Kapitel 6 - Erstarrt

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Es schien ihm, als würden sie ihr Zuhause für immer verlassen, als sie sich immer weiter von ihrem Hain entfernten. Gemeinsam folgten die beiden Wächter einer von Odhráns schwarzen Krähen, die ihnen den Weg wies.

Wie ein lebendig gewordener Schatten huschte der schwarze Fuchs durch das hohe Gras der saftig grünen Auenlandschaft, die an den Wald grenzte. Der Duft wilder Blumen kitzelte in seiner Nase, während die dunklen, mitternachtsblauen Augen wachsam die Umgebung überwachten. Immer wieder blieb er stehen, lauschte in verschiedene Richtungen und setzte dann rasch seinen Weg fort, der ihn über Stock und Stein dieses verwilderten Tales führte.

Erst als er schließlich eine Anhöhe erreicht hatte, von deren großmütterlich gekrümmtem Rücken man das Tal und den Wald überblicken konnte, hielt er einen Augenblick inne. Der schwarze Fuchs mit dem dunkelblauen Schimmer im glänzenden Fell warf einen wehmütigen Blick zurück.

Seine Brust hob und senkte sich unter seinen regelmäßigen, aber schweren Atemzügen und sein Herz schlug schnell, als wolle es ihn zur Eile treiben, um den zu engen Knoten in seiner Brust so schnell wie möglich zu lösen.

Cian stieß einen schnaufenden Laut aus und schüttelte sich unter dem ekelhaft kalten Schauer, der ihm die schwarzen Haare im Nacken aufstellte. Schon oft hatten er und Lir sich heimlich gegen Hailyns Anweisungen aus dem Wald geschlichen. Es war die typische Rebellion, die eines Tages in jedem Lebewesen erwachte, wenn es die Grenzen seiner neu gewonnenen Gestalt auslotete. Aber jetzt verließen sie das vertraute Territorium aus anderen Gründen, als dem aufsässigen und ungezähmten Funken, der den meisten Naturgeistern innewohnte.

Die Baumkronen rauschten, die Äste bogen sich, und fast schien es, als wollte der Wald ihnen zum Abschied zuwinken und ihnen viel Glück auf ihrer Reise wünschen. Wie ein grünes, weites Meer bog sich das Gras unter den Böen des Windes und Cian hob den Kopf, um blinzelnd in den tiefblauen Himmel zu blicken. Zwischen den weißen Wolken, die mit dem Wind träge dahinzogen, fiel der schneeweiße Rabe kaum auf, der dort wie ein stiller Wächter über ihm seine Bahnen zog.

Ein paar Herzschläge lang heftete sich der Blick der kristallblauen Augen an das weiße Gefieder, auf dem sich die Morgensonne brach und es in einen orangeroten Schimmer hüllte, als hätte Lir eher die Gestalt eines Phönix als die eines Raben.

Odhrán hatte recht: Gewöhnlich genoss es der Fuchs, durch das Unterholz zu rennen, das Laub und das Gras unter seinen Pfoten und den Schimmer von Lirs weißem Gefieder über sich. Aber jetzt pochte das schmerzliche Wissen in seinem Hinterkopf, dass es kein Zuhause mehr gab, in das sie zurückkehren konnten, wenn sie scheiterten.

Es machte seinen Herzschlag schwerer und schien jeden seiner Schritte beschwerlicher zu machen. Fast so, als hätte man ihm ein paar Steine an die Pfoten gebunden. Die bunten Farben erschienen ihm heute matter und die Welt zog wie ein Gespenst an ihm vorbei. Kein Blatt lockte mehr zum Spiel, die Düfte der Erde waren heute flüchtig und nebensächlich.

Alles fühlte sich anders an.

Anders und ... falsch.

Als hätte die Trauer einen Schleier über die Welt gezogen.

Die Stunden zogen an ihnen vorbei, in denen sie weite Felder mit golden schimmernden Ähren oder rauschende Flüssen überquerten.

In der Ferne erhob sich das gewaltige, gräuliche Gebirge wie eine Speerspitze und warf seinen Schatten über das Land, während sich im Westen das bläuliche Flimmern der Jadewüste am Horizont abzeichnete. Doch all das ließen sie außer Acht und konzentrierten sich ausschließlich auf das schwarze Gefieder des Raben, ihres Wegweisers und Führers.

Als sich vor Cian eine Hügellandschaft auftürmte, hatte die Sonne ihren Zenit schon weit überschritten und glitt wieder in den violett-blauen Schleier der heraufziehenden Dunkelheit. Das Gras raschelte unter seinen Pfoten, als der Fuchs auf einen der vielen Felsbrocken sprang, die sich aus dem Grün erhoben. Das Geräusch flatternder Flügel ließ ihn erneut aufblicken.

Der lange, buschige Schwanz des Fuchses zuckte, als er zusah, wie Lir in engen Schleifen zu Boden glitt, bis sie nur noch wenige Meter vom Boden entfernt war. Das weiße Gefieder schien zu zerfließen, ihre Gestalt entfaltete sich, und aus dem winzigen Vogel schälte sich die menschliche Gestalt der schlanken Frau, die nun wie ein lebendig gewordener Lichtstrahl auf dem Gipfel stand und auf ihn wartete.

Das schneeweiße Gefieder glänzte im Sonnenlicht, als Cian etwas schneller auf sie zukam. Seine tierische Gestalt zerfloss bei den letzten Schritten wie Wasser, das die Form des Fuchses abperlen ließ. Aufrecht, die Hände fest um den Speer geschlungen, schritt er auf Lir zu und seine Stirn legte sich skeptisch in Falten, als er ihren strengen Gesichtsausdruck erblickte.

„Ist etwas passiert?", fragte er sogleich besorgt, während sein Blick über ihre Silhouette wanderte, als wolle er sich vergewissern, dass sie keinen Kratzer abbekommen hatte. Für Cian war es ungewohnt, Lir so ... ernst zu sehen. Seit sie sich kannten, hatte die freche, kluge Rabin immer ein Lächeln auf den Lippen getragen. ER war Mitternachtsregen. SIE war Sonnenschein. ER war ernst, SIE war verspielt und fröhlich. So war es immer. So sollte es ewig sein. 
Jetzt schien alles durcheinander und seltsam. Und das gefiel ihm nicht.

„Komm, du kannst es von hier oben sehen", antwortete sie ihm nichtssagend.

Lir streckte ihm die Hand entgegen, um ihm beim letzten Schritt über einen Felsen zu helfen. Cian nahm ihre Hand und schlang seine großen Finger um die zarten Glieder der Rabin, aber natürlich drückte er ihr sein Gesicht nicht auf.

Cian stieg mit Lir die letzten Meter hinauf, wo der Boden wieder flacher wurde. Hier oben standen nur noch ein paar alte Bäume und eine prächtige Eiche reckte ihre Äste dem langsam schwindenden Licht entgegen.

Doch was Cian wirklich in seinen Bann zog, war der Anblick, der sich ihm auf der anderen Seite bot. Dort erstreckte sich ein riesiger Wald, der sich an die zahlreichen Hügel schmiegte, als wollten jene ihn in ihre Arme schließen.

Reih um Reih standen die Bäume dicht beieinander, und die mächtigen Kronen verbargen jeden Blick unter ihr Blätterdach.

Doch was ihre Blicke wirklich fesselte und Cian den Atem anhalten ließ ... war das Glitzern. Als hätte ein Eisregen seinen Atem auf die Oberfläche des Landes gelegt, schien jeder Grashalm und jeder Baum wie eingefroren. Eine Welt aus Glas breitete sich zu ihren Füßen aus, schimmernd in der Sonne, deren Licht sich darin verfing und diesen Fleck wie einen riesigen Diamanten funkeln ließ.

„Die Bäume ... der Wald ... alles ist aus ..."

„Glas", antwortete Lir und kräuselte die feine Stupsnase.

„Ist das unser Ziel?", fragte Cian, obwohl er die Antwort schon ahnte, bevor er die Frage überhaupt ausgesprochen hatte.

Lir nickte, begleitet von einem Seufzen, und strich sich eine Strähne ihres silberweißen Haares aus dem Gesicht, das der Wind gleich wieder spielerisch nach vorn wehte.

„Ich fürchte ja. Und Odhráns Lakai weigert sich, uns weiter zu begleiten."

Der Fuchs umklammerte den Speerschaft fester. Die Anspannung entlud sich in seinen Gliedern, wohl wissend, dass keine leichte Aufgabe auf sie wartete. Wer oder was auch immer den Anker von Fear Doirichs Macht an diesem Ort bewachte, würde nicht leicht zu besiegen sein ... aber es kam ihm nur gelegen. Denn auch der Fuchs sehnte sich nach einem Ventil für den nagenden Schmerz, vermischt mit bodenlosem Zorn in seinem Inneren.

„Dann sollten wir keine Zeit verlieren", sagte Cian und ging entschlossen auf den Wald aus Glas und Kristall zu.

Es war ein seltsames Gefühl, unnatürlich und unpassend, als sein Stiefel den ersten Schritt zwischen die zarten Grashalme setzte.

Sofort knackten und knirschten die Halme unter seinem Gewicht. Zahlreiche kleine Stängel brachen und die beiden Wächter hinterließen eine Spur aus Scherben und schimmernden Glassplittern. Nur noch wenige Meter trennten sie von den ersten ausladenden Baumreihen und ihren schimmernden Kronen, in denen sich das Licht der Dämmerung wie Feuer verfing.

Schließlich türmte sich der Wald vor ihnen auf und sie hielten kurz inne, um sich zu sammeln. Eine gespenstische Stille lag über dem Ort, die ihre Nerven sofort zum Beben brachte. Nur die dünnen Blätter schienen manchmal wie singender Kristall im Wind zu klirren, leise, kaum wahrnehmbar.

Cian ließ seine Augen in einer seltsamen Mischung aus Andacht und Abscheu über den Anblick gleiten. Als Naturgeister fühlten sie sich mit allem Leben und den Wäldern verbunden, aber das?

Dieser Ort war bizarr. Er hätte ebenso gut eine Wüste aus heißem Sand sein können, denn obwohl die erstarrten Abbilder der Bäume und des Dickichts wie vertraute Vegetation aussahen, fehlte ihnen die ausschlaggebende Lebenskraft.

„Was immer da drinnen lauert, es wird uns nicht freundlich gesinnt sein", murmelte der Fuchs.

„Das trifft sich gut", antwortete die Rabin. „Denn ich bin ihm auch nicht freundlich gesonnen."

In diesem Moment zerriss das laute, schrille Kreischen eines Raubvogels die angespannte Stimmung wie eine geschliffene Klinge einen dünnen Seidenschleier.

Beide zuckten zusammen. Sofort schossen ihre Blicke zum Himmel, um nach der Quelle zu suchen. Beide hatten sie den gleichen Gedanken:

Könnte es sich um einen Spion des Königs oder von Tirnan handeln?

Hatte er erfahren, was sie im Schilde führten?
Das konnte nicht sein...

Doch tatsächlich erblickten sie am Himmel einen Falken, dessen Gefieder wie pures Gold schimmerte. Sofort griff Cian nach Lirs Arm und zog sie mit wild pochendem Herzen in den Schatten von einem der Glasriesen...

„Er wird uns sehen!", zischte Lir.

Cian knurrte, doch er konnte nichts entgegnen.

Lir hatte recht. Ganz sicher würde der Falke sie entdecken – und bis dahin brauchten sie einen Plan! Seine Gedanken rasten, während sich sein Kopf in alle Richtungen wandte und drehte. Verdammt noch eins, wie sollten sie sich in einem verdammten Glaswald verstecken?

Neben ihm tasteten Lirs Hände bereits nach ihrem Bogen. Doch sie rief den Pfeil aus Sonnenlicht noch nicht herbei – wohl wissend, dass man das Schimmern und Leuchten zweifellos durch das Glas wie ien Leuchtfeuer entdecken würde.

Sie konnten sich nicht verbergen und auch nicht entkommen. Also fasste der Fuchs den Speer fester und spürte das vertraute Kribbeln der Elektrizität eines Blitzes in seinen Händen, während Cian jeden Muskel in seinem Körper anspannte.

Beide starrten sie in den Himmel und beobachteten, wie der Falke eine Schleife flog. Seine scharfen Augen bohrten sich förmlich in die Baumwipfel. Schließlich war er genau über ihnen und der verhängnisvolle Moment war gekommen.

Der Schnabel des Falken öffnete sich zu einem markerschütternden Schrei – der plötzlich mitten im Ton abbrach.

Lir und Cian blinzelten.

Der Falke ... erstarrte mit einem Mal und stürzte wie ein Stein in die Tiefe.

„Was zum Teufel?", keuchte Cian und warf sich schützend über Lir, als der Körper mit einem lauten Scheppern direkt vor ihnen aufschlug.

Der Fuchs spürte, wie Projektile gegen seinen Pelzmantel schlugen. Etwas rollte gegen CIans Stiefel und als er und Lir die Blicke auf den Ursprung lenkten, bot sich ihnen ein grauenhaftes Bild:

Es war der Kopf des Falken, der eben noch am Himmel gekreist war. Die Augen aufgerissen und der Schnabel in seinem letzten Schrei erstarrt, lag er nun als ein Meer aus zersplitterten Scherben zu ihren Füßen.

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