🍀Épilogue 🍀

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●Murat Boz - Yana Döne●

1. März 2017
{Heute, 4 Jahre später}

Man sagte, die Zeit sei eine wundersame Salbe. Sie heile die Wunden, reinigt sie und mache erneut einen starken Menschen aus einem, rief sich Kian Barroso in Erinnerung, als er in Gedanken versunken, seine Lesebrille abnahm, sie vorsichtig auf dem Pult, wo er sich während der Konferenz angelehnt hatte, abstellte und die Stirn in Falten gelegt über diese Worte nachdachte.

Als er dabei kaum merklich den Kopf schüttelte und die vielen Exemplare seines Werkes übereinanderstapelte, seufzte er resigniert auf. Nein, er war keineswegs der Ansicht, dass Wunden komplett heilen konnten, für ihn war das schier unmöglich.

Denn wäre es so gewesen, dann hätte er auf die Frage dieser jungen Dame gerade eben während der Konferenz nicht so entrüstet reagiert und er wäre die letzten 15 Minuten nicht so abwesend gewesen, hätte nicht in den schmerzhaften Erinnerungen der Vergangenheit gewelkt, sondern hätte sich auf die letzten folgenden Fragen der Reporter konzentriert. Er hätte ihnen freundlich zugelächelt und hätte ihnen höflich geantwortet, so, wie er es immer tat. Doch gerade eben war er in einem Nebelzustand gefangen gewesen und hatte demzufolge rein gar nichts mehr mitbekommen. Weder von seinen verbalen, als auch nonverbalen Gestiken und Mimiken. Er war weg. Vollkommen weg, als er sie vor Augen gesehen und sich vollkommen dieser Erinnerung hingegeben hatte.

Kian hatte es schon vor Jahren aufgegeben, seine große Liebe, Amira Jaramago, zu vergessen. Er hatte es aufgegeben gegen den stechenden Schmerz anzukämpfen, der sich immer wieder beim Nennen ihres Namens in ihm breit machte, hatte aufgegeben sie aus seinen Gedanken zu verbannen, sie nicht mehr zu vermissen, sich nicht zu zwingen sie zu vergessen. Denn er wusste, dass dies nie passieren würde. Er würde sie niemals vergessen können. Nie im Leben. Selbst bei seinem letzten Atemzug waren es ihre kirschroten Lippen, an die er denken würde, bevor er die Augen schließen und der Welt den Rücken zukehren würde. Und eins stand ebenfalls fest: er konnte sie zwar nicht vergessen, aber er wollte es gleichermaßen auch gar nicht. Amira Jaramago war das Beste was ihm im Leben passieren konnte, seine ehemalige Ehefrau war alles für ihn gewesen und der Kian Barroso, der er heute war, den gab es nur durch sie.

Nein, niemals würde er sie verleugnen.

Wütend schlug Kian mit der Handfläche auf den Pult und stützte sich dort ab. Sein Auftreten war dennoch nicht professionell gewesen, dachte er sich, riss sich jedoch schnell wieder zusammen, da er von der Seite aus einer der Kameramitglieder seiner Crew, die ihm durch ganz Amerika zu den verschiedensten Reportagen, Interviews und Meetings begleiteten hatten, auf ihn zugeschritten kommen sah, die große Kamera, die er bei sich trug, fest um seinen Griff geschlungen, sodass Kian seine Anspannung zu verbergen bestrebt, sich aufrichtete und ihm freundlich lächelnd entgegenblickte. Der etwa fast so große Kerl namens Theo blieb kurz vor Kians Pult stehen und neigte respektvoll den Kopf, als er zu sprechen begann.

»Sir, wir sind für heute fertig mit der Arbeit und werden die Aufnahmen gleich im Hotel zusammenschneiden, um diese dann zu veröffentlichen. Morgen geht es dann um 15 Uhr weiter und übermorgen geht der Flug nach England und dann nach Paris. In den europäischen Städten verlangen die verschiedenen Sender jedoch live Übertragungen. Ist das in Ordnung für Sie, Sir ?«

»Natürlich Theo, ich vertraue da eurem Gespür. Jedoch möchte ich, dass sie beim Zusammenscheiden der Aufnahmen, die eine Frage über meine ehemalige Ehefrau rausschneiden. Ich dulde es nicht, dass ihr Name in die Öffentlichkeit gerät. Das würde sie nicht wollen.«

Theo nickte eifrig und strahlte dann am ganzen Gesicht.

»Ja, Sir und Danke sehr. Die Reporter sind weg, die Mitarbeiter werden hier gleich die Stühle und das Pult wegräumen. Möchten Sie ebenfalls mit uns zurück zum Hotel fahren ?«

Gerade als Kian zustimmen und seine Bücher von Pult hochheben wollte, huschte sein Blick auf die Stühle vor ihm und er hielt den Atem an, als er plötzlich bemerkte, dass eine Person immer noch auf einen der Stühle saß. Alle Reporter waren verschwunden, alle waren weg, denn sie wussten, dass Kian strikt seinen Zeitplan einhielt. Nur sie war nicht gegangen. Nur sie war geblieben. Das junge Mädchen, die ihm, die eine Frage gestellt hatte, welcher ihm einen Riss in sein zusammengenähtes Herz beschert hatte.

»Wollen Sie also damit sagen, dass ihr Buch nichts mit all ihren Erfahrungen bezüglich Amira Jaramago zu tun hat ?«

Kian wusste immer noch nicht, was in ihn gefahren war, als er ganz schroff auf sie eingegangen war, doch spürte er, wie ihm erneut unbehaglich bei ihrem Anblick wurde und sich erneut Fragezeichen in seinem Kopf bildeten. Wer war sie ? Was hatte so ein junges Mädchen unter all den Reportern zu suchen und am aller wichtigsten, warum kam er ihr so bekannt vor ?

Kian fasste sich schnell wieder und wandte sich dem Kameramann Theo zu, der an den Lippen von Kian Barroso hing. Auch er war einer der vielen Bewunderer von ihm.

»Nein, danke Theo. Das ist sehr nett von dir, jedoch werde ich hier im Central Park noch ein wenig verweilen, wenn es doch schon meinetwegen heute geschlossen ist. Geht ihr schon Mal vor. Wir sehen ins dann im Hotelrestaurant beim Abendessen.«

Es war für Kian eine Tradition geworden, die er sich selbst angelegt hatte. Mit jeder Crew mit der er alle paar Monate zu tun hatte, aufgrund all der Meetings seiner neuen Buchvorstellung, hatte sich Kian selbst das Versprechen gegeben mit jedem von ihnen eine gute Bindung herzustellen. Zwar waren all diese Leute nicht auf den Bildschirmen zu sehen, aber sie alle trugen dazu bei, dass Kian ein makelloses Image vor dem Fernseher vorwies und sie dadurch seinen Charisma, als auch seine Autorität in den Vordergrund rücken ließen. Diese Leute arbeiteten genauso hart wie Kian, Tag und Nacht ununterbrochen, um Kian so gut es ging zu unterstützen und deshalb nahm sich Kian gerne die Zeit dafür, sich wenigstens jeden Abend mit ihnen beim Essen an einen Tisch zu setzen und sich über das Leben dieser Menschen zu erkundigen, bevor er sich in sein Zimmer zurückzog und an seinen Werken weiterarbeitete.

»Ok, Sir. Dann wünsche ich Ihnen viel Vergnügen bei Ihrem Spaziergang. Bis später«, sagte er freundlich und bedeutete mit einer Kopfbewegung den anderen Crewmitgliedern ihm zu folgen, sodass der Ort in nur wenigen Sekunden wie leer gefegt war.

Kian starrte ihnen einige Sekunden lang völlig eingenommen hinterher, bis er sich wieder abwandte. Doch anstatt wie zuvor erwähnt, einen Spaziergang durch den Park hinzulegen, steuerte er die vielen leeren Stühle vor ihm an und passierte einzelne Reihen, bis er an einer der vielen stehen blieb. Nämlich genau dort, wo das junge Mädchen saß.

Als sie den entschlossenen Blick Kian Barrosos bemerkt hatte, der unmittelbar auf sie gerichtet war, hatte sie sich erhoben und nur darauf gewartet, dass sie Angesicht zu Angesicht auf derselben Augenhöhe standen, trotz, dass die Größe von ihm mit über 1,80 sie deutlich kleiner und zerbrechlicher wirken ließ, als sie eigentlich war.

Kian versuchte nicht so verkrampft rüber zu kommen, wollte nicht, dass seine Gesichtszüge hart wirkten. Ja, dieses Mädchen hatte ihm eine falsche Frage gestellt, aber so waren Reporter nun mal, obwohl er bezweifelte, dass sie eine von ihnen war, da sie sehr jung aussah. Dennoch war er dazu verpflichtet gewesen, ihr geschickt zu antworten, was er jedoch nicht auf die Kette bekommen hatte. Seine Gefühle hatten ihn erneut in der Hand gehabt.

»Kann ich Ihnen behilflich sein ? Wie Sie sehen können...«, fing Kian an und deutete auf die Stühle um ihn herum.

»... sind alle Reporter weg. Die Konferenz ist beendet, falls Ihnen das noch nicht aufgefallen ist.«

Das junge Mädchen lächelte bei seiner Bemerkung, ließ aber währenddessen keinen Moment lang von seinen Augen ab. Das dunkle grün in ihren Augen schimmerte auf, welcher durch ihre glänzende blonde Haarpracht in den Vordergrund geschoben wurde, doch konnte sich Kian nicht ausmalen, woran es lag. Kian verschränkte, als sie nicht antwortete, die Arme vor der Brust und räusperte sich, weil ihm diese intensiven Blicke plötzlich zu unangenehm wurden. Zudem störte es ihn immer noch, dass er das Gefühl nicht los wurde sie zu kennen, aber er sie dennoch nicht einordnen konnte. Als er gerade erneut einen Anlauf hinlegen wollte, erklang die samtweiche Stimme seines Gegenübers und Kian horchte auf.

»Ich habe Sie mit meiner Frage bezüglich Amira Jaramago wütend gestimmt, stimmts ?«

Kian bemerkte, wie sich seine Brust zuschnürte, wie die tiefe Falte an seiner Stirn sich regelrecht zu einer Grube wandelte und wie er sich verspannte, als ihr Name ein weiteres Mal fiel. Seinen Augen nicht trauen könnend, starrte Kian sie nur unverwandt an und fragte sich, was das Ganze sollte. War sie extra nur deshalb geblieben, um ihm dies erneut unter die Nase zu reiben ? Ihn erneut zu verhöhnen und ihn wie ein Vulkan ausbrechen zu lassen ? Doch dann besann er sich eines besseren. Er atmete tief durch die Nase aus, schnappte hörbar nach Luft und fing mit einer ruhigen Stimme zu sprechen an:

»Hören Sie, ich weiß nicht, woher Sie die Dreistigkeit besitzen mir solchen Fragen zu stellen, aber ich denke, dass ich Ihnen während der Konferenz schon mehr als deutlich gemacht habe, dass solche Fragen unerwünscht sind. Und wenn Sie es nochmal...«

Kian wurde abrupt in seinem Wortlaut unterbrochen, als sich das Grinsen bei jedem seiner Worte auf den Gesichtszügen des jungen Mädchens ausbreitete und sich dort verfestigte. Kian war sprachlos, wollte sich gerade aufgrund ihres unverschämten Auftretens von ihr abwenden, als sie ihn mit ihren nächsten Worten überraschte und er abrupt innehielt.

»Sie erkennen mich nicht wieder, habe ich recht ?«

Mit einem fragenden Ausdruck drehte sich Kian wieder zu ihr um und blickte sie fragend an, ehe er antwortete:

»Sollte ich Sie denn kennen ?«

Sie legte den Kopf schräg zur Seite und beäugte Kian, was ihn stutzig werden ließ.

»Sollten Sie nicht ?", stellte sie ihm eine Gegenfrage und erntete von Kian einen solch verstörten und verwirrten Blick, sodass sie laut auflachen musste.

»Sagt Ihnen der Begriff 'Mr. Flippie' noch etwas ?«

Kian wollte gerade heftig den Kopf schüttelnd verneinen, als er abrupt in seiner Bewegung innehielt. Irgendetwas klingelte da bei ihm für ein Sekundenbruchteil, irgendetwas durchwühlte seine Erinnerungen, suchte nach einer brauchbaren Lösung und als es ihm wie Schuppen vor den Augen fiel, öffnete sich vor Erstaunen sein Mund und sein Kopf schoss verwundert zu ihr rüber, als er stammelte:

»Sie... Sie sind die Tochter von Mrs. Gielow.« Er schnippte mit den Fingern, obgleich er doch wusste, dass es unhöflich von ihm war, als er angestrengt versuchte auf ihren Namen zu kommen.

»Sophie !", schrie er plötzlich auf, als er sich erinnerte.

»Sie heißen Sophie, oder ?«

Als sich erneut ein Lächeln auf ihrem Gesicht bildete und durch ihr Nicken, ihre glatten blonden Haare ihr vors Gesicht fielen, da wusste er auf Anhieb, woher sie ihm so bekannt vorgekommen war. Das Ebenbild von Mrs. Gielow nur in jüngerer Version stand nun direkt vor Kian Barroso. Die kleine junge Sophie war zu einem hübschen Teenager herangewachsen und wenn sich Kian recht erinnerte müsste sie jetzt circa 16 Jahre alt sein, obwohl er sie nach diesem selbstsicheren Auftreten und ihrer herausragenden Größe 18 fast schon 19 eingeschätzt hätte.

»Richtig. Es freut mich sehr, dass Sie sich noch an mich erinnern, Mr. Barroso«, sagte sie freudig und der Ärger, den Kian zuvor verspürt hatte, war im Winde des Frühlings weggeweht worden.

»Das ist aber eine Überraschung. Was suchen Sie denn hier ?«, fragte er stattdessen.

»Und wie geht es Ihrer Mutter ?«

Das süße herzhafte Lächeln, welches sich auf Sophies Züge gelegt hatte, verschwand durch die letzten Worte die Kian ausgesprochen hatte. Letzterer, der diese Veränderung an ihr sofort bemerkt hatte, hielt sich abrupt vom Weitersprechen ab und fragte sich, ob er etwas Falsches gesagt hatte, bis sein Gedankenprozess durch das quälend gepresste Lächeln seines Gegenübers erneut unterbrochen wurde.

»Mr. Barroso, wir haben meine Mutter vor einem halben Jahr verloren.«

Sie hielt kurz inne, schluckte den harten Klotz in ihrem Halse herunter, ehe sie hinzufügte:

»Sie hatte Brustkrebs im Endstadium. Es war aussichtslos.«

Kian verschlug es regelrecht die Sprache, als sein Bewusstsein diese Information in einem rapiden Zugang verarbeitete. Er konnte nicht anders, als Sophie, trotz, dass sie es womöglich nicht wollte, bemitleidend anzublicken. Denn Tatjana Gielow verweilte nicht mehr unter ihnen. Diese so starke Frau, die er all die Zeit über während der Eheberatung gesehen hatte, hatte den entscheidenden Kampf nicht gewonnen und noch schlimmer war es, dass ein so junges Mädchen in dieser entscheidenden Zeit, wo sie wuchs, ihr Charakter sich verfestigte, so deutlich früh und so nah mit dem Tod konfrontiert wurde und sich nun dem Leben ohne einer schützenden Umarmung einer Mutter anpassen musste. Das empfand Kian Barroso mehr als kaltblütig, weshalb er bedauernd das Gesicht verzog.

»Sophie... Ich meine Miss Gielow, das tut mir leid. Mein aufrichtiges Beileid.«

Sophie bemühte sich erneut ein Lächeln aufzusetzen, auch wenn dies nicht wirklich überzeugend war. Ihre Stimme hingegen war dennoch herzlich und willkommend, als sie antwortete:

»Mr. Barroso, Sie haben mich als Sophie kennengelernt und so sollten Sie mich bitte auch weiterhin nennen. Und ich danke Ihnen.«

Stille brach über sie ein und Kian wusste nicht, was er weiter daraufhin erwidern sollte. Er war einfach nur vollkommen überwältigt von all den Informationen und so sehr er sich auch bemühte eine Antwort auf seine Frage zu bekommen, was die Tochter seiner ehemaligen Ehetherapeutin hier zu suchen hatte, er kam auf keine plausible Lösung.

»Es tut mir leid...«, durchbrach Sophie die Stille jäh und blickte, die Wangen leicht gerötet, auf ihre Füße. Die selbstsichere Haltung, die sie die ganze Zeit über aufgelegt hatte, war wie verfolgen und durch diese Geste sah Kian zum ersten Mal, das kleine unsichere und deutlich unerfahrene Mädchen in ihr, die sie eigentlich in echt auch war.

»Was tut Ihnen leid ?«, fragte Kian, der ihr nicht folgen konnte.

»Dass ich Sie mit der Frage über Ihre Ehefrau provoziert habe vor all diesen Reportern. Das war nicht richtig. Nur wollte ich...«

»Ja, Sie wollten ?«, fragte Kian interessiert und ging wenig darauf ein, dass sein Ärger nun verflogen war. Er wusste, dass sie dadurch, dass er nicht darauf eingegangen war, Gewissensbisse bekommen hatte, aber Kian wollte nicht, dass sie im letzten Moment von der eigentlichen Sache abschweifte. Also hatte er sich für den direkten Weg entschieden. Sophie biss sich in die Falle getappt auf die Unterlippe und seufzte auf.

»Mr. Barroso darf ich ganz ehrlich zu Ihnen sein ?«

Kian nickte.

»Ich wollte Ihre Reaktion sehen... ob Sie trotz Ihrer Trennung...«

Sophie hielt mitten drin inne und biss sich ein weiteres Mal auf die Unterlippe, ehe sie einen erneuten Start hinzulegen versuchte.

»Wissen Sie Mr. Barroso, meine Mutter hat berufliches und privates immer gut zu trennen gewusst. Sie war immer äußerst diszipliniert und sehr konkret, in dem was sie machte. In den letzten Monaten, die ihr geblieben waren, wo sie von Tag zu Tag immer schwacher, immer müder wurde, da wollte sie immer eins von mir, dass ich ihr eins Ihrer Werke vorlese.«

Kian hob erstaunt die Augenbrauen hoch, was Sophie ein kleines Lächeln entlockte.

»Ja, meine Mutter verfolgte Sie schon seit Anbeginn ihrer Schriftstellerkarriere und nicht erst seit sie jetzt seit einigen Monaten Ihren ultimativen Durchbruch mit Ihrer Satire haben. Sie hatte ihre Kurzgeschichten und auch bereits ihre kleinen Sammlungen von Erzählungen verschlungen gehabt und jedes Mal war sie immer fest davon überzeugt gewesen, dass sie es weit bringen würden. Hätte sie nun gesehen, wie sie die Bestsellerlisten der unzähligen Länder sprengen, dann wäre sie wirklich sehr erfreut darüber gewesen.«

Kian lauschte gespannt ihren Worten und fühlte sich geehrt, dass eine solch intelligente Frau, wie Tatjana Gielow wirklich gefallen an seinen unbekannten Werken gefunden hatte, aber trotzdem konnte er sich immer noch nicht ausmalen, was Sophie Gielow dazu veranlasst hatte ihn aufzusuchen und ihm bis nach New York zu folgen.

»Ja, Mutter hat er sehr gemocht, wenn ich ihr etwas vorgelesen habe, aber sie hat auch immer wieder kurz, bevor sie zu müde war und eingeschlafen ist vor sich hingeflüstert, dass sie es bedauern würde, dass Ihre Ehe nicht gehalten hat, obwohl sie es verdient hätte.«

Nun stand das Erstaunen in Kians Gesicht geschrieben, weshalb Sophie schnell darauf bedacht war, ihm die Situation zu erklären.

»Meine Mutter war immer eine sehr hartnäckige Frau gewesen, Mr. Barroso. Und auch als Sie mit den Eheberatungen aufgehört haben, hat sie Sie beide weiterhin im Auge behalten. Es ist nicht unüblich in ihrem Beruf, dass sie Paaren begegnet ist, die es einfach nicht schafften zusammen den Weg weiter zu gehen, aber nie hatte meine Mutter es so sehr bedauert einem Paar nicht helfen zu können wie bei Ihnen. Meine Mutter hatte etwas bei Ihnen beiden gesehen, was sie bei vielen anderen nicht gesehen hatte und deshalb hatte sie sich nie mit Ihrer Trennung arrangieren können.«

Kian dachte unmittelbar an den ersten Tag zurück, an denen er als ein geschiedener, freier Mann auf den Papieren galt. Er fühlte diese Leere, die ihn damals gepackt und ihn hatte wahnsinnig werden lassen, ein weiteres Mal, dachte an die Orientierungslosigkeit, die in erdrückt hatte und an das Gefühl zurück, wie sehr er versucht hatte, seinen Kummer über Amira zu vergessen, indem er sich zu amüsieren versprochen hatte, was er aber nach einigen Fehlversuchen gelassen hatte.

Das Problem hatte nicht an den anderen Frauen gelegen, es lag an ihm. Trotz, dass er von Amira ab diesen Zeitpunkt geschieden war, hatte er sich schuldig, fast schon dreckig gefühlt, weil ihm das Gefühl nicht losließ, dass er sie betrügen würde... und als er der Ansicht war über alles die Kontrolle zu verlieren, hatte er sich von seinem Chef einen langen Urlaub genommen und war zum Abschalten zurück in seine Heimatstadt nach Lissabon gereist, wo er sich in einer Cottage außerhalb der Stadt eine Zeit lang verkrochen und nichts getan hatte, bis ihn das Schreiben, aus diesem tiefen Loch wieder herausgerissen und ihm die Möglichkeit dargeboten hatte, seine Erfahrungen auf diese Weise zu verarbeiten.

Kian war zwar gerührt, dass auch Mrs. Gielow diese starke Bindung zwischen ihm und Amira gesehen hatte, aber was ihm Sophies Erzählung bringen sollte, war ihm trotzdem ein Rätsel, da Amira und Kian schon seit Jahren getrennte Wege gingen.

»Sophie, ich verstehe nicht...«

»Mr. Barroso, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten und es tut mir leid, falls ich das jetzt gleich dennoch tun werde, aber... Es gibt ein Sprichwort im Spanischen, der soviel bedeutet wie: Der Stolz trennt mehr, als die Distanz es tut. Ich bin der Ansicht... also ich finde... Oh man, nun bin ich schon hier und jetzt weiß ich nicht, wie ich Ihnen das erklären soll.«

Sophie hielt sich nervös mit der Hand gegen die Stirn, anschließend sie in ihre Tasche neben sich griff und aus dieser ein kleines Blatt heraus zückte. Kian runzelte die Stirn, als er anfing diese zu überfliegen. Zwar waren seine Französischkenntnisse nicht die besten, aber durch Amira wusste er, das 'Rue' übersetzt Straße bedeutete und mit einem Blick auf die Postleitzahl und der Pariseranschrift, wusste er, dass er richtig getippt hatte. Fragend deutete er auf das kleine Blatt vor ihm und wartete darauf, dass ihm Sophie endlich erklärte, was es mit der Adresse auf sich hatte.

»Ich weiß, dass in einigen Tagen Ihre Europatour startet und dass einer Ihrer längeren Aufenthaltsorte Paris sein wird. Diese Adresse, die ich Ihnen jetzt gegeben habe... es ist... Manches braucht seine Zeit, Mr. Barroso. Manchmal hat man Angst, manchmal ist man zu stolz selbst den ersten Schritt zu wagen oder man denkt, man wird abgewiesen, aber ich habe immer den Instinkten meiner Mutter vertraut und wenn sie sagte, dass sie und Miss Jaramago zusammengehören dann... dann glaube ich das auch.«

Kian sah die Unsicherheit, aber auch die Überzeugung mit der Sophie hinter ihren Worten stand. Zunächst war Kian durch den Mischmarsch ihrer Worte verwirrt, doch nach ihren letzten Sätzen wurde ihm klar, was er da in den Händen hielt und geschockt starrte er das Blatt Papier an.

Es war ihre Adresse. Es war Amiras Adresse. Schnell schoss sein Kopf in ihre Richtung, doch blieb ihm keine Zeit den Mund aufzumachen, denn Sophie fing ängstlich an zu sprechen.

»Es tut mir leid... es tut mir wirklich leid, wenn ich zu weit gegangen bin Mr. Barroso, bitte seien Sie nicht wütend auf mich. Ich hatte... ich wollte nur den letzten Wunsch meiner Mutter erfüllen. Ich musste es versuchen.« Tränen blinzelten in Sophies Augen auf. Kians Blick hingegen huschte erneut sprachlos auf das Stück Papier in seiner Hand und er spürte, wie sein Herz heftig anfing gegen seine Brust zu schlagen. Er wusste einfach nicht, was er fühlen sollte. So viele Monate, so viele endlose Stunden hatte er sich immer gefragt, wo sich Amira wohl aufhalten möge, ob sie auf diesem Kontinent verweilte, ob sie glücklich war, erneut jemanden gefunden hatte, mit dem sie geheiratet hatte, aber immer wieder hatte er sich davon zurückgehalten, weil er wusste, dass, falls es so war, er den aufkommenden Schmerz nicht unterdrücken können würde.

Doch nun hatte er Antworten auf seine Fragen bekommen ohne, dass er nach ihnen gesucht hatte. Sie lebte in Paris. In einer der größten Modemetropolen der Welt. Das hätte er sich denken können, dachte sich Kian, als er den Blick wieder anhob und zu Sophie blickte.

»Ich bin nicht sauer auf Sie«, war es das Einzige was er dazu sagen konnte, obwohl er so viele offene Fragen hatte auf die er eine Antwort verlangte, wie zum Beispiel: Woher hatte sie Amiras Adresse ? Wie war sie trotz ihrer Minderjährigkeit durch all diese Reporter durchgekommen ? Fragen über Fragen, die in Kians Kopf umherschwirrten.

»Bitte denken Sie über meine Worte nach. Es ist nie zu spät einen Versuch zu starten, nie...«

Sophie trat einige Schritte zurück.

»Ich wünsche Ihnen alles Gute, Mr. Barroso. Machen Sie es gut.«

Sie hatte sich umgedreht und hatte bereits einige Schritte hinter sich gebracht, als Kian ihr nochmal hinterherrief.

»Sophie ?«

Sie drehte sich um, leicht verängstigt, dass er sie doch wegen ihres Verhaltens tadeln könnte, doch zu ihrem Erstaunen hatte sie mit den nächsten Worten, die seinen Mund verließen nicht mit gerechnet.

»Ihre Mutter wäre sehr stolz auf Sie gewesen.« Mit einem ehrlichen Lächeln, den ihr Kian zuwarf, verabschiedete sie sich mit einem Kopfnicken und drehte sich um, bevor Kian ihre Tränen sehen konnte. Auch Kian war deutlich überwältigt von dieser Geste und als er ein weiteres Mal auf das Blatt nieder blickte, brach wie seit Jahren nicht mehr, das reinste Chaos in ihm aus.

***

11. März 2017

»Und was halten Sie davon ?«, fragte Amira, Madame Richard und reichte ihr eine Bluse mit einem exquisiten Blumenmuster drauf, welches in dieser Saison der absolute Trend war.

Die Augen, der schlanken brünetten Französin glänzten und sie streckte erfreut die Hand danach aus.

»Oh la la c'est magnifique, ma chèrie. Ich wusste doch, dass ich Ihrem Geschmack immer vertrauen kann«, sprach sie in einem schnellen französisch aus und drehte sich von Amira Jaramago weg.

»Gisèle, Gisèle, ma fille. Schau Mal, wie findest du das ?«, fragte die Mitte Dreißigerin und hielt sich die Bluse vor die Brust, um sie ihrer 18-Jährigen Tochter zu zeigen. Diese hingegen hatte sich in der kleinen Boutique in der Sitzecke niedergelassen, hatte den Arm an ihr Knie abgelegt und sich mit dem Kinn daran angelehnt. Vertieft, blickte sie auf ihr Buch nieder, ohne auf die Rufe ihrer Mutter einzugehen. Amira runzelte dir Stirn beim Verhalten von Gisèle Richard, war es doch sie gewesen, die diesen Laden vor ihrer Mutter entdeckt hatte und immerzu zum shoppen hergekommen war, um sich bei Amira über den neusten Trend zu erkundigen. Die junge bildhübsche Richard hatte bei Amira nie den Eindruck erweckt, als hätte sie Interesse an Büchern gehabt. Wenn schon hatte Amira gedacht, dass sie nur an den neusten Zeitschriften wie die VOGUE interessiert wäre. Peinlich berührt über ihre Vorurteile, wandte sie sich solange den Kleiderständern zu und ordnete die verschiedenen Kleidungsstücke, die sie selbst kreiert hatte und die ihr ganzer Stolz waren, so wie auch diese Boutique, welche sie mit großer Mühe eröffnet hatte.

»Gisèle !«

»Was Maman ?«, fragte die junge Dame gereizt und hob widerwillig den Blick von ihrem Buch, um diese auf ihre Armbanduhr zu richten.

»Merde ! Maman, wir müssen los. Ich muss heute Abend noch das neue Peeling ausprobieren, bevor wir morgen endlich meinen Schatz sehen", sagte sie und drückte verträumt das Buch an ihre Brust.

»Hach ich kann's immer noch nicht glauben, dass er morgen zur Autogrammstunde hier in Paris sein wird. Die Mädels werden vor Neid platzen, wenn ich Ihnen zeige, dass ich ein Autogramm von ihm bekommen habe.«

Amira bemerkte, wie sich Madame Richard genervt von ihrer Tochter abwandte und zur Bestätigung anschießend auch noch die Augen verdrehte, ehe sie Amira anblickend vor sich hin murmelte:

»Ach von der bekomme ich heute ganz bestimmt keine Meinung zu hören. Wissen Sie Amira, ich muss mir das schon seit Wochen anhören und dieser 'Schatz', von dem sie da spricht ist der Autor der Satire, welche sie in der Hand hält. Die Mädchen in ihrer Schule sind, wie sie sagt, verrückt nach ihm. Wobei ich ebenfalls zugeben muss, dass er sehr nett aussieht«, sagte sie und presste sich verlegen die Hand vor den Mund.

»Kennen Sie das Werk ? Es heißt: L'enfer et moi ?«

Amira hörte der Dame aufmerksam zu, verneinte aber dann mit dem Schütteln ihres Kopfes die Frage.

»No pardon, Madame. Noch nie was davon gehört.«

Schockiert betrachtete sie die Frau und legte demonstrativ die Hand auf die Brust, wie als könnte sie dies nicht glauben.

»Dann müssen sie sich das Werk durchlesen. C'est formidable. Selbst meine Tochter, die nie etwas liest, hat das Buch verschlungen und endlich haben wir ein anständiges Thema worüber wir reden können, anstelle der Frage, welche Nagellackfarbe sie zu ihrem Outfit benutzen könnte.«

Amira stimmte dem lauten Lachen der Dame vor ihr mit ein und lehnte sich an dem Tresen, als sie dabei den Halt zu verlieren drohte.

»Das ist ja schön zu hören. Wenn Sie das so sagen, dann werde ich Mal schauen, wann ich die Zeit dazu finde mir das Buch zu kaufen.«

Gerade wollte Madame Richard zu einer Antwort aufholen, als das Geschrei ihrer Tochter den Raum erfüllte.

»Jetzt komm schon, Maman

»Ist ja gut, ist ja gut", sagte sie und bedeutete Amira, dass sie das Oberteil gerne kaufen würde, ehe sie sich beide Richtung Kasse begaben. Als Amira ihr den Preis kund gab und dazu passend die Summe einkassierte, bedankte sie sich bei ihr mit einem herzlichen Lächeln.

»Bei meinem nächsten Besuch werde ich noch mehr kaufen, heute ging das leider wegen der kleinen Hexe nicht, wie sie sehen können.«

»Keine Sorge, ich bin jeden Tag hier und renne nicht weg.«

»Maman !« Gisèle stöhnte genervt auf und lehnte sich bereits an die geöffnete Tür, die sie mit der Hand umgriff. Madame Richard verzog das Gesicht, nahm die Tüte und ihre Handtasche auf dem Tresen, neben ihr, in die Hand und eilte zur Tür.

»Gisèle, du bist zu ungeduldig !«Und mit einem freundlichen letzten Winken zu Amira verschwanden sie hinter der Tür. Amira war eingenommen von einer friedlichen Ruhe, die sich mehr denn je bemerkbar machte, als das Gemecker von Gisèle Richards ihre Ohren nicht mehr länger belästigten.

Als Amira nach vorne ging, um den Sitz auf dem Gisèle gesessen und durch den Falten entstanden waren, mit der Hand zu glätten, da knallte sie ungeachtet durch ihr Tempo an die Theke und ihr Blick fiel dabei auf die Tischplatte. Als sie auf diesem ein Buch liegen sah, hob sie verwundert die Augenbrauen in die Höhe, riss dann aber die Augen weit auf.

»Oh verdammt«, sagte sie, schnappte sich das Buch und rannte zur Tür, ehe sie auf der Straße stehend nach rechts und links blickte, um vielleicht doch noch die platinblonden Haare von Madame Richards Tochter Gisèle ausfindig machen zu können, da sie sich nun erinnerte, dass nicht nur die Tochter, sondern auch Madame Richards mit einem Exemplar dieses Buches ihre Boutique betreten hatte.

Seufzend drehte sich Amira wieder um und stapfte in den Laden zurück, ehe sie die Hände an den Hüften stemmte und sich fragte, wie sie ihr das Buch zurückgeben könnte. Da sie aber keine Adresse von ihnen hatte, musste sie warten, bis sie wieder bei ihr zum Einkaufen vorbeikamen. Amira hob das Buch in ihrer Hand an und las den Titel laut vor.

»L'enfer er moi.« Stirnrunzelnd betrachtete sie den Titel, ehe sie mit den Schultern zuckte und es wieder weglegen wollte, doch da stoppte sie abrupt in ihrer Bewegung und blickte erneut auf das Buchcover oder wohl eher auf den Autorennamen.

Kian Barroso

Vor Unglauben weiteten sich Amiras Augen bis ins Unermessliche und sie spürte, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich.

»Das... das kann nicht sein. Das ist unmöglich«, stammelte sie, als sie sich auf den Sitz in der Nähe begab, wo sich eigentlich ihre Kunden hinsetzen konnten, wenn sie zu lange auf den Beinen gestanden hatten. Doch Amira bemerkte, dass sie diesen Halt benötigte. Sie setze sich hin, immer noch nicht glauben könnend, was sie das sah. Es gab bestimmt noch einen andere Kian Barroso versuchte sie sich zu überzeugen, merkte aber selber, dass das, was sie dachte, nicht logisch sein konnte, weshalb sie das Buch umdrehte, um die letzte Seite zu öffnen.

Als Amira ein aktuelles Foto von Kian, ihrem Kian zu sehen bekam, stockte ihr der Atem und sie versuchte sich auf den Mann zu konzentrieren, an den sie die letzten Jahre versucht hatte, nicht zu denken, wo sie aber dennoch kläglich gescheitert war. Vorsichtig berührte sie mit ihren Fingern sein Gesicht und musste unmittelbar Grinsen.
Er wirkte älter, dachte sie sich, als sie auf den drei Tage Bart und die Lesebrille runterstarrte, die er auf diesem Bild trug. Aber trotz dessen sah er wie immer sehr gut aus. Amira schüttelte schnell den Kopf, als ihr solche Gedanken aufkamen, klappte das Buch zu und drehte es wieder um, woraufhin sie erneut auf den Titel blickte.

Er hatte ein Buch geschrieben... Kian hatte ein Buch geschrieben. Aber seit wann und was war aus seinem Bürojob geworden, den er so sehr liebte ? Amira konzentrierte sich so sehr auf diese Gedanken, dass sie nichts weiter tat, als das Buch einige Sekunden lang anzustarren.

Sollte ich es lesen ?, schoss es ihr urplötzlich durch den Kopf und ein Blick auf ihre Armbanduhr bestätigte ihr, dass sie die Boutique in zehn Minuten sowieso schließen würde, also würden keine Neukunden mehr kommen. Unsicher, aber doch mit einem unbändigenden Drang der in ihr aufkroch, biss sich Amira auf die Lippe und überlegte scharf, was sie als Nächstes machen könnte. Und ehe sie sich davon abhalten konnte, hatte sie schon das Buch aufgeklappt. Bereits die erste Seite mit nur einem Satz schoss ihr dabei regelrecht in die Augen. Es war die Widmung.

Für dich querida.

***

Amira lachte, Amira lachte laut und vom ganzen Herzen, als sie von Zeile zu Zeile, von Seite zu Seite las und dabei das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie zuletzt so sehr gelacht hatte, sodass ihr fast die Tränen kamen. Es war unglaublich, einfach unglaublich und fesselnd, dass sie erst deutlich später bemerkt hatte, dass sie über eineinhalb Stunden gelesen hatte, als das Klingeln der Tür sie aus ihrer Trance riss und einen neuen Kunden ankündigte.

Amira wischte sich die vom Lachen vergossenen Tränen aus dem Gesicht, steckte ihren Finger zwischen die Seiten des Buches, wo sie stehen geblieben war und erhob sich, um den Kunden zu sagen, dass sie nun geschlossen hätten und er oder sie morgen wieder kommen sollte. Doch dann stoppte sie, als sie den Kopf hebend zwei haselnussbraunen warmen Augen begegnete, die auf sie fixiert waren.

Amira blinzelte. Einmal. Zweimal. Doch der großgewachsene Mann, der mitten in ihrer Boutique stand verschwand nicht, löste sich nicht in Luft auf, überzeugte Amira nicht, dass er nur aus ihrer Fantasie stammt, Nein. Er stand hier, er war hier. In Paris, bei ihr... nach ganzen vier Jahren.

Amira spürte, wie eine Welle der alten Gefühle über sie einbrach, wie sehr sie gelitten, wie sehr sie sich verloren hatte. Sie spürte es, wie als wäre es gestern gewesen, als sie Kian angerufen und ihn darum gebeten hatte sich scheiden zu lassen, weil sie in dem Moment von den Schmerzen, die sich tief in ihrer Seele verankert hatten, am ersticken war und sie erinnerte sich an die vielen Male, wo Kian in Amerika vor ihrer Haustür gestanden hatte und sie vor der Tür flehentlich angebettelt hatte ihn zu sich rein zu lassen, es nicht zu tun. Letztlich hatte Amira aber den entscheidenden Satz gesagt, der den Dominostein endgültig hatte fallen lassen.

»Wenn du mich liebst Kian, dann flehe ich dich an, lass mich gehen. Gib es auf, tu es für mich«, und als Kian gesehen hatte, dass sie ganz nah am Abgrund stand, da hatte er sie, trotz, dass er sich dadurch selbst ein Messer in die Brust gerammt hatte, gehen lassen. Er hatte die Papiere ohne Widerstand unterschieben.

Nun ging es Amira deutlich besser. Und auch wenn ihre alten Wunden nicht ganz heilen wollten, hatte sie durch eine intensive Therapie gelernt damit zu leben. Doch wenn sie an die harte Zeit zurückdachte, die vielen Male, wo sie einfach aufgeben wollte, dieser Welt den Rücken zukehren wollte, da erschauderte sie.

Und nun stand er hier, in seiner vollen Pracht, hatte sich kaum verändert, sah sogar deutlich besser aus als zuvor. Die dazugekommenen Jahre, die Reife, die sich unmittelbar dadurch um ihn gelegt hatte, ließen ihn mit 29 attraktiver denn je wirken.
Amira biss sich auf die Unterlippe und fuhr ungewollt Kians Körper mit den Augen auf und ab. Womöglich hatte er unglaublich viele Verehrerinnen auf einmal. Vielleicht hatte er auch eine Freundin, da er nun ein berühmter Schriftsteller geworden war, dachte sie sich und erinnerte sich an Gisèle, die noch vor zwei Stunden über Kian geschwärmt hatte. Ihren Exmann.

Kian, der die kleine Boutique in einer der vielen süßen kleinen Gassen im Zentrum von Paris betreten hatte, war ab der ersten Minute an, als er sie gesehen hatte, gefangen. Denn so sehr er es auch versuchte, er konnte den Blick nicht von ihr nehmen, konnte nicht anders, als diese Schönheit vor ihm mit den Augen zu verschlingen, trotz, dass er sich wirklich bemühte sich zurückzuhalten. Doch so sehr er auch nach Besinnung rang, so sehr er auch versuchte sich zusammenzureißen, es gelang ihm nicht. Er war ihr wie jedes Mal von der ersten Minute an verfallen und genau das erschreckte Kian Barroso so sehr. Auch nach Jahre hatte sie dieselbe Wirkung auf ihn.

Während Amira, wie erstarrt, vor ihm stand und ihn anblickte, huschte sein Blick ebenfalls über ihre Statur, doch zuallererst bemerkte er, dass ihre Haare anders waren. Ihre langen Haare gingen ihr nur noch bis zur Brust und der Noughatton, den er so sehr geliebt hatte, war durch einen Karamellton ersetzt worden, der Kian zunächst sehr anstößig und fremd vorgekommen war, doch als er sie einige Sekunden länger betrachtete fiel ihm auf, dass das ihre Femininität noch deutlicher hervorhob. Es gefiel ihm, bemerkte er, es gefiel ihm sogar für seine Verhältnisse viel zu sehr an ihr, weshalb er den Blick von ihren Haaren senkte und ihren Körper hinab wanderte, der in einem eng anliegenden schlichten Kleid in dunkel lila gehüllt war, welcher nicht zu sexy war, bis zu ihren Knien verlief und sich nicht allzu sehr an ihren Körper schmiegte, aber dennoch hier und da bei den kleinsten Bewegungen ihre Kurven betonte. Kian schluckte schwer, doch fühlte er ebenfalls, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel, als er realisierte, dass Amira im Vergleich zu ihrem letzten Auftreten, wo sie Haut und Knochen gewesen war, nun etwas zugenommen hatte und viel gesünder wirkte.

Kian richtete seinen Blick wieder auf ihr Gesicht und er konnte einfach nicht weiter den Mund halten, als er sah, dass sie regungslos dastand.

»Du hast eine neue Frisur«, war das Erste, was ihm über die Lippen kam.

Amira sagte ebenso monoton:

»Und du trägst mittlerweile eine Brille.«

»Lesebrille", korrigierte Kian sie und wich ihrem Blick kein einziges Mal aus, den sie auch, mit immer flacher werdendem Atem, erwiderte.

»Ich finde, deine Haare stehen dir gut«, platzte es ein weiteres Mal aus ihm heraus. Er biss sich aber dann von innen auf die Zunge und schrie sich innerlich an, endlich den Mund zu halten, bevor er sich weiterhin blamieren würde.

»Danke...«, gab Amira zurückhaltend von sich.

»Ich finde, deine Brille steht dir auch erstaunlicherweise sehr gut.«

Kian gab ein kleines Lächeln von sich. Es herrschte plötzlich eine Stille, in der beide sich nicht trauten etwas zu sagen. Nur starrten sie sich lediglich an.

Doch wie als hätten beide gleichzeitig bemerkt, wie absurd die Art und Weise war, wie sie beide die Kommunikation begonnen hatten, bildete sich bei beiden zur selben Zeit ein kleines Lächeln im Gesicht, welcher immer und immer größer wurde, bis beide, wie zu ihren Teenagerzeiten belanglos zu lachen anfingen.

Kian schloss vom Klang der sanften Stimme vom Amira die Augen. Amira hingegen erfüllte sein Lachen mit solch einer Ruhe, dass sie erleichtert ausatmete.

»Wie... geht es...«, fing Amira stotternd an, schaffte es aber nicht den Satz zu Ende zu bringen.

»Wie es mir geht ?«, fragte Kian, die Hände nun in seinen Trenchcoat gesteckt und frech grinsend. Amira nickte und lächelte zurück. Die Anspannung, die zu Beginn in der Luft hing, war verschwunden.

»Mir geht es gut Amira und dir ?«

Amira stockte der Atem, als er ihren Namen aussprach. Wie konnte eine Stimme nur so... so... Amira riss die Augen auf, schüttelte kurz den Kopf, um von ihren absurden Gedanken wieder zurück in die Realität zu kommen und dem neugierig blickenden Kian zu antworten.

»Danke, mir geht es auch gut«, antwortete sie, sah dann aber, dass Kian nur mit halben Ohr ihrer Antwort gelauscht hatte, denn sein Blick war auf das Buch in ihrer Hand gehuscht und er hob verwundert die Augenbrauen in die Höhe.

»Du hast es gelesen ?«, fragte er aufgeregt und deutete auf das Buch.

Amira verneinte mit einer Kopfbewegung und antwortete.

»Ich habe erst neu damit begonnen, aber das was ich bis jetzt zu lesen bekommen habe, hat mir sehr gefallen.«

Kian merkte, wie sein Herz einen kleinen Sprung machte, als er hörte, dass es Amira gefiel. Selbst als ihm große angesehene Schriftsteller ein positives Feedback gegeben hatten, war er nicht so glücklich gewesen, wie in diesem Moment.

»Ich wusste gar nicht, dass du schreibst«, sagte Amira vorsichtig, wollte nicht zu aufdringlich rüber kommen.

»Es ist eine relativ neu entdeckte Leidenschaft von mir, die ich dann im Laufe zu einem Beruf entwickelt habe. Ich bin ganz ok darin.«

»Ganz ok ?« Amira legte das Buch auf den Tisch vor ihr ab und deutete darauf.

»Das Cover würde ich überall erkennen. Dein Buch ist bekannt, sehr bekannt sogar. Also musst du wirklich sehr gut in dem sein, was du machst und da ich selbst schon darin gelesen habe, kann ich das nur bestätigen. Und... was ist.. was ist aus deinem eigentlichen Beruf geworden ?«, fragte Amira und blickte peinlich berührt zu Boden. Sie wollte keineswegs, dass Kian die Neugierde in ihren Augen sah.

»Ich habe es auf Eis gelegt. Im Moment reichen mir meine Ersparnisse von all den Jahren und zudem kann ich gut von meinen Werken leben. Mit Büchern kann ich flexibel sein, muss nicht zu lange arbeiten und falls doch, dann kann ich selbst entscheiden wann genau. Also bleibt dem Wichtigen im Leben noch reichlich viel Zeit zur Verfügung«, sagte er und als Amira dann den Blick hob, sah sie, wie er sie intensiv anblickte. Sie schluckte schwer und fragte sich, was er wohl damit meinte. Hatte er also eine Frau in seinem Leben, der er sich widmen wollte und nicht dasselbe durchleben wollte wie bei ihr ? Waren sie wohl schon zusammengezogen oder... Amira stoppte sich erneut bei diesem Gedanken und wandte verärgert, dass sie über solche Angelegenheiten, die sie nichts angingen nachdachte, den Blick von ihm ab, richtete sie nun auf ihre ineinander verschränkten Hände.

Als Antwort nickend, fragte Kian:

»Und du ? Wie ich sehe, hast du dir deinen Traum endlich erfüllt. Du hast deine eigene Boutique mitten in Paris. Übrigens der Name dieser Boutique gefällt mir sehr«, sagte er und ohne, dass sie Kian ansehen musste, wusste sie, dass er zu grinsen angefangen hatte. Amira wurde rot und auch sie musste unwillkürlich Lächeln. Sie hatte den Laden Querida genannt. Als ihre Gedanken dabei unmittelbar an die Widmung im Buch zurückging, sagte sie:

»Und mir gefällt die Widmung in deinem Buch.« Sie spürte, dass die Atmosphäre plötzlich unglaublich geladen war, weshalb sie sich räusperte und zu erzählen begann:

»Ich habe mein Studium in Modedesign nachgeholt und habe dann anschließend, nach einigen Praktika bei Lagerfeld, diese kleine Boutique eröffnet.«

»Das ist ja fantastisch, Amira ! Glückwunsch und Moment Mal... Lagerfeld ? Das ist ja der Wahnsinn !«

»Ja, aber das hat mich viel Arbeit gekostet. Trotzdem hat mir das Praktikum bei ihm sehr viel gebracht und ich habe tolle Erfahrungen sammeln können. Irgendwann jedoch sehnt man sich nach etwas eigenem und deshalb habe ich gekündigt und voilà siehe da, mein eigenes Reich.«

Kian konnte nicht glauben, was er da gerade gehört hatte. Sie hatte es geschafft. Sie hatte es wirklich geschafft ihre Leidenschaft wieder aufzugreifen und sich diesen Traum zu erfüllen und dies erfüllte ihn mit solch einer Freunde, dass er regelrecht zu platzen drohte. Er war unglaublich stolz auf sie.

Lächelnd blickte er sich in der kleinen aber dennoch fein eingerichteten Boutique um, bis sein Blick auf einem Babyfoto an der Wand hängen blieb auf der ein 2-Jähriges Kind auf Amiras Schoß saß. Kian runzelte die Stirn und mit einem Satz huschten Kians Augen auf Amiras Hände an denen er... einen Ring sah. Sie trug an ihrem Ringfinger einen Ring. Kian spürte, wie er in nur wenigen Sekunden aschfahl im Gesicht wurde und die Übelkeit in ihm hervorkroch. Sie war verheiratet, dachte er sich. Sie hatte ein Kind bekommen. Oh Gott.

Amira, die bemerkt hatte, dass sich urplötzlich an Kians Haltung etwas verändert hatte, legte die Stirn in Falten und schaute ihn fragend an. Als er jedoch plötzlich unglaublich kalt wirkte, erschrak sie sich und trat einen Schritt zurück.

Der monotone Stimmton, der daraufhin erklang, als er sprach, bestätigte dies.

»Glückwunsch zu deiner Ehe und deiner Tochter. Ich wünsche dir alles Gute.« Amira fühlte sich wie erschlagen und folgte Kians Blick, der nun geradewegs auf das Bild an der Wand gerichtet war und dann zu ihrem Ring am Finger huschte. Amira verkniff sich ein amüsiertes Lachen, als sie mit einem 'Danke' antwortete.

Dies hatte Kian noch einen mehr zugesetzt. Also stimmte es, dachte er sich. Sie hatte nicht verneint. Also hatte sie einen neuen Kerl an ihrer Seite, den sie liebte, ein Kind mit ihm hatte und... er hörte auf, denn er spürte, wie ihm dabei die Tränen hochkamen. Was war nur plötzlich in ihn gefahren ?

»Danke, aber... ich bin nicht verheiratet.«

Amira deutete auf den Ring an ihrem Finger.

»Nachdem ich Amerika verlassen hatte, bin ich zurück nach London gegangen und habe mich zunächst bei meinem alten Elternhaus eingefunden, der seit dem Tod der beiden leer stand. Ich brauchte Ruhe und das schien mir ein guter Ort zu sein, um wieder zu mir zu finden. Eines nachmittags bin ich auf dem Dachboden gegangen und habe in den alten Sachen von uns herumgewühlt. Da habe ich den Ehering meiner Urgroßoma gefunden. Ein Familienerbstück. Ich wollte es tragen... weil... weil ich mich dadurch meiner Familie näher verbunden gefühlt habe«, und weil dann endlich Männer aufhören mich nach einem Date zu fragen, dachte sie sich, sprach aber diesen Gedanken nicht aus.

»Und das Bild ?«, Amiras Augen fingen an zu leuchten, als sie darauf hoch blickte.

»Das ist mein Patenkind, Mira. Sie ist Tias Tochter.«

Kians Augen weiteten sich und erstaunt fragte er:

»Tia hat ein Kind ?«

Amira nickte.

»Ja und sie ist sogar mittlerweile verheiratet.«

»Verheiratet ? Tia ? Unsere Tia ? Bist du dir sicher ?«, fragte Kian ungläubig, der Amiras Worten kein Glauben schenken konnte. Amira lachte auf.

»Ja und das mit einem stinklangweiligen Bänker, das genau Gegenteil von ihr.« Als Amira daraufhin bemerkte, wie Kian regelrecht die Augen aus dem Kopf fielen, musste sie sich vor Lachen an den Bauch halten. Kian schüttelte ebenfalls belustigt darüber den Kopf.

Also war die wilde Tia nun doch zur Ruhe gekommen und hatte die wahre Liebe gefunden, nach der sie ständig gesucht hatte. Gleichzeitig dominierte jedoch die Erleichterung in ihm. Die Erleichterung darüber, dass Amira doch nicht verheiratet war und auch kein Kind hatte.

Er sah im nächsten Moment, wie Amira mit sich rang, den Mund öffnete und es dann wieder schloss, ehe sie es dann doch aussprach.

»Haben du und deine Freundin auch schon Kinderpläne ?«, fragte sie, ohne dass sie sich zurückhalten konnte.

Kian hob erstaunt die Augenbrauen hoch und antwortete schelmisch grinsend.

»Nein. Ich bin zurzeit nicht vergeben.«

»Achso...«, antwortete Amira, versucht dabei, so neutral wie möglich zu klingen. Kian, der mit einem Blick auf die Uhr plötzlich bemerkte, dass er zurück ins Hotel musste, kratzte sich verlegen am Hinterkopf und fragte:

»Ehmm... Amira morgen habe ich zu tun, aber könntest du... Ich meine hast du vielleicht übermorgen Zeit, um mit mir ein Kaffee trinken zu gehen ?«

Amira, die beim Angebot Kians, plötzlich aufgeregt war, aber zugleich bemerkte, dass es übermorgen gar nicht für sie passte, schaute ihn bedauernd an.

»Übermorgen fährt Tia die Kleine zu mir. Ich Babysitte, da Tia und ihr Ehemann übermorgen ihren Hochzeitstag haben.«

Als sie den enttäuscht dreinblickenden Blick von Kian sah, fügte sie jedoch rasch hinzu:

»Aber wenn du möchtest, kann ich dir bei mir Kaffee machen. Nur musst du nebenbei dann auch noch auf ein Kind aufpassen.«

Kian lächelte erfreut und antwortete:

»Das ist mir deutlich lieber, als dass ich heißen Kaffee ins Gesicht geschüttet bekomme.«

Genau damit war nun der erste Schritt getan. Ob mehrere Dates folgen, Amira und Kian erneut glücklich werden, sich wieder annähern, heiraten und Kinder bekommen, steht in den Sternen geschrieben. Denn vielleicht wird es so sein. Vielleicht aber auch, wiegen die Schatten der Vergangenheit so schwer, dass sie es nicht schaffen, kein weiteres Treffen mehr stattfindet und sie weiterhin getrennte Wege gehen. Wie gesagt, all das steht in den Sternen geschrieben. Denn entweder schreitet man gemeinsam diesen Weg an oder aber man verliert sich während dieser Reise aus den Augen, weil der Schmerz, die Enttäuschung und die Trauer zu schwer wiegen. So ist die Ehe nun Mal, es lautet nicht wie in einem Märchen, bis ans Ende ihrer Tage. Nein... erst da beginnt die eigentliche Aufgabe des Lebens.

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