Eins

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Beinahe hätte ich Espen nicht erkannt, was zum Beispiel daran liegen könnte, dass ich eine große Sonnenbrille trage, durch die ich nicht besonders gut sehen kann. Es könnte aber auch daran liegen, dass wir uns sicher zehn oder elf Jahre nicht gesehen haben. Vielleicht spielt beides zusammen. In Lillehammer lässt sich die Sonne im November fast gar nicht blicken. Die Sonnenbrille macht es also nicht unbedingt leichter, Menschen oder überhaupt irgendetwas zu erkennen. Außerdem hat Espen sich wirklich ziemlich verändert. Er ist gewachsen, was nicht verwunderlich ist, da wir vielleicht zwölf oder dreizehn waren, als ich aus dem Heim geschmissen wurde. Damals war er so groß wie ich, schlaksig und ziemlich picklig. Heute überragt er mich sicherlich um zwei Köpfe, ist breiter geworden, wobei die dicken Winterklamotten auch täuschen könnten und picklig ist er auch nicht mehr. Es ist also wirklich nicht verwunderlich, dass ich ein paar Sekunden brauche, als er mich auf dem Weg zwischen Supermarkt und Auto anquatscht.

"Du bist doch, Leja, oder?", fragt er.

"Nein", antworte ich. "Also, ja. Aber ich habe mich umbenennen lassen. Richtig im Pass und so."

Er runzelt die Stirn. "Und wie heißt du jetzt?"

"Emilie."

"Hat es einen speziellen Grund, dass du jetzt Emilie heißt?"


"Leja ist ein Name, der zu deinem alten Leben gehört. Zu deinem alten Ich. Und dieses Ich bist du nicht mehr. Da sind wir uns doch einig, oder?" Zitternd nicke ich. Meine Nase blutet. Ragnar zieht ein Taschentuch aus seiner Hosentasche, wischt mir damit das Blut von den Lippen und hält es dann unter meine Nase. Sachte streichelt er mir mit dem Daumen über die Wange. Seine Berührung ist ein Donnerschlag, ein Lufthauch, eine Verbrennung. "Fällt dir ein schöner Name ein, Liebling?"

Ich schüttele den Kopf.

"Was hältst du von Yva."

Ich schniefe, mein Nasenrücken schmerzt. Ich glaube, er ist gebrochen. "Meine Tante heißt Yva. Und er ähnelt Leja irgendwie."

Er nickt verständnisvoll, legt seine Hand in meinen Nacken, massiert mich sanft, verwischt die Spuren, die er hinterlassen hat. Wenn auch nur in meiner Seele, wenn auch nicht vollständig.

"Dann geht das natürlich nicht. Wie wäre es mit Solveig?"

"Der Name klingt nach einer alten Frau."

Er lacht. Ich liebe sein Lachen. Ich liebe es so viel mehr als sein Schweigen, kurz bevor er sich vergisst. "Emilie. Was sagst du zu Emilie?"


"Ist einfacher zu buchstabieren", behaupte ich, was eine Lüge ist, weil Emilie viel mehr Buchstaben hat als Leja. Ich hasse diese Frage. Wieso heiße ich wohl nun so? Nicht, dass es dich irgendwas angehen würde.

Espen scheint zu verstehen, was ich damit sagen will. "Achso. Na ja, ich heiße immer noch Espen. Erinnerst du dich?"

Ich nicke. "Ist ganz schön lange her."

"Jaaah", sagt er und scheint kurz schweigend einer Erinnerung nachzuhängen. "Wo bist du damals hingekommen?"

Geht dich überhaupt nichts an. "In eine Pflegefamilie."

"Waren die nett zu dir?"

"Geht so."

Es ist nicht so, als hätte ich an sich keine Lust auf Espen. Espen war damals einer der wenigen Menschen, die nett zu mir waren und mich nicht verurteilt haben. Nicht mal dann, als ich mich mit diesem Mädchen geprügelt habe, woraufhin wir beide das Haus verlassen mussten. Espen war in Ordnung. Irgendwie war er sogar ein bisschen mein bester Freund. Aber das ist nunmal Ewigkeiten her. Espen gehört zu einer Zeit, die ich aus meinem Gedächtnis auszulöschen versuche. Eine Zeit, ein ganzes Leben, das ich nicht mehr als mein eigenes identifiziere. Damals war ich Leja, heute bin ich Emilie. Und deswegen soll er mir gefälligst nicht auf die Nerven gehen. Ich muss nach Hause. Ragnar kommt in einer halben Stunde von der Arbeit.

"Ich muss dann mal", verabschiede ich mich halbherzig.

"Hey, Emmie – darf ich dich Emmie nennen?", hält er mich zurück und wagt es dabei tatsächlich, meinen Arm zu berühren. Was glaubt er, wer er ist?

"Nein", beantworte ich seine Frage und schüttele seine Hand ab. "Darfst du nicht."

Zerknirscht verzieht er das Gesicht. "Entschuldige. Meinst du nicht, es wäre schön, sich mal auf einen Kaffee zu treffen? Ein bisschen über die alten Zeiten reden, was hältst du davon?"

"Gar nichts", antworte ich schnell und wende mich zum Gehen. "Mach' s gut, Espen."

Gott sei Dank läuft er mir nicht hinterher. Als ich im Auto sitze, die Brille absetze und den Wagen starte, ist er vom Parkplatz verschwunden. Hoffentlich war es das jetzt auch. Nochmal muss ich ihn nicht unbedingt wiedersehen.

Ich fahre normalerweise etwa fünfzehn Minuten nach Hause. Da es aber letzte Nacht geschneit hat und die Straßen teilweise noch nicht wirklich geräumt sind – es ist ja nicht so, als wären wir in Norwegen und Schnee käme jedes Jahr aufs Neue in lawinengroßen Mengen oder so – zieht sich mein Nachhauseweg ins Unendliche. Als ich endlich zu Hause angekommen bin, steht Ragnars Auto bereits vor dem Haus. Ich parke hinter ihm ein, setze die Brille wieder auf, steige aus, schließe ab und stapfe zur Haustür. Drinnen schlägt mir Wärme entgegen und der Geruch nach Kaffee.

"Liebster?", rufe ich. Er kommt aus dem Wohnzimmer, als ich mir die Schuhe ausziehe, zieht mich an sich, nimmt mir vorsichtig die Sonnenbrille ab und betrachtet mein mittlerweile grüngelbes Veilchen.

"Sieht doch schon wieder besser aus", stellt er sanft fest, küsst mich auf die Stirn, die Nase und die Lippen. "Wie war dein Tag?"

"Ach, ganz gut. Auf den Straßen war die Hölle los."

"Das habe ich bemerkt", stöhnt er genervt. "Als hätten die Leute noch nie Schnee gesehen. Ich habe eine halbe Stunde länger zur Arbeit gebraucht."

"War dein Chef böse?", frage ich.

Er schüttelt den Kopf, seine dunklen Locken wackeln mit. Ich muss sie ihm mal wieder schneiden. An einem guten Tag. Dann, wenn es ungefährlich ist, eine Schere in der Hand oder besser gesagt in seiner Reichweite zu halten. "Der Pisser hat sich gar nicht blicken lassen. Ist schon wieder im Urlaub. Verfluchter Hurensohn."

Beschwichtigend streiche ich ihm mit den Fingernägeln über den Rücken. Er liebt das. Kurz schließt er genussvoll die Augen.

"Ist sonst irgendwas Ungewöhnliches passiert?", fragt er dann.

Ich schüttele den Kopf. Das mit Espen erzähle ich ihm lieber nicht.

Er mag es nicht, wenn ich über Lejas Leben spreche.

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