Kapitel 20 - So nah wie die Sonne

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Drei Stunden.

Drei Stunden hatte es gedauert, bis Lir und Cian sich ihren Weg durch das blut-besprenkelte Feld gebahnt hatten. Inzwischen war Lirs Stirn vor Anstrengung mit Schweiß bedeckt und vor ihren Augen bildeten sich immer wieder schwarze Punkte. Die Sonne war untergegangen und aus dem roten Feld erhoben sich gespenstisch glimmende, rubinrote Funken, die von den blutgetränkten Blüten aufstiegen. Fast so, als hätte jede Blume ein eigenes, schlagendes Herz, von dem ein glimmendes Licht ausging, wie eine tänzelnde Flamme.

Die Atmosphäre war unheimlich und wie in den anderen beiden Verstecken der Herzen setzte den Naturgeistern die Abwesenheit gesunder, unverfälschter Landschaft zu. Doch nicht nur das. Die Erinnerungen an das Gesehene überfielen Lirs Verstand ebenso wie ihr Herz immer wieder aufs Neue. Sie sehnte sich nach ihrer wahren Form, ihren Flügeln... nach einer Pause von diesem Leid. Nur der Gedanke an das Ziel ihrer Eskapade ließ sie überhaupt noch weiter zwischen den fleckigen Kristallfeldern hin- und herspringen.

Doch dann erreichten sie endlich den Haufen, der zuvor noch ewig weit weg anmutete und den sie schon vor Stunden erspäht hatten.

Die roten Funken erleuchteten die Haufen nur spärlich, vor dem Cian und Lir keuchend und schweißgebadet zum Stehen gekommen waren. Die Erhebung, der Hügel, die Anhöhe... es entpuppte sich als genau das, was Lir bereits mit Schrecken vermutet hatte.

„Es sind Körper", sprach Cian aus, was sie beide mit düsteren Mienen und überbordender Erschöpfung betrachteten.

„Die Leichen von Morgraths letzten Gegnern", sagte Lir leise und ihre Stimme brach beinahe, als sie an die Erinnerungen der Generalin dachte, die nach wie vor durch ihren Kopf spukten. „Der Berg sieht höher aus als in der Vision."

In der Erinnerung hatte es so ausgesehen, als stapelten sich die Körper höchstens einen halben Meter, doch jetzt... türmten sich die versteinerten Körper mindestens sechs Meter empor. Ströme von rotem Kristall bedeckten den Stein, waren über Köpfe, Gliedmaßen und Rümpfe getropft und bildeten eine Lache, so groß wie ein Flusslauf um den steinernen Hügel herum.

Ganz oben, an der Spitze des Leichenhaufens, glomm etwas.

'Das Herz', dachte Lir und rieb sich verzweifelt die Schläfen.

Wie sollten sie das schaffen? Bei jeder Berührung mit dem Kristall war es unvermeidbar, dass man mindestens für einen Sekundenbruchteil das Bewusstsein verlor. Sogar, wenn sie es bis zur Hälfte oder fast nach oben schafften, war es möglich, dass sie sich bei dem Sturz so schwer verletzten, dass die Erfüllung ihrer letzten Mission scheiterte.

Dieses Risiko wollte keiner von beiden eingehen.

„Ich kann hinauffliegen", sagte Lir in die Stille und musterte den Berg nachdenklich.

„Auf keinen Fall. Was, wenn du... nicht mehr zurückfindest? Das lasse ich nicht zu." Entschlossen schüttelte Cian den Kopf. „Es muss eine andere Möglichkeit geben."

„Wir verlieren zu viel Zeit, Cian. Mit jeder Minute, die verstreicht, könnte der Nachtkönig bemerken, dass die Herzen weg sind und wenn er hier zu früh auftaucht, haben wir keine Chance ihn zu besiegen."
Die Rabin versuchte ihre Worte in einem sanften Klang zu verpacken, doch es änderte nichts an der Schwere, die sie besaßen.
„Denk daran, wofür wir hergekommen sind. Es geht nicht um uns, nicht um das Herz, nicht einmal um den Tod des Königs. Es geht um Heilyn... um Rache, um einen Hoffnungsschimmer. Cian, die Hoffnung auf Heilyns Rettung, auf ihr Leben ist alles, was mich in den vergangenen Tagen am Leben gehalten hat und ich weiß, dass das bei dir genauso ist."

Ganz langsam hatte sich Lir ihrem Gefährten genähert.

Cians Augen waren so blau wie die Nacht, tief und dunkel, ein Tuch über dem Firmament voller glitzernder Sterne, die darin eingewoben waren wie kostbare Erinnerungen in die Seele. Lir sah darin jeden Tag, den sie mit ihrer geliebten Herrin und ihm verbracht hatte. Cian, ihr Cian. Ihr schwarzer Fuchs.

Vorsichtig legte Lir eine Hand an seine Wange und streichelte beruhigend darüber.

„Ich werde vorsichtig sein. Ich verspreche, ich vergesse nicht... ich komme zurück", wisperte sie eindringlich. In den goldenen Augen lag ein warmes Glänzen, das Cian Vertrauen schenken sollte.

„Ich weiß, du willst nicht vergessen", murmelte er ebenso leise zurück und haltsuchend glitt seine Hand an ihre Wange, strich mit den Fingerkuppen beinahe liebkosend über ihr Gesicht.

Cians Haut war kühler als ihre, von ihm ging immer dieser Schimmer aus... wie Mitternachtsregen im Mondlicht. So anders als sie selbst.

Warm, hell, golden... der Sonnenschein ihrer kleinen Gruppe.

Mit rauer Stimme fuhr Cian fort: „... aber wenn das Vergessen dich packt, fragt es nicht, ob du willst oder nicht. Bitte, es muss einen anderen Weg geben. Wir schaffen das nur gemeinsam und ich kann dich nicht auch noch verlieren."

Ein trauriges Lächeln glitt über die Lippen der weißen Rabin, dann schüttelte sie den Kopf. „Bitte Cian. Du musst mir vertrauen. Anders geht es nicht, dort ist zu viel Kristall."

Die Momente verstrichen, flossen zäh wie bitterer Honig dahin und nahmen keine Rücksicht, auf die Not der beiden Naturgeister.

Cian und Lir blickten einander an, suchten in dem Gesicht des jeweils anderen nach einer Antwort, einer Lösung, die ihnen beiden gefiel... doch sie mussten erkennen, dass das die einzige Möglichkeit war.

„Also gut", sagte Cian nach einigen Herzschlägen, die sich für Lir wie die längsten ihres ganzen Lebens anfühlten. Ein freundloses, aber dankbares Lächeln verzog die schönen Lippen der Rabin und sie nickte.

„Sprich mit mir, während ich fliege", fordert sie ihn auf und ließ dann von Cian ab.

„Warte."

Seine Hand lag noch immer an ihrer Wange und mit sanftem Druck zog er Lir zu sich zurück. Die Rabin lächelte, als kühle, weiche Lippen auf ihre Stirn drückten und Cian sie für einen Moment an sich zog. Er hielt sie und insgeheim wusste auch Lir, dass es tatsächlich das letzte Mal sein könnte, dass er sie in den Armen hielt.

„Ich werde mehr Worte sprechen, als du mich in unserem ganzen Leben je hast sagen hören", versprach er mit einem gequälten Lächeln und ließ sie schließlich los.

Die Rabin nickte, schaffte es allerdings nicht, sich ein Schmunzeln abzuringen.

Als sie sich voneinander gelöst hatten, richtete Lir ihren Körper auf, machte sich gerade und lockerte ihre Schultern. Der golden schimmernde Blick rutschte weg von Cian, hin zu dem aufgetürmten Leichenberg und sie dachte an Rivenra.

Die Generalin mochte einem furchtbar grausamen, schrecklichen Herrn gedient haben, doch die Verbissenheit und Entschlossenheit, mit der sie ihn verteidigt hatte, würde Lir nun benötigen, um das hier zu schaffen. Ein Teil von Rinveras Geist, von ihren Erinnerungen, weilte immer noch in ihrem Verstand.

Sie atmete tief ein... dann verwandelte sie verwandelte sich.

Der weißgoldene Nebel hüllte sie ein wie ein Tuch, legte sich vertraut und liebevoll um ihre Schultern, bis das strahlend weiße Gefieder ihren ganzen Körper bedeckte, der sich bereits verändert hatte. Zwischen den rot glühenden Funken, die aus den Blütenkelchen aufstiegen, wirkten ihre schönen Federn fast, als wären sie mit Blut besudelt.

Die weiße Rabin schüttelte sich einmal, dann breitete sie die Flügel aus. Der Boden war nicht ihr natürliches Habitat, sie wollte fliegen, sie wollte nach oben... auf die Spitze dieses Leichenberges.

Der erste Flügelschlag.

Lir startete vom Boden. Ihre weiten Schwingen hoben sie zuverlässig in die Lüfte, bogen die Blumen um und verdrängten die Erschöpfung, die sich durch längst vergangene Schlachten in ihrem Körper eingenistet hatte.

Sie fühlte sich sofort besser, kaum, dass der Kontakt zu den schrecklichen, blutgetränkten Blüten und dem Feld voller Leichen abbrach. Schräg neben ihr drang Cians Stimme an ihr Ohr. Sie war zu konzentriert, um alles zu verstehen, was er sagte, doch seine reine Anwesenheit erleichterte sie.

Der zweite Flügelschlag.

Ihr Blick konzentrierte sich auf das Glühen, welches in einiger Entfernung ganz oben auf dem Leichenturm verheißungsvoll zu beben schien.

Dorthin musste sie, deshalb waren sie hier... sie und... egal, deshalb waren sie hergekommen.

Unter ihr schallten seine Worte empor, doch... wie war sein Name?

Nein, nein sie durfte sich nicht verunsichern lassen.

Der dritte Flügelschlag.

Das Licht, dessen Farbe schwer zu deuten war, rückte näher. Nicht mehr lang, nur noch wenige Meter.

Lirs Blick glitt von dem pulsierenden Leuchten ab, zu den obersten Reihen der Toten. Verschlungene, versteinerte Leiber, die sich in Todesqualen wanden und von funkelndem Rot bedeckt waren. Ein scheußliches, abstoßendes Bild.

Nein, sie wollte nicht so nah an diese verdrehten, gepeinigten Körper heran.

Der vierte Flügelschlag.

Licht war schon eine faszinierende Sache. Es durchbrach den gespenstischen Abendschimmer und war gleichzeitig weder weiß noch im Allgemeinen hell. Stattdessen... gab es schwarzes Licht?

Unnatürlich.

Der Gedanke nahm ihren Verstand ein, wie eine Armee ein Bauerndorf. Das war unnatürlich und gefährlich und... sie wollte dort nicht hin.

Aber sie musste.

Verdammt, wieso war der Drang nur so groß?

Der fünfte Flügelschlag.

Die Rabin bäumte sich in der Luft auf, unter ihr schrie jemand, doch sie verstand die Worte nicht. Mit eiserner Entschlossenheit zwang sie ihren Körper, ihrem Verstand wieder zu gehorchen. Wieso auch immer, sie musste zu diesem schwarzen Licht, musste es haben. Ihre Flügel bebten und sie näherte sich der Spitze des Leichenhaufens.

Wortanzahl: 1.479 Wörter

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