42. Winziger Bleistift, Quadratgesicht

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Wie er da so schwebte und herumwaberte, erinnerte er mich an den Inhalt dieser Lavalampe, die Rebecca angeschleppt hatte, und die durch meine Unachtsamkeit zu Bruch gegangen war.

Es war merkwürdig. Angst hatte ich keine. Weshalb auch. Magma-Scheck war ja auf meinen eigenen Wunsch hin erschienen. Er war ein Produkt meiner Worte, meiner Stimme, meiner, ich traute mich kaum es zu denken, meiner mir innewohnenden Kräfte. Wer jemals ein Modellauto mit einer Fernsteuerung gelenkt hatte, wusste wie es mir erging. Ich hatte die Kontrolle, ich besaß die Gewalt über diese Feuererscheinung. Eine Handbewegung, der richtige Gedanke, ein Befehl, und Feuer-Scheck tat was ich wollte. Alles das wusste ich nicht hundertprozentig, niemand hatte es mir schriftlich gegeben, aber ich spürte es, und meiner Intuition konnte ich vertrauen.

Der gute alte Scheck wartete auf eine Weisung, das spürte ich genau. Ich griff die Sporttasche mit dem Falschgeld fester, holte aus und schleuderte sie Magma-Scheck in die brutzelnde Glutwampe, wo sie mit einem kurzen, enttäuschend unspektakulären Fauchen verschwand. Ich dachte an ein Lagerfeuer, in das man einen Kieselstein warf: es gab keine Auswirkungen, das Feuer brannte einfach weiter, genau wie Magma-Scheck, der immer noch in seiner ganzen Pracht vor mir schwebte als wäre nichts geschehen. Ich konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob das Geld wirklich futsch war oder ob Scheck es irgendwo, an einem geheimen Ort, wieder ausspuckte. Doch das war mir in diesem Moment egal. Das Geld war aus dem Haus, und die Sache damit für mich erledigt.

Wieder überkam mich der Wunsch, die glühende Erscheinung aus lauter Dankbarkeit zu umarmen, wieder ließ ich glücklicherweise von meinem Vorhaben ab. Stattdessen beließ ich es bei einem albernen winke, winke, als grüße ich meinem Opa hinterher.

„Bis bald, Herr Scheck. Auf Wiedersehen!"

Es würde ein Wiedersehen geben, da war ich mir sicher. So einen Feuerdämon konnte ich in absehbarer Zeit bestimmt noch einmal gebrauchen. Erstaunlich wie folgsam er war! So unaufgeregt er sich materialisiert hatte, so entspannt zog er sich wieder zurück. Innerhalb weniger Sekunden schrumpfte er auf die Hälfte seiner Größe, kühlte deutlich ab, war irgendwann nur noch ein Glimmen, ein leichtes Flirren in der staubigen Schlafzimmerluft, das vom hereinfallenden Sonnenlicht kaum zu unterscheiden war. Was eigentlich war Materie, was waren physikalische Gesetze, Moleküle, Schwerkraft, was war der ganze Mumpitz, den mir meine Lehrer versucht hatten beizubringen, eigentlich noch Wert angesichts der Tatsache, dass ich einen Feuer-Scheck hatte, der auf Wunsch aus den Ritzen der Wirklichkeit zu mir kam und mir zur Seite stand?

Wie angewurzelt stand ich da, überwältigt, glücklich, von mir selbst überzuckert, wie auf Droge. Gedankenverloren spielte ich mit meinem Bernstein und starrte hinaus über die roten Dächer der Nachbarhäuser.

Klar, dass ich zusammenzuckte, als es an der Tür läutete.

Und ich hatte auch schon eine Ahnung wer es sein konnte. Amanda sperrte ich für alle Fälle ins Badezimmer. Sie spürte genau, wenn eine Situation unangenehm für mich war und neigte in solchen Situationen dazu, meinem Gegenüber mit ausgefahrenen Krallen ins Gesicht zu springen. Das wusste ich deshalb so genau, weil in der letzten Woche zwei Mal unangekündigter Besuch vor der Tür gestanden hatte. Ein Staubsaugervertreter, dem ich Interesse vorgetäuscht und der mir daraufhin mein gesamtes Trümmerschlafzimmer gereinigt hatte, und zwei Zeugen Jehovas, die ganz gierig darauf gewesen waren, ein Gespräch über die Sünde der gleichgeschlechtlichen Liebe mit mir zu führen. Dem Staubsaugermann hatte Amanda zum Abschied in die Socke gebissen, einem der Zeugen Jehovas war sie schon bei der Begrüßung an die Jacke gesprungen und hatte sich dort mit einem unmissverständlichen Fauchen verkrallt.

Ich öffnete die Tür und staunte nicht schlecht, als ich Kurt Bukowskis Quadratgesicht erblickte. Ein blasser Kollege in Uniform war bei ihm. Kurt kam schnell zur Sache, die Begrüßung und die Bitte hereinkommen zu dürfen, übersprang er einfach.

„Du weißt warum ich hier bin!"

Was sollte ich tun, den Unschuldigen spielen, den Kooperativen mimen? Ich entschied mich für die Rolle des Unwissenden. Ich bat die beiden herein und schloss die Tür hinter ihnen. Der blasse Uniformierte begann sich gleich umzusehen. Kurt sah verpennt aus. Wer weiß, wie lange er noch im Cartoon herumgehangen hatte. Ob er die Dunkelhaarige noch nach Hause begleitet hat, wohlmöglich mit seinem Wagen, angetrunken, mit der geladenen Dienstwaffe auf der Rückbank?

Der Uniformierte stellte sich als Herr Armbrecht vor. Ich bat beide in die Küche, wo wir uns an den Tisch setzten. Obwohl sie verschwitzt aussahen, bot ich ihnen nichts zu trinken an. Mein Blick wanderte zum Wohnzimmerfenster, das noch immer weit offen stand nachdem ich Kissen und Decken zum Lüften rausgehängt hatte. Hinter dem großen Kissen mit den bunten Stickereien erschienen zwei Ohren. Wie zum Teufel war Amanda dort hingekommen? Jetzt sprang sie hinauf auf das Kissen und rollte sich dort friedlich zusammen. In ihren Augen lag ein triumphierendes Leuchten.

In Kurts Augen hingegen leuchtete gar nichts. Kein einziges Wort verlor er über das, was am gestrigen Abend passiert war. Über dem Nasenrücken trug er ein sorglos aufgeklebtes Pflaster, die rechte Wange war verschrammt, die Oberlippe angeschwollen. Der Sturz musste schmerzhaft gewesen sein. Armbrecht zog einen kleinen Notizblock aus seiner Jackentasche, dazu einen Bleistift, und legte beides so behutsam vor sich auf den Tisch als arrangiere er ein Stillleben. Dann nahm er seine Dienstmütze vom Kopf und legte sie daneben.

Kurt faltete die Hände als müsse er sich an sich selbst festhalten, wahrscheinlicher war, dass er Konzentriertheit und Ernsthaftigkeit demonstrieren wollte. Er straffte die Brust und spannte die Oberarme an, so dass er noch massiger wirkte, als er ohnehin schon war.

„Dein Chef, lieber Lupo, hat nicht bloß Arbeitsblätter kopiert ..."

Kurt machte eine theatralische Pause.

„Er hat Falschgeld gedruckt."

Wieder eine Pause.

„Blüten, Supernoten. Du verstehst?"

Ich versuchte, möglichst unbeeindruckt zu wirken.

„Seit Monaten, Jahren schon verbreitet er sie in der ganzen Region, hat Einkäufe für seinen Laden damit beglichen, hat private Anschaffungen getätigt."

Ich dachte an den ganzen Technikfirlefanz, den Hieronymus immer wieder angeschleppt hatte: Videokameras, Videorekorder, Kassettenabspielgeräte, ATARI-Spielkonsolen. Nichts davon hat er wirklich benutzt, das Zeug stand noch immer originalverpackt irgendwo im Papierlager herum und setzte Staub an.

„Was wusstest du von alldem, schließlich arbeitest du für ihn!"

Jetzt war ich an der Reihe, jetzt musste ich mein ganzes schauspielerisches Talent in die Waagschale werfen. Wie sah ein unwissender, ahnungsloser Achtundzwanzigjähriger aus? Ich entschied mich für aufgerissene Augen, einen weit geöffneten, dämlich aussehenden Mund und ein wenig Tränenflüssigkeit auf den Augäpfeln. Dazu musste ich an etwas furchtbar Trauriges denken. Mara, wie sie in den Sösestausee stürzt und ertrinkt, Amanda, wie sie unter den Reifen eines LKWs zerquetscht wird, Feuer-Scheck, wie er gezwungen wird, im Freibad vom Fünfmeterbrett seiner endgültigen Auslöschung entgegen zu springen.

Ich sah den beiden fest in die Augen und sagte ihnen mit fester Stimme, dass ich von Blüten nichts wisse. Klar, der Laden lief nicht besonders gut, an manchen Tagen hatten wir nur drei oder vier Kunden, aber Falschgeld, nein. Niemals!

Armbrecht schrieb fleißig mit. Seine Hand wirkte verkrampft, der Bleistift war viel zu kurz, seine Handschrift so winzig, wie die auf meinen Spickzetteln für Mathearbeiten.

Seine Stirn war jetzt noch schweißiger als vorhin. Ich bot ihm trotzdem nichts zu trinken an. Kurt wollte wissen weshalb ich gerade heute nicht im Laden gewesen sei, ob Hieronymus mir was gesteckt hatte, ob ich vielleicht Beweismittel zur Seite geschafft hätte.

Nur nicht die Nerven verlieren, Lupo. Nur nicht die Nerven verlieren. Ich schüttelte den Kopf.

„Habe heute meine freien Tag."

Kurt zog die Augenbrauen hoch. Erst die linke, dann die rechte. Das gab es doch nicht! Er war inzwischen der Dritte nach Mara und Lauenstein, der diese Sache so grandios beherrschte. Ich wollte das auch können. Kurt öffnete den obersten Knopf seines Hemdes.

„Freier Tag, so so. Die Dienstpläne sagen aber was anderes!"

Mist! Kurt erhob sich und verschaffte sich einen Überblick der Kücheneinrichtung. Dann ging er zum Kühlschrank und zog die Tür auf, öffnete das Eisfach, drückte es wieder zu, ging in die Knie, sah sich die wenigen Lebensmittel an, kam wieder hoch und schloss die Tür. Er ging zum Regal mit der Tassensammlung, nahm mal die eine, mal die andere heraus, drehte sie in der Hand und stellte sie zurück an ihren Platz.

Ich dachte: Fasst du die Tasse mit dem Herz an, bist du tot! Kurt interessierte sich jedoch mehr für die Biene-Maja- und Blumentassen, weshalb auch immer. Danach nahm er sich den Küchenschrank vor. Zuerst die verglasten Türen auf, Teller raus, Teller rein, Glaskrug raus, einmal reingeguckt, wieder zurück an seinen Platz. Dann kam der Unterschrank dran. Geschirrtücher, Töpfe, Schüsseln, ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, das mir mein Opa vermacht hatte.

Was für ein widerliches Psychospielchen war das hier! Kurt hatte garantiert keinen Durchsuchungsbefehl, wie sollte er ihn auch in dieser kurzen Zeit beantragt haben? Ich hielt die Klappe, weil ich wusste, dass er nichts finden würde. In spätestens einer halben Stunde war der Spuk hier vorbei. Ich brauchte bloß die Füße ruhig zu halten.

Kurt zog nacheinander die Schubladen auf. In linken befanden sich Besteck, Kochlöffel und Messer, in der rechten zusammengelegte Tischdecken, Servietten und ...

„Aha!"

Mit einem triumphierenden Grinsen im Gesicht hielt Kurt einen Briefumschlag in die Höhe.

„Was haben wir denn da, lieber Lupo! Was haben wir denn da?"

Ja, was hatten wir da? Einen Umschlag mit gespartem Geld. Nichts weiter. Kein Grund zum Jubilieren.

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