Frau mit den in Kohle getunkten Augen zu und rümpfte die Nase. „Und Wren... nett."

Neben mir spürte ich, wie sich Lyra verkrampfte. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu, den sie allerdings nicht erwiderte. Thorne geriet durch diese Unterbrechung nicht aus der Fassung. Sein Ausdruck war nach wie vor streng, als er sich zur Kiste drehte und drei zusätzliche Messer herausfischte. Er bedankte sich bei Farkas, der uns sodann alleine liess.

„Sechs Frischlinge. Eine runde Zahl", meinte Thorne und drückte den Neuankömmlingen je eine Klinge in die Hand. „Bildet Zweiergruppen und stellt euch mit einem Abstand von fünf Schritten einander gegenüber auf. Wir üben das gegenseitige Zuwerfen von Waffen. Bitte achtet darauf, euren Trainingspartner nicht zu verletzen."

Wir alle zögerten.

Lyra, Faolan und mein Problem war, dass wir uns leider nicht aufteilen konnten. Einer von uns würde sich mit einem der anderen zusammentun müssen und keiner schien das wirklich zu wollen. Die Zwillinge stellten sich etwas abseits hin, keineswegs daran interessiert, dieses Training mit irgendjemand anderes durchzuziehen.

Blieb also nur diese Wren übrig, die mich und insbesondere Lyra mit einem abschätzigen Blick strafte. Ihre stark geschminkten Lider waren so dunkel, dass sie beinahe aussah, als hätte sie keine Augäpfel.

„Worauf wartet ihr?", drängte Thorne, der unser Zögern nicht bemerken wollte. „Teilt euch auf!"

Lyra schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht mit Wren trainieren", murmelte sie mir zu. „Sie ist meine grösste Rivalin. Sie hat—" Lyra biss die Zähne fest zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. „Sie hat—"

„Ist schon in Ordnung", fiel ich ihr ins Wort. Ich legte die Hand auf ihren Oberarm. „Du magst sie nicht, das habe ich sofort gesehen. Erzählen kannst du es mir, wenn wir unter uns sind. Trainiere du mit Faolan. Ich knöpfe mir den Waschbär vor."

Lyra blinzelte mich perplex an, dann brachen sie und Faolan in ein Gelächter aus, das über den Trainingsplatz hallte und die Vögel in den Baumkronen in Aufruhr versetzte.

„Waschbär!", grölte Lyra und hielt sich den Bauch.

Faolan kugelte sich ebenfalls. „Das ist so treffend!"

Die beiden entlockten mir ein schiefes Grinsen. Ihr Lachen kribbelte sogar in meinem Bauch.

Sie stellten sich zusammen auf, so wie es Thorne angeordnet hatte.

„Ich hab' was gut bei dir!", warf Lyra mir hinterher, als ich auf Wren zusteuerte.

Ich atmete tief durch und fokussierte mich auf die neue Frau im Bunde. Sie sah nicht sonderlich begeistert aus, mit mir dieses Training absolvieren zu müssen. Schnaubend warf sie ihren schwarzen Pferdeschwanz zurück und ich wusste nicht, ob sie mir damit drohen oder mich provozieren wollte. Trotz allem nickte ich ihr grüssend zu und stellte mich mit meinem Namen vor.

Wren zischte mich wie eine Schlange an: „Mit einer Goldnase trainiere ich ganz gewiss nicht!"

Ihre Feindseligkeit prallte an mir ab. Sie reagierte auf mich so, wie ich es eigentlich von allen erwartete.

„Warum nicht?", fragte ich.

„Weil ihr ein verdorbenes Gezücht von Menschenschindern seid! Euer Blut ist faul!" Sie spuckte auf den Boden und drehte sich von mir weg.

Ihr Hass mir und meinem Volk gegenüber war keine gute Voraussetzung, um diese Partnerübung zu machen, aber hier stand ich nun und hatte keine Wahl. Ich platzierte mich fünf Schritte von Wren entfernt, bohrte meine Hacken in den Boden, verstärkte den Griff um mein Messer und reckte mein Kinn in die Höhe.

„Versuch mich doch zu schneiden", forderte ich sie heraus. „Dann siehst du, ob du recht hast — ob mein Blut wirklich verdorben ist."

„Faye", warnte Thorne von der Ferne. Er stand bei Faolan und Lyra, aber hatte seine Ohren wohl überall. „In dieser Übung geht es nicht darum, euch gegenseitig zu verletzen, sondern zusammenzuarbeiten. Euer Partner braucht das Messer, das ihr in eurer Hand habt. Werft es ihm oder ihr möglichst präzise zu, ohne es fallen zu—"

Weiter kam Thorne nicht, denn schon wirbelte Wren um ihre eigene Achse und schleuderte ihr Messer mit voller Wucht in meine Richtung.

Direkt auf mein Herz.

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Author's notes: 

Ausnahmsweise endet das Kapitel mit einem Mini-Cliffhanger. Findet ihr bestimmt super ;-)

Die Credits für das Kapitelfoto gehen übrigens an meinen Mann. Er hat das Foto letztens bei einem Spaziergang im Wald geschossen. Ich kann euch sehr empfehlen, bei Gelegenheit mal einen Abstecher in die Wälder zu machen. Es klärt den Geist und beruhigt das Herz.

Habt ein schönes Wochenende!

Eure Fleur

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