Vielen Dank, dass du dem Interview zugestimmt hast! Wie heißt du? (Muss nicht beantwortet werden, falls du anonym bleiben willst)

Auf Wattpad kennt man mich als Gurkengesang.

Wir reden hier ja vor allem über Repräsentation. Bist du selber Teil einer Minderheit, wenn ja, welcher?

Ich bin Angehöriger der LGBT-Szene, weil ich bisexuell bin.

Hast du viel Repräsentation in den geläufigen Medien erlebt?

In den geläufigen Medien wird die Regenbogenszene beleuchtet. Das finde ich persönlich sehr schön, weil man auf diesem Wege verdeutlicht, dass nicht die ganze Bevölkerung heterosexuell ist. Allerdings ist mir aufgefallen, dass man verstärkt von Lesben und Schwulen redet. Die Transsexuellen oder Bisexuellen oder all die anderen der Szene gehen unbewusst unter.

Wie hast du das auf Wattpad aufgefasst?

Da wiederum finde ich es sehr schön, dass die User versuchen, auf alle Aspekte einzugehen. Ich selbst habe Bücher in meiner Bibliothek, in welchen der oder die Protagonisten nicht nur lesbisch oder schwul sind. Meiner Meinung nach könnte man dennoch mehr darauf achten - insbesondere die Bücher über, sagen wir, 30.000 Reads drehen sich entweder um lesbische oder schwule Charaktere.

Das stimmt, manchmal scheint es, als wären das zusammen mit hetero die einzigen Sexualitäten. Um das ganze Mal in Relativität zu bringen: Wann hast du zum ersten Mal von einem Charakter gelesen, der einen ähnlichen Hintergrund hat wie du?

Ganz recht. Ich habe dadurch oft zu hören bekommen, dass ich meine Sexualität nur einbilde. Dass man vor allem nicht auf Mädchen oder Jungen steht. Es gibt nur ein Geschlecht, in das man sich verliebt. Mittlerweile lächele ich das weg und sage nichts mehr dazu. Zum ersten Mal davon gelesen; eigentlich erst, als meine Ex-Freundin aktiv geschrieben hat. In ihrem Buch, das es leider nicht mehr gibt, habe ich feststellen dürfen, dass die Protagonistin bisexuell ist.

Hier sind viele Leute unterwegs, die selbst schreiben. Welche Tipps und Hinweise würdest du Autoren geben, wenn sie Charaktere, die deine Minderheit vertreten, einfließen lassen wollen?

Dass sie versuchen sollten, etwas von der Standardnorm abzuweichen. Wenn man selbst bisexuell ist, dann sollte man seinen Charakter entsprechend gestalten. Ich finde nämlich, dass man Klischees oder "Probleme" so am ehesten verstehen und in Worte verpacken kann. Sofern man bisher nicht auf Klischees gestoßen ist, kann man im Internet nachschauen, wie es damit aussieht - ich zu meinem Teil habe dies nämlich mit meinem lesbischen Charakter getan. Als Rat würde ich auf dem Weg mitgeben, dass man alle Angehörige der LGBT-Szene berücksichtigt; das schafft Vielfalt und eventuell auch den nächsten Durchbruch.

Sehr schön gesagt haha. Du hast es ja eben angesprochen und auch wenn wir versuchen, sie zu meiden, kommen sie doch häufig vor: Klischees. Manche sind schädlich, andere weniger. Welche fallen für dich unter welche Kategorie? Welches Klischee hasst du abgrundtief? Das kann auch gerne auf andere Gebiete angewandt werden.

"Du kannst nicht gleichzeitig auf Jungen und Mädchen stehen. Es gibt nur ein Geschlecht, in das man sich verliebt.", "Du bist nur verwirrt.", "Das ist nur eine Phase." Das habe ich mir oft anhören dürfen. Auch von einigen Freunden, bei denen ich so etwas nie erwartet hätte. Sie haben nicht verstanden, dass es nicht nur schwul oder lesbisch gibt, wenn man von LGBT spricht. Anfangs hat es mich sehr getroffen; es hat Augenblicke im Leben gegeben, da habe ich meine eigene Sexualität angezweifelt. Inzwischen stoße ich zum Glück auf viel Verständnis, nachdem ich darüber aufgeklärt habe. Bei Lesben finde ich es teilweise extremer. Kampflesben (Mädchen/Frauen mit kurzen Haaren, verhalten sich jungenhaft, sind teilweise korpulent/übergewichtig) oder bei Mädchen, die zu hören bekommen, dass das ja so heiß sei, wenn sich zwei küssen, nur um die besten Klischees zu nennen. Jungen werden als feminin abgestempelt, sie seien schwach, dumm, sobald sie sich outen. Ach, das habe ich auch mitschneiden dürfen: Sobald man sich outet, egal, ob nun als schwul, lesbisch oder anderes, dann kommt es vor, dass man plötzlich anders ist; "Du stehst doch jetzt nicht auf mich?", "Ih, das habe ich ja bei dir so gar nicht gedacht.", "Mit dir will ich nichts zu tun haben. Das ist eklig." Ich bin nicht betroffen gewesen, habe es nur gehört. Aber es hat mich berührt.

Hach ja, wir lieben doch Stereotypen. Es ist wirklich schade, wie viele es gibt und was diese für ein Bild transportieren. Ich schließe also daraus, dass dir Repräsentation geholfen hat, dich selbst zu akzeptieren?

Deshalb finde ich es wichtig, über alle Facetten des LGBT aufzuklären beziehungsweise über alle Minderheiten in der Gesellschaft. Niemand ist unsichtbar; jeder hat eine Stimme, die man hören sollte. Ganz recht. Das zeigt mir, dass man nicht allein ist und dass mit einem selbst alles in Ordnung ist. Auch, dass sämtliche Zweifel über die eigene sexuelle Orientierung sehr häufig ins Leere laufen.

Ist dir die fehlende Diversität auf Wattpad und auch in anderen Medien schon vorher aufgefallen oder hast du es als normal angesehen?

Auf Wattpad habe ich es nie wirklich realisiert, entsprechend auch nicht in den Medien. Dadurch, dass sie so sehr in die Schatten gerückt sind/werden, wird es zu einer traurigen Normalität, sie zu vergessen. Als normal habe ich es leider angesehen. Wie gesagt, nur dadurch, dass man die Minderheiten nie wirklich "beachtet" hat.

Irgendwann akzeptiert man diesen Umstand leider. Welche Empfehlungen für Bücher/Serien/Filme kannst du aussprechen? Hier darf auch gerne Eigenwerbung stehen :)

Auf Wattpad, die ich in der Bibliothek habe (da gibt's noch mehr): "Stiefschwestern" - Juxay_ , "Power and Control" - seven17teenblack , "Rainbow Veins" - Fahrenhaidt94, "Badboy's boy" - , dann eben meine eigenen Bücher.

Bei Serien, Musik und Filmen bin ich leider schlecht aufgestellt, aber ich bin dran, mir Serien auf Netflix zu suchen und Musik auf anderen Plattformen.

Wir nähern uns auch schon der letzten Frage für dieses Interview. Was kann die Gesellschaft allgemein tun, damit du dich willkommen fühlst?

Dass sie die LGBT-Szene als etwas Normales ansehen. Dass man jedes Individuum als normalen, gesunden und vor allem gewöhnlichen Menschen wahrnimmt. Keine Vorurteile haben, vor allem dann nicht, wenn Personen sich bereits geoutet haben.

Hoffen wir, dass irgendwann jeder diese Meinung vertritt. Nochmal vielen Dank für deine Antworten!

Geben wir der Gesellschaft ein paar Jährchen, und vielleicht wird die Welt etwas anders aussehen. Nicht dafür. Ich habe es sehr gern getan.

A/N

Interview geführt von roselillae

06.07.2020