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Manchmal frage ich mich, wie mein Leben war, bevor ich Khat kennenlernte. Was ich den ganzen Tag gemacht habe. An wen ich gedacht habe. Mit wem ich gesprochen habe. Es war vermutlich ziemlich ereignislos gewesen.

Als Kind war ich sehr still. Als ich noch klein genug war, stellte ich mich auf den Schuh meiner Mutter und klammerte mich an ihrem Knie fest, um von ihr getragen zu werden. Wenn Leute mich ansahen, spürte ich sofort meine Wangen glühen unter der Last der unerwünschten Aufmerksamkeit.

Manchmal sah ich mich im Spiegel an und suchte mein Gesicht nach Dingen ab, für die ich mich schämen könnte. Meine runde Nase, jeden noch so kleinen Pickel. Ich starrte mein Gesicht so lange an, bis es mir nicht mehr symmetrisch vorkam, verzerrt, bis jedes noch so kleine Detail gigantisch wirkte.

Bei unserer Einschulung mit sechs Jahren war Khat ein Stück größer als ich, und sie fiel mir auf, weil ihre schwarzen Haare in der Sonne blau glänzten, und weil ihre Schultüte die größte von allen war.

Später, als Tom mich absichtlich anrempelte und mir mein Pausenbrot auf den Boden fiel, fing ich vor der ganzen Klasse an zu heulen. Während ich weinte und weinte und die Lehrerin versuchte, mich zu beruhigen, starrte Khat mich durch den Klassenraum an, ihre dunklen Augen vollkommen emotionslos.

Als Tom am nächsten Tag in der Mittagspause sein Pausenbrot rausholen wollte, um zu essen, war es nicht mehr da. Jemand hatte es aus seinem Rucksack gestohlen.

Khat liebte Gerechtigkeit, das war das erste, was ich über sie erfuhr. Jede Strafe musste genauso groß sein wie die Tat, auf die sie folgte. Tom hatte mich hungern lassen, also sollte auch er hungern. An dem Tag fing sie mich nach der Schule auf dem Nachhauseweg ab. „Hey, du! Willst du was essen?", fragte sie.

„Nein?", antwortete ich skeptisch.

Sie hielt mir trotzdem die Hälfte von Toms Brot hin. Ich erkannte sofort, dass es seins war, weil er den ganzen Schultag gejammert hatte, dass seine Eltern ihm heute extra seinen Lieblingskäse draufgelegt hatten. Wir waren Kinder und wir aßen an diesem Nachmittag nicht, weil wir Hunger hatten, sondern weil Rache süßer schmeckte als jedes verdammte Käsebrot.

„Ich heiße Khat", sagte Khat.

„Cat?", fragte ich, stolz weil ich schon ein paar englische Worte kannte. „Wie die Katze?"

„Nein. Khat. K-h-a-t. Und du?"

„Sofia. Mit f. Aber meine Familie nennt mich Fia."

„Und deine Freunde?"

„Ich hab noch keine Freunde."

Sie nickte, als könnte sie das gut verstehen. Sie schien mich sehr genau zu mustern und während es mir bei jeder anderen Person unangenehm gewesen wäre, blieb ich ganz ruhig, wartete bloß geduldig darauf, dass sie mit ihrer Begutachtung fertig war. „Wo gehst du jetzt hin, Fia?"

„Nachhause?"

„Kann ich mitkommen?"

„Okay?"

„Du sprichst, als würdest du immer Fragezeichen hinter deine Antworten setzen."

Ich sah sie an. Sie sah neugierig zurück. Und so wurden wir beste Freundinnen.


Alles, was ich vor diesem Tag allein gemacht hatte, teile ich seit diesem Tag mit ihr. In der Schule sah man uns nur noch zu zweit. Wenn ich schwieg, sprach sie, und wenn ich sprach, hörte sie zu. Wenn sie merkte, dass mir etwas unangenehm war, begann sie, laut und albern zu werden, damit sie die Aufmerksamkeit von mir auf sich lenkte. Sie hatte irgendetwas in mir gesehen, so wie ich etwas in ihr gesehen hatte. Es schweißte uns zusammen, ohne dass wir es steuern konnten.

In der Mittelstufe waren wir wie Schwestern. Ich war immer noch ruhig, aber ich hatte aufgehört, mir Sorgen darüber zu machen, was andere von mir hielten. Khat hatte mir gezeigt wie. Sie mochte mich und das gab mir genug Sicherheit, zu wissen, dass ich liebenswürdig sein musste. Sie lachte über meine Witze, also musste ich witzig sein. Sie hörte mir gerne zu, also musste ich interessant sein. Sie verbrachte gerne Zeit mit mir, also konnte ich gar nicht unausstehlich sein. Es war faktisch unmöglich.

Wir waren vierzehn, als Khat neben mir im Bett ihre in Ringelsocken verpackten Füße in die Luft streckte und sagte: „Hast du mitbekommen, dass Lisa und Tina nicht mehr miteinander reden? Dabei waren sie beste Freundinnen. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwann nicht mehr mit dir zu reden. Im Ernst. Ich glaube nicht, dass das passieren kann. Ich könnte niemals genug von dir haben. Ich meine, selbst wenn ich irgendwann einen Freund hab, oder so – was natürlich nie passieren wird, weil ... Jungs, ugh. Aber selbst wenn. Das könnte nichts an unserer Freundschaft ändern. Wir sind wie Schwestern. Wir bleiben zusammen."

Sie sagte das und ich glaubte ihr. Ich glaubte ihr, weil ich das genauso sah. Sie schien nicht nur ihre Gedanken in Worte zu fassen, sondern auch meine.

Selbst später, mit sechszehn, als Khat dann doch ihren ersten Freund hatte, glaubte ich das noch. Solange sie mehr Zeit mit mir als mit ihm verbrachte, brauchte ich mir keine Sorgen machen. Noch immer kletterte sie nachts nach ihren Dates durch mein Zimmerfenster, schob ihre kalten Füße unter der Bettdecke an meine und erzählte mir von all den Dingen, die sie mit ihm getan hatte, die ich noch nie getan hatte – von den Küssen, dem Händchenhalten, den Händen auf ihrer Haut.

Sie tat die Dinge immer bevor ich sie tat. Das war eine ungeschriebene Regel. Sie hatte auch ihre Periode zwei Tage vor mir bekommen. Und während sie mir von seinen Küssen erzählte, hörte ich aufgeregt zu. Danach kuschelten wir uns aneinander und schliefen ein, ich mit Bildern im Kopf von Khat, von Händen auf nackter Haut, von einem Kribbeln, das ich, je länger ich darüber nachdachte, selbst in meinem Körper spüren konnte. Es war, als würde ich die Dinge durch ihre Erzählungen selbst erleben.

Als ihr damaliger Freund ein paar Wochen später per Telefon mit ihr Schluss machte, saß ich neben ihr im Bett. Und während ich ihren bebenden Körper an mich presste, fragte ich mich, was für ein Mensch Khat jemals sitzen lassen könnte. Ich würde das definitiv nie tun. Und während ich ihr über das schwarze Haar strich, wusste ich, dass ihr Freund – jetzt Ex-Freund – alles hätte haben können. Die ganze Welt. Alles, was ich je haben wollte. Und alles, was ich nie haben werde.

Und das ist okay so. Die einen brechen die Herzen und die anderen flicken sie. Bei ihrem zweiten Freund ist sie es, die Schluss macht. Und dann, einige Monate später, trifft sie auf Finn. Und alles wird anders. 

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