Aschekinder (2)

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Der Kaufmann und der Junge

Der nächste Morgen kam mit goldenem Glanz und einer wohltuenden Stille im Haus, da die Hausherrin und ihre Töchter sich von den Festlichkeiten am Vorabend erholten.
Ich lief entspannt den schmalen Pfad an der Ostseite des Hauses entlang, der sich zwischen wundervollen Rosenbüschen hindurchwand und nun, im hellen Sonnenlicht einen beinahe magischen Glanz bekam.
Die Vögel sangen aus vollem Hals und begrüßten mit so viel Elan den neuen Tag, dass ich einen Moment innehielt um ihrem begeisterten Zwitschern zu lauschen.
Ich stellte den Korb mit Brennholz, den ich getragen hatte, auf der noch feuchten Erde ab und schloss die Augen.

Mir war in diesem Augenblick egal, dass ich eigentlich eine Aufgabe gehabt hätte. Mich würde sowieso keiner beobachten, da die Zimmer von Ellas Stiefmutter und ihren Kindern im Westflügel des Hauses lagen.
Tief atmete ich die frische Luft, die von den vielen Gerüchen nach Gras, feuchter Erde, verschiedensten Blumen und warmen Steinen so voll war, dass mir schien, meine Nase könnten all diese Eindrücke gar nicht aufnehmen.
Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, als ich langsam spürte, wie die frühe Sonne meine Haut wärmte.

Der Genussmoment dauerte allerdings nicht lange an, da ich plötzlich von hinten gepackt und fest umklammert wurde.

Ein aufgeregter Hitzeschauer jagte durch meinen Körper, als ich herumwirbelte um zu sehen, wer mich hier beim Faulenzen erwischt hatte. Aber das helle Lachen, das beinahe perfekt zu der fröhlichen Morgenstimmung passte, verriet mir, dass es Ella, das schönste Mädchen der Welt war, die mich hier erschreckt hatte. Sie trug das wellige Haar offen, so wie immer wenn sie glaubte unbeobachtet zu sein.
Soweit es überhaupt möglich war, wurde meine Laune noch ein kleines Stückchen besser und ich erwiderte ihr breites Lächeln.

„Guten Morgen", grüßte sie fröhlich und umfasste meine Hände. Mein Herz begann auf der Stelle schnell zu schlagen und ich konnte meinen Blick kaum von ihrem wundervollen Gesicht nehmen.

„Habe ich dich also beim Trödeln erwischt", mahnte sie mit gespielter Strenge und hob eine Augenbraue. Gleich darauf grinste sie aber schon wieder.

„Wenn du heute Morgen schon faul sein möchtest, dann tu es wenigstens richtig!"

Mit diesen Worten und ohne dass ich mich in irgendeiner Weise hätte wehren können, zog sie mich an der Hand tiefer in den Garten hinein, bis an den Waldrand, wo unter einer alten Trauerweide, halb versteckt durch die herabhängenden Zweige, eine steinerne Bank stand. Ein kleiner Teich lag zufüßen des Baumes und sorgte für eine angenehm kühle Atmosphäre.

Diesen kleinen Teil des Gartens konnte man vom Haus aus nicht einsehen, was vermutlich der Grund gewesen war, aus dem Ella mich hierher gelotst hatte. Allerdings war das hier auch ihr Lieblingsplatz. Hier hatte ihr Vater ihr und manchmal auch mir, Geschichten aus den Ländern erzählt, die er aufgrund seines Berufes als Kaufmann alle bereist hatte.
Sein Tod lag nun schon einige Jahre zurück, doch Ella kam immer noch hier her. Manchmal alleine, um ihm nah zu sein, doch häufig, solange die Arbeit es zuließ, kamen wir zusammen und sie erzählte mir Geschichten.

Auch heute schien das wieder ihre Absicht zu sein, denn sie hatte sich, wie früher ihr Vater, nicht etwa auf der Bank, sondern auf einem der niedrigen Äste des Baumes niedergelassen und ließ lässig die Beine baumeln.

„Was wäre dieser wundervolle Morgen ohne eine Geschichte?", fragte sie und blickte dabei mit theatralischem Gehabe über sich in das grüne Blätterdach, so als vermute sie dort eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration.

Ich setzte mich auf die Bank am Rand des Teiches und blickte auf das stille Wasser. Für einen Moment glaubte ich fast, die Silhouette von Ellas Vater neben mir zu sehen, wie er mir durch die Wellen ermutigend zulächelte, um dann mit dem nächsten Luftzug wieder zu verschwinden.
Ein wehmütiges Lächeln stahl sich auf meine Züge, doch ich bemerkte es erst, als Ella mich direkt ansprach.

„Was meinst du, welche Geschichte soll ich heute erzählen?"

Bevor sie den Satz beendet hatte, wusste ich bereits, dass sie sich längst entschlossen hatte. Ich blickte sie kopfschüttelnd an und sie lachte darüber.

„Lass mir doch die Dramatik. Es wäre doch viel weniger reizvoll und atmosphärisch, wenn ich einfach mit dem Erzählen beginnen würde."

Mein Blick wurde nachsichtig. Bei Ella musste es immer „atmosphärisch" sein. Sie vermutete Magie hinter jedem Stein und bemühte sich, in allem, jedem Moment und auch in jedem Menschen, etwas Gutes zu entdecken. Ach wenn ich diese Eigenschaft an ihr liebte und einfach wundervoll fand, so zerstörte sie sich damit doch regelmäßig selbst und es tat mir jedes Mal weh, wenn ich mitansehen musste, wie ihre furchtbare Stiefmutter und deren unerzogene Brut diesem wundervollen Mädchen noch ein Stückchen ihres goldenen Herzens entrissen.
Aber bisher hatte Ella niemals den Glauben verloren und ich betete zu Gott, wenn es ihn denn gab, dass niemals der Tag kommen würde, an dem das geschah.

Ein kurzer Schmerz an meiner Schulter holte mich zurück in die Gegenwart und ich zuckte ertappt zusammen und drehte mich zu meiner Freundin um. Die saß, wie ein kleiner Kobold dort auf dem Baum und funkelte mich aus ihren hellen Augen verschmitzt an, während sie mit der linken Hand einen Kiesel in die Luft warf und wieder auffing. Ich drohte bereits wieder, von ihrer lieblichen Erscheinung komplett in den Bann gezogen zu werden, doch ich nahm mich zusammen. Ich hatte genug geträumt.

„Hörst du mir jetzt zu?", fragte sie, halb vorwurfsvoll, halb lachend.

Ich nickte ergeben und sie setzte sich etwas bequemer hin, bevor sie zu erzählen begann.

„Es war einst, vor nunmehr zehn Jahren, da unternahm ein mutiger und reiselustiger Kaufmann eine Reise in den Süden, um dort, in der Nähe des Meeres, kostbare Gewürze zu erwerben. Er tätigte seine Geschäfte wie geplant und trat kurz darauf seine Rückreise an. An seinem zweiten Reisetag machte er abends Rast in einer kleinen Stadt, in der zur gleichen Zeit eine Gruppe von  Schaustellern gastierte.

Da der Kaufmann erfolgreich gewesen war und ihm der Sinn nach Vergnügen stand, besuchte er am späteren Abend den Platz, an dem sich die fahrenden Leute niedergelassen hatten und ihre wundervollen Kunststücke darboten. Besonders gefiel ihm ein kleiner Jungen von zwölf Jahren, der durch seine wundervolle Stimme und seine anmutige Tanzkunst beeindruckte.

Der Kaufmann war verzaubert von der Darbietung der Reisenden, gerade weil ihm viele der Schaunummern als pure Magie erschienen waren. Zudem war er von der Herzenswärme und der Freundlichkeit, mit der ihm die Zigeuner begegneten auf das höchste angetan. Sie hatten ihm für seine kleine Tochter, die im Norden auf ihn wartete, eine wundervolle Spielfigur geschenkt, die so lebendig wirkte, als habe sie tatsächlich eine eigene Persönlichkeit.
Der Kaufmann wollte die Künstler für ihre Gabe entlohnen, doch sie lehnten sein Geld wieder und wieder standhaft ab, bis er schließlich seine Bemühungen aufgab. Doch lud er sie zu einem fröhlichen Zusammensein im Gasthaus des Ortes ein und verbrachte einen geselligen Abend, an dessen Ende er sich zufrieden zur Ruhe begab.

Sein Schlaf währte jedoch nicht lange, da er von Schreien und dem Schein von Flammen geweckt wurde. Als er aus einem Zimmer rannte, um zu sehen was passiert war, konnte er gerade noch sehen, wie die bunten Wagen der Zigeuner zu glühender Asche zerfielen und mit ihnen die Menschen, die man grausam darin eingeschlossen hatte.

Einige Bewohner des Dorfes hatten durch die Magie und die Unerklärbarkeit der Kunststücke Angst bekommen und in ihrer Engstirnigkeit einen Pakt mit Satan vermutet.
So beschlossen sie, das vermeintliche Übel ein für alle Mal auszurotten und ersannen den schrecklichen Plan, die Schausteller in ihren Wagen zu Tode kommen zu lassen.

Keiner überlebte diese Nacht. Keiner, bis auf der kleiner Junge, der sich unerlaubterweise fortgeschlichen hatte, um Freundschaft mit den Tieren der Nacht zu schließen. Der Kaufmann fand ihn zusammengesunken, voll mit Asche, doch unversehrt am Rande des abgebrannten Lagers und nahm ihn kurzerhand mit sich. Er wollte diesen guten Menschen, die auf so schreckliche Weise ihr Ende gefunden hatten einen letzten Dienst erweisen, indem er ihren Sohn bei sich aufnahm.

Der Junge jedoch, der den Händler wenige Stunden zuvor mit seiner hellen Stimme verzaubert hatte, sprach nie wieder. Dennoch zögerte der Kaufmann keine Sekunde und reiste mit ihm zurück in seine Heimat. Dort nahm er ihn in seinen Haushalt auf, gab ihm Arbeit und Essen und verfügte, dass er seinen Lebtag dort bleiben dürfe. Seiner kleinen Tochter überreichteer bei seiner Ankunft die Spielfigur, die ihm die Schausteller geschenkt hatten. Und doch gewann sie an diesem Tag viel mehr, als nur ein scheinbar magisches Spielzeug: Einen Freund fürs Leben."

Die letzten Worte verklangen in den Ästen der Trauerweide und ich kehrte aus den Bildern, die sich in meinem Kopf zu Erinnerungen verdichtet hatten, zurück in die Gegenwart.
Ella lächelte mich warm an und fügte hinzu:

„Und es störte sie überhaupt nicht, dass er nicht mit ihr sprechen konnte. Denn sie lernte, von seinen Lippen zu lesen und sonst verstanden sie sich auch ohne jedes Wort."

Sie blickte mir tief in die Augen und ich konnte eine Weichheit und Zuneigung darin lesen, dass es mir fast körperlich wehtat. Ich zwang mich, ihr Lächeln zu erwidern, obwohl ich am liebsten auf sie zugestürzt wäre und sie geküsst hätte.

Doch ich blieb einfach dort sitzen und schwieg. Ich schwieg wie an jedem einzelnen Tag, seit ich vor zehn Jahren meine Stimme verloren hatte.

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