58. Frittenmord und morsche Stufen

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Ich erinnerte mich noch gut an das Jahr, in dem dieser Parkplatz gebaut worden war. Sommer 1965. Vor 16 Jahren. Es gab Proteste und ich war mittendrin gewesen. In Klassenstärke waren wir hier heraufgezogen, bewaffnet mit Plakaten und Spruchbändern.

Gegen die Abholzung des Stadtwalds! Gegen den Raubbau an der Natur! Gegen kapitalistisches Profitdenken! Gegen Tourismus-Schwärme! Bonzen raus!

Die Zeit hatte deutliche Spuren hinterlassen und unter einem touristischen Juwel stellte ich mir auch was anderes vor. Büsche und Bäume krochen inzwischen von allen Seiten auf den Platz. Pflanzensprösslinge hatten sich durch den Schotter geschoben und ihn in eine Buckelpiste verwandelt. Ich entdeckte einen Abfalleimer, dessen Deckel schief herabhing. Ein winziger Windhauch und das Ding fiel in sich zusammen. Das hölzerne Gestell mit der Wanderkarte auf der anderen Seite des Platzes konnte man nur noch abreißen und zu Feuerholz verarbeiten. Blind, zerkratzt, von Moos überwuchert, morsch von unten bis oben. Nein, hier herauf wagten sich nur noch die verwegensten Gestalten und lebensmüdesten Traumwandler. Typen wie ich.

Dafür gab es gute Gründe. Kurz nach Fertigstellung des Platzes hatte es hier sogar eine Frittenbude gegeben, bei der wir nach verrauchtem Protest, Pommes rotweiß, Würstchen und bunte Süßigkeitentüten erstanden. Hier war richtig was los gewesen! Ein hübscher Wald zum Wandern, ein klarer See zum Baden und hinterher Currywurst mit scharfer Soße. Das waren Zeiten!

Ich schloss den Bulli ab, lockte Amanda mit einem missglückten Pfiff an meine Seite und schritt auf die morschen Stufen zu, die hinauf zur Mönchshöhe führten. Dabei dachte ich an das, was damals nach unseren Protesten, zehn Wochen später, am Ende des Sommers geschehen war. Der Pommes-und-Currywurst-Spaß hatte ein jähes Ende gefunden, als Dirk Piepenbrink, der Besitzer der Bude, übel zugerichtet, tot, mit dem nur noch halb an der Gurgel hängenden Kopf in der Fritteuse aufgefunden wurde. Zwei Wochen zuvor war ein kleines Mädchen seinen Eltern beim Baden abhandengekommen und niemals wieder aufgetaucht. Wochenlange Suchaktionen, monatelange Ermittlungen unter Mithilfe der gesamten Stadt ergaben nichts. Null Komma Null. Man ging von einem Serientäter aus, der jederzeit erneut zuschlagen konnte, also mied man die Mönchshöhe, den Badesee, den Parkplatz, überhaupt alles in dieser Gegend und überließ es dem Vergessen.
Ich erinnerte mich. Damals wollte ich Polizist werden, Kriminalkommissar, weil ich in meiner jugendlichen Überheblichkeit fest davon überzeugt war, der einzige zu sein, der diese grausamen Verbrechen aufklären und den Meuchelmörder seiner verdienten Strafe zuführen konnte.

Bis heute wagte sich so gut wie niemand mehr an diesen Ort, obwohl es sehr unwahrscheinlich war, dass der Mörder noch immer irgendwo hier oben seinen hilflosen Opfern auflauerte. Die Verlassenheit dieses Ortes gefiel mir gut, da sie in gewisser Weise hilfreich war. Sollte sich hier oben irgendjemand herumtreiben, ich würde ihn hören, sehen, riechen.

Ich lief im Zickzack über den Parkplatz, den Blick nach unten gerichtet, und musterte den verwitterten Schotterbelag. Die Erde war aufgrund der Hitze staubtrocken, doch die Spuren des Bullis zeichneten sich eindeutig darin ab. Weitere Spuren konnte ich nicht entdecken. Hier war seit Urzeiten niemand mehr entlanggefahren, auch keine Lauenstein-Brüder mit einem Kleintransporter, ebenso keine Lisbeth Schlesinger mit einem Wohnmobil.

Ich erreichte die Treppe und begann die Stufen hinaufzusteigen. Sie waren krumm und schief, teilweise zerbrochen und an manchen Stellen gar nicht mehr vorhanden. Das erschwerte das Gehen und verwandelte den Aufstieg in einen gefährlichen Hindernisparcours. Das Geländer befand sich in einem ähnlich schlechten Zustand. Ich hielt mich besser nicht daran fest.
Amanda lief ein paar Schritte vor mir. Der unebene und löchrige Weg bereitete ihr keinerlei Schwierigkeiten. Ab und zu blieb sie stehen und schnupperte an den Heidelbeersträuchern, die überall rechts und links des Weges wucherten. Amandas Köpfchen ließ ich die ganz Zeit über nicht aus den Augen, den ich wusste ja genau: näherte sich das Böse, ein grimmiges Wesen der irdischen oder der anderen Seite, dann färbte sich ihr ansonsten schneeweißer Kopf pechschwarz. Im Moment erstrahlte er in einem blütenreinen Weiß, das mir mit seiner Helligkeit den Weg wies.

Das Walki-Talki hatte ich mir an den Gürtel geklemmt. So würde ich jederzeit bemerken, wenn es zu knarzen begann und Lyff mir eine neue Botschaft sendete.

Mit jedem Schritt, den ich die Stufen erklomm, wurde der Wald um mich herum düsterer, verwachsener, wilder als er ohnehin schon war. Einen Weg konnte ich kaum noch erkennen, Äste und Gestrüpp hingen weit herab und streiften meinen Kopf. Knorrige Wurzeln stülpten sich aus dem Boden und trachteten nach meinen Füßen. Ich musste höllisch aufpassen, mir nicht das Gesicht zu zerkratzen oder den Knöchel zu verstauchen.

Nach etwa einer Viertelstunde Fußmarsch gabelte sich plötzlich der Pfad. Vor meinen Füßen lag ein abgebrochener Wegweiser. Amanda ließ sich davon nicht beirren und lief einfach weiter. Bald hatte ich sie aus den Augen verloren, da half auch ihr leuchtendes Köpfchen nichts. Ich erinnerte mich an die Taschenlampe in meinem Rucksack, hielt es aber für eine gefährliche Idee, sie zu gebrauchen. Meine Feinde würden mich zu leicht entdecken. Da konnte ich gleich laut singend und Purzelbäume schlagend durch den Wald toben.

Die Felsen der Mönchshöhe befanden sich unmittelbar am Rand des Waldes. Ich durfte keinesfalls dorthin laufen, wo es außer Finsternis und dunklen Baumstämmen nichts weiter gab, sondern dorthin, wo ich zwischen den Baumkronen ein wenig Himmel erkannte und die Sterne funkeln sah.

Kurze Zeit später hatte ich Amanda eingeholt. Sie saß auf einem Baumstumpf und leckte sich die Pfote. Als ich bei ihr ankam, sprang sie auf den Boden und lief in Schlangenlinien den Hang hinauf, vorbei an schroffen, mit Moos überwucherten Findlingen und entwurzelten Fichten, durch üppig grünen Farn und hüfthohes Waldgras. Ein schwarzes Eichhörnchen an einem Kieferstamm musterte uns neugierig, eine Krähe flog auf und verschwand in den dichten Baumwipfeln, zwischen denen weit entfernte Sterne funkelten.

Ich blieb stehen und lauschte. Das Quietschen eines sich im Sommerwind wiegenden Baumes, ein hektisches Rascheln im Gestrüpp, das Knacken von Ästen. Nichts Auffälliges. Keine Stimmen, kein Motorengeräusch. Keine Lisbeth, keine Lyff, keine Mara. Keine Lauenstein-Brüder.

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