Kapitel 10 - Das Herz aus Glas

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Die Gefährten schlugen sich durch den gläsernen Wald. Nun, da der Wächter dieses Ortes besiegt war, kehrte die gespenstische Stille zurück. Kein Tier fiepte, krähte, sang oder keckerte. Kein Blatt raschelte sich im Wind, kein Zweig knackte, kein Bach plätscherte leise vor sich hin. Ein Ort erstarrt in der Zeit und in seiner unbeweglichen Schönheit. Die einzigen Geräusche waren die Schritte von Lir und Cian, die über Glashalme, Laub und Gestrüpp stampften.

Cian konnte diese gespenstische Stille kaum ertragen. Obwohl alles schön anzusehen war und vielleicht sogar hübsch genannt werden konnte, strahlte alles eine unangenehme, leblose Kälte aus, die den Naturgeistern zusetzte. Seine empfindlichen Ohren rebellierten gegen die unnatürlichen Geräusche, und obwohl er wusste, dass die Gefahr hinter ihnen lag, hatte er das drängende Gefühl, diesen Ort so schnell wie möglich verlassen zu müssen. 

 Lir ging es nicht anders. Immer wieder stieß sie gegen einen besonders klaren Baum, denn selbst die Augen in ihrer humanoiden Gestalt waren vom Schimmer des Glases verwirrt. Auf ihren weichen Zügen hatte sich mithilfe ihrer geschwungenen, hellen Brauen ein unzufriedener Zug gebildet, der auch ihre Mundwinkel ein wenig nach unten zog. 

Auch die aufmerksame Rabendame schien seine Abneigung gegen diesen Ort zu spüren, der ihrem Wesen zuwider war. Sie beschleunigte ihre Schritte und führte sie schließlich zu etwas, das bei näherer Betrachtung wie ein überdimensionales Nest aussah. 

 „Das war das Nest des Basilisken", stellte der Fuchs fest und hob den Kopf, um die gläsernen Wände des Bauwerks zu betrachten. Wie hatte der Basilisk es nur errichtet, ohne einen einzigen Glaszweig zu zerbrechen? Ein schwaches Licht drang aus der Behausung, und je näher sie kamen, desto durchdringender spürte Cian die Kraft, die sie umgab. Ein heißes Kribbeln, das ihm unter die Haut ging und ihn die Finger am Schaft seines Speeres spreizen und wieder schließen ließ, nur um das vertraute Holz unter seinen Händen zu spüren. 

„Cian, schau, dort." Lirs Stimme ließ ihn den Blick wenden. Die Rabin hatte das Nest einmal umrundet und war dann an der Seite stehen geblieben. Als er nun ebenfalls um das Nest herumging, entdeckte er an der Stelle, auf die sie zeigte, eine große, runde Höhlung – vermutlich der Eingang zu diesem Gebilde. Was ihn aber zunächst noch mehr faszinierte, war der Anblick seiner Gefährtin. 

Ihr helles Haar, das noch von den weißlichen Blutflecken und ihrem eigenen Rot durchzogen war, wehte in der lauen Brise wie ein Schleier um ihr schönes Gesicht. Das Licht der Abendsonne und die gespenstischen Strahlen aus dem Bau hüllten sie in einen Mantel aus schimmernden, glänzenden Federn und Glassplittern. 

 Wie seltsam es doch war. Sie hatten so lange gelebt, Jahrzehnte und Jahrhunderte miteinander verbracht, und in ihrer Naivität hatten sie all diese Tage nie wirklich zu schätzen gewusst. Sie waren dahingeflossen wie ein Fluss, in dem man die Tropfen nicht zählen konnte, weil sie einfach in der Masse untergingen. 

 Aber jetzt schien alles anders zu sein. Plötzlich wurde er sich jeder Minute bewusst, die sie zusammen verbracht hatten... und hing in diesen scheinbar unbedeutenden Momenten fest, nur um festzustellen, dass Lir schon immer schön gewesen war. Oder dass er es immer geliebt hatte, wenn sie die Nase kräuselte und lächelte. Er erinnerte sich an die Tage, an denen sie von einem Ast zu ihm herunter krähte und er unten stand, den Kopf in den Nacken gelegt... und nur Unsinn im Kopf hatte. Ein Spiel, das sie beide genossen und umeinander tanzten, wie es nur Mitternachtsregen und Sonnenschein vermochten. Und doch... Warum hatte er das Gefühl, dass ihnen diese kostbare Zeit plötzlich wie Sand zwischen den Fingern zerrann? 

 Cian seufzte, dann folgte er ihr, um zu sehen, was Lir ihm zeigen wollte. Im Eingangsbereich blieb auch er stehen. In der Mitte des Glasnestes stand eine Art Altar, ebenfalls aus Glas. Fast wirkte das Gebilde wie ein Kristall, der vielleicht einmal ganz natürlich dort gewachsen war, bis man ihm eine andere Bedeutung gegeben hatte. Die Mitte war flach geschliffen und spiegelglatt. In der Mitte lag ... nichts. 

Der Glastisch war vollkommen leer. 

 „Was...? Wo ist es?", entfuhr es Lir, die völlig verblüfft auf die leere Fläche starrte.  

„Das kann nicht sein." Cian runzelte die Stirn. „Wo ist das Herz?" Aber auch die Rabin konnte ihm keine Antwort geben. „Da ist nichts", keuchte sie in einer Mischung aus Ungläubigkeit und Frustration.

Das Licht kam doch vom Altar? War es eine Falle? Hatte dieser Bastard Odhrán sie getäuscht und als Beute für den Basilisken missbraucht, während er sich selbst mithilfe seiner Diener - im wahrsten Sinne des Wortes - das Herz gekrallt hatte? „Vielleicht ist das hier die falsche Stelle? 

"Das hier muss Prinz Thrindars Herz sein. Es würde daher passen, wenn es nicht an der offensichtlichsten Stelle versteckt wäre", mutmaßte die Rabendame und blickte resigniert an die Wände des Nestes. 

 „Prinz Thrindar?", murmelte Cian und Lir warf ihm einen Blick zu. Für einen Moment schien sich der Schatten in ihrem Gesicht ein wenig zu lichten, als ein kleines Lächeln ihre Mundwinkel umspielte. Es kam oft vor, dass die Rabin sich von allen möglichen Wesen und Tieren Geschichten erzählen ließ, die sie dann mit in die Hütte brachte. Nicht alle waren wahr, aber Lir liebte Geschichten, auch wenn sie nicht auf Fakten basierten. Dieses Mal sollte es offensichtlich zu ihrem Vorteil sein. 

 „Prinz Thrindar war der Herr über Betrug und Lüge, Täuschung und Schein. Einst besaß er große Macht und herrschte über ein großes Gebiet im Osten. Er baute sein Reich auf raffinierten Bündnissen auf, handelte mit den furchterregendsten Fey und schaffte es doch immer, das Beste für sich herauszuholen", erzählte sie ihm, während er den Kopf zur Seite neigte und zusah, wie sie den Altar betrachtete. „Nur einmal hat Thrindar versagt, als sein Bruder ihm einen Pakt aufzwang, der ihn sein Herz kosten sollte. Aber das ist lange her... Heute ist Thrindar seiner Macht beraubt, und wie seine anderen Brüder wurde auch er schließlich ermordet. Sein eigener Pakt wurde ihm zum Verhängnis." 

 Lir kniete sich neben den Altar und ging danach einmal um ihn herum. Vielleicht fand sie einen versteckten Mechanismus? Aber auch an den Seiten oder unter dem Glasblock war ... „... Nichts", murrte sie, und ihre schmalen Schultern sanken bereits deprimiert ein Stück tiefer.

 
„Warte", sagte Cian, kurz bevor Lir sich zum Gehen wenden konnte. „Du hast Recht: Wenn das hier Thrindars Herz ist, wäre es absurd, es an den offensichtlichsten Ort zu legen... Aber genau deshalb...", Cian streckte die Hand aus. Seine blutverkrusteten Finger strichen über die Oberfläche des Altars. Es war, als würde das Glas unter seiner Haut vibrieren, ihm zuflüstern. „... haben sie es tatsächlich genau hier versteckt." 

Seine Finger stießen gegen etwas kaltes. 

 Auf Cians Lippen formte sich ein grimmiges, freudloses Lächeln. Die hellen Brauen der Rabendame zogen sich in die Höhe, als sie seine Bewegung mit den Augen verfolgte und sah, wie sich seine Finger krümmten, als wollte er nach etwas greifen. Blut verschmierte eine Oberfläche. Nun endlich konnte auch die Rabin es erkennen und ihre Augen weiteten sich ein wenig, ehe sich ihre Züge im wahrsten Sinne des Wortes wie die aufgehende Sonne erhellten.

„Wir hätten den ganzen Wald absuchen können und es wäre direkt vor unserer Nase gewesen", meinte die sie, während Cian langsam seine Hände um den faustgroßen Edelstein schloss. 

 In Cians nachtblauen Augen spiegelte sich der Glanz eines faustgroßen, silberweißen Edelsteins. Feine Glasadern durchzogen das milchig weiße Juwel, von dem ein überirdisches Leuchten ausging. Macht pulsierte plötzlich durch seine Adern und Cian spürte, wie sich seine Wunden zu schließen begannen. Kaum berührten seine Finger die Oberfläche, hörte er ein Geräusch. 

In einer anderen Situation wäre es so leise gewesen, dass er es vielleicht selbst mit seinen scharfen Sinnen nicht gehört hätte. Aber hier, inmitten der Totenstille des fehlenden Lebens, erhob es sich wie ein Dröhnen. 

 'Lasst mich euch helfen. Befreit mich, und ich gebe euch die Macht, sie zu rächen.

 Es war ein Flüstern. Eine kristallklare, seidenweiche Männerstimme. Sie hatte nichts von Odhráns bedrohlicher Naturgewalt, sondern klang wie ein Frühlingswind in seinen Ohren. Dieses Flüstern... war die pure Versuchung. 

Cian schüttelte leicht den Kopf, als könnte er so die Worte zwischen seinen Schläfen vertreiben.

„Was ist los?", fragte Lir besorgt, die sofort neben ihn getreten war und ihre Hand auf seine legte. 

„Er spricht mit mir", murmelte Cian dunkel und ließ das Herz wieder los, so dass es in Lirs Finger glitt. Die Rabin hielt das Juwel vielleicht ein paar Sekunden. Da klirrte etwas leise und ein Glassplitter fiel aus ihrer freien Hand neben ihren Füßen zu Boden. Fassungslos beobachtete Cian, wie sich die Schnittwunden seiner Begleiterin Stück für Stück schlossen und jeden eingeklemmten Splitter förmlich ausspuckten. Fast schien es, als zöge eine unsichtbare Kraft das Glas aus ihrem Körper... 

Doch Thrindars Kraft war wie Honig. Süß und süßlich, aber zu viel davon verklebte die Sinne. Schließlich war er der Herr der Lüge und des Betrugs ... und schon immer ein Meister darin gewesen, anderen Gift ins Ohr zu träufeln. 

 'Seht, ich helfe euch... ich könnte noch so viel mehr tun...' 

 Lirs Blick wurde plötzlich ernst. Es war der Moment, in dem sie Thrindars Stimme hörte, das konnte Cian förmlich sehen. Ihre Stirn legte sich in Falten, in ihren Augen spiegelte sich der unnatürliche Glanz des Steins und ihre vollen Lippen formten eine strenge Linie, an die sich der Fuchs weiterhin nicht gewöhnen wollte.

'Befreit mich... So viele Pakte habe ich geschlossen, so viele Geister überlistet...' 

 Lir war klug. Trotzdem wollte er nicht riskieren, dass sie auf die giftigen Worte des Meisters der Täuschung hereinfiel. 

 „Lass dich nicht von leeren Versprechungen einwickeln. Eine Abmachung mit einem der Prinzen reicht völlig aus", sagte Cian ernst. 

Die junge Frau reagierte nicht gleich. Ihr Blick blieb auf den Stein geheftet und in Cians Brust wuchs Sorge. Langsam legte er die Hand auf die Schulter seiner Gefährtin. Es dauerte einen Moment, doch dann richtete Lir ihre goldenen Augen auf ihn und nickte endlich zustimmend.

Erleichtert atmete der Fuchs aus und zog eilig aus seiner Ledertasche das Behältnis, das Odhrán ihnen gegeben hatte, um die Herzen bis zu ihrem Ziel aufzubewahren: Es war eine Truhe, auf den ersten Blick aus schlichtem, hellem Holz gefertigt. Doch bei genauerem Hinsehen erkannte man feine Gravuren und Linien, die in die Jahresringe eingearbeitet waren und im rechten Winkel schwärzlich schimmerten. Erst wenn man sich die Zeit nahm, sich zu konzentrieren, erkannte man, dass es sich bei dem Muster auf dem Kästchen nicht um Holz, sondern um Federn handelte - das Zeichen des Rabenfürsten. 

 Cian öffnete das Kästchen und wartete, bis Lir den Edelstein vorsichtig hineingelegt hatte. Das Flüstern verstummte augenblicklich und auch die Wellen der Macht verstummten mit dem leisen Klicken des Deckels. 

 „Gut", sagte Cian und schob das Kästchen zurück in die Tasche, die er geschickt unter seinem Mantel versteckt hatte. „Es wird nicht lange dauern, bis der König den Diebstahl bemerkt und uns seine Häscher auf den Hals hetzt."

Wortanzahl: 1.804 Wörter

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