Fünf

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Die Fesseln sind weg, als ich diesmal zu mir komme. Genauso, wie das Klebeband. Mein Kopf drückt. Stöhnend drehe ich mich auf den Rücken. Weg von der Holzwand, die ich angestarrt habe. Jetzt starre ich einen hölzernen Lattenrost über mir an. Und eine Matratze. Scheinbar liege ich im unteren Teil eines Doppelstockbetts. Sogar zugedeckt hat er mich, wie nett! Vorsichtig setze ich mich auf, mir ist ein wenig schwindelig. Muss dieses Zeug sein, mit dem er mich fast erstickt hätte, dieser blöde Penner! Langsam setze ich beide Füße auf den – ebenfalls aus Holz bestehenden – Fußboden. Das Zimmer besteht eigentlich nur aus dem Bett, einem Schrank und einem kleinen Fenster. Ich bin zwar schmal, aber da passe ich beim besten Willen nicht durch. Von Sekunde zu Sekunde verhärtet mein Verdacht sich etwas mehr, wo ich mich befinde. Wenn er das wirklich gemacht hat, bringe ich ihn um! Wenn er mich wirklich dorthin gebracht habe, wo ich denke, dass er mich hingebracht hat, bringe ich diesen Mistkerl um! Sobald meine Kopfschmerzen weg sind. Ich atme tief durch, mittlerweile ist mir sogar übel. Und zwar nicht nur ein bisschen. Eigentlich wollte ich es langsam angehen lassen, aber dafür habe ich, zumindest befürchte ich das, keine Zeit mehr. Eilig stehe ich auf, erstaunlicherweise ohne mich am oberen Bett zu stoßen, haste zur Tür, drücke die Klinke herab und kann überraschenderweise auf den Flur stürzen. Ich stehe mitten in der Wohnstube, habe aber wirklich zu wenig Zeit, um mich darüber aufzuregen, dass ich tatsächlich dort bin, wo ich vermutete zu sein, sehe mich verzweifelt um und entdecke Espen, der auf einem Sofa sitzt und mich erstaunt ansieht.

"Toilette?", frage ich, doch da ist es schon zu spät. Was auch immer ich zuletzt gegessen habe, ich weiß es wirklich nicht mehr, erbreche ich auf den verfluchten Dielenboden dieser verfluchten Hütte. Dieser Hütte, die einer von denen ähnelt, die Espen und ich damals besucht haben, wenn wir mit den anderen Heimkindern ins Ferienlager gefahren sind. Diese verdammte Hütte, die vermutlich irgendwo am Arsch der Welt ist, weit weg von Menschen, die auf uns aufmerksam werden könnten, weit weg von Hilfe, weit weg von allem.

"Ich hasse dich, Espen", knurre ich, wische mir über den Mund und stütze mich mit beiden Händen auf den Oberschenkeln ab, weil ich mich immer noch sehr wacklig auf den Beinen fühle. Da steht er schon neben mir, legt mir einen Arm auf den Rücken, greift nach meinem Arm und führt mich an meiner Kotze vorbei ins Bad. Ein paar Minuten hocke ich schweigend vor der Toilette, während Espen im Türrahmen steht und mich ebenfalls schweigend beobachtet. "Ich hasse dich wirklich über alles."

"Den Spruch gibt es nur mit Ich liebe dich über alles", klugscheißert er.

"Oh, halt bitte die Klappe. Das interessiert mich einen Dreck." Zornig werfe ich den Kopf herum und funkele ihn an. "Wie konntest du mich nur hier her bringen? Bist du jetzt vollkommen wahnsinnig geworden?"

Er antwortet nicht. Schnaubend kämpfe ich mich auf die Füße, marschiere, so würdevoll ich kann, auf ihn zu, zwänge mich an ihm vorbei und inspiziere zunächst die Wohnstube. Nichts Besonderes, eine Wohnstube halt mit Couch, Sessel, Fernseher, Bücherregal und einem potthässlichen Teppich, aber das interessiert mich auch nicht wirklich. Zielstrebig steuere ich auf die großen Fenster zu und sehe hinaus. Ich spüre, dass Espen mir gefolgt ist und direkt hinter mir steht. Er weiß, dass ich jederzeit ausholen und die Scheibe einschlagen könnte. Oder die Fenster einfach öffnen könnte. Und davor hat er Angst. Weil er ein verdammter Idiot ist, der sich darüber vorher vermutlich keine Gedanken gemacht hat. Oder er hat es getan, aber diese dumme Hütte war trotzdem die beste seiner Optionen. Ich könnte sie mühelos einschlagen.

Aber ich bin nicht dumm. Zwar werde ich oft unterschätzt, da ich mich, seit ich Emelie bin, optisch sehr verändert habe, weil Emelie eben ein blonder Engel ist und kein widerspenstiger Rebell wie Leja, aber ich bin nicht dumm. Er steht direkt hinter mir. Das Fenster zu zerdeppern würde mir nichts bringen außer einer blutigen Hand.

Deswegen drücke ich nur meine Nase an die Scheibe und sehe mich um. Direkt vor der Hütte erstreckt sich ein beeindruckend großer zugefrorener See, der von einem dichten und verschneiten Waldstück begrenzt wird. Ansonsten kann ich nicht viel erkennen, außer, dass hier eine Menge Schnee liegt. Mein Kopf schmerzt immer noch. Kurz erlaube ich mir, die Augen zu schließen und durchzuatmen. Dann drehe ich mich auf dem Absatz um, schiebe Espen aus dem Weg, der das stumm hinnimmt und marschiere zum Flur, der sehr klein ist und von dem nur noch die Tür zur Küche, die Haustür und ein kleiner Schuhschrank mitsamt Garderobe, der mit einem Vorhang versteckt werden kann, abgehen. Ich will mich nicht zum Affen machen. Deswegen drücke ich die Klinke der Haustür gar nicht erst runter. Stattdessen stelle ich mich vor sie, drehe mich zu Espen, der mit einem guten Sicherheitsabstand hinter mir steht, um und starre ihn zornig an.

"Es reicht jetzt wirklich, Espen! Wie stellst du dir das nun vor? Willst du mich für immer hier festhalten?"

Er runzelt die Stirn. "Natürlich nicht! Nur solange, bis du zur Vernunft gekommen bist und dieses Arschloch verlässt."

Kopfschüttelnd schweige ich. Am liebsten würde ich ihn anspringen, zu Boden werfen und so lange auf ihn einschlagen, bis er zur Vernunft gekommen ist, aber erstens fühle ich mich immer noch nicht sonderlich sicher auf den Beinen und zweitens weiß ich, dass das nichts bringt.

Es bringt nichts. Espen denkt, er tut das Richtige. Er ist verrückt, vermutlich läuft jedes Heimkind irgendwie nicht ganz rund, aber er übertrifft wirklich alles. Worte bringen also nichts, überhaupt nichts.

"Okay, Espen, pass auf", versuche ich es dementsprechend etwas ruhiger und ich bin überrascht, wie gut das funktioniert. "Du wirst mich nicht dazu bringen, Ragnar zu verlassen. Ich liebe ihn. Und das kannst du nicht ändern."

"Wie kannst du jemanden lieben, der dich regelmäßig krankenhausreif prügelt?", fragt er ernst.

"Ich wüsste nicht, was dich das angeht", weiche ich aus. Diese Frage habe ich mir oft selbst gestellt, vor allem zu Beginn unserer Beziehung. Eine andere Antwort als die, dass Liebe vermutlich stärker ist als Schmerz, kann ich darauf nicht geben. Und das wird Espen nicht verstehen können. Weil er keine Ahnung von Liebe hat.

"Es geht mich auch nichts an. Aber eigentlich ist es mir auch egal, denn ich weiß, dass das keine Liebe ist. Es ist krank, Leja, verstehst du das nicht? Krank! Und das wirst du auch noch merken, wenn du nur lange genug von ihm getrennt bist und darüber nachgedacht hast."

"Hör auf, mich Leja zu nennen und hör verflucht nochmal ebenfalls auf, dir einzubilden, du könntest über mich bestimmen", fauche ich ihn an.

Er seufzt. "Okay, dann halt Emelie. Zum Rest stehe ich und das bleibt auch so. Arrangier dich damit. Ich schätze, umso schneller du das tust, desto schneller können wir wieder nach Hause fahren."

Ich gebe ein freudloses Lachen von mir. "Und dann? Was ist dein Plan, wenn du mich geheilt hast? Sperrst du mich dann bei dir in der Wohnung ein oder bringst du mich um, um mich irgendwo zu verscharren?"

Irritiert sieht er mich an, als versuche er zu deuten, ob ich einen Scherz mache. "Wieso sollte ich so etwas tun?"

Genervt stöhne ich auf. "Du glaubst doch nicht wirklich, ich würde dich nicht anzeigen."

Keine Ahnung, warum ich das gesagt habe. Es ist dumm, total dumm, weil ich Espen damit einen Grund gebe, mich wirklich nicht mehr nach Hause zu lassen, zumindest nicht lebendig, aber irgendwie dominiert immer noch dieser eine Gedanke mein Weltbild: Es ist Espen. Espen würde mich niemals umbringen! Er ist doch noch ein halbes Kind. Ein Kind, das sich von Kurzschlussreaktionen leiten lässt und nicht ganz richtig im Kopf ist, aber ein Kind.

Nachdenklich lehnt er sich an die Flurwand. "Vielleicht tust du das ja auch nicht."

"Wieso sollte ich nicht?", frage ich wütend.

"Vielleicht bist du mir am Ende dankbar."

"Oh bitte, mach da jetzt nicht so ein Ich bin dein Erlöser-Ding draus."

"Retter reicht schon aus, danke für die Lorbeeren."

Wie kann man nur so ignorant sein?

"Ich hasse dich."

Jetzt lacht er. Und er lacht ehrlich. "Jetzt vielleicht noch."

"Du kannst das nicht wieder gutmachen, Espen."

"Wie macht Ragnar seine Prügelattacken eigentlich wieder gut? Hängt das von der Schwere der Verletzung ab? Gibt es Blumen bei 'nem Veilchen und einen Wochenendtrip, wenn irgendwelche Knochen brechen?"

Ich reiße die Augen auf. "Bist du jetzt völlig übergeschnappt?"

Provokant zieht er die Augenbrauen hoch. "Wieso? Habe ich etwa den Nagel auf den Kopf getroffen?"


"Lass uns ein paar Tage wegfahren, wenn du wieder gesund bist. Oder zumindest auf Krücken klarkommst. Was hältst du davon, Liebling?"

Ragnar streicht mir über den Schopf, achtet penibel darauf, das große Pflaster an meiner Stirn nicht zu berühren. Er sitzt neben mir im Krankenhausbett, mein eingegipstes Bein liegt neben seinem.

Ich bin gestern zu spät nach Hause gekommen, ohne anzurufen oder eine Nachricht zu schreiben. Und ich habe etwas getrunken. Es war mein Geburstag. Ragnar hat ihn vergessen. Da musste ich ihn alleine in einer Bar feiern, an der ich früher, als ich noch zu jung dafür war, immer nur mit großen Augen vorbeigelaufen bin. Er hat sofort gerochen, dass ich ordentlich etwas getankt hatte. Aber immerhin tat es dann nicht so weh, die Treppe runterzufallen. Alkohol dämpft Schmerz.

"Wir könnten uns eine Hütte an der Küste oder an irgendeinem See mieten. Oder willst du lieber in ein Hotel? Ich kann meinen Chef sicher um einen Vorschuss bitten, dann machen wir uns ein schönes Wellness-Wochenende. Dann können wir gleich deinen Geburtstag nachfeiern. Was sagst du dazu?"


"Emelie?" Espen steht nun direkt vor mir, eine Hand liegt auf meinem Arm. Wie eine Fliege schüttele ich sie ab.

"Halt die Klappe!", blaffe ich ihn, blinzele heftig, blinzele diese dumme Erinnerung weg. "Und wag es nicht noch einmal, so etwas zu behaupten!"

"Ich habe überhaupt nichts behauptet. Das war eine Frage. Aber weißt du was? Du hast dich schon früher angegriffen gefühlt, wenn man die Wahrheit gesagt hat und die dir nicht geschmeckt hat."

"Das war nicht ich sondern Leja. Und Leja gibt es nicht mehr."

Er lächelt, lächelt diesmal traurig. "Glaubst du wirklich, du kannst deine Vergangenheit, deine ganze Identität auslöschen, indem du dein Aussehen veränderst? Indem du dich schminkst, Tussiklamotten trägst und dir die Haare kämmst?" Sprachlos öffne ich den Mund, aber mir fällt nichts ein. "Soll ich dir was sagen? Das bringt genauso viel, wie deinen Namen zu ändern. Du bleibst Leja. Das einzige, was du scheinbar verloren hast, ist dein Stolz. Die alte Leja hätte sich nämlich niemals verändern und regelmäßig vermöbeln lassen. Die alte Leja hätte Ragnar den Vogel gezeigt. Sie hätte ihm in den Arsch getreten."

"Ragnar hat mich gerettet", presse ich atemlos und tief getroffen hervor.

"Nein", sagt Espen kopfschüttelnd. Das Lächeln ist fort. "Ragnar bringt dich Sekunde für Sekunde ein Stückchen mehr um."

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