16 - Kokosraspeln fürs Herz

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Waverlys POV

„Mist!", ärgere ich mich, nachdem ich außer Atem über die Ziellinie gestürmt bin. Von den zehn Hürden, die in einem gleichmäßigen Abstand auf der Tartanbahn verteilt sind, stehen nur noch sieben aufrecht. Die anderen drei liegen umgekippt auf dem Boden.

„Vielleicht solltest du mal eine Pause machen, Avie", rät mir Everest. „Du trainierst jetzt schon seit über zwei Stunden."

Ich seufze genervt. „Würde ich nicht immer an einer Hürde hängenbleiben, hätte ich mich schon längst vom Acker gemacht", schnaube ich erschöpft und frustriert zugleich.

Seit heute Morgen ist irgendwie der Wurm drin. Erst habe ich bei meinem Dauerlauf fürchterliches Seitenstechen bekommen, dann ist mir immer wieder der Speer aus der Hand geglitten und jetzt räume ich eine Hürde nach der anderen ab.

„Wahrscheinlich hast du gerade keinen freien Kopf zum Trainieren", behauptet Everest. „Es ist okay, auch mal einen Tag Pause zu machen. Wenn du möchtest, kannst du gerne mit mir über Preston-"

„Hör auf!", unterbreche ich Everest energisch.

Mir ist bewusst, dass er es nur gut meint, aber seit ich gestern Abend aus Prestons Haus geflüchtet bin, möchte er mich ständig zu einem Gespräch drängen. Auch wenn ich maßlos überfordert war und mich Prestons Verhalten enttäuscht, ist es okay für mich, dass unser Date nicht so rosig verlaufen ist, wie ich es mir gewünscht habe.

Wenigstens weiß ich jetzt, dass Preston nicht der Mann meiner Träume ist.

„Du musst das nicht runterspielen, Waverly", kann es Everest nicht sein lassen, auf dem Preston-Thema herumzuhacken. „Er hat dich bedrängt. Und das ging eindeutig zu weit!"

Ich ignoriere seine Aussage und stelle stattdessen die Hürden auf, die ich erst vor wenigen Minuten umgeworfen habe. Zwar fühlen sich meine Beine wie Wackelpudding an und mein Herz hat keine Energie mehr, aber ich möchte das Training unbedingt mit einem perfekten Lauf abschließen. Müdigkeit hin oder her.

Begleitet von Everests nervigen Kommentaren, die sich allesamt um gestern Abend drehen, begebe ich mich zurück in meinen Startblock. Gerade als ich mein Gesäß anheben möchte, ertönt plötzlich mein Spitzname.

„Avie?"

Erst denke ich, dass Everest derjenige ist, der mich anspricht, doch nur eine Sekunde später schieben sich dreckige, weiße Sneaker in mein Sichtfeld. Sofort hebe ich den Kopf und erstarre, als ich in das zerknautschte Gesicht von Preston schaue.

„Och nö", grummelt Everest angespannt. „Was will dieses Arschloch denn hier? Er soll sich gefälligst von dir fernhalten!"

Ich stolpere unbeholfen aus dem Startblock und frage überfordert: „P-Preston? Was verschlägt dich auf den Sportplatz?"

Es ist merkwürdig, ihn wiederzusehen und ihm so nahe zu sein. Auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass er mich erneut mit einem Kuss überfällt, achte ich lieber darauf, einen gewissen Sicherheitsabstand zu ihm einzuhalten.

„H-Hey." Preston klingt unsicher und nervös. Seine wasserblauen Augen springen von links nach rechts, ohne einen Stillstand herbeizuführen. „Können, äh, können wir eventuell reden?" Im Einklang mit seinem letzten Wort streckt er mir einen bunten Eisbecher entgegen. „Vanilleeis mit Erdbeersauce und Kokosraspeln", erklärt er mir schüchtern.

„Danke." Vorsichtig nehme ich ihm den Becher und den pinken Plastiklöffel aus der Hand.

„Ernsthaft?", fragt Everest wütend. „Er kann sich deine Lieblingseis-Toppings merken, aber nicht deinen Namen?"

Scheint so ...

Gemeinsam suchen sich Preston und ich ein schattiges Plätzchen auf der Tartanbahn, wo wir uns nebeneinander niederlassen. Natürlich wieder mit einem ausreichenden Abstand.

Während ich mir den ersten Löffel Eis in den Mund schiebe, scheint Preston mit sich zu kämpfen. Er öffnet immer wieder seinen Mund, nur um ihn gleich darauf wie ein Fisch zu schließen.

„Gott, der Typ soll einfach abhauen!" Ich spüre, wie Everest unruhig durch meinen Kopf tigert. „Wehe, der fasst dich wieder an!"

Synchron müssen Preston und ich seufzen. Ein bedauerlicher Ausdruck verschleiert sein Gesicht, als er sich endlich dazu durchringen kann, zu sagen: „Es tut mir leid, Avie."

„Was genau?", hake ich verständnislos nach.

„Dass er so ein mieses Arschloch ist!", übernimmt Everest den Part des Antwortens.

Tatsächlich liegt er mit seiner Vermutung gar nicht mal so falsch, denn Preston fügt zerknirscht hinzu: „Es war nicht okay, wie ich dich die letzten Wochen behandelt habe. Auch gestern Abend habe ich mich wie der größte Idiot des Planeten aufgeführt."

„Wow", lacht Everest spöttisch. „Es regnet Hirn!"

Da ich überfordert bin und nicht so recht weiß, wie ich Prestons Worte einordnen soll, schweige ich und warte darauf, dass er weiterspricht.

„Erinnerst du dich noch an den Kellner aus der Eisdiele?", möchte er auf einmal völlig aus dem Zusammenhang von mir wissen.

„Ja." Ich nicke, denn schon bei unserem ersten Date kam mir der Junge mit den schwarzen Wuschellocken merkwürdig vor.

„Sein Name ist Liam", erklärt mir Preston. „Wir arbeiten schon seit zwei Jahren zusammen und sind im Laufe der Zeit echt gute Freunde geworden."

„Schön", kommentiert Everest ironisch. „Interessiert keinen!"

„Vor ungefähr einem Monat war uns so langweilig bei der Arbeit, dass wir eine ziemlich blöde Wette miteinander abgeschlossen haben." Preston schafft es nicht mehr, meinem Blick standzuhalten und senkt seinen Kopf. Obwohl ich ihm ansehen kann, wie schwer ihm dieses Gespräch fällt, erlöse ich ihn nicht davon. Dafür ist meine Neugierde zu groß.

„Wer es zuerst schafft, eine unserer Stammkundinnen ins Bett zu bekommen, hat gewonnen. Der andere muss einen Monat lang eine Doppelschicht schieben und den Lohn an den Gewinner abdrücken."

Was?!

Es dauert einen kurzen Moment, bis ich Prestons Worte richtig verarbeitet habe. Dass ich diese Wette einfach nur bescheuert finde, muss ich nicht extra betonen, oder?

„Keine Ahnung, warum ich mich überhaupt darauf eingelassen habe", murmelt Preston so leise, dass ich ihn kaum verstehe.

„Weil du ein Hampelmann ohne Anstand und Respekt bist und nicht weißt, wie man Frauen behandelt!", schleudert Everest ihm zornig entgegen.

„Wahrscheinlich war es zu verlockend, dass Liam für einen Monat meine Schicht übernimmt ..."

Ich schaue Preston aus großen Augen an. Obwohl dieses Gespräch einfach nur unangenehm ist und mir Bauchschmerzen bereitet, schiebe ich mir einen weiteren Löffel Eis in den Mund. Ich warte, bis sich der süße Geschmack in meinem ganzen Hals verteilt hat, ehe ich mit krächzender Stimme wissen möchte: „Also war ich nur eine Wette für dich?"

Vermutlich sollte ich jetzt in Tränen zerfließen oder unerträgliche Herzschmerzen verspüren, aber nichts von beidem trifft zu. Natürlich bin ich enttäuscht, doch die Gleichgültigkeit überwiegt.

„Nein!", behauptet Preston zu schnell. Er zögert und gibt dann zu: „Okay, vielleicht doch ..."

Während ich nicke, stößt Everest einen abfälligen Laut aus. „Warum hörst du diesem Idioten überhaupt noch zu?", fragt er mich. „Du bist viel zu gut für ihn, Avie!"

Ich könnte Preston einfach sitzenlassen und ihn mit Ignoranz strafen, aber ich möchte ihm lieber die Chance geben, sich zu erklären. Nicht nur, damit seine Gewissensbisse kleiner werden, sondern auch, damit ich endgültig mit ihm abschließen kann.

„Eigentlich hatte ich eine andere Stammkundin im Sinn", gesteht Preston beschämt. Noch immer weicht er meinem Blick aus und pult kleine Steinchen aus der Tartanbahn. „Dass ich dir im Park über den Weg gelaufen bin, war reiner Zufall. Erst als ich realisiert habe, dass du das Eiscreme-Topping-Mädchen bist, habe ich meine Chance gewittert und dich nach einem Date gefragt."

Wieder nicke ich. Ich verstehe, dass er mich verführen und ins Bett bekommen wollte, doch seine Vorgehensweise erschließt sich mir ehrlich gesagt nicht. „Warum warst du immer so abweisend und desinteressiert?", stelle ich Preston genau die Frage, mit der mich Everest von Anfang an genervt hat.

„Na ja ..." Mein Gegenüber zögert. „Ich habe gemerkt, wie du mich angesehen hast, Avie. Ich bin vielleicht ein Idiot, aber kein Arschloch, das mit Gefühlen spielen und Herzen brechen möchte."

„Lüge!", meint Everest anfeindend.

„Ich wollte nur mit dir schlafen und nicht irgendwelche romantischen Gefühle in dir wecken. Das habe ich mit meinen Aussagen versucht, dir klarzumachen", fährt Preston nervös fort. „Aber erst als ich dich gestern Abend so bedrängt und dir mehrere Küsse aufgezwungen habe, wurde mir bewusst, wie scheiße ich mich dir gegenüber verhalten habe. Das hast du nicht verdient, Avie. Echt nicht! Und keine Wette der Welt rechtfertigt es, Mädchen so schlecht zu behandeln, wie ich es mit dir getan habe."

Es ist das erste Mal seit mehreren Minuten, dass Preston seinen Kopf hebt. Ein Feuer der Reue und Schuld lodert in seinen Augen und hält mich gefangen.

„Ich hoffe, dass du mir verzeihen kannst!"

„Niemals!", schnauft Everest.

Auch wenn ich weiß, dass er mich beschützen möchte, teile ich seine Ansicht nicht. In gewisser Weise bin ich Preston sogar dankbar dafür, dass er diese dämliche Wette angenommen hat, denn andernfalls wäre ich noch immer unsterblich in ihn - oder die Idee, wie er sein könnte - verliebt.

„Schon gut", lächele ich Preston deshalb versöhnlich an und drücke kurz seine Hand. „Ich verzeihe dir!"

„Wirklich?" Ein erleichtertes Seufzen entflieht seinen Lippen.

„Ja", raune ich verschwörerisch. „Aber nur, wenn ich noch mehr Eiscreme mit Toppings bekomme!"

***

Everests POV

Anders als sonst liegt Waverly an diesem Abend noch lange wach. Ihre Augen sind an die Zimmerdecke gerichtet, an der mehrere, leuchtende Sternenaufkleber befestigt sind.

Ein Blick auf die Leinwand, die sich seitlich neben mir befindet, verrät, dass sie gerade den Tag Revue passieren lässt. Auch wenn ich nicht nachvollziehen kann, warum sie diesem Idioten namens Preston verziehen und ihm keinen Tritt in die Eier gegeben hat, scheint sie sehr zufrieden und ausgeglichen zu sein.

„Bist du noch wach, Everest?", fragt sie mich plötzlich leise.

Ertappt löse ich meine Augen von der Leinwand und richte sie zurück auf die Eispackung in meinem Schoß. „Ja", antworte ich ihr. „Irgendwie bin ich noch nicht müde."

„Ich auch nicht", erwidert Waverly. Sie setzt sich aufrecht hin und knipst ihre Nachttischlampe an. Für ein paar Sekunden schweigt sie, ehe sie kaum hörbar wispert: „Ich glaube, ich weiß jetzt, warum du in meinem Kopf gefangen bist."

„Ach ja?", hake ich sofort überrascht nach. „Warum denn?"

Eigentlich habe ich erwartet, nach dem Gespräch mit Preston aus ihrem Kopf ausbrechen zu können. Da dem aber nicht so war, bin ich ratlos, was für eine Aufgabe ich zu erfüllen habe.

Vielleicht doch Waverlys Olympia-Traum?

„Du solltest mir die Augen öffnen."

„Hä?", gebe ich einen unintelligenten Laut von mir. Kann sie bitte damit aufhören, in Rätseln zu sprechen?

Scheinbar nicht, denn Waverly fügt hinzu: „Dank dir ist die rosarote Brille gefallen." Sie lacht leise. Dann korrigiert sie sich: „Oder nein! Dank dir ist die rosarote Brille jetzt auf die richtige Person gerichtet."

Noch immer habe ich keinen blassen Schimmer, was sie mir sagen möchte.

Da Waverly ihrer kryptischen Aussage nichts mehr hinzuzufügen hat, drehe ich meinen Kopf ratlos in Richtung Leinwand. Tatsächlich wirbeln dort mehrere Buchstaben über die Oberfläche, die sich langsam zu Wörtern zusammensetzen.

Bevor ich allerdings Waverlys Gedanken lesen kann, legt sich ein milchiger Schleier über meine Augen. Der Raum mit den rosa Wänden, der Leinwand, dem Ledersessel und dem Kühlschrank verschwimmt zu einem tristen Farbklecks. Schwindel und Übelkeit brechen währenddessen über mir zusammen und halten mich in einem tosenden Wirbelsturm gefangen.

„Hast du gehört, Everest?" Waverlys Stimme dringt wie durch Watte gedämpft zu meinen Ohren hindurch.

Ich würde ihr gerne antworten, doch meine Kehle ist staubtrocken und zugeschnürt.

Das Letzte, was ich wahrnehme, ist ein rotes Herz, das die ganze Leinwand einnimmt. Dann wird alles schwarz.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro