10. Weise Worte

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Der eisige Gegenwind schlug Marie ins Gesicht. Ihre Haare flatterten wild durcheinander, während Aiovena voranpreschte, ihre Pfoten berührten kaum den Boden. Die Welt verschwamm zu beiden Seiten, so schnell waren sie. Der warme Körper unter Marie war angespannt und immer wieder hörte sie das Keuchen der Wölfin, während sie sich geduckt in das schneeweiße, weiche Fell krallte. Der Ritt dauerte lange, schon bald ließen sie den Wald hinter sich und die Landschaft wurde felsiger und hügeliger. Marie merkte, wie Müdigkeit sie erfasste. Ihre Finger waren bereits taub, doch sie wagte nicht, sie zu lösen, aus Angst, dann herunterzufallen. Mit großer Anstrengung hielt die Prinzessin sich oben, viel Freude bereitete ihr der Ritt nicht mehr.„Wie weit ist es noch?", schrie sie gegen den Gegenwind an.

Siehst du den Hügel dort vorne am Horizont?, erklang die sanfte Melodie von Aiovenas Stimme. Dort oben, am höchsten Punkt, steht die Burg Iremna. Seit jeher ist sie die letzte Zufluchtsstätte für alle Hoheiten des Landes, wenn Gefahr droht. Nur Licht-Wölfe können sie erreichen, das macht sie so sicher. 
Marie hob den Kopf ein wenig und spähte nach vorn. Sie sah den Hügel, doch er war winzig und noch sehr weit entfernt. Wie viele Stunden würden sie brauchen, um ihn zu erreichen?

Schlaf, hörte sie plötzlich wieder die Singstimme der Wölfin. Ich werde dich bis nach Iremna tragen, wo du wieder frisch und ausgeruht sein wirst. Mit einem Seufzen ließ Marie den Kopf nach unten sinken und kuschelte sich in das weiche Fell. Ihr Griff lockerte sich, ohne dass sie abrutschte und langsam fielen ihr die Augen zu.

Prinzessin, wurde sie von einer wohlklingenden Melodie geweckt. Prinzessin Candela, wir haben das Ziel erreicht. Verschlafen öffnete Marie die Augen. Noch immer befand sie sich auf Aiovenas Rücken, doch die Wölfin hatte angehalten und stand nun still da. Das Mädchen setzte sich auf. Vor ihr befand sich eine schier riesige Burg. Efeu rankte sich an ihr entlang, ließ sie alt aussehen und an einigen Stellen bröckelte der Putz schon ein wenig ab. Und doch konnte man das strahlende Weiß an einigen Stellen noch erahnen. Die Burg hatte etwas Erhabenes an sich.

„Iremna", flüsterte Marie und rutschte von dem Rücken der Lichtbringerin. Vorsichtig, geradezu ehrfürchtig, machte sie einige Schritte auf das imposante Gebäude zu. Sie blickte hinter sich. Weit, weit unter ihnen befand sich der eigentliche Boden. Unglaublich steil führte der unebene Weg herauf. Marie wurde ein wenig flau im Magen, wenn sie daran dachte, in welch schwindelerregenden Höhen sie sich befanden. Hinter ihr standen auch die beiden anderen, kleineren Lichtwölfe und, neben ihnen, Calen und Nanette. Der Junge starrte ganz in Gedanken versunken die Burg an, sein Mund war ein schmaler Strich, in seinen Augen fanden sich die unterschiedlichsten Gefühle wieder. Marie betrachtete ihn ganz genau. Ob er auch so fasziniert war wie sie? Ihr Blick wanderte zu ihrer Cousine. Nanettes Augen strahlten, auf ihrem Gesicht war ein beeindrucktes Lächeln zu finden.

Kommt, hörten sie wieder Aiovenas Stimme. Lasst uns eintreten. Willkommen auf Iremna. Sie schritt auf ein großes, mit Ornamenten aus Stein verziertes Eingangstor zu. Kaum standen sie davor, öffnete es sich wie von Geisterhand nach innen hin. Ein prachtvoller, langer Korridor begrüßte sie. Der Boden bestand aus blankgeputztem Marmor, an den Wänden waren Fassaden aus Bronze, die verschnörkelt einige Bilder einrahmten. An der hohen, gewölbten Decke hingen in regelmäßigen Abständen Kronleuchter. Staunend ließ Marie den Blick schweifen. So viele winzige Details... sie konnte sich gar nicht sattsehen. Calen betrat als erster den spiegelglatten Marmor, Aiovenas weiße Tatzen folgten. Plötzlich huschte ein kleines Wesen von etwa einem halben Meter vorbei. Marie stutzte. Es war gleich wieder weg, doch sie meinte, dunkelgrüne Haut gesehen zu haben.

„Was war das?", fragte sie überrascht. Sogleich erhielt sie Antwort von der Lichtbringerin: Ein Ruarka. Sie leben ausschließlich auf Iremna und halten bereits seit Jahrhunderten die Burg instand. Du wirst sie hier noch öfter sehen. Doch sie sprechen nie, sondern verrichten immer nur schweigend ihre Arbeit. Calen entwich ein leises Lachen.

„Ruarka heißt übersetzt Wuselwesen", schmunzelte er. Die Wölfin bewegte den Kopf, als würde sie nicken.

Kommt. Ich muss euch etwas von äußerster Wichtigkeit zeigen.

Marie, Nanette und Calen folgten ihr durch den langen Korridor, bis die Wölfin vor einer der zahlreichen goldenen und reich verzierten Türen stehen blieb und mit ihrem Maul die Klinke herunterdrückte. Mit der Pfote schubste sie sie auf und gewährte damit Einblick in einen Raum, der so gar nicht hierher passen wollte. Der Boden war nicht aus Marmor, sondern aus einfachen, dunklen Holzdielen gefertigt. Es gab einen zerfressenen, dunkelroten Wandteppich und an einer anderen Wand lehnte ein mannshohes Etwas, das jedoch von einem darüber geworfenen Tuch verdeckt wurde. Marie fragte sich unweigerlich, was wohl dahinter verborgen sein mochte. Durch ein winziges, verdrecktes und bereits milchiges Fenster ihnen gegenüber kam ein schmaler Streifen Licht hinein, in dem kleine Punkte tanzten. Sonst war der Raum leer. Doch alles war mit einer dicken Staubschicht bedeckt.

„Was ist das hier?", fragte Marie fasziniert. Doch aus irgendeinem Grund war sie verwirrt. Nur kam sie beim besten Willen nicht darauf, was sie störte!

„Was soll hier denn schon Besonderes sein?", legte Nanette nach, doch sie wirkte geradezu gelangweilt und genervt.

Tretet näher, war wieder Aiovenas Melodie zu hören. Die Wölfin schritt vor den Wandteppich und die drei Menschen folgten ihr. Stirnrunzelnd sah Marie auf die mit goldenem Faden eingestickten Runen. Das musste die alte Sprache sein. Da runzelte Marie die Stirn. Jetzt wusste sie, was sie hier irritierte.

„Müssten die... Wuselwesen hier nicht eigentlich putzen?", fragte sie an die Lichtbringerin gewandt. Ihr schneeweißer Kopf machte eine nickende Bewegung.

Das hier ist ein magischer Raum. Ihn betreten sie nie. Hier wurden einmal alle magischen Artefakte des Reiches aufbewahrt. Doch nach dem letzten Krieg wurden viele vom damaligen Königspaar entwendet und nachdem Zafir zum Dämon wurde, blieben nur noch diese beiden übrig.

„Was steht da?", fragte Nanette, die Arme verschränkt und nickte zum Wandteppich.

Es ist eine Prophezeiung des Orakels Delphi. Und jetzt ist die Zeit gekommen, da sie uns den Weg weisen soll.

Einen Moment herrschte Schweigen und Marie bekam eine Gänsehaut. Sie rieb sich über den Arm. Ihr Blick huschte zu dem mit dem Tuch verdeckten Ding. Es war ziemlich dünn, dünner als ein Schrank. Was es wohl sein mochte? Sie verspürte den Drang, das Tuch herunterzureißen und nachzusehen. Eine seltsame Anziehungskraft ging von dem magischen Artefakt aus, die Marie sich nicht erklären konnte.

„Das Orakel Delphi hat den Ruf, ihre Prophezeiungen gerne mit einem Gläschen Wein intus auszusprechen", murmelte Calen vor sich hin. „Und sie hat wohl Spaß an verwirrenden Formulierungen..." Woher er das wohl wusste? Andererseits, er war hier aufgewachsen. Natürlich wusste er ein wenig über seine eigene Welt. Marie verspürte den Impuls, den Kopf zu schütteln. Ihre Gedankengänge waren wirklich ein wenig seltsam heute. Ob es an dem Ding an der Wand liegen mochte?

Aus falscher Welt kommt richtig Blut

Vereint das Licht, bringt wahres Gut

Auf dass die Schatten schlafen gehen

Und beide Welten friedlich leben

Mit vollem Herz und weißer Kraft

Wird Licht zum bittersüßen Siegessaft.

Marie runzelte die Stirn. Das sollte die Prophezeiung sein? Sie hörte sich seltsam an...

„Das bist du", sagte Nanette unvermittelt. Marie warf ihr einen kurzen, ungläubigen Blick zu. „In der Prophezeiung bist du gemeint. Aus falscher Welt kommt richtig Blut. Du kommst aus einer anderen Welt und trägst königliches Blut in dir, du bist Prinzessin Candela. Du musst die Schatten besiegen." Marie atmete tief ein. Natürlich hatte sie gewusst, dass ihr als der verlorenen Prinzessin aus der anderen Welt eine besondere Rolle zukam. Aber sollte sie wirklich alleine die Schatten besiegen? Wie sollte die das bewerkstelligen?

Das Rudel der Lichtwölfe steht Prinzessin Candela stets zur Seite.

Marie sah die Lichtbringerin lange an. Dann wanderte ihr Blick zu Nanette und Calen. Nein, sie war ganz und gar nicht allein. Zusammen würden sie es schaffen. Dessen war Marie sich ganz sicher.

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