Lilien, Wildblumen und Vergissmeinnicht

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》Lieber Bilbo,
  Gestern fragten Marie und Frodo mich, welches die schönste Geschichte war, die ich kenne. Nun, ich habe lange überlegt. Von Prinzessinnen, zu Drachen und Rittern und wieder zurück zu Prinzessinnen.
  Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass ich keine Geschichte schöner finde als unsere.
  Weißt du noch?
  Das erste mal sah ich dich auf dem Markt. Du fielst mir irgendwie auf. Das dann aber wohl eher durch deinen blauen Mantel. Immerhin ist blau – gerade dieses leuchtende – meine Lieblingsfarbe.
  Zu dieser Zeit ging es mir nicht so gut.
  Unsere Eltern waren beide abenteuerlustig gewesen. Vielleicht etwas zu sehr, denn von ihrer letzten Reise kehrten sie nie wieder zurück.
  Danach übernahm meine Schwester den Hof. Man konnte es nie perfekt genug machen, wenn es darum ging und natürlich musste ich unsere Lebensmittel immer wieder aufstocken, was ich aus irgendeinem Grund abgrundtief hasste.
  Aber an diesem Tag bist du mir aufgefallen.
  Ich glaube nicht an die Liebe auf den ersten Blick. Das ist doch albern. Doch ein gewisses Interesse war schon da. Ich wollte dich unbedingt näher kennenlernen. Aber wann sprach ich schon einmal einfach irgendwelche Leute an?
  Es kam, wie es kommen musste und ich sagte nichts, als du an mir vorbeigingst. Und glaub mir, hinterher ärgerte ich mich schwarz darüber.
  Den ganzen Tag lang wünschte ich mir, du wärst auf mich aufmerksam geworden. Du hättest mich angesprochen. Oder zumindest angelächelt.
  Oh ja, wie sehr ich mir doch wünschte, dieses hübsche Lächeln hätte mir gegolten und nicht dem Fischhändler hinter mir. Leider galt es aber nicht mir und du sprachst mich auch nicht an. Du gingst einfach an mir vorbei und ließest mich mit meiner Fantasie allein.
  Am nächsten Morgen warf meine Schwester mich aus dem Bett, als ich nach Sonnenaufgang krampfhaft versuchte, noch einmal einzuschlafen. Ich wollte mich einfach noch einmal an dich erinnern. Dank Cora konnte ich das vergessen.
  Und dann geschah es am nächsten Tag, dass ich die Türklingel hörte. Ich dachte mir natürlich nichts dabei, ging davon aus, dass meine Schwester mit der neuen Kuh wieder kam.
  Ach Bilbo, ich habe mich noch nie so sehr getäuscht. Denn davor stand weder Cora mit Kuh, noch Cora ohne Kuh, noch Kuh ohne Cora. Davor standst du.
  Kannst du dich noch an mein überraschtes Gesicht erinnern? Wahrscheinlich nicht, denn du sahst mich kaum an. Offenbar hatten wir interessante Steine auf unserem Hof liegen.
  Du fragtest mich, ob ich dich auf dem Markt bemerkt hätte. Was für eine dumme Frage das war! Wie hätte ich dich nicht bemerken sollen?
  Ich nickte nur überrascht. Ich war dir tatsächlich aufgefallen und du hattest dich für mich interessiert! Meine Knie wurden weich und ich musste mich an der Tür festhalten.
  Du fragtest mich, ob ich mich mit dir treffen wollte. Noch so eine dumme Frage, denn, wie gesagt, hatte ich Interesse an dir.
  Ich nickte nur und du sahst mich glücklich an.
  Du sagtest mir, ich sollte dich am Abend an der Trauerweide am See treffen.
  Ich nickte wieder und lächelte. Dann wurde mir schwindelig und ich knallte dir unhöflicherweise die Tür von der Nase zu. Langsam ließ ich mich daran herunter sinken und lächelte immer noch.
  Meine Schwester fragte mich mehrmals, was während ihrer Abwesenheit passiert war. Ich antwortete ihr nicht. Wie denn auch? „Letztens ist mir jemand auf dem Markt aufgefallen, den ich interessant finde. Er hat mich um ein Treffen gebeten." Meine Schwester wäre dagegen gewesen. Sie war immer dagegen.
  Das war auch der Grund, warum ich mich kurze Zeit nach dem Abendessen durch mein Fenster aus dem Haus schlich und mich auf den Weg zum See machte.
  Du standest schon da und wartetest auf mich. Und als ich dich erreichte zogst du deine Hand hinter dem Rücken hervor und gabst mir einen Strauß Lilien – aus deinem Garten, wie du mir erzähltest. Alle waren blau.
  Ich sagte dir, dass blau meine Lieblingsfarbe war und lächelte dich dankbar an. Du erwidertest mein Lächeln und wir setzten uns unter den Baum.
  „Dein Name ist Rosa und deine Lieblingsfarbe ist blau?", fragtest du und ich lachte dich nur an.
  Bald darauf gingen die ersten Sterne auf. Es waren hunderte kleiner Lichter. Der See lag friedlich vor uns. Die Grillen zirpten und ab und an hörte man einen Frosch ins Wasser springen. Sonst war es ruhig und friedlich.
  Wir saßen lange so da und unterhielten uns leise. Deine Augen waren so dunkelblau wie der Nachthimmel über uns. Wenn ich etwas sagen darf: In deine Augen war ich vom ersten Augenblick an verliebt.
  Und du hattest einen wundervollen Humor. Es war alles perfekt.
  Als mir kühl wurde, legtest du deinen Mantel um meine Schultern und zogst mich etwas näher zu dir.
  Ich lächelte dankbar und fragte dich, wie du mich gefunden hattest. Du sagtest mir, dass du einfach gefragt hattest.
  Ich war glücklich, denn ich war dir nicht nur aufgefallen, sondern du hattest dich auch für mich interessiert und nach mir gefragt.
  Ich gab dir deinen Mantel zurück und drückte dir spontan einen kleinen Kuss auf die Wange.
  Du wurdest rot. Ich musste lachen.
  Du sahst mir beim Lachen zu und sagtest mir, dass ich ein schönes Lachen hätte. Nun wurde ich rot und sagte dir irgendetwas über schöne Augen. Wahrscheinlich verstandest du nicht mal, was ich dir mitteilen wollte und sahst mich fragend an. Deshalb holte ich tief Luft und sagte leise, aber deutlich: „Du hast schöne Augen."
  Dann musste ich gehen.
  Im Nachhinein ärgerte ich mich, dich nicht nach einem Wiedersehen gefragt zu haben. Ich war einfach so dämlich.
  Doch schon bald, in der nächsten Woche, standst du wieder vor unserer Tür.
  Ich bemerkte es nicht, denn ich sammelte die Eier ein. Doch dann hörte ich Stimmen vom Haus her und lehnte mich gegen eine Ecke, um zu lauschen.
  Cora rief immer wieder: „Wir haben keine Zeit für solchen Unsinn. Mal davon abgesehen, dass Sie meine Schwester doch gar nicht kennen." Sie hatte ja keine Ahnung!
  Zögerlich trat ich um die Ecke und lächelte dich an.
  Deine Augen funkelten so schön wie in der Nacht, auch, wenn du etwas müde aussahst.
  Du fragtest mich, ob ich dich wiedersehen wollte. Überglücklich nickte ich und ignorierte Coras verwirrten Blick.
  Den ganzen Tag über war ich aufgeregt und erledigte meine Arbeiten im Rekorttempo. Coras Fragen bezüglich dir ignorierte ich gekonnt. Das durfte sie mir einfach nicht wegnehmen!
  Am Abend traf ich dich wieder. Du gabst mir einen Strauß blauer Wildblumen. Sie waren wunderschön.
  Wir setzten uns wieder an den See und sprachen miteinander.
  Dieses Mal sahen wir Glühwürmchen und schon bald beschäftigten wir uns damit, sie zu fangen und dann wieder in die Freiheit zu entlassen. Es war so schön, mit dir zusammen die kleinen Insekten einzufangen, die über den See schwebten –  wie Sterne, die aber nicht genug Kraft hatten, zurück zum Himmel zu fliegen.
  Du fingst mich auf, als ich stolperte und fast ins Schilfrohr gefallen wäre. Ich fühlte mich so glücklich, als du mich vorsichtig auf den Boden stelltest, mich aber nicht losließt.
  Und erinnerst du dich noch an den einen Versuch, ein besonders flinkes Glühwürmchen zu fangen? Wir stießen uns die Köpfe aneinander ein und am Ende hatte keiner von uns das Glühwürmchen, das über den See flog und verschwand. Dafür hielten wir uns nun unbeabsichtigt an den Händen. 
  Ich musste lachen, als du hinfielst und plötzlich im flachen Wasser lagst. Dann half ich dir heraus und legte dir eine Decke um die Schultern, die ich mitgebracht hatte, während der größte Teil deiner Kleidung auf einem Ast trocknete.
  Während ich versuchte, dein überraschtes Gesicht nachzuahmen, legtest du deine Hand an meine Taille und hieltest mich fest.
  Du brachtest mich an diesem Abend nach Hause und gabst mir einen Kuss auf die Wange. Ich umarmte dich und fragte dieses mal nach einem Wiedersehen.
  "Die nächsten drei Wochen bin ich leider nicht zu Hause. Aber ich verspreche dir, ich komme zu dir, sobald ich kann."
  Ach Bilbo, noch nie kamen mir drei Wochen so lang vor. Es war schrecklich.
  Cora schimpfte nur noch mit mir. Ich hatte Recht behalten: Sie war dagegen. Der Haussegen hing bei uns gewaltig schief, denn sie meinte, ich wäre mit dir außerhalb meines Standes. Du wärst zu gut für mich.
  Erst da fiel mir auf, wie wenig ich über dich wusste. Wer warst du? Du warst Bilbo, aber wenn ich darüber nachdachte, wurde mir bewusst, wie wenig ich auf die Details geachtet hatte.
  Zum Beispiel dein Benehmen: Es war fehlerfrei. Du warst zweifelsohne gut erzogen.
  Deine Kleidung: Sehr guter Stoff und damit kannte ich mich aus, denn meine heimliche Leidenschaft war das Nähen.
  Ich sah in einen Spiegel. Mit Schrecken wurde mir bewusst, wie wenig ich eigentlich hatte. Ein violettes und ein hellgrünes Kleid hingen in meinem Schrank. Beide zum Teil etwas ausgeblichen und mehrfach geflickt. Mein blaues Kleid war am Saum ausgefranst und der Gürtel abgewetzt. In meinem Gesicht fiel mir erst jetzt eine Narbe auf meiner Stirn auf – dort hatte mich vor Jahren einmal ein aufgebrachter Hahn mit seinen Sporen erwischt. Sonst war sie mir egal und auch, dass meine Kleider nicht so leuchtend und schön waren wie andere, oder meine Haare zu keiner Frisur taugten. Aber jetzt kam ich mir plötzlich schrecklich schmutzig vor, obgleich ich mich jeden Tag wusch und mir die Haare kämmte.
  Ich dachte an dich. Du hattest nichts gehabt. Absolut nichts. Du warst perfekt und ich war ich.
  Ich war immer glücklich mit dem gewesen, was wir hatten. Geld hatte für mich, außer zum Bezahlen von Lebensmitteln, nie einen großen Wert gehabt. Nun wurde mir schmerzlich bewusst, dass Cora recht hatte: Du warst außerhalb meines Standes.
  Wer warst du nur? Und was wolltest du von jemandem wie mir?
  Am nächsten Tag war Markttag. Neben der Aufgabe, unsere Lebensmittel aufzustocken, trieb mich an diesem Tag noch etwas anderes dort hin. Ich wollte wissen, wer du warst.
  Zu meinem Unglück, bestätigte jede einzelne Antwort auf die Frage nach dir meine Vermutungen.
  Cora bemerkte, dass ich ihr insgeheim mittlerweile Recht gab, sagte jedoch nichts weiter dazu. Sie trug mir mehr Dinge auf als sonst und es interessierte mich nicht. Ich erledigte alle Aufgaben, ohne mich zu beklagen.
  Ich bekam Einschlafprobleme. Nach drei Tagen fehlte mir jegliche Kraft, ihr zu widersprechen. Ich tat meine Pflichten und wartete abends darauf, dass ich endlich einschlief. Und wenn ich nur Albträume hatte, aber Hauptsache, ich schlief.
  Dass die Wochen herumgingen, bemerkte ich gar nicht. Ich hörte auf, die Tage zu zählen. Ich hörte auf, auf ein weiteres Treffen mit dir zu hoffen. Ich gestand mir sowohl ein, dass ich nicht mehr nur an dir interessiert war, als auch, dass du mich wahrscheinlich nicht mehr wiedersehen solltest.
  Wie gesagt, ich zählte nicht mehr mit und deshalb fiel ich fast aus dem Bett, als ich abends – kurz nachdem ich Cora unten hatte schimpfen hören – ein Klopfen an meinem Fenster vernahm. Verwirrt öffnete ich es und sah hinaus. Da war niemand.
  Dann raschelte es neben dem Fenster an der Hauswand, ich drehte den Kopf und sah dich. Du bedeutetest mir, leise zu sein und klettertest durch mein Fenster in mein Schlafzimmer.
  Hektisch sah ich mich um und stellte erschrocken fest, wie erdrückend es für dich bei mir sein musste. In meinem Zimmer gab es keine hellen und warmen Farben. Es gab keine Teppiche oder Läufer. Es gab nur altes, braun-graues Holz, mein Nähzeug, einen staubigen Spiegel von unserer Mutter und meinen 'Kleiderschrank' – immerhin hatte ich ja nur drei Kleider und ein Nachthemd.
  „Ich habe dich vermisst", flüstertest du mir ins Ohr und gabst mir einen Strauß Vergissmeinnicht.
  Überrascht sah ich auf die Blumen in meiner Hand und dann zu dir. Was wolltest du nur von mir?
  „Niedliche Kleidung", bemerktest du schmunzelnd und ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, was du meintest: Ich hatte mein Nachthemd und keine Unterwäsche darunter an! Ich wurde rot und verschränkte die Arme vor der Brust, was dich leise lachen ließ.
  Im nächsten Moment saßt du auch schon auf meinem Bett und sahst mich erwartungsvoll an. Zögerlich setzte ich mich daneben. Aber nicht so nah, wie bei den ersten beiden Treffen, denn jetzt, nachdem ich auf die Details geachtet hatte, wusste ich, dass ich nicht mit dir umgehen durfte als würden wir uns schon ein Leben lang kennen. Das gehörte sich einfach nicht.
  Ich öffnete den Mund, um dich etwas zu fragen, schloss ihn aber wieder. Mir fiel keine Frage ein.
  Du bemerktest, dass etwas mit mir nicht stimmte. Dass ich mich anders verhielt.
  „Hast du ein Problem mit mir? Bin ich dir zu aufdringlich geworden? Das tut mir leid", sagtest du leise. Überrascht sah ich dich an.
  „Nein, das ist es gar nicht", murmelte ich und senkte wieder den Blick. Wie sollte ich dir nur erklären, dass du mich nicht mehr sehen solltest? Und noch wichtiger war: Wie sollte ich es dir erklären, ohne in Tränen auszubrechen?
  „Was ist es dann?" Du nahmst meine Hand und lächeltest mich aufmunternd an.
  "Warum hast du mir nicht gesagt, wer du bist?"
  „Das habe ich doch, oder nicht? Ich bin Bilbo." Als Antwort darauf schnitt ich eine Grimasse.
  „Das meine ich nicht, ich meine, warum du mir nicht gesagt hast, dass du ..." Was sollte ich denn jetzt sagen? 'Dass du reich bist?', nein, lieber nicht. „... dass du außerhalb meines Standes bist."
  Du erkanntest, worauf ich hinaus wollte. „Hätte es denn etwas geändert?"
  "Es hätte so einiges geändert", flüsterte ich aufgebracht. „Sieh dich hier doch mal um! Ich bin nichts! Was willst du von mir? Was könnte ich dir denn geben?"
  Du schwiegst und wähltest deine Worte. „Und deshalb habe ich es nicht erzählt. Ich wollte dich kennen lernen, so wie du wirklich bist. Ohne, dass du dir Druck machst. Ich konnte dir so etwas einfach nicht sagen, denn so wie es war, war es perfekt. Es war perfekt, als materielle Dinge völlig egal waren. Es war perfekt, als du dir keine Gedanken über die Unterschiede zwischen uns gemacht, sondern nur mich gesehen hast und mich behandelt hast wie jemanden aus deinem 'Stand', wie du es so schön nennst. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass du mir in diesen Wochen, die wir uns kennen, mehr als genug gegeben hast. Zwar keinen Schlaf, denn ich denke viel länger als gut für mich ist an dich und bin hundemüde, aber dafür gibst du mir andere Dinge, Rosa, und du merkst es nicht einmal."
  Ich sah auf den staubigen Fußboden. Er hatte recht. Wann waren materielle Dinge so entscheidend dafür geworden, wem ich mein Herz schenkte? Wem ich mein Herz schenken durfte?
  Aus dem Augenwinkel nahm ich eine plötzliche Bewegung wahr. Erschrocken drehte ich meinen Kopf in deine Richtung. Leider hätte ich das wahrscheinlich nicht tun sollen.
  Wahrscheinlich wolltest du mir einen Kuss auf die Wange geben, allerdings drehte ich den Kopf so, dass deine Lippen plötzlich meine berührten.
  Es war so schön und ich hätte den Kuss gern etwas vertieft, allerdings war ich gleichzeitig auch erschrocken und bekam Angst. Ich konnte aber auch gar nichts! Da versuchte ich, dir mitzuteilen, dass du mich besser nicht mehr sehen solltest und dann sorgte ich dumme Gans im Prinzip auch noch dafür, dass du mich küsstest! Wie blöd konnte man eigentlich sein? Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich hatte das Gefühl, gleich aus Verzweiflung schreien zu müssen.
  Verwirrt und traurig stieß ich dich von mir weg und konnte plötzlich auch die Tränen nicht mehr zurückhalten. Weinend sank ich auf dem Bett zusammen. Ich wünschte mir so sehr, dass es beim Interesse geblieben wäre, dass ich doch nie Gefühle für dich entwickelt hätte.
  Du legtest mir verunsichert die Hand auf den Rücken und versuchtest verzweifelt, mich zu trösten. Das machte alles nur noch schlimmer.
  „Verschwinde", flüsterte ich leise.
  „Nein, ich verlasse dich doch jetzt nicht", meintest du entschlossen und fuhrst fort, mir über den Rücken zu streicheln.
  „Geh!", schrie ich im letzten verzweifelten Versuch. Du konntest einfach nicht mit mir zusammen sein. Beschämt stellte ich fest, dass ich ohne Cora und den Hof komplett auf dich angewiesen gewesen wäre. Ich konnte nicht auf dich angewiesen sein! Alle anderen hätten gedacht, ich würde dich ausnutzen. Und irgendwann würdest du das auch glauben. Und dann konnte ich nicht einmal mehr zu meiner Schwester zurück.
  „Rosa? Ist bei dir alles in Ordnung?", hörten wir Coras Stimme durch das Holz der Tür.
  „Geh jetzt einfach. Bitte", flehte ich mit tränennassem Gesicht.
  Du sahst mich verletzt an und klettertest dann wieder aus meinem Fenster.
  „Vergiss mich bitte nicht", hörte ich dich noch und dann warst du weg und ich allein.
  Cora öffnete die Tür und wusste anscheinend, was passiert war. Schwer war es ja nicht: Ich lag tränenüberströmt auf meinem Bett, neben mir lag ein Strauß Vergissmeinnicht.
  „Er war hier, nicht?"
  Ich nickte traurig und fühlte mich mies und allein. Ich war allen beiden in den Rücken gefallen.
  „Dieser Dreckskerl!", fluchte Cora. So kannte ich sie gar nicht. Zwar war sie oft etwas harsch, jedoch war sie gut erzogen und fluchte normalerweise nie. „Ich habe ihm noch verboten, zu dir zu gehen. Er sollte dich nicht verletzen!"
  Im folgenden Gespräch erfuhr ich, warum Cora so gegen unsere Beziehung war: Sie wollte nicht, dass ich mich von einem Mann zu einem Abenteuer überreden ließ. Wie unsere Mutter.
  In den folgenden Tagen und Wochen vermisste ich dich immer mehr. Ständig musste ich an dich denken. Dein Lächeln, deine Augen.
  Ich trocknete die Vergissmeinnicht und stellte sie in eine Vase. Zusammen mit den Lilien und den Wildblumen, die ich schon getrocknet hatte.
  Jeden Tag nahm ich mir vor, dein Haus aufzusuchen und mit dir zu sprechen. Und jeden Tag verließ mich der Mut. Wenn Markttag war, hoffte ich, dich zu sehen, doch das eine mal, als ich es tat, traute ich mich einfach nicht, dich anzusprechen.
  Eine ganze Weile verging so, bis Cora mir einen Brief gab, den sie im Briefkasten gefunden hatte. Er war von dir.
  'Ich kehre zu dir zurück, das verspreche ich dir und dann musst du dich entscheiden, wie du zu mir stehst. Ich wollte dich zwar nicht drängen, aber ich halte es nicht mehr aus. Bitte, vergiss mich nicht!' Unten auf dem Papier war eine gepresste Vergissmeinnichtblüte aufgeklebt. Und ich traf endlich meine Entscheidung, bereit, alle Konsequenzen in Kauf zu nehmen.
  Ab diesem Tag wartete ich auf dich.
Ich wartete jeden Tag auf dich. Jeden Tag sah ich die Straße herunter, in der Hoffnung, du kommst zu mir zurück. Aber du kamst nicht.
  Jeden Tag sagte ich mir: 'Wenn er heute nicht kommt, gibst du die Hoffnung auf.' Und doch stand ich am nächsten Tag wieder am Tor.
  Im Sommer bekam ich einen Sonnenstich und mir wurde schlecht. Ich durfte mehrere Tage das Haus nicht verlassen. Diese Tage waren schrecklich, denn immer stellte ich mir vor, wie du zu mir kamst und ich nicht in der Lage war, dir meine Entscheidung mitzuteilen. Und dass du mich allein lassen würdest.
  Meine Schwester machte es wütend. Mich machte es wütend. Dich interessierte es nicht.
  Wie denn auch? Du bemerktest es ja nicht.
  Und dann kam der Tag, an dem endlich das passierte, was ich seit dreizehn Monaten so herbeigesehnt hatte.
  Ich stand am Tor, als ich am Ende der Straße einen kleinen Punkt sah, der sich auf unseren Hof zu bewegte.
  „Was ist das?", fragte Cora hinter mir. „Der Postbote war doch heute schon da."
  „Jemand, der sein Versprechen wahr macht", flüsterte ich und öffnete das Tor.
  „Lass ihn ja nicht mehr los", hörte ich Cora hinter mir noch rufen, nahm sie aber schon gar nicht mehr richtig wahr.
  Ich rannte, bis ich dein ernstes Gesicht sehen konnte. Dann blieb ich stehen. Hasstest du mich? Hatte ich dich so sehr verletzt? Wolltest du meine Entscheidung überhaupt noch hören?
  „Bilbo?", fragte ich unsicher und dann schienst du mich erst richtig zu bemerken. Du lächeltest mich an und deine Gesichtszüge wurden weicher.
  „Rosa?"
  Glücklich umarmte ich dich und mir liefen die Tränen übers Gesicht.
  „Oh, Rosa!" Du drücktest mich fest an dich. „Ich dachte schon, ich sehe dich nie wieder."
  „Wo warst du? Ach, wo sind denn meine Manieren, kommst du vielleicht erstmal mit?", fragte ich zurückhaltend.
  Du stimmtest zu.
  In der Hälfte des Weges, bliebst du stehen und sahst mich an.
  „Rosa, ich kann nicht mehr warten, es tut mir leid! Wie ist deine Entscheidung? Bitte, diese ganzen Monate. Diese schreckliche Ungewissheit, ob ich es überlebe, ob ich dich wieder sehe und wie deine Entscheidung ausfällt. Bitte, Rosa." Du sahst mich bittend an und ich holte tief Luft.
 „Die Entscheidung stand eigentlich schon an dem Abend fest, an dem ich dich weggeschickt habe und in den letzten Monaten hatte ich genügend Zeit, sie zu festigen. Ich liebe dich und ich lasse dich nicht los und wenn ich deshalb allein gegen die ganze Welt stehe!" Nervös mied ich deinen Blick und versuchte, meine zitternden Hände unter Kontrolle zu bekommen.
  Du nahmst meine Hände und umarmtest mich dann. Mein ganzer Körper prickelte und ich wollte nie wieder von dir weg.
  Als wir Hand in Hand das Haus betraten, sah ich noch etwas, dass mich glattweg vor Überraschung aus den Schuhen gehauen hätte ... hätte ich welche getragen. Cora sah uns beide skeptisch an und dann sah ich sie das erste mal seit dem Verschwinden unserer Eltern lächeln.
  Wir lächelten uns an und Cora befahl dir, gut auf mich Acht zu geben.
  Ich zog zu dir nach Beutelsend und Überraschung: Keiner sagte etwas gegen uns. Wir wurden einfach akzeptiert, was mich so glücklich wie noch nichts in meinem Leben machte.
  Du erzähltest mir, dass du auf einer Reise warst. Ich war erschüttert, als du mir vom Tod deiner Freunde erzähltest. Immer, wenn du traurig wurdest, nahm ich dich in den Arm und tröstete dich. Baute dich auf und sah zu, wie es dir nach und nach wieder besser ging.
  Du weißt noch, mit wem Cora auf unserer Hochzeit auftauchte? Schlussendlich musste sie vermutlich auch nur mal lächeln, um den Richtigen zu finden.
  Den Hof gaben wir auch nicht auf, denn es hing zu viel daran. Ich lief jeden Tag die kurze Strecke, um Cora und ihrem Hans auf dem Hof zu helfen.
  Ich tat das zumindest so lange, bis es nicht mehr ging, denn ich wurde schwanger mit unserem ersten Kind, Marie. Bald darauf adoptierten wir beide deinen elternlosen Neffen Frodo.
  Warum ich dir das schreibe?
  Weil ich nicht hier weggehen wollte, ohne dir noch etwas wichtiges zu sagen: Du bist das beste, das mir je passiert ist. Bilbo, mein Freund, mein bester Freund, mein Mann und der Vater meiner Kinder.
  Ich liebe dich und werde auf dich warten.
  Vergiss mich bitte nicht, in Liebe, deine Rosa.《

  Bilbo ließ zitternd den Brief sinken. Sein Blick fiel auf die Frau neben ihm.
  Auf ihren blassen Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab. Das Lächeln, das er immer so schön gefunden hatte.
  Eine Träne lief über seine Wange. Traurig küsste er seine Frau ein letztes Mal auf den Mund, nahm ihre kalte Hand.
  Dann wartete er. Wartete auf seine Kinder, die die Männer holen würden und die Männer, die ihm seine Liebe wegnehmen würden.
  Sein Herz zerbrach...

  ...Bilbo schreckte aus dem Schlaf auf. Da hatte er doch tatsächlich geträumt, seine Rosa wäre gestorben. Diese Vorstellung war einfach schrecklich.
  Na schön, Sterben war natürlich und die beiden waren auch alt geworden, trotzdem konnte er sich einfach noch nicht vorstellen, sein restliches Leben ohne sie zu verbringen.
  Außer Atem tastete Bilbo nach der Hand seiner Frau und erstarrte, als er sie spürte. Sie war kalt und unbeweglich.
  Bilbo drehte sich nervös zu ihr um.
  Auf ihren blassen Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab. Das Lächeln, das er immer so schön gefunden hatte. In der anderen Hand hatte sie einen Brief  doch Bilbo wusste schon, was darin stand.
  Er ließ sich wieder fallen. Er atmete schwer. Ihm liefen die Tränen über die Wange.
  Dann schrie er. Er schrie den Schmerz heraus und dann wartete er. Wartete auf seine Kinder und die Männer, die ihm seine Liebe wegnehmen würden.

| Ende |

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  Dann schrie er. Er schrie den Schmerz heraus und dann wartete er. Wartete auf seine Kinder und die Männer, die ihm seine Liebe wegnehmen würden...
  Er fühlte sich, als würde er fallen. Dann hörte er, wie jemand seinen Namen rief.

  Bilbo erwachte schweißgebadet in seinem Bett. Neben ihm kniete seine besorgte Frau.
  „Rosa?", fragte er und nahm ihre Hand. Sie war warm und drückte beruhigend seine Finger.
  „Was ist los? Alles in Ordnung?", fragte Rosa und strich Bilbo die Haare aus dem Gesicht.
  „Nur ein schlechter Traum. Ist bei dir alles gut? Ich habe dich doch nicht in den Bauch getreten, oder?" Entsetzt schaute er seine Frau an.
  „Nein, aber du hast geschrien und ich glaube auch, geweint", flüsterte sie und wischte seine Tränen weg.
  Sein Blick fiel auf ihren Bauch, der deutlich unter ihrem Nachthemd zu sehen war. Es war noch lange nicht so weit wie in seinem Traum, die beiden hatten noch so viele Jahre vor sich.
  „Lass uns wieder schlafen gehen", schlug Rosa vor und kuschelte sich an ihren Mann.
  „Eine Frage noch: Nennen wir das Kind Marie?"
  „Wenn es ein Mädchen wird, darfst du dir den Namen eh aussuchen", erinnerte sie ihn und legte sich die Hand auf den Bauch, in dem sie schon seit einer Woche deutlich Tritte verspürte.
  „So wie es sich benimmt, wird es ein Mädchen", scherzte Bilbo und legte seine Hand auf Rosas und ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Er blieb an dem Blumenstrauß auf ihrem Nachttisch hängen.
  Er hatte sie Rosa geschenkt, als der Arzt ihnen die frohe Nachricht verkündet hatte.
  "Vergissmeinnicht", murmelte Rosa im Schlaf und drehte sich dann auf die andere Seite.
  Bilbo schlief neben ihr ein und das letzte, was er vor einer restlichen, traumlosen Nacht sah, waren nicht nur die frischen Blumen, sondern auch der getrocknete Strauß. Die blauen Blumen, die er ihr bei den ersten Treffen gegeben hatte: Lilien, Wildblumen und Vergissmeinnicht. 



















Anmerkung:

Tja, das war mein kleiner One-Shot.
Ich hoffe sehr, dass es euch gefallen hat. Wie gesagt, hab gerade nichts besseres zu tun und deshalb hatte ich mal Lust, was anderes zu machen, bevor ich die neuen Kapitel der anderen Bücher mache.
Teilt mir doch mal mit, wie es euch gefallen hat und...ja, ich wünsche euch eine schöne Restwoche und ein verschneites Wochenende.
LG, Krümelchen. 💝

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