38 - Von alten Handwerkskünsten

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Die Hirschkuh hing an einem Spiess über dem Feuer.

Nach unserer spektakulären Jagd war Farkas so gütig gewesen und hatte uns die Beute abgenommen und über der Feuerstelle montiert. Ash, Sorrel und Faolan hatten sie zu dritt getragen und waren, als wir im Wolfsbau angekommen waren, nicht mehr imstande gewesen, das schwere Tier in die Luft zu heben.

Der Rausch der Jagd schoss noch durch meine Adern, aber hatte sich mit dem Rückmarsch etwas gelegt. Nun sassen wir alle frisch gebadet und in neuer Kleidung vor dem Feuer. Die Wölfe hielten sich um uns herum auf, kuschelten mit ihren Gefährten oder widmeten sich der Fellpflege. Rohan hatte sich in die Gebüsche verzogen. Wo er war, wusste ich nicht, aber ich konnte seine Präsenz in meiner Brust und zwischen meinen Schläfen fühlen.

Wir hörten uns von Farkas an, welche Zubereitungsarten sich bei dem Wildtier, das wir erlegt hatten, eigneten. Da bei mir im Sonnental immer die Bediensteten in der Küche hantiert hatten, waren mir die meisten Begrifflichkeiten fremd, die Farkas zum Besten gab.

Ich konnte nicht einmal ein Ei kochen, denn weder meine Mutter, noch die Köchin hatten mir das gezeigt. Als zukünftige zweite Dame hätte ich sowieso nie in meinem Leben in der Küche stehen sollten.

„Ich schwöre bei Luna, Fayes Wolf ist zweimal so gross wie der von Sorrel!", sagte Faolan schlussendlich, als Farkas mit seiner Kochlehre fertig war. Er hob die Arme beschwörend in die Luft. „Er reicht Lyra vermutlich bis zur Brust."

Lyra schnaubte. „Jetzt übertreibst du aber. So klein bin ich nicht."

„Und so gross kann ein Wolf gar nicht werden", hielt Sorrel dagegen.

„Keine Lust auf Grössenvergleiche, weil deiner kleiner ist?", triezte Wren und streckte dem Zwilling die Zunge heraus.

Sorrel blickte finster aus der Wäsche, sein Bruder Ash schüttelte bloss grinsend den Kopf.

„Es ist verwunderlich, dass er aufgetaucht ist", mischte ich mich ins Gespräch ein. „Hätte ich echt nicht von ihm erwartet."

Faolan zuckte mit den Schultern. „Naja, wir sassen in der Klemme. Er wollte unser Leben retten."

„Ich habe dein Leben retten wollen. Deins allein. Ihn hätte ich als Erstes vor die Hirschkuh geworfen", grollte Rohan in meinem Schädel.

Ich tat so, als hätte ich ihn nicht gehört.

„Leider ist er danach gleich wieder davon gesprungen." Lyra seufzte und sah ehrlich traurig aus. Sie kraulte den Bauch ihrer weissen Wölfin, die sich vor ihr auf den Boden gerollt hatte. „Meine Zara wollte ihn nochmal beschnuppern."

Rohan knurrte in meinem Kopf. „Das kleine Schneeglöckchen kann an ihrem eigenen Hintern schnüffeln."

„Woher kommt diese Regentag-Laune?", gab ich zurück.

„Du wärst heute fast platt getrampelt worden, wenn ich dich erinnern darf."

„Bin ich aber nicht. Ich atme und bin quicklebendig — dank dir. Also stell dich in die Sonne und red erst dann wieder mit mir, wenn du besser gelaunt bist!"

Eine Welle des Trotzes wusch über mich, die Rohan absichtlich zu mir geschickt haben musste. Obwohl ich es nicht für möglich gehalten hatte, war er seit der Jagd noch mürrischer geworden.

„Wie soll Faye eigentlich bei all den anderen Übungen mitmachen können, wenn ihr Wolf nie wirklich dabei sein kann?"

Ich fiel aus meinen Wolfsgedanken und sah zu Wren, welche die Frage gestellt hatte. Sie blickte ratlos in die Runde.

„Das wüsste ich auch gerne...", sagte ich mehr zu mir selbst als zu meinem Rudel, denn ich hatte keine Ahnung.

„Vielleicht sollten wir ihm die Möglichkeit geben, sich an uns zu gewöhnen?", schlug Faolan vor.

„Der hat sich keine fünf Schritte an uns herangetraut", kam es von Sorrel. „Bei der Waldprüfung hat er sich ständig irgendwo zwischen den Bäumen versteckt und sobald ich ihn entdeckt habe, ist er verschwunden. Auch jetzt, bei der Treibjagd, kam er nur raus, weil er musste."

„Vielleicht mag er ja einfach dich nicht", spottete Lyra und erntete dafür einen feurigen Blick von Sorrel.

Ich schlang die Arme um meinen Oberkörper, denn plötzlich war mir nicht mehr wohl bei der Sache. An das Training hatte ich noch gar nicht gedacht, aber mein Rudel hatte recht. Wie sollte ich denn mit ihnen üben, wenn Rohan sich nicht in ihre Nähe traute?

So konnten wir nicht als Einheit arbeiten. So waren wir kein richtiges Rudel.

„Offenbar kann er unsere Anwesenheit nicht ertragen, aber dann müssen wir ihm dennoch die Chance geben, sich mit uns vertraut zu machen", dachte Faolan weiter an einer Lösung herum.

Es bedeutete mir viel, dass er mich und Rohan unbedingt miteinbeziehen wollte, nur war ich zu erschöpft, um nachzudenken.

„Diese Hartnäckigkeit hätte ich dem Welpen nicht gegeben", hörte ich Rohan sagen.

Ich antwortete nicht, denn ich fühlte mich nicht mehr schlagfertig genug.

„Was schwebt dir vor?", fragte Wren ihren Partner.

Die warmen Augen meines Freundes fanden mich und er schenkte mir ein freundliches Lächeln. „Er kann uns kennenlernen." Sein Finger deutete auf mich. „Über Faye."

Ich hob eine Augenbraue in die Höhe und wollte nachhaken, wie er das denn meine, doch Faolan fuhr von alleine fort:

„Er bezeugt unsere Charakterstärke über die Seelenverbindung mit Faye und wird auf die Schlussfolgerung kommen — hoffentlich —, dass wir alle ganz harmlos sind und eigentlich ein ganz tolles Rudel darstellen."

„Der kann träumen", kommentierte Rohan. „Als ob dieser ungleiche Haufen überhaupt irgendetwas fertigbringen könnte."

Ich raufte mir die Haare und erst in dem Moment realisierte ich, dass Ashs Blick auf mir ruhte. Seine Stimmbänder brachten noch immer keinen Ton hervor, aber die Art, mit welcher er mich betrachtete, schaffte es tatsächlich, Mitgefühl zu vermitteln.

„Es wird alles gut", schien er mir mit den Lippen zu sagen.

Da trat Thorne an die Feuerstelle und unterbrach unser Gespräch. Ich war froh um den baumlangen Kerl und dass er mit seinem energischen Schritt die Aufmerksamkeit weg von mir und meinem Wolf auf sich lenkte.

„Macht euch um Goldie und ihren wilden Wolf keine Sorgen. Wir finden schon einen Weg, ihn zu zähmen. Alle zusammen." Er stellte sich neben Ash hin und bedachte uns eines ernsten Blickes. „Wenn ihr dachtet, euer Training sei schon vorbei, dann habt ihr euch arg getäuscht. Bis die Hirschkuh durchgebraten ist, dauert es noch mindestens bis Sonnenuntergang."

Sechs Dolche landeten haargenau in der Erde zu unseren Füssen.

„Das ist Zeit genug, um das Schnitzen zu erlernen — eine wichtige Handwerkskunst, die schon seit es unseren Stamm gibt, von Generation zu Generation mondgeprägter Menschen weitergegeben wurde."

Ich blickte von dem kleinen Messer, das zu meinen Füssen lag, zu Thorne und dann zu Lyra.

„Holzschnitzen ist eine Tradition bei euch?", fragte ich.

Lyra beugte sich hinunter, hob ihr Messer auf und reichte mir meins. Es lag leicht in meinen Händen und war kaum schwerer als eine Füllfeder.

„Seit sich nicht mehr alle im Dorf mit Wölfen verbinden, ist es ein bisschen in Vergessenheit geraten. Nur noch jene, die von Luna gesegnet wurden, führen das traditionelle Handwerk weiter."

Kaum hatten wir die Messer gefasst, warf uns Thorne kleine Holzrohlinge zu. Robuste und kühle Blöcke aus Lindenholz.

„Und was sollen wir damit schnitzen?"

Lyra grinste mich breit an. „Was auch immer du willst."

Sorrel lachte von der anderen Seite der Feuerstelle. „Wer die grösste Figur hinkriegt, gewinnt!"

Faolan verdrehte die Augen. „Musst du aus allem einen Wettbewerb machen?"

„Du kannst ja ein Herz für Wren schnitzen", neckte Sorrel weiter.

Lyras Lächeln vereiste. Sie schienen heute alle in Provokationslaune zu sein und ich fragte mich, ob diese Aufgekratztheit eine Nachwirkung der Treibjagd war. Unsere Körper strotzten vor Energie, das fühlte ich ja selbst in meinen Fingerspitzen.

„Und du einen winzigen Schwanz?", fuhr Lyra den Zwilling an. „Das ist vermutlich die einzige Form, die du kennst! Das hast du nämlich schon einmal geschnitzt. Am Türrahmen meiner Haustür!"

Sorrel fletschte die Zähne und am stummen Lachen seines Bruders, der neben ihm sass, sah ich, dass sie einst tatsächlich solche Dummheiten angestellt haben mussten.

„AHA!", stiess Lyra aus und zeigte auf Ash. „Ihr wart es also wirklich!"

„Das war vor zwei Wintern!", verteidigte sich Sorrel, doch als er Ash bemerkte, der sich vor Lachen kugelte, stimmte er mit ein.

Lyra funkelte ihn an. „Sag, was war das Vorbild dafür? Dein eigener Körper?"

Sorrel wollte aufspringen, doch er kam gar nicht dazu, denn Thorne trat dazwischen und stoppte sein Unterfangen.

„Ihr sollt einen Messergriff schnitzen, ihr Holzköpfe. Keine Geschlechtsteile, keine Herzen. Ihr kriegt euer eigenes Messer und das soll euer Griff dafür werden. Also ran an die Klötze!"

Das reichte meinem Rudel als Information und schon begannen sie alle fleissig, den Holzblock zu bearbeiten. Ich konnte derweilen nicht damit aufhören, auf die Faserung meines Rohlings zu starren.

Es sah genauso aus wie—

„Faye?" Thorne stand vor mir, weshalb ich erschrocken zusammenzuckte und mir fast das Messer in den Daumen rammte. „Du weisst, was ein Messergriff ist, oder muss ich es dir zeigen?"

„Ja, natürlich!", zischte ich und liess die scharfe Klinge ins Holz anstatt in meinen Finger gleiten.

Es ging nur stockend hindurch und riss an manchen Stellen ein. Binnen kurzer Zeit sammelten sich kleine Holzfetzen zu meinen Füssen und obwohl diese Art der Arbeit durchaus beruhigend wirken konnte — mein ganzes Rudel war verstummt —, summte es laut in meinem Kopf.

„Niemand hat von Holzhacken gesprochen", mahnte mich Thorne. „So verlierst du nur einen Finger."

Das konnte doch nicht sein verdammter Ernst sein! Handwerklich war ich noch nie begabt gewesen und mir fehlte hierfür die Konzentration.

„Was meckerst du schon wieder?", herrschte ich ihn an. „Es geht nicht anders! Ich gebe mir hier die grösste Mühe!"

„Ich will dir nur die richtige Schnitztechnik zeigen. So wird das nichts."

„Ach ja?"

Ein wütendes Feuer flackerte in meiner Brust auf. Egal, was ich tat, nie war es für diese Kerle gut genug. Ich hatte die Nase voll, ständig korrigiert, ermahnt, oder auf meine Fehler aufmerksam gemacht zu werden. Ein einziges Mal wollte ich auch einfach mal etwas richtig machen!

Sollten die mal versuchen, fast am Mondfieber zu verrecken, einen Berg zu erklettern, von einem Hirsch beinahe zertrampelt zu werden und danach noch den Fokus zu haben, so ein einfältiges Stück Ast mit einem Messer zu bearbeiten. Ich könnte ja auch einen Messergriff aus seinem Herzen schnitzen!

Thorne ging vor mir in die Knie. Seine dunklen Augen fixierten mich.

Goldie?"

„Was?", fauchte ich.

„Das ist dein Wolf, der aus dir knurrt. Ich kann es hören."

Er legte seine Hand über meine, sodass ich das Werkzeug und den Holzblock auf meinen Schoss ablegen musste.

„Halte die Luft an", sagte Thorne mit einer Ruhe in der Stimme, die Wasser über mein Feuer goss.

Ich hob den Blick. „Was soll ich?"

„Halte die Luft an. So mache ich es bei den Gefühlsüberflutungen meines Wolfes. Wenn Amarok sich nicht beherrschen kann und seine Emotionen auf mich überschwappen, dann halte ich die Luft an, bis mein Herz langsamer schlägt."

Ich blinzelte, denn ich verstand nicht. Thorne machte eine wedelnde Bewegung, die andeutete, dass ich die Luft einziehen sollte. Ich tat es und dann hielt ich mit Thorne den Atem an.

Für einen Herzschlag. Zwei, drei... zehn.

Thorne atmete aus. Zischend wich die Luft aus mir und damit auch der Frust, der sich in mir aufgestaut hatte. Wie der Dampf in einem Teekessel.

Thorne sah mich zufrieden an und tätschelte mein Knie. „Gut gemacht, Goldie. Und jetzt hack weiter an deinem Holzklotz rum."

Lyra kicherte leise, doch Thornes Kommentar liess mich kalt. Der Frust war verklungen und ich fühlte mich wieder etwas mehr wie mich selbst. An diese geteilte, wolfsgetriebene Körpererfahrung musste ich mich wirklich noch gewöhnen. Hoffentlich würde es mit der Zeit leichter werden.

„Danke", flüsterte ich.

Thorne erhob sich. „Nichts zu danken."

Ich stiess einen Seufzer aus und lenkte meinen Fokus zurück auf meine Aufgabe. Mit dem Daumen strich ich über den Rohling in meinem Schoss.

Dieses Holz — es kam mir so vertraut vor.

Abermals begann ich, meine Klinge durch das Holzstück zu ziehen. Die Zeit verging und wir schnitzten in aller Stille.

Farkas drehte die Hirschkuh am Spiess, damit sie zu allen Seiten regelmässig angebraten wurde. Ein herrlicher Duft nach Fleisch und Rauch breitete sich aus und je weiter die Zeit voranschritt, desto hungriger wurde ich.

Als ich fertig war, hielt ich einen sehr klotzigen Messergriff in meinen Händen.

Schön war anders.

„Ich kann das nicht!", stöhnte ich und zeigte mein misslungenes Kunstwerk Lyra, die einen elegant geschliffenen Griff in ihren Händen hielt.

Sie hatte sogar einen kleinen Mond in ihren Griff schnitzen können! Ich kam nicht umhin, neidisch auf ihre Leistung zu sein.

Meine Freundin stupste mich mit der Schulter an. „Fürs erste Mal ist es doch ganz gut geworden!"

Sie war eindeutig zu nett zu mir. „Es ist viel zu kantig und unförmig."

„Wenn du lernen willst, richtig schön zu schnitzen, solltest du mal meinen Bruder fragen. Er hat dieses Kunsthandwerk verinnerlicht, schon als er klein war."

Irgendwas an ihren Worten liess mich hellhörig werden.

„Das war Lycans typisches Geschenk für unsere Geburtstage", fuhr Lyra munter fort. „Jeder bekam eine Schnitzerei." Sie lachte. „Irgendwann wurde mir das zu langweilig, aber meine Mutter hat sich immer über seine Holzfigürchen gefreut."

Eine Gänsehaut breitete sich über meine Arme aus und liess mich den Rücken durchstrecken. Lyra lächelte in sich hinein, von der Erinnerung offenbar eingenommen.

„Was hat er für euch geschnitzt?", fragte ich und klang dabei plötzlich heiser.

Die hellen Augen meiner Freundin verhakten sich in meine. Sie funkelten vergnügt, als hätten sich die Sterne darin verfangen.

„Ja, was denkst du denn? Wölfe, natürlich!"

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Author's notes: 

Hallöchen meine Lieben!

Es ist schon wieder Mittwoch und das nächste Kapitel ist da. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Es ist ein bisschen kürzer, aber keine Sorge, es wird noch ganz viele, ganz lange Kapitel geben, die auf euch warten. 

Was hat es mit diesem Holzklotz auf sich, dass Faye so aus dem Konzept geworfen wurde? Wer hat Vermutungen, was dahinter stecken könnte?

Kommt gut durch die Woche!

Am Samstag wird ein weiteres, grosses Geheimnis gelüftet. Freut euch ;-)


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